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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
7./8. April 1876

Mit dem Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen wird eine einheitliche Regelung des Hilfskassenwesens angestrebt. Es schafft für die freien Hilfskassen einen festen Rechtsboden.
Unter dem 8. April ergeht ein weiteres Gesetz, das namentlich das Verhältnis der freien zu den Zwangskassen regelt. Das Bestreben beider Gesetze ist, "die Lage der unterstützungsbedürftigen Arbeiter zu heben durch Besserung der bisherigen Bestimmungen über die von den Arbeitern im Wege der Selbsthilfe eingerichteten freiwilligen Unterstützungskassen". Dadurch hofft die Reichsregierung "namentlich in den Fällen einfacher Erkrankungen, welche nicht aus Unfällen entsprungen sind, den Arbeiterschutz zu erweitern und auch bei Unfällen zugleich mit Zunahme einer Selbstversicherung der Arbeiter eine Entlastung der Unternehmer und somit eine Förderung des Unternehmungsgeistes herbeizuführen".
Nach dem Gesetz vom 7. April über die eingeschriebenen Hilfskassen sind diese Kassen solche, "welche die gegenseitige Unterstützung ihrer Mitglieder für den Fall der Erkrankung bezwecken" und gewisse formale Bedingungen erfüllen. Die eingeschriebenen Hilfskassen werden "juristische Personen" mit selbständiger Vermögensfähigkeit, mit einer auf das Kassenvermögen beschränkten Haftung für Verbindlichkeiten und mit besonderem Gerichtsstand beim Gericht des Kassensitzes. Die Mitgliedschaft wird erworben durch schriftliche Erklärung oder Unterzeichnung des Statuts. Die Ansprüche der Kassenmitglieder müssen spätestens mit der 14. Woche nach dem Beitritt beginnen und mindestens 13 Wochen dauern. Das Statut kann den Familienangehörigen freie ärztliche Behandlung und den Hinterbliebenen des verstorbenen Mitglieds ein gewisses Sterbegeld zubilligen.
Neben der Beitragspflicht der Mitglieder kann auch eine Zuschußpflicht der Arbeitgeber und auf Grund dieser ein Anspruch der Arbeitgeber auf Vertretung im Vorstand und auf Stimmrecht in der Generalversammlung in Betracht kommen. Jedes großjährige und im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindliche Mitglied hat Stimmrecht in der Generalversammlung, desgleichen die zuschußpflichtigen Arbeitgeber, denen jedoch höchstens halb soviel Stimmen zukommen dürfen als den Kassenmitgliedern.
Die Aufsichtsbehörde hat weitgehende Kontrollrechte über die Kasse und äußerstenfalls die Befugnis, die Kasse zu schließen. Das Gesetz gestattet nicht nur "lokale", sondern auch "nationale" Kassen mit örtlichen Verwaltungsstellen sowie die Vereinigung mehrerer Kassen zu gemeinsamen Verbänden, nicht minder den Zusammenhang mit Gewerkschaften und ähnlichen Verbindungen, jedoch unter gewissen Sicherheiten, welche die Selbständigkeit der Kassen wahren und die Verwendung ihres Vermögens für fremde Zwecke verhüten soll.
Das Gesetz vom 8. April überläßt es zunächst den freien Kassen, sich seinen Bestimmungen anzupassen oder als "wilde Kassen" ohne die Rechte und Pflichten der "eingeschriebenen" fortzubestehen.
Den Gemeinden wird gestattet, durch Statut eingeschriebene Hilfskassen nach dem Gesetz vom 7. April einzurichten und die Gesellen, Gehilfen und Fabrikarbeiter über 16 Jahre zum Beitritt zu zwingen, soweit sie nicht die Mitgliedschaft in einer anderen Hilfskasse nachweisen können. Die freien Hilfskassen werden zwar nicht verboten, durch die Privilegierung der eingeschriebenen Hilfskassen aber ausgetrocknet. So werden die Gewerkschaften gezwungen, von ihnen unabhängige Krankenkassen zu gründen, da ihre bestehenden Krankenkassen den Gesetzesvorschriften nicht entsprechen.
Diese Chance nutzen die Gewerkschaften erfolgreich, was nicht im Sinne des Gesetzgebers ist. Diese neuen Gründungen stärken die Stabilität de Gewerkschaften und die Selbständigkeit der Arbeiter. 1877 verfügen über "Eingeschriebene Hilfskassen" u.a.: der Deutsche Buchdrucker-Verband, der Bund der deutschen Böttcher, der Bund der deutschen Glasarbeiter, die Gewerkschaft der Manufaktur- und Handarbeiter beiderlei Geschlechts, die Metallarbeiter-Gewerksgenossenschaft, der Verband deutscher Schmiede, der Senefelder-Bund, die Gewerkschaft der Schuhmacher, der deutsche Tabakarbeiter-Verein, der Bund der Tischler und das Deutsche Zimmerer-Gewerk. Ende 1876 gibt es in Deutschland 754 eingeschriebene Hilfskassen - davon 400 freiwillige.



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