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Georgien : Gefahren für die Staatlichkeit / Henrik Bischof. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1995. - 37 S. = 116 Kb, Text . - (Studie zur Außenpolitik ; 68). - ISBN 3-86077-417-4
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1997

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT


  • Vorgeschichte
  • Der Weg zur Unabhängigkeit
  • Innenpolitische Kräfteverhältnisse
  • Sezessionskriege
  • Wirtschaftslage
  • VI. Rußland als Hegemonialmacht

    Abstract

    Georgia's Statehood Endangered

    This study describes the struggle for independence and the election victory of Georgia's national opposition led by Gamsahurdia in 1990, the part played by Moscow and Georgia's paramilitary militias in overthrowing President Gamsahurdia in 1991/92 as well as the return of Edward Shevardnadze to Georgia and his seizure of power.

    This is followed by a report on the civil war in West Georgia and Moscow's contribution towards stabilizing Shevardnadze's power in return for Georgia's CIS membership and the establishment of Russian military bases in Georgia.

    Further chapters deal with the wars of secession in South Ossetia and Abkhasia endangering Georgia's statehood.

    The part devoted to the solution of the conflict describes in detail the role played by Moscow as well as the UN and OSCE observer groups.

    Two more chapters are devoted to Georgia's economic situation up until the introduction of a new national currency and Russia's part as a hegemonial power in Transcaucasia.

    Georgien - Gefahren für die Staatlichkeit

    Bei der Bewertung der ethnischen Konflikte in Georgien wird im Westen die Rolle Moskaus häufig unterschätzt. Man übersieht, daß die maßgeblichen politischen Kräfte, die heute in Rußland an der Macht sind, kaum die Bereitschaft zeigen, sich mit dem Zerfall des russischen/sowjetischen Imperiums abzufinden. Georgien ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie Moskau - schon in der Zarenzeit und später unter der Bolschewikenherrschaft - zur Sicherung seines Einflußgebietes imperiale Methoden ("teile und herrsche") anwendet. Bei der Lektüre der westlichen Berichterstattung über Georgiens Unabhängigkeitskampf gegen Moskau fiel auf, daß die westlichen Medien - offenbar ausschließlich auf die manipulierten russischen Quellen gestützt - stets den Vorwurf wiederholten, Georgien versage den Abchasen und Osseten das Recht auf Unabhängigkeit, das es selbst von Moskau fordert (vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, 7.2.91 und FAZ, 9.2.91). Die "Neue Zürcher Zeitung" führte bis 1995 sogar eine regelrechte Kampagne gegen die "blutige Diktatur" Schewardnadses (Ausgaben vom 26. Juni, 25. Juli und 10. Oktober 1992, 9. Februar, 14., 19. und 28. Mai, 24. Juni, 29. Oktober und 24. November 1993, 20. August 1994 und 26. Februar 1995).

    Tatsächlich beriefen sich sowohl Georgien als auch die Abchasen und Osseten auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Doch das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts wird zur Falle, wenn im Westen keine Klarheit darüber herrscht, ob es sich dabei um ein Gebietsprinzip oder ein ethnisches Prinzip handelt. Worauf bezieht sich das Selbstbestimmungsrecht? Auf ein traditionelles Verwaltungsgebiet oder eine homogene ethnische Gemeinschaft, unabhängig davon, in welcher Verwaltungseinheit sie lebt? Rußland wandte im Falle der Abchasen und Osseten bis 1995 das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts, seit 1995 das Prinzip der territorialen Integrität abwechselnd an. Darin liegen die Gefahren für die Staatlichkeit Georgiens.

    Inhaltsverzeichnis

    I. Vorgeschichte

    Die Georgier (georgisch: Karthweli; russisch: Grusinen) sind ein autochthones Volk. Die karthwelischen Volksstämme (Adsharen, Chewsuren, Dshawachen, Gudamakaren, Gurier, Imerier, Ingiloi, Kachetier, Kartaliner, Letshchumelier, Meschier, Mochewi, Mtuilier, Pschawen, Ratshwelier, Tuschen) des Südkaukasus, die sich im 6.-4. Jahrh. vor Chr. als Sklavenhalterstaaten (Kolchis und Iberien) organisierten und im 1. Jahrh. vor Chr. Teil des Römischen Reiches wurden, haben sich im Laufe der Zeit zu einer georgischen Nation mit gemeinsamer Sprache und eigenständiger Kultur entwickelt. Nach den Kämpfen zwischen Byzanz und Persien und den Aufständen der Georgier gegen die Sassaniden (4.-6. Jahrh. nach Chr.) entstand 746 ein Abchasisches Königreich, das im 7.-9. Jahrh. unter arabische Herrschaft geriet.

    Nach der Befreiung von den Arabern im 10. Jahrh. bildeten sich drei Feudalstaaten heraus: das Abchasische Fürstentum in Westgeorgien, das Kachetische Fürstentum in Ostgeorgien sowie das Tao-Klardshetische Fürstentum in Südwestgeorgien, dessen Herrscher Bagrat III. (975-1014) die drei Fürstentümer zu einem Königreich vereinte. Während der Verwüstungen durch die türkischen Seldschuken zerfiel es jedoch erneut in einzelne Fürstentümer.

    Erst unter König David IV., dem Erbauer (1089-1125), kam es zur Befreiung von den Seldschuken und erneuten Erstarkung der Zentralgewalt des Königreichs Georgien. Es erreichte unter Georg III. (1156-1184) und Königin Tamara (1184-1213) seine kulturelle Blütezeit und höchste Machtentfaltung. Nach der Eroberung und Zerstörung Georgiens durch die Mongolen (1235-1403) zerfiel es erneut in kleine Feudalstaaten, darunter in drei Königtümer (Imeretien, Kachetien und Kartli), die sich gegenseitig bekämpften. Erst im 18. Jahrh. gelang es König Erekle, Kachetien und Kartli zu vereinigen.

