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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
17. Januar 1845

Die preußische Gewerbeordnung regelt das Verhältnis zwischen den selbständig Gewerbetreibenden und ihren Arbeitnehmern. Die Bestimmungen schließen neben Gesellen, Gehilfen und Lehrlingen ausdrücklich auch Fabrikarbeiter ein und legen fest, daß jeder selbständig Gewerbetreibende grundsätzlich das Recht hat, Mitarbeiter zu beschäftigen und Lehrlinge auszubilden (§§ 125, 126). Die Lehrlingsausbildung wird allerdings nur denjenigen zugestanden, die einer Innung angehören (§ 131) oder vor der Ortspolizeibehörde einen besonderen Befähigungsnachweis erbracht haben (§ 132).
"Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständig Gewerbetreibenden und ihren Gesellen, Gehilfen und Lehrlingen ist Gegenstand freier Übereinkunft". Beide Vertragspartner haben eine vierzehntägige Kündigungsfrist zu beachten.
Lohn- und Arbeiterschutzbestimmungen finden keinen Eingang in die gesetzlichen Regelungen. Bei Arbeitsstreitigkeiten kommt entweder der zuständigen Innung oder Ortspolizeibehörde die schiedsrichterliche Entscheidung zu. In die Gewerbeordnung wird ein ausdrückliches Koalitionsverbot aufgenommen. Es besagt, daß:
a) den Gewerbetreibenden, die Absprachen über Arbeitseinstellungen, Entlassungen oder Nichteinstellungen treffen oder dazu auffordern, um Gehilfen, Gesellen und Arbeiter oder die Obrigkeit zu Handlungen oder Unterlassungen zu zwingen (§ 181) ebenso wie
b) den Gesellen, Gehilfen und Fabrikarbeitern, die Streiks verabreden oder dazu auffordern oder andere an der Arbeit hindern, Gefängnis bis zu einem Jahr angedroht (§ 182) wird,
c) die Bildung von Verbindungen der Gesellen, Gehilfen, Fabrikarbeiter oder Lehrlinge ohne polizeiliche Genehmigung (§ 183) sowie
d) das eigenmächtige Verlassen des Arbeitsplatzes (§ 184) unter Strafe gestellt ist.
Damit werden nicht nur Arbeitskampfmaßnahmen, sondern auch die Verabredung sowie die Aufforderung zum Arbeitskampf wie auch umgekehrt die Aussperrung sowie die Verabredung dazu verboten. Staatliche Förderung dagegen sollen bestehende und zu gründende Hilfskassen der Arbeitnehmer (§ 144) erfahren. In den Ortsstatuten von Berlin wird daraufhin angeordnet, "daß wie früher jeder im Weichbilde der Stadt arbeitende Gesell oder Fabrikarbeiter verpflichtet ist, einer der für die verschiedenen Arbeitnehmenden bestimmten Kranken-Kassen beizutreten". Im § 169 werden die Gemeinden ermächtigt, durch ein Statut einen Zwang dahin festzusetzen, daß jeder am Ort beschäftigte Handwerksgeselle oder -gehilfe mit Beitragspflicht der Ortskasse beitreten müsse. Diese Vorschriften bedeuten den Anfang der neuzeitlichen Zwangsversicherung gegen Krankheit. In den Ortsstatuten für die Fabrikarbeiter ist eine Beihilfe zur Krankenpflege von den Arbeitgebern festgesetzt, den Meistern wird dagegen keine Verpflichtung der Beihilfe zu den Gesellen-Kassen auferlegt.
Der Gesundheitsschutz der Arbeiter wird in keinem Paragraphen erwähnt. Nur der § 13b fordert eine "gebührende Rücksichtnahme auf Gesundheit und Sittlichkeit der Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge".
Da die Auflagen des Arbeitsschutzgesetzes von 1839 kaum erfüllt wurden, wird der örtlichen Polizei die Weisung erteilt, darauf zu achten, daß bei der Beschäftigung von Handwerksgesellen und Lehrlingen Rücksicht auf die "Wahrung von Gesundheit und Sittlichkeit" genommen wird. Die Gewerbeordnung hält nur noch im Grundsatz an der 1810 verkündeten Gewerbefreiheit fest, denn sie verlangt wieder für über 40 Gewerbe den Befähigungsnachweis und gestattet die Bildung freiwilliger Innungen.



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