Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den
Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger
Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der
Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999
Die sächsische Gewerbeordnung beseitigt alle noch bestehenden Zunftschranken. Sie stellt die Gesellen rechtlich den Arbeitern gleich und bestimmt im § 73:
Stichtag:
15. Oktober 1861
"Verabredungen von Arbeitern zur Erzwingung höherer Löhne, kürzerer Arbeitszeit usw. sind für die Teilnehmer nicht verbindlich.
Anmaßung von Strafgewalt über die Genossen, Verrufserklärungen und jede Anwendung physischer oder moralischer Zwangsmittel gegen solche, welche Beschlüssen und Verabredungen der obigen Art nicht beitreten wollen, oder von schon gefaßten und getroffenen zurücktreten, werden an jedem Teilnehmer mit Gefängnis bis zu vier Wochen, an den Anstiftern und Anführern mit Gefängnis bis zu acht Wochen bestraft, es sei denn, daß der Tatbestand eines nach dem Strafgesetzbuche mit Strafe bedrohten Verbrechens vorliege."
Diese Vorschrift wird ergänzt durch den § 40 der "Verordnung zur Ausführung des Gewerberechts vom 15. Oktober 1861":
Nach § 145 des Strafgesetzbuches tritt die Kompetenz der Strafgerichte rücksichtlich der in § 52 und § 73 des Gewerbegesetzes bezeichneten Verabredung erst dann ein, wenn den Anordnungen der Behörde keine Folge geleistet wird. Die Polizeibehörden haben sich bei solchen auf Preisfeststellungen, Arbeitseinstellungen usw. gerichteten Verabredungen jeden Eingreifens so lange zu enthalten, als nicht zur Durchführung derselben physische oder moralische Zwangsmittel der in §§ 52 und 72 des Gewerbegesetzes angegebenen Art angewendet werden oder sonst die öffentliche Ordnung gefährdet erscheint.
Mit diesen Bestimmungen ist das Koalitionsverbot in Sachsen aufgehoben. Die Gewährung des Koalitionsrechts wird aber direkt, wenn auch mit Einschränkungen, mit Strafandrohungen verbunden.
Die sächsische Gewerbeordnung läßt die alten Unterstützungskassen bestehen, solange die Innungen, bei denen sie errichtet sind, existieren. Sie spricht aber die Verpflichtung für Gewerbegehilfen und Fabrikarbeiter aus, Beiträge zu Kassen zu zahlen, deren Zweck die Unterstützung in Erkrankungsfällen und die Bestreitung der Begräbniskosten ist.
Die sächsische Gewerbeordnung schreibt auch die obligatorische Einführung von Fabrikordnungen vor, die seitens der Behörden kontrolliert werden sollen.
Ähnliche Bestimmungen werden auch in die Gewerbeordnungen von Baden und Württemberg aufgenommen.