    Das von den Türken und Persern bedrohte Königreich Georgien stellte sich 1783 unter den Schutz der russischen Zarin Katharina der Großen. 1801 annektierte Rußland (Zar Paul I.) Georgien und später auch die westgeorgischen Fürstentümer (Mingrelien, Imeretien, Abchasien). Georgien wurde eine russische Provinz, die georgische Kirche 1811 der russischen Orthodoxie einverleibt.

    Im 19. Jahrh. entstand eine georgische Nationalbewegung, in der die Sozialdemokraten (Menschewiken) die stärkste politische Kraft waren. Die im Mai 1918 durch die Menschewiken-Regierung erklärte Unabhängigkeit Georgiens wurde 1920 auch von Sowjetrußland anerkannt. Das Land wurde zunächst von deutschen, britischen und türkischen Interventionstruppen besetzt, im Februar 1921 von der Roten Armee erobert, in eine Sowjetrepublik umgewandelt und 1922-1926 zusammen mit Armenien und Aserbaidschan in eine Transkaukasische Föderative Sowjetrepublik zwangsvereinigt. Ab 1936 war Georgien eine Unionsrepublik der UdSSR, der in der Zeit von 1946-1957 auch ein Teil der Kabardino-Balkarischen ASSR der RSFSR zugeschlagen wurde. Zwar durfte an der Spitze der georgischen orthodoxen Kirche seit 1944 erneut ein Patriarch (Katholikos) stehen, doch wurde die georgische Intelligenz, vor allem unter Stalin und Breschnew, mit besonderer Härte verfolgt und unterdrückt.
    Inhaltsverzeichnis

    II. Der Weg zur Unabhängigkeit

    Unter den Bewohnern der Transkaukasus-Republiken der UdSSR waren die Georgier schon immer die stärksten Gegenspieler der Russen. Es war Nationalstolz, der die Georgier 1956 - zur Zeit der Entstalinisierung - veranlaßte, gegen die Entfernung eines Stalin-Denkmals in Tiflis zu demonstrieren, wobei der eingesetzten Armee zahlreiche Demonstranten, einschließlich Kinder (Pioniere), zum Opfer fielen.

    Das Ansinnen Moskaus, das Russische als offizielle Sprache in der Verfassung der Georgischen SSR zu verankern, führte im April 1978 zu Massenprotesten georgischer Studenten in Tiflis. Der damalige Erste Sekretär des ZK der KP Georgiens, Eduard Schewardnadse (1972-1985), eilte nach Moskau, um dem Kreml das Vorhaben auszureden.

    Zur Zeit der Perestrojka und Glasnost Gorbatschows (1985-1991) verstärkten sich - vor allem ab Herbst 1988 - die nationalistischen Demonstrationen in Georgien. Sie richteten sich vornehmlich gegen eine Russifizierung Georgiens und forderten mehr Autonomie von Moskau. Truppen des sowjetischen Innenministeriums (OMON) setzten am 9. April 1989 gegen eine Großkundgebung in Tiflis chemische Kampfstoffe ein. 14 der 19 getöteten Demonstranten, darunter 16 Frauen, wurden Opfer des Giftgas-Einsatzes. Gorbatschows Außenminister Eduard Schewardnadse eilte nunmehr von Moskau nach Tiflis, um sich als Vermittler in den Konflikt einzuschalten. Der Parteichef Georgiens, Dshumber Patiaschwili (1985-1989), wurde durch den georgischen KGB-Chef Giwi Gumbaridze abgelöst, die bekanntesten Oppositionsführer wurden verhaftet, später jedoch wieder freigelassen.

    Zu den wichtigsten Organistionen der nationalen Opposition Georgiens zählten in der 2. Hälfte der 80er Jahre: die im Oktober 1987 gegründete "Ilia Tschawtschawadse"-Gesellschaft (Swiad Gamsahurdia,), die "Schota Rustaweli"-Gesellschaft (Akaki Bakradse, Tengis Sigua), die "Merab Kostawa"-Gesellschaft (Washa Adamia), die Gesellschaft "Heiliger Ilia der Rechtschaffene" (Swiad Gamsahurdia) sowie die georgische Helsinki-Gruppe (Swiad Gamsahurdia). Hinzu kamen radikal-nationalistische Parteien wie die Partei der Nationalen Gerechtigkeit von Irakli Melaschwili, die Nationale Unabhängigkeitspartei von Irakli Tsereteli, die National-Demokratische Partei von Gia Tschanturia, die Nationale Christliche Partei von Irakli Schengelaia sowie die im Juni 1989 gegründete Georgische Volksfront unter Vorsitz von Nodar Natadse. Als gemäßigte Parteien entstanden 1989 die wiedergegründete Sozialdemokratische Partei von Guram Muhaidse (sie war 1893 aus "Mesami-Dasi" hervorgegangen und hatte 1918-1921 die Regierung gebildet) sowie die Grüne Bewegung, aus der im März 1990 die Grüne Partei von Surab Swania hervorging. Im Frühjahr 1990 wurden auch die Nationale Liberal-Demokratische Partei von Michail Naneischwili und der Bund der Freidemokraten von Georgi Tschaindrawa gegründet.

    Anfang 1990 begann ein offener Machtkampf zwischen der nationalen Opposition und den regierenden Kommunisten einerseits sowie innerhalb der nationalen Oppositionsbewegung andererseits, der durch persönliche Rivalitäten der Parteiführer gekennzeichnet war. Noch am 18. November 1989 verabschiedete der Oberste Sowjet Georgiens Ergänzungen zur Georgischen Verfassung, die das Primat des Rechts der Republik über die Unionsgesetze und das Eigentum der Republik an ihren Naturressourcen vorsahen. Am 9. März 1990 folgte ein Dekret über die "Garantien zur Verteidigung der staatlichen Souveränität Georgiens". Dabei wurden die Verträge mit der RSFSR vom 21. Mai 1921 und vom 12. März 1922 (über die Bildung der Föderation der Transkaukasischen Republiken) sowie der Vertrag über die Bildung der UdSSR, soweit sie Georgien betrafen, für ungesetzlich erklärt. Am 20. März 1990 beschloß der Oberste Sowjet, den Artikel über die führende Rolle der KP Georgiens aus der Verfassung zu streichen. Die für den 25. März vorgesehenen Parlamentswahlen wurden auf Verlangen der Opposition auf Herbst 1990 verschoben, um die Voraussetzungen für ein Mehrparteiensystem zu schaffen.

