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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
5. September 1914

Unter dem Titel "Der Krieg und die sozialen Pflichten" schreibt das "Correspondenzblatt":
"Der Krieg schafft Situationen, die nicht gesellschaftsauflösend, sondern in hohem Maße gesellschaftsfördernd wirken, die in allen Volkskreisen in ganz ungeahntem Maße soziale Kräfte wecken und sozialfeindliche Bestrebungen eliminieren. Sie wirken nicht zersetzend, sondern einigend und stellen ein großes, einheitliches Volksganzes her, das von dem gleichen Selbsterhaltungsinteresse, von demselben Drang, sich zu behaupten und siegreich durchzusetzen, beseelt wird.
Wesentlich dagegen ist, daß die Notwendigkeit oder Unabwendbarkeit einer Entscheidung durch die Waffen von allen Volksschichten in gleichem Maße erfaßt und anerkannt wird und daß der Krieg als eine nationale Pflicht empfunden wird, der sich kein Wehrfähiger entziehen darf, ohne sich an der Gesamtheit zu versündigen.
In diesem Stadium ist aber der Krieg eine Angelegenheit des ganzen Volkes, und er ist wie kaum irgendein anderes Ereignis geeignet, sozialistisch zu wirken. Vor der schweren Gefahr der feindlichen Gewalten treten alle anderen Fragen des inneren nationalen Lebens zurück.
Die höhere Einheit, das nationale Gesamtinteresse ist das Band, das alle zusammenkettet. Diese Einheit fordert jedoch die unbedingte Hingabe an das kämpfende Vaterland, die weitgehendste Solidarität aller Volksgenossen und die uneigennützige Förderung alles dessen, was die Widerstandskraft und Selbsterhaltungskraft der eigenen Nation stärkt.
Ein Volk im Kriege muß sozialistisch empfinden, aber auch sozialistisch denken und handeln, besonders ein Volk, das die allgemeine Wehrpflicht zur Grundlage seiner Selbsterhaltung gemacht hat. Sozialistisch denken - das heißt: sich bewußt sein, daß nicht die privaten Interessen und Vorteile der einzelnen den Sieg der Nation gewährleisten, sondern daß nur das Aufgehen des einzelnen im Gesamtwohl dem Volke die Riesenkräfte verleiht, mit seinen Feinden fertig zu werden. Sozialistisch handeln - das heißt: das Bewußtsein sozialer Pflichterfüllung dergestalt zur einmütigen Tat werden lassen, daß alle gemeinschädlichen Auswüchse egoistischer Interessen unterdrückt werden, die soziale Pflichterfüllung organisieren!
Auch die starken Organisationen der deutschen Arbeiter sind ein gewichtiger Faktor für die Selbstverteidigung des deutschen Volkes; sie haben Millionen in Solidarität und Opferwilligkeit erzogen, in Disziplin geschult, sie daran gewöhnt, das Gemeinwohl dem eigenen Vorteil voranzustellen.
Die Privatwirtschaft läßt sich nicht über Nacht hinwegdekreditieren. Aber was man von ihr billigerweise verlangen darf und muß, das ist ihre Einfügung in das Gemeinwohl.
Deshalb muß die soziale Pflichterfüllung derartig organisiert werden, daß sie sich auch gegenüber den hunderten Widerständen durchzusetzen vermag. Das erfordert zwar hier und da einige Eingriffe in das freie Walten der Kräfte, vor allem in das Interesse kapitalistischer Mächte, - aber welches Gemeinwesen könnte schließlich darauf verzichten, wenn es seinen Bestand gegen eine Welt von Feinden zu schützen gezwungen ist?
Besser wäre es freilich, wenn alle Faktoren der heimischen Volkswirtschaft freiwillig zusammenwirken würden, einmal um alle schweren Schädigungen, die die Kriegslage hervorgerufen hat, hintanzuhalten und ihre Wirkungen zu lindern, dann aber auch, um die Volkswirtschaft möglichst lebensfähig zu erhalten. Als solche Faktoren kommen in Frage die Organisationen der Unternehmer und der Arbeiter und ihre wirtschaftlichen und politischen Vertretungen, die Organisationen der freiwilligen Notstandshilfe und die öffentlichen Organisationen (Reich, Staat und Gemeinde). Sie alle könnten im bewußt sozialen Zusammenwirken ein gewaltiges Stück Arbeit leisten, ohne im wesentlichen von den Grundlagen der Privatwirtschaft abzuweichen."



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