Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den
Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger
Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der
Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999
Mit der "Verordnung, betreffend die Errichtung von Gewerberäthen" und verschiedenen Abänderungen der allgemeinen Gewerbeordnung - dem einzigen sozialpolitischen Gesetz während der Revolutionsjahre in Preußen - werden für Städte mit "erheblichem gewerblichem Verkehr" und auf Antrag der Gewerbetreibenden "Gewerberäte" eingeführt. Ihre Aufgabe besteht darin, die allgemeinen Interessen des Handwerks und der Fabrikbetriebe wahrzunehmen, Maßnahmen zu ihrer Förderung anzuregen und einzuleiten (§ 2), die Befolgung der Vorschriften über das Innungswesen zu überwachen (§ 2), die obligatorischen Gesellen- und Meisterprüfungen durchzuführen (§ 2), die Einstellung und Behandlung der Lehrlinge, Gesellen und Gehilfen sowie der Fabrikarbeiter zu überwachen (§ 2), die Arbeitszeitfragen zu regeln (§ 49), die Schlichtung von Arbeitskonflikten und Lohnstreitigkeiten zu übernehmen (§§ 2, 28).
Stichtag:
9. Februar 1849
Darüber hinaus wurde dem Gewerberat das Recht zugesprochen, in Fragen des Gewerbes bei der Behörde vorstellig werden zu können, während sie ihrerseits den Gewerberat als Informant und Gutachter in Anspruch nehmen kann (§ 2).
Die Mitglieder dieses sozialpolitischen Lokalparlamentes sollen gewählte Vertreter des Handwerks, Handels und der Industrie sein (§ 3). Ihnen obliegt es, die für die drei Sektionen vorgesehenen Abteilungen zu bilden, deren Mitgliederzahl auf jeweils mindestens 5 Vertreter festgesetzt wird, stets jedoch eine ungerade Gesamtzahl aufweisen muß (§ 4). In der "Handwerks- und Fabrikenabteilung" soll bei somit paritätischer Besetzung durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter dieses ungerade Verhältnis zugunsten der Arbeitgeber geregelt werden, indem ihnen ein zusätzliches Mandat zugesprochen wird (§ 5).
Die Gewerberäte haben in der vorgesehenen Weise nie funktioniert. Die Gewerbefreiheit wird zugunsten der Innungen und der Handwerksmeister wieder eingeschränkt. So werden die Bestimmungen der Gewerbeordnung von 1845 über erforderliche Qualifikationsnachweise auf weitere 68 Handwerksberufe ausgedehnt. Die Genehmigung zur selbständigen Berufsausübung wird davon abhängig gemacht, ob der interessierte Handwerker einen Befähigungsnachweis erbringt (§§ 23, 35). Die Gesellen und Gehilfen werden gesetzlich verpflichtet, nur bei Meistern ihres Fachs Arbeit aufzunehmen.
Die Innungen haben das alleinige Recht der Lehrlingsaufsicht (§ 45).
Nach § 49 sind alle Verträge über eine Verpflichtung zur Sonn- und Feiertagsarbeit nichtig. Die Verordnung verbietet Lohnzahlungen durch Waren (Trucksystem). Zugestanden wird den Arbeitgebern, daß sie ihren Beschäftigten Wohnung, Feuerungsbedarf, Landnutzung, Beköstigung, Arzneien und ärztliche Hilfe, ferner Werkzeuge und Rohstoffe, die für den Produktionsprozeß erforderlich sind, unter Anrechnung auf den Lohn zur Verfügung stellen können (§ 50). Den betroffenen Arbeitern wird damit zum erstenmal in Deutschland ein Rechtsanspruch auf Lohnzahlung in bar eingeräumt. Zugleich werden die sozialen Einrichtungen zur Unterstützung der Gewerbetreibenden ausgebaut. So kann jetzt durch Ortsstatut für alle, die in einer Gemeinde ein Gewerbe selbständig betreiben, festgesetzt werden, daß der Beitrittszwang in die Ortsinnungskassen gelten solle (§ 56), zur Förderung aller Unterstützungseinrichtungen für Gesellen oder Gehilfen die selbständigen Handwerker finanzielle Beiträge bis zur Hälfte der Eigenleistung der Arbeitnehmer zahlen müssen.
Diese handwerklichen Sozialeinrichtungen werden auch für Fabrikarbeiter geöffnet. Die Unternehmer werden zur anteilsmäßigen Mitfinanzierung der Kosten verpflichtet. Zukunftswirksam erweist sich darüber hinaus die den Gruppen gesetzlich zugewiesene Selbstverwaltung des Unterstützungswesens, die auch den einer Innung nicht angehörenden Beteiligten je nach sozialer Stellung und Beitragsleistung zugestanden wird.
Die Verordnung tritt erst am 30. Januar 1850 in Kraft.