    Die radikalen und gemäßigten Teile der nationalen Opposition zerstritten sich über die Frage des Wahlboykotts. Am 8. März 1990 trafen sich sieben Parteien und Organisationen der radikalen Opposition zu einer Konferenz, auf der ein Nationales Forum als Vertretung der "unversöhnlichen Opposition" gewählt wurde. Sie beschloß, einen Nationalkongreß als Alternativparlament zum Obersten Sowjet zu schaffen und zu diesem Zweck eigene Wahlen durchzuführen. Die radikale Opposition spaltete sich jedoch im Mai 1990, als vier Parteien das Nationale Forum verließen und den Block "Runder Tisch" gründeten. Ihr Führer Swiad Gamsahurdia änderte seine Taktik und erklärte nunmehr seine Bereitschaft, an den Wahlen zum Obersten Sowjet teilzunehmen und die Wahlen zum Nationalkongreß zu boykottieren. Am Vorabend der Wahlen gab es Parteien, die entweder an den Wahlen zum Obersten Sowjet oder zum parallelen Parlament, dem Nationalkongreß, teilnahmen sowie Parteien, die sich an beiden Wahlen beteiligten.

    Zunächst fanden am 30. September 1990 die Wahlen zum Nationalkongreß statt. Die Wahlbeteiligung lag knapp über 50%. Um die 200 Sitze bewarben sich sechs Wahlblöcke: die National-Demokratische Partei, die Nationale Unabhängigkeitspartei, das Wahlbündnis "Demokratisches Georgien - Georgische Volkspartei", die Demokratische Fraktion der KP Georgiens, die Bürgerliga Georgiens und die Nationale Partei. Wahlsieger wurde die Nationale Unabhängigkeitspartei von Irakli Tsereteli (mit 71 Sitzen), gefolgt von der National-Demokratischen Partei von Gia Tschanturia (65 Sitze), dem Wahlbündnis "Demokratisches Georgien" (37 Sitze) und der Demokratischen Fraktion der KP (11 Sitze).

    Die Wahlen zum Obersten Sowjet wurden am 28. Oktober 1990 auf der Grundlage eines kombinierten Mehrheits- und Verhältniswahlrechts durchgeführt. Es beteiligten sich 29 Parteien und Organisationen. Elf weitere Parteien wurden nicht zugelassen. Wahlsieger wurde der Block "Runder Tisch - Freies Georgien" von Swiad Gamsahurdia, der mit 155 von 250 Parlamentssitzen die absolute Mehrheit errang. Diesem Block gehörten sieben Organisationen an: die Georgische Helsinki-Gruppe, die Gesellschaft "Heiliger Ilia der Rechtschaffene", die "Merab Kostawa"-Gesellschaft, der Bund Georgischer Traditionalisten, der Radikale Bund (eine Abspaltung der Volksfront), die Nationale Liberal-Demokratische Partei und die Nationale Christliche Partei. Den zweiten Platz belegte die Demokratische Fraktion der KP Georgiens mit 64 Sitzen, gefolgt von der Volksfront (12), dem Block "Demokratisches Georgien" (vier) sowie dem Block "Befreiung und ökonomische Erneuerung" und der "Rustaweli"-Gesellschaft (je ein Sitz). Hinzu kamen neun unabhängige Mandate. Die anderen Parteien schafften es nicht, die 4%-Hürde zu überspringen.

    Damit übernahm die nationale Opposition auf demokratischem Wege durch freie Wahlen die Macht in Georgien. Der neugewählte Oberste Sowjet trat am 14. November 1990 zu seiner ersten Sitzung zusammen und wählte Swiad Gamsahurdia (Helsinki-Gruppe) zum Parlamentsvorsitzenden. Seine Stellvertreter wurden Akaki Asatiani (Bund der Georgischen Traditionalisten) und Nemo Burhuladse (Radikaler Bund). Zum Ministerpräsidenten der ersten nichtkommunistischen Regierung Georgiens wurde Tengis Sigua ("Rustaweli"-Gesellschaft) ernannt. Das Parlament verabschiedete am 14. November 1990 ein Gesetz über eine Übergangsperiode in der Republik Georgien, in dem es sich für die staatliche Unabhängigkeit und gegen einen neuen von Gorbatschow geplanten Unionsvertrag aussprach. Am 30. Januar 1991 lehnte das Parlament die Beteiligung Georgiens an dem für den 31. März geplanten Referendum Gorbatschows über die Beibehaltung der UdSSR im Rahmen eines neuen Unionsvertrages ab. Statt dessen führte Georgien am 31. März 1991 ein eigenes Referendum durch, wobei sich 99% der Wahlbeteiligten für die Wiederherstellung der Staatlichkeit Georgiens aussprachen. Am 9. April 1991 folgte die Unabhängigkeitserklärung Georgiens. Am 26. Mai 1991 fanden Präsidentschaftswahlen statt. Swiad Gamsahurdia wurde mit 86% der Wählerstimmen zum Präsidenten der Republik Georgien gewählt. Die Wahlbeteiligung lag bei 83,4%.
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    III. Innenpolitische Kräfteverhältnisse

    Das Jahr 1991 unter der Präsidentschaft von Gamsahurdia war durch innere Repression, Wirtschaftschaos und ethnische Konflikte mit Minderheiten (Abchasen, Osseten) gekennzeichnet. Daß in Georgien anstelle der kommunistischen Nomenklatura die antikommunistische Opposition an die Macht gekommen war, mißfiel Moskau (unter Gorbatschow). Georgiens Beharren auf Eigenstaatlichkeit wurde mit Wirtschaftsboykott bestraft. Moskaus Unterstützung für die separatistischen Bewegungen gefährdete die Staatlichkeit Georgiens und trug zur Destabilisierung der Macht Gamsahurdias bei. An Moskaus Haltung änderte sich auch unter Präsident Jelzin nichts, zumal Gamsahurdia es versäumt hatte, den Moskauer Putschversuch vom August 1991 zu verurteilen und sich weigerte, Jelzins GUS beizutreten.

    Gleichzeitig verdarb Präsident Gamsahurdia es auch mit dem Westen, da ihm die Erhaltung der staatlichen Einheit wichtiger erschien als die Demokratie. Gamsahurdia ließ sich mit diktatorischen Vollmachten ausstatten, verleumdete die Opposition und ließ seine politischen Gegner verhaften. Es wurde ein zentralistisches Präfektensystem errichtet. Gamsahurdia glaubte, auf der Grundlage der demokratischen Legitimation ein Recht auf bewaffnete Gewaltanwendung zu haben. Die fortgesetzte Kritik des Westens an seinem autoritären Regierungsstil trug zur Schwächung seiner Position bei. Auf diese Weise geriet Georgien sowohl von seiten Moskaus als auch des Westens in eine außenpolitische Isolation. In dieser Situation wurde das Vertrauen der Anhänger und Wähler Gamsahurdias schnell verspielt.

    Nach der Machtübernahme Gamsahurdias verschärfte sich der Streit zwischen den Anhängern des Präsidenten und den Gruppen der einstigen nationalen Opposition, die die Wahlen boykottiert hatten. Der andauernde Konflikt zwischen dem Obersten Sowjet und dem Nationalkongreß, der an Prestige eingebüßt hatte, wirkte sich destabilisierend auf die innenpolitischen Kräfteverhältnisse aus. Beide Lager verfügten über bewaffnete paramilitärische Truppen, so z.B. die Mchedrioni (Reiter) von Dshaba Ioseliani, der Nationalen Unabhängigkeitspartei nahestehend, die Legion "Weißer Georgi" der "Merab Kostawa"-Gesellschaft oder die Georgischen "Schewardeni" (Falken) von Elgudshi Tsiklauri. Hinzu kam die von Gamsahurdia geschaffene Nationalgarde unter Leitung von Tengis Kitowani. Die gegenseitigen Auseinandersetzungen dieser Gruppen führten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

    Erst im Sommer 1991 entwickelte sich eine vereinigte Opposition, die ab September mit massiven Demonstrationen, Protesten und Rücktrittsforderungen gegen das Gamsahurdia-Regime in Erscheinung trat. Im Parlament schloß sich die gemäßigte Opposition - die Volksfront und der Wahlblock "Demokratisches Georgien" - zu einem "Demokratischen Zentrum" zusammen, dem sich auch außerparlamentarische Gruppierungen wie der Bund der Freien Demokraten, die Nationale Liberal-Demokratische Partei, die Republikanische Partei und die Christ-Demokratische Union anschloß. Die Nationalgarde (15.000 Mann) spaltete sich. Der größte Teil (unter Führung von Kitowani) lief zur Opposition über. Im September 1991 trat Ministerpräsident Tengis Sigua aus Protest gegen die Wirtschaftspolitik Gamsahurdias zurück und stellte sich unter den Schutz der Nationalgarde Kitowanis. Auch die Regierungskoalition zerbröckelte. Tedo Paataschwili (Gesellschaft "Heiliger Ilia der Rechtschaffene") und Washa Adamia ("Merab Kostawa"-Gesellschaft) wandten sich gegen Gamsahurdia.

    Präsident Gamsahurdia reagierte auf die Forderungen der Opposition (Rücktritt des Präsidenten, Neuwahlen für das Parlament) mit einem Konfrontationskurs. Er ernannte Wissarion Guguschwili zum neuen Ministerpräsidenten, schloß einen Kompromiß mit dem georgischen KGB, setzte die Sondertruppen (OMON) des Innenministeriums gegen die Demonstranten ein, verbot die KP Georgiens (einschließlich ihrer 64 Abgeordneten) und ließ eine Reihe von Oppositionsführern verhaften, darunter Nodar Natadse (Volksfront), Irakli Schengelaia (Christ-Demokratische Union), Dshemal Mikeladse (KP), Gia Tschanturia (National-Demokratische Partei) und Georgi Tschaindrawa (Bund der Freidemokraten). Schließlich rief Gamsahurdia in Tiflis den Ausnahmezustand aus und bildete einen Nationalen Sicherheitsrat.

    Um die Jahreswende 1991/92 trat der Machtkampf zwischen Präsident und Opposition in eine entscheidende Phase. Die Opposition, unterstützt von der Nationalgarde Kitowanis, der Studentenschaft und der gesamten städtischen Intelligenz, die bereits den staatlichen Fernsehsender und das Zentrum von Tiflis kontrollierten, griff nunmehr das Regierungsgebäude an. Gamsahurdia verfügte nur noch auf dem Lande über eine breite Anhängerschaft. Inzwischen schlug sich auch Parlamentspräsident Akaki Asatiani (Bund der Georgischen Traditionalisten) auf die Seite der Opposition. Für die bewaffnete Auseinandersetzung standen Gamsahurdia der georgische KGB, die OMON-Truppen, die loyal gebliebenen Teile der Nationalgarde unter Führung von Wachtang Kobalia sowie die Leibgarde aus seiner westgeorgischen Heimat (Mingrelien) zur Verfügung. Nachdem das Hilfsersuchen Gamsahurdias an die in Tiflis stationierte sowjetische/russische Armee bei gleichzeitigem Angebot an Moskau, der GUS beizutreten, ungehört geblieben war, gesellte sich auch der georgische KGB zur Opposition. Gamsahurdia hatte sich in eine aussichtslose Lage hineinmanövriert. Bei der Erstürmung des Präsidentenamtes gab es fast 100 Tote. Das Regierungsviertel wurde zerstört. Am 6. Januar 1992 floh Gamsahurdia mit seinen Anhängern ins Ausland. Dem bei der Machtübernahme so populären Präsidenten Gamsahurdia wurde vorgeworfen, keine Systemänderung, sondern lediglich eine Wachablösung herbeigeführt zu haben.

