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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
1903

Mitte des Jahres wird der Tiefpunkt der Wirtschaftskrise erreicht. Seitdem beginnt ein allmählicher Konjunkturaufschwung.

Die organisatorischen Schwerpunkte der sozialdemokratischen Gewerkschaften liegen in den Gebieten Anhalt, Berlin, Brandenburg, Braunschweig, Provinz Sachsen, wo 27% aller Gewerkschaftsmitglieder sind. In den Hansestädten beträgt der Anteil der Gesamtmitgliedschaft 9,2%, das ist mehr als in Baden, Hessen und Württemberg zusammen. In Sachsen und Thüringen sind 15,5% der Gewerkschaftsmitglieder zuhause. Die größten Steigerungsraten erreichen die Gewerkschaften seit 1895 in Westdeutschland mit rund 460%.
In diesen Jahren gelingt es den Gewerkschaften, ihren Mitgliederstand auch in Orten mit weniger als 5.000 Einwohnern seit 1896 von 6,9% auf 12,1% zu erhöhen.
In den Großstädten mit über 100.000 Einwohnern leben 1903 immerhin 47% aller Gewerkschaftsmitglieder.
99,1% der Mitglieder des Buchdruckerverbandes wohnen in diesen Großstädten, in Mittelstädten (20-100.000 Einwohner) leben 44,3% aller organisierten Schuhmacher. In Orten mit weniger als 5.000 Bewohnern haben die Glasarbeiter 55,2% ihrer Mitglieder. Fast 80% der organisierten Bergarbeiter wohnen noch in Kleinstädten und Dörfern.

Die Schwierigkeit für gewerkschaftliche Aktivitäten in "Diasporagebieten" schildert der Bezirksleiter des Metallarbeiterverbandes aus dem Koblenzer und Trierer Raum: "Außerordentlich erschwert wird die Agitation besonders in den neuerschlossenen Gebieten durch den Mangel an Lokalen. Was auf dem Gebiet der Saalabtreiberei von unseren Gegnern geleistet wird, ist geradezu unglaublich. Trotz aller Bemühungen konnte ich beispielsweise im ganzen Regierungsbezirk Koblenz nur über ein Lokal verfügen, und das wurde schließlich auch wieder abgetrieben, so daß dort jetzt nicht ein einziges Lokal zu haben ist. Nicht besser steht es im Regierungsbezirk Trier, wo außer dem Lokal in St. Johann nicht eine einzige Wirtschaft zur Verfügung steht. Als ich im Dillkreise Versammlungen abhalten wollte, war es der Landrat, der sich in höchsteigener Person bemühte, uns das Lokal abzutreiben, und schließlich auch Erfolg hatte."
Der Bezirksleiter des Metallarbeiterverbandes im Saargebiet berichtet über die großen Schwierigkeiten für die Gewerkschaftsarbeit in diesem Gebiet. Jeder Koalitionsversuch wird durch das harmonische Zusammenwirken von Polizei, Unternehmertum und Presse verfolgt und unterdrückt. Man warnt die Arbeiterschaft vor den sozialdemokratischen Agitatoren, erstellt Namenslisten derjenigen Arbeiter, die sich für die Sozialdemokratie engagieren, gibt diese "schwarze Listen" von Betrieb zu Betrieb weiter, um eine Anstellung von gemaßregelten Arbeitern in einem anderen Unternehmen im Saarrevier zu verhindern; man ermittelt sogar gegen die Leser der sozialdemokratischen Presse und der Gewerkschaftszeitungen und entläßt Arbeiter, die eine Gewerkschaftsversammlung besucht haben. An diesen Verhältnissen ändert sich bis 1914 nichts.
1912 sind in der Burbacher Hütte von über 6.000 Arbeitern erst 400 im Metallarbeiterverband organisiert, während der wirschaftsfriedliche "Burbacher Hüttenverein" 5.400 Mitglieder zählt.

Der Generalrat des Gesamtverbandes der Gewerkvereine richtet eine Petition an den Reichstag, in dem er verlangt:
In § 152 der Gewerbeordnung Berufsvereinen (Gewerkvereine, Gewerkschaften) zu gestatten, ihre Tätigkeit auf die allgemeine Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gewerbes, insbesondere auch durch Änderung der Gesetzgebung, auszudehnen, ohne dadurch den einzelnen Vereinsgesetzen unterworfen zu sein.
Den § 153 der Gewerbeordnung zu streichen; mindestens aber nicht allein den Mißgebrauch des Koalitionsrechts, sondern auch die Verhinderung am legitimen Gebrauch desselben unter Strafe zu stellen.
Das Koalitionsrecht auf die landwirtschaftlichen Arbeiter auszudehnen.

Die westdeutschen katholischen Arbeitervereine schließen sich zum "Verband katholischer Arbeitervereine Westdeutschlands" zusammen.

Der Bundesrat verbietet die Herstellung von Phosphorzündhölzern.

Im Reichstag wird ein Gesetzentwurf zur Einführung von Arbeitskammern eingebracht, der aber erst 1908 beraten wird.


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