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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
27. Juli / 1. August 1896

Der internationale sozialistische Arbeiter- und Gewerkschaftskongreß in London lehnt nach lebhaften Diskussionen die Zulassung von Anarchisten ab. Der Kongreß fordert Schiedsgerichte, um Streitigkeiten zwischen den Völkern zu schlichten. Die Emanzipation der Frau ist untrennbar von der Befreiung der Arbeiterklasse. Die Frauen werden deshalb vom Kongreß aufgefordert, Seite an Seite mit den Arbeitern zu kämpfen und sich mit ihnen politisch zu organisieren.
Der Kongreß stellt fest:
"Der gewerkschaftliche Kampf der Arbeiter ist unerläßlich, um der wirthschaftlichen Uebermacht des Kapitals zu trotzen und so die Lage der Arbeiter in der Gegenwart zu verbessern. Ohne Gewerkschaften keine auskömmlichen Löhne und keine verkürzte Arbeitszeit. Durch diesen Kampf wird aber die Ausbeutung nur gelindert, nicht beseitigt. Die Ausbeutung der Arbeiter kann nur ein Ende nehmen, wenn die Gesellschaft selbst Besitz ergriffen hat von den Produktionsmitteln, einschließlich des Grund und Bodens und der Verkehrsmittel. Das hat zur unerläßlichen Voraussetzung ein System gesetzgeberischer Maßnahmen. Um diese vollkommen durchzuführen, muß die Arbeiterklasse die ausschlaggebende politische Macht sein. Sie wird aber zur politischen Macht nur in dem Maße, wie sie organisirt ist. Die Gewerkschaften machen die Arbeiterklasse schon deshalb zur politischen Macht, weil sie die Arbeiter organisiren.
Die Organisation der Arbeiterklasse ist unvollständig und unzureichend, wenn sie nur politisch ist.
Aber der gewerkschaftliche Kampf erfordert auch die politische Bethätigung der Arbeitsklasse. Was die Arbeiter im freien Kampf gegen ihre Ausbeuter erringen, müssen sie oft erst als politische Macht gesetzgeberisch festlegen, um es zu sichern...
Ein internationales Zusammenwirken der Arbeiterklasse in Bezug auf den gewerkschaftlichen Kampf, wie besonders auch in Bezug auf die Arbeiterschutzgesetzgebung, wird desto mehr zur Nothwendigkeit, je mehr der wirthschaftliche Zusammenhang des kapitalistischen Weltmarktes und damit zugleich die Konflikte der nationalen Industrien sich entwickeln.
Für die nächste Zeit ist ein internationales Vorgehen des Proletariats nach folgenden Richtungen nothwendig:
1. Abschaffung der Zölle, Verbrauchssteuern und Ausfuhrprämien;
2. Durchführung einer internationalen Arbeiterschutzgesetzgebung; [...]
a) den gesetzlichen achtstündigen Normalarbeitstag zu erringen;
b) das Schwitzsystem zu beseitigen und für die Arbeiter der Hausindustrie einen wirksamen Arbeiterschutz zu schaffen;
c) ein vollständig freies Vereins- und Versammlungsrecht für beide Geschlechter herbeizuführen.
Um dieses durchzuführen, ist ein Zusammenwirken der gewerkschaftlichen und politischen Bethätigung nothwendig.
Der Kongreß betrachtet es als Pflicht aller Arbeiter, welche die Befreiung der Arbeit von dem Joch des Kapitalismus anstreben, der für ihren Beruf bestehenden Gewerkschaft anzugehören...
Die politische Anschauung darf keinen trennenden Grund im wirthschaftlichen Kampfe bilden, es ist aber eine aus dem Wesen des proletarischen Klassenkampfes sich ergebende Pflicht der Arbeiterorganisationen, ihre Mitglieder zu Sozialdemokraten heranzubilden. Es muß als eine Pflicht der Gewerkschaften angesehen werden, die im Beruf beschäftigten Frauen als Mitglieder aufzunehmen und gleichen Lohn für gleiche Arbeitsleistung für Männer und Frauen anzustreben...
Der Kongreß hält den Streik und Boykott für ein nothwendiges Mittel zur Erreichung der Aufgaben der Gewerkschaften, sieht aber die Möglichkeit für einen internationalen Generalstreik nicht gegeben."
Anläßlich des Kongresses beraten die anwesenden Vertreter der Hafenarbeiter und Seeleute der verschiedenen Länder über mögliche gegenseitige Unterstützungen. Aus diesen Beratungen geht 1897 die International Ship, Dock and River Workers Federation hervor, nachdem im Streik der Hamburger Hafenarbeiter und Seeleute sich die gegenseitige Unterstützung als notwendig erweist. 1898 wird der Wirkungskreis der Föderation erweitert und ihr Name in Transportworkers Federation geändert.



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