    Die siegreiche Opposition hatte bereits am 2. Januar 1992 Präsident Gamsahurdia und seine Regierung für abgesetzt erklärt. Nach ihrer Machtübernahme bildete sie zunächst einen siebenköpfigen Militärrat mit Tengis Sigua, Tengis Kitowani (Nationalgarde) und Dshaba Ioseliani ("Mchedrioni") an der Spitze, der den Ausnahmezustand verhängte. Das Präfektensystem wurde abgeschafft. Tengis Sigua bildete eine Übergangsregierung. Ein von allen Oppositionsparteien gebildeter Konsultativrat sollte Neuwahlen vorbereiten. Im Februar beschloß der Militärrat, die georgische Verfassung von 1921 wiedereinzuführen. Da sich Georgien nach wie vor in einer außenpolitischen Isolation befand und bestimmte Kräfte in Moskau die instabile Lage in Georgien nutzten, um mit Hilfe der Sezessionsbewegungen der Abchasen und Osseten Druck auf Tiflis auszuüben und das Land zu einem prorussischen Kurs zu bewegen, einigten sich der Militärrat und die Übergangsregierung auf eine Rückkehr von Eduard Schewardnadse. Zwar wurde zuvor die Wiederherstellung der Monarchie in Georgien erwogen (befürwortet von der National-Demokratischen Partei von Gia Tschanturia, der Monarchistischen Partei von Temur Shorsholinni und dem Bund der Georgischen Traditionalisten), doch war die Kontaktaufnahme mit dem Oberhaupt der früheren Königsfamilie Georgiens, Prinz Jorge Bagration de Muchrani, im spanischen Exil erfolglos.

    Als Alternative blieb nur die Übernahme der politischen Führung durch Eduard Schewardnadse, dem nach Stalin bekanntesten Politiker Georgiens. Gleich nach seinem Eintreffen in Tiflis im März 1992 gründete der von Moskau und dem Westen gleichermaßen respektierte Politiker zur Steigerung seiner Popularität mit seinen Ersparnissen (100.000 $) eine Stiftung für "Wiedergeburt und Demokratie". Schewardnadse wurde zum Präsidenten eines neugeschaffenen 38köpfigen Staatsrates berufen, der anstelle des Kosultativrates als Übergangsparlament fungieren sollte. Das eigentliche Machtorgan war das Präsidium des Staatsrates, dem neben Schewardnadse Tengis Sigua (Regierungschef) sowie die Miliz-Führer Dshaba Ioseliani (Mchedrioni) und Tengis Kitowani (Nationalgarde) angehörten. Das Problem Schewardnadses war, daß er sich bei seinem Amtsantritt zum Aufbau des Staatsapparats nur auf zwei Machtfaktoren stützen konnte: die ehemalige kommunistische Nomenklatura beim Aufbau des Staatsapparats sowie die paramilitärischen Organisationen von Kitowani und Ioseliani. Die beiden letzteren hatten zwar mit ihren Milizen Gamsahurdia verjagt, doch arteten ihre bewaffneten Aktionen meist zu Beutezügen aus. Sie schadeten damit dem Ansehen Schewardnadses im Westen. So folgerte z.B. die "Neue Zürcher Zeitung", daß Georgien unter Schewardnadse um vieles "undemokratischer" sei als zur Zeit Gamsahurdias (NZZ, 25. Juli 1992, S. 1). Andererseits hatte Schewardnadse zu einer Zeit, als die Anhänger Gamsahurdias in Westgeorgien gemeinsam mit den Abchasen versuchten, die geplanten Neuwahlen zu verhindern, eben nur diese beiden paramilitärischen Organisationen (Nationalgarde und "Mchedrioni") zur Verfügung.

    Der abgesetzte Präsident Gamsahurdia floh zunächst über Aserbaidschan nach Armenien. Erst am 16. Januar 1992 kehrte er nach Westgeorgien (Mingrelien) zurück, das vom Gamsahurdia-Klan unter Führung von Wachtang Kobalia kontrolliert wurde. Dabei sollen zwischen Gamsahurdia, den Abchasen und Tschetschenien Verhandlungen über die Gründung einer Mingrelo-Abchasischen Republik stattgefunden haben. Die georgische Übergangsregierung entsandte Einheiten der Nationalgarde und der paramilitärischen Organisation "Mchedrioni" nach Westgeorgien, um den Widerstand der Gamsahurdisten zu brechen. Nach schweren Kämpfen gelang es ihnen, die Hochburgen der Gamsahurdia-Anhänger, die Stadt Sugdidi sowie die abchasische Hafenstadt am Schwarzen Meer, Poti, zu besetzen. Gamsahurdia floh diesmal nach Tschetschenien, wo ihm Präsident Dshohar Dudajew Exil gewährte. Seine Anhänger in Westgeorgien gaben jedoch den Widerstand nicht auf. Obwohl sie das Verhandlungsangebot Schewardnadses ausschlugen, hob der georgische Staatsrat angesichts der bevorstehenden Wahlen im August 1992 den Ausnahmezustand auf.

    Die Parlamentswahlen fanden am 11. Oktober 1992 statt. Gewählt wurden 234 Abgeordnete, darunter 150 nach Parteienlisten und 84 nach dem Mehrheitswahlrecht. Durch Direktwahl wurde gleichzeitig auch der Parlamentsvorsitzende (Staatsoberhaupt) bestimmt. An den Wahlen beteiligten sich 47 Parteien, darunter 15 in vier Wahlblöcken. Als einziger Kandidat für den Posten des Parlamentsvorsitzenden erhielt Eduard Schewardnadse 95% der Wählerstimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 74%. Nach den Wahlen konnten 225 der 234 Sitze im Parlament (einschließlich des Sitzes des Parlamentsvorsitzenden) besetzt werden, darunter 150 über Listen und 75 durch Direktwahl. In neun Wahlkreisen (in Abchasien, Südossetien und Westgeorgien) konnten keine Wahlen stattfinden.

