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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
4./8. Mai 1896

Auf dem 2. Kongreß der Gewerkschaften in Berlin vertreten 139 Delegierte rund 270.000 Mitglieder. Tagesordnung u.a.: Streikunterstützung und Streikstatistik; die Arbeitslosenunterstützung; die Arbeitsvermittlung als gewerkschaftliche und kommunale Einrichtung; die Agitation unter den Arbeiterinnen; die Hausindustrie, das Schwitzsystem und die Bestrebungen der Arbeiter für Einführung von Betriebswerkstätten.
Der Kongreß lehnt einen Antrag ab, die Sozial- und Vereinsgesetzgebung auf die Tagesordnung zu setzen, weil "die Behandlung der Gesetzgebung vor dem Kongreß eine zu große Gefahr für die Gewerkschaften bringen könne". Denn nach einem Urteil des preußischen Kammergerichtes gehören zu den politischen Gegenständen im Sinne des Vereinsgesetzes z.B. auch die Sozialpolitik und die Regelung der Arbeitszeit.
Die Delegierten erklären sich mit Mehrheit grundsätzlich für eine zusammenschließende Vertretung sämtlicher Gewerkschaften und sprechen sich mit 113 gegen 16 Stimmen für den Fortbestand der Generalkommission aus.
Obwohl in mehreren Anträgen vor allem vom Metallarbeiterverband die Auflösung der Generalkommission gefordert wird, da diese zu kostspielig sei und dem "Kastendünkel" durch Förderung kleiner, lebensunfähiger Branchenorganisationen auf Kosten des Zentralverbandsprinzips Vorschub geleistet hätte und ihre sozialpolitischen Bestrebungen mit gewerkschaftlichen Interessen unvereinbar wären. Die Aufstellung eines eigenen Redakteurs für das "Correspondenzblatt" wird abgelehnt. Der Antrag der Generalkommission, einen Zentral-Streikfonds, der der Unterstützung vor allem der kleineren Organisationen dienen soll, zu schaffen wird mit 104 gegen 18 Stimmen abgelehnt.
Die Absicht der Generalkommission, mit diesem Fonds wesentlichen Einfluß auf die Streikplanung und Streikführung zu nehmen, ist damit gescheitert. Die Zentralverbände verteidigen ihre Streikautonomie. Sie billigen der Generalkommission nur zu, auf Antrag einer betroffenen Gewerkschaft und mit Zustimmung der anderen Verbände "ausnahmsweise" Geld zu sammeln.
Zur Beratung und Kontrolle der Generalkommission wird ein beratender Gewerkschaftsausschuß aus je einem Vertreter der angeschlossenen Gewerkschaften gebildet.
Der Kongreß empfiehlt allen Gewerkschaften zur Stabilisierung des Mitgliederstandes die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung, die keineswegs den Klassen- und Kampfcharakter der Organisationen verwischt, wie einige Delegierte befürchten. Der Widerstand gegen eine gewerkschaftliche Arbeitslosenunterstützung basiert aber vor allem darauf, daß die Gewerkschaften Staat und Gesellschaft für die Folgen der Arbeitslosigkeit, der in ihrer Sicht verheerendsten Folge kapitalistischer Produktion, verantwortlich sind und deshalb für die Kosten aufzukommen haben.
Die Arbeitsvermittlung wird zum Aufgabenbereich der Gewerkschaften erklärt, obwohl Th. Leipart vor einer grundsätzlichen Entscheidung warnt und um Vertagung bittet, da die württembergischen Gewerkschafter überall für kommunale Arbeitsnachweise eingetreten wären. Die Resolution beginnt: "Grundsätzlich abzulehnen ist jede Erwägung der Möglichkeit einer gemeinsam geführten Arbeitsvermittlung zwischen Arbeiter und Arbeitgeber", und wendet sich dann ausdrücklich gegen den scheinbar parteilosen kommunalen Arbeitsnachweis, der infolge der ungleichen Machteinflüsse nur den Interessen des Kapitals dienen werde.
Die Delegierten beschließen, eine verstärkte Agitation zur Gewinnung von Arbeiterinnen durchzuführen. Der Kongreß protestiert gegen "das Überhandnehmen der Hausindustrie" und das sog. "Schwitzsystem" (Zwischenmeister) und verpflichtet die Gewerkschaftsmitglieder zur Solidarität bei den Kämpfen dieser Arbeiter "zur dringend notwendigen Beseitigung dieser gemeinschädlichen Betriebsform".
Die Generalkommission wird beauftragt, genügendes Material über die Hausindustrie und das Schwitzsystem sämtlicher in Betracht kommender Gewerbe zu sammeln und die Materialien in geeigneter Weise zu veröffentlichen.
Der Kongreß spricht sich zugunsten der Sonntagsruhe der Mühlenarbeiter und für die Beseitigung der Mißstände im Baugewerbe aus.
In die Generalkommission werden gewählt: C. Legien, A. Bringmann, Wilhelmina Kähler, A. Röske (Holzarbeiter) und G. Sabath.
In ihrem Bericht an den Gewerkschaftskongreß verteidigt die Generalkommission noch einmal ihre Teilnahme an dem Kongreß des Frankfurter Hochstifts als Vorteil für die Gewerkschaftsbewegung, "jedenfalls kann man auch jetzt behaupten, daß dieser Kongreß besondere Anregungen für die ziemlich allgemein gewordene Bewegung für die Errichtung städtischer Arbeitsnachweise gegeben hat; wenn auch diese Bewegung nicht überall, wo sie von Erfolg war, in dem städtischen Arbeitsnachweis das gezeitigt hat, was die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter zu fordern berechtigt sind, so ist durch sie doch manches Gute geschaffen und dürfte mehr geschaffen werden."



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