    Von den 47 Parteien gelangten 20 sowie vier Wahlblöcke ins neue Parlament. Die meisten Sitze - 29 - gewann der Wahlblock "Mschwidoba" (Friede), dem sieben Parteien angehörten: Demokratischer Bund (die 1991 verbotene KP), Gerechtigkeitspartei, Liga für wirtschaftliche und soziale Wiedergeburt Georgiens, Agrarbund, Monarchistische Partei, "Lem" (Vertretung der Swanen) und Bund für Wiedergeburt der Adsharen. Der Wahlblock "11. Oktober", den die Volksfront, die Republikanische Partei, die Christ-Demokratische Partei und die "Demokratische Wahl für Georgien" (DAS) bildeten, errang 18 Sitze. Der Wahlblock "Ertoba" (Einheit), bestehend aus der Nationalen Liberal-Demokratischen Partei und der Partei für Frieden und Freiheit (Afghanistan-Veteranen), erhielt 14 Sitze, der Block der Partei der Nationalen Einheit und des Bundes der Bergbewohner einen Sitz. Hinzu kamen die National-Demokratische Partei mit 12, die Grüne Partei mit 11, die Demokratische Partei mit 10, die Charta-91 mit neun, die "Ilia Tschawtschawadse"-Gesellschaft und der Bund der Georgischen Traditionalisten mit je sieben sowie die "Merab Kostawa"-Gesellschaft mit fünf Sitzen. Über weniger als fünf Mandate verfügten der Bund des Nationalen Einvernehmens und der Wiedergeburt (4), die Sozialistische Arbeiterpartei (3), die Sozialdemokratische Partei (2), der Bund der Sozialen Gerechtigkeit (2), die Gesellschaft für die Wiedergeburt des Vaterlandes (1), die Partei der Völkerfreundschaft und Gerechtigkeit (2), die Partei des Nationalstaatlichen Bundes (1), der Radikal-Monarchistische Bund (1), der Bund der Getreideanbauer (1), die Konstitutionell-Demokratische Partei (1), der Bund der Kinder Gottes (2), der Radikale Bund (1) und die Nationale Unabhängigkeitspartei (4). Außer Schewardnadse kamen auch Sigua, Ioseliani und Kitowani als unabhängige Kandidaten ins Parlament. Ebenso wurden zahlreiche Funktionäre der verbotenen KP Georgiens, darunter auch der frühere Erste Sekretär Dshumber Patiaschwili, ins Parlament gewählt. Insgesamt betrachtet, verfügten die Anhänger der Politik Schewardnadses im Parlament über eine relativ breite Mehrheit.

    Das Parlament trat am 4. November 1992 zu seiner ersten Sitzung zusammen. Der bisherige Ministerpräsident Tengis Sigua wurde mit der Bildung der neuen Regierung beauftragt. Außerdem verabschiedete das Parlament ein Gesetz über die Staatsmacht, das den Parlamentsvorsitzenden Schewardnadse mit den Rechten eines Präsidenten ausstattete. Die Bevölkerung Georgiens sah in Schewardnadse einen Hoffnungsschimmer, einen stabilisierenden Faktor in einem Land, in dem 1993 durchweg Willkür und Chaos herrschten, das Wirtschaftsleben und die Industrieproduktion fast zum Stillstand gekommen waren, Abchasien sich durch Sezessionskrieg von Tiflis trennte und die Gamsahurdisten in Westgeorgien wiedererstarkten. Die reguläre Armee Georgiens befand sich noch im Aufbau und war daher als Ordnungsmacht noch nicht einsatzfähig. Es fehlten Offiziere und Ausrüstungen, einschließlich schwere Waffen. Zwar gestatteten die internationalen Verträge über konventionelle Abrüstung der georgischen Armee den Besitz von 220 Panzern, sie verfügte jedoch nur über knapp 30 Panzer und vier Kampfflugzeuge, die wegen Treibstoffmangel nicht einsatzfähig waren. Die Milizen von Kitowani und Ioseliani (Nationalgarde und "Mchedrioni"), die Gamsahurdia aus dem Land gejagt und Schewardnadse an die Macht gebracht hatten, beherrschten das Land und entpuppten sich nunmehr zunehmend als destabilisierende Faktoren. Sie setzten sich einerseits aus Anhängern eines romantischen Nationalismus (meist Philosophiestudenten), die an der abchasischen Front ihr Leben ließen, und andererseits mehrheitlich aus kriminellen Mafiosi zusammen, die die Zivilbevölkerung terrorisierten, raubten und mordeten. Diese Milizen stellten für Schewardnadse eine Belastung dar. Inmitten von Bürger- und Sezessionskriegen sollten sie entmachtet bzw. ausgeschaltet werden. Aufgelöst wurde jedoch offiziell zunächst die Nationalgarde. Sie schloß sich teilweise den Gamsahurdisten in Westgeorgien bzw. den Regierungstruppen an.

    Bis zum Herbst 1993 mußten die Regierungstruppen in Abchasien und Westgeorgien laufend militärische Niederlagen einstecken. Die Gamsahurdisten unter dem Kommando von Wachtang Kobalia eroberten nacheinander die Städte Senaki, Abasha, Honi, Poti, Sugdidi, Hobi und Samtredia und bedrohten die strategisch wichtige Stadt Kutaisi. Diese auffallend raschen militärischen Erfolge der Gamsahurdisten wären ohne russische Waffen und Offiziere sowie tschetschenische Freischärler nicht vorstellbar gewesen. Dieser Hilfestellung war es zu verdanken, daß Schewardnadse Abchasien verloren geben und einen für ihn demütigenden Waffenstillstand hinnehmen mußte. Die letzten georgischen Truppen verließen am 30. September 1993 Abchasien, gefolgt von Tausenden georgischer Vertriebener, die nach Swanetien (in die Nordwestregion Georgiens) flüchteten.

    Präsident Schewardnadse rief den Staatsnotstand aus und bildete ein Staatsnotstandskomitee mit "Mchedrioni"-Milizführer Dshaba Ioseliani an der Spitze. Die Regierung von Tengis Sigua war schon im August 1993 zurückgetreten. Dann tat Schewardnadse den entscheidenden Schritt: Georgien trat der GUS bei und sagte Moskau die langfristige Stationierung russischer Truppen in Georgien zu. Daraufhin änderte sich das "Kriegsglück" schlagartig. Rußland ließ seine Truppen an den für Tiflis lebenswichtigen strategischen Punkten aufmarschieren und stellte den georgischen Regierungstruppen Waffen und Munition zur Verfügung. Die Ukraine hatte Georgien schon zuvor militärische Hilfe geleistet. Auf diese Weise gelang es den georgischen Regierungstruppen und der "Mchedrioni"-Miliz von Ioseliani in kurzer Zeit (bis Ende 1993), die Gamsahurdisten aus den von ihnen kontrollierten Gebieten Westgeorgiens zu vertreiben. Für den Tod von Ex-Präsident Swiad Gamsahurdia gibt es zwei Versionen: durch Selbstmord am 31. Dezember 1993 in Westgeorgien bzw. nach Verletzung am 5. Januar 1994 in Grosny (Tschetschenien). Damit festigte sich die Machtposition Schewardnadses in Georgien. Er ließ den Staatsnotstand bis zum 20. Januar 1994 verlängern und regierte mit Sondervollmachten.

    Die seit seiner Rückkehr nach Georgien im März 1992 andauernden Bemühungen Schewardnadses um nationale Versöhnung und wirtschaftlichen Wiederaufbau, die durch den Krieg in Abchasien und Westgeorgien durchkreuzt worden waren, bekamen 1994 neue Perspektiven. Schewardnadse blieb Staatsoberhaupt. Die Regierungsgeschäfte übernahm der neue Ministerpräsident Otar Patsatsia. Neuer Parlamentsvorsitzender wurde Wachtang Goguadse. Noch im November 1993 schuf Schewardnadse eine eigene politische Plattform, die Bürgerunion von Georgien. Im Mai 1994 folgte eine Deklaration des nationalen Einvernehmens und der Einheit, unterzeichnet von der Bürgerunion, den Gewerkschaften, der Liberal-Demokratischen Partei, der Volksfront, der Grünen Bewegung, der Russisch-Georgischen Kulturgesellschaft und der National-Demokratischen Partei.

    Trotzdem wurde im Laufe des Jahres 1994 deutlich, daß viele Georgier Schewardnadse die Niederlage in Abchasien anlasteten und daß der Beitritt Georgiens zur GUS sowie die russische Militärpräsenz die Konfrontation in der georgischen Gesellschaft verstärkten. Die Opposition gegen die Politik Schewardnadses begann sich neu zu formieren. Bereits im Juli 1993 entstand ein neuer Block "Ilias Gsa" (Ilias Pfad), der die Gesellschaft für die Wiedergeburt des Vaterlandes von Mdinaradse, die Nationale Gerechtigkeitspartei von Gamrikischwili, die Organisation "Simartle" (Gerechtigkeit) von Kiknadse und "Hma Erisa" (Stimme der Nation) von Saluaschwili vereinte. Gegen den GUS-Beitritt Georgiens stellten sich außerdem fünf Oppositionsparteien: die Charta-91 unter Führung von Paataschwili, der Bund Georgischer Traditionalisten (Asatiani), die "Merab Kostawa"-Gesellschaft (Adamia), die "Ilia Tschawtschawadse"-Gesellschaft (Tscheidse) und die Volksfront (Natadse).

    Im Parlament vertraten vor allem die Nationale Unabhängigkeitspartei von Tsereteli und die "Merab Kostawa"-Gesellschaft die radikale Opposition. Einer gemäßigten und vorsichtigen Oppositionslinie folgten die National-Demokratische Partei unter Gia Tschanturia sowie die Vereinigte Republikanische Partei, ein Zusammenschluß der Volksfront und der Charta-91. Außerhalb des Parlaments machten sich die Anhänger von Gamsahurdia bemerkbar.

    Im Parlament bildeten sich die ersten Fraktionen, darunter die "Tanhoba" (Übereinkunft), "Samschoblo" (Mutterland) und das "Zentrum". 1994 entstanden auch neue politische Organisationen wie der Arbeiterbund Georgiens unter Vorsitz von Wachtang Gabunia sowie die "Ilia"-Gesellschaft. Die Demokratische Partei sowie die Gesellschaften "Lem" und "Mamuli" schlossen sich zusammen und bildeten die Vereinigte Agrarpartei unter Vorsitz von Roin Liparteliani. Die Sozialistische Arbeiterpartei, die im Februar 1992 auf der Basis der verbotenen Kommunistischen Partei, der "Stalin"-Gesellschaft und des Bundes der Kommunisten entstanden war, nennt sich ab April 1994 Vereinigte Kommunistische Partei Georgiens (unter Vorsitz des pensionierten Generals Panteleimon Giorgadse). Mitten in der innenpolitischen Konsolidierungsphase (im Dezember 1994) wurde das Land durch einen politischen Mord erschüttert, dem einer der begabtesten Politiker Georgiens, der Vorsitzende der National-Demokratischen Partei, Gia Tschanturia, zum Opfer fiel. Um die Jahreswende 1994/95 stand Georgien erneut am Rande eines Bürgerkrieges.

    Das Jahr 1995 stand im Zeichen der Konsolidierung der Macht Schewardnadses durch Ausschaltung seiner politischen Rivalen, der Neuformierung der unversöhnlichen Opposition, der Ausarbeitung einer neuen Verfassung und der Vorbereitungen für Neuwahlen im November 1995. Zunächst ging Schewardnadse gegen seine politischen Rivalen Tengis Sigua, Tengis Kitowani und Boris Kakubawa (Befreiungsbund Abchasiens) vor, die die inzwischen verbotene "Nationale Befreiungsfront" gegründet hatten. Im Januar 1995 wurden Einheiten der verbotenen Nationalgarde, die sich auf dem Weg nach Abchasien befanden, entwaffnet. Ihr Anführer Kitowani wurde verhaftet. Verhaftet wurde auch Kakubawa, der für Terroranschläge gegen die in Georgien stationierten russischen Truppen verantwortlich gemacht wurde. Im Frühjahr 1995 fand eine Reihe von Prozessen gegen Gamsahurdisten statt, die den Widerstand in Westgeorgien organisiert hatten. Danach ging Schewardnadse gegen seinen bisherigen Verbündeten im Machtkampf und zweitmächtigsten Mann in Georgien, den Führer der "Mchedrioni"-Miliz Dshaba Ioseliani, vor. Auch diese paramilitärische Organisation wurde entwaffnet. Ioseliani wandelte die "Mchedrioni" in eine politische Partei um, die an den geplanten Wahlen teilnehmen soll, und gründete die gesellschaftspolitische Organisation "Archewnebi" (Wahlen).

    Neu organisierten sich vor den Wahlen auch die Anhänger Gamsahurdias, Gruppierungen des früheren "Runden Tisches". Sie gründeten die Georgische Swiad-Partei und das Oppositionsbündnis "Vereintes Georgien". Teile dieses Bündnisses, die sog. "Fundamentalisten", wollen die Wahlen boykottieren. Zur Neuordnung der politischen Kräfte im Sommer 1995 ist auch die Spaltung der Monarchistischen Partei zu rechnen, aus deren Reihen eine neue Liberal-Konservative Partei entstand. Der Bund der Traditionalisten und die Liberal-Konstitutionelle Partei beschloß, ein Wahlbündnis einzugehen. Die Nationale Unabhängigkeitspartei von Tsereteli schuf die Wahlvereinigung "Unabhängiges Georgien". Die Christ-Demokratische Union, deren Vorsitzender Irakli Schengelaia zurücktrat (Nachfolger: Badri Matschawariani), gründete den Block "Europäische Wahl". Die Vereinte Republikanische Partei wählte Nodar Natadse (Volksfront) zum neuen Vorsitzenden. Als neue Parteien entstanden im Sommer 1995 die Volkssozialistische Partei unter Vorsitz von Giorgi Hatschapuridse, die Sozialistische Partei unter Vorsitz von Wachtang Rtscheluischwili sowie die Frauenpartei Georgiens unter Marina Abesadse. Neben der bestehenden Vereinigten Kommunistischen Partei (Gorbatschowisten) und der "Stalin"-Partei etablierte sich auch eine Kommunistische Partei Georgiens (Breschnewisten) unter Vorsitz von Wano Tsiklauri.

    Die Wahlen für das Amt des Präsidenten und ein neues Parlament sollen am 5. November 1995 stattfinden. 150 Abgeordnete des neuen Parlaments sollen nach Parteilisten und 85 nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt werden. Die Wahlen werden auf der Grundlage der neuen Verfassung durchgeführt, die am 24. August 1995 im Parlament mit 159 Stimmen bei acht Gegenstimmen verabschiedet wurde. Laut Verfassung bildet Georgien eine asymmetrische Föderation, wobei die künftige territoriale Einteilung bis zur Wiedererlangung der georgischen Oberhoheit über Südossetien und Abchasien offengelassen wird. Trotz des Attentatsversuchs vom 29. August will Schewardnadse erneut für das Präsidentenamt kandidieren.
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    IV. Sezessionskriege

    In Georgien leben 5,5 Mill. Menschen, die mehr als 80 Nationalitäten angehören. Rund 70% der Bevölkerung sind Georgier. Die größten nationalen Minderheiten bilden anteilsmäßig die Armenier (8,1%), Russen (6,3%), Aseri (5,7%), Osseten (3%), Griechen (1,8%), Abchasen (1,8%) und Ukrainer (1%). Zu den kleineren Minderheitengruppen gehören die ca. 3.000 Deutschen und Deutschstämmigen in Tiflis und Umgebung, deren vorwiegend protestantische Vorfahren (etwa 30.000) im 19. Jahrh. nach Georgien ausgewandert waren.

    Unruhe brach im Sommer 1991 unter den 450.000 Armeniern aus, die vor allem in den Bezirken Ahalkalak, Ahaltsik und Bogdanowsk im Süden Georgiens in geschlossenen Siedlungen leben. Als Präsident Gamsahurdia das Präfektensystem einführte, fürchteten sie um ihre Selbstverwaltungsrechte und ihre kulturelle Autonomie. Als 1992 der Sezessionskrieg in Abchasien ausbrach, flüchteten die dort lebenden Armenier in großer Zahl nach Rußland.

    Ähnliche Probleme mit der Zentralregierung in Tiflis hatte auch die ebenfalls im Süden Georgiens lebende Minderheit der 250.000 Aseri, die in den Bezirken Marneuli, Gardabani, Bolnisi und Dmanisi gegenüber den Georgiern die Mehrheit bilden. Hauptstreitpunkt war der Beschluß der georgischen Regierung, die Bergvölker aus Swanetien (im Norden Georgiens) in die Wohngebiete der Aseri umzusiedeln.

    Ein noch ungelöstes Problem stellt die Rücksiedlung der moslemischen Mescheten in ihre ursprüngliche Heimat im Süden Georgiens an der türkischen Grenze dar. Stalin hatte 1944 rund 130.000 von ihnen nach Sibirien und Usbekistan deportieren lassen. Inzwischen sind es 300.000. Nach ihrer Rehabilitierung 1956 wollten die Mescheten in ihre Heimat zurückkehren, wo jedoch inzwischen vor allem Bergvölker und Armenier angesiedelt wurden. Tiflis ließ bislang nur die georgischsprachigen Mescheten ins Land. Die turksprachigen Mescheten, die seit ihrer Vertreibung aus Usbekistan 1989 in Kasachstan, Rußland (Sotschi) und Aserbaidschan leben, warten noch immer auf ihre Repatriierung. Zu den turksprachigen Mescheten gehören neben Turkmenen auch Kurden, von denen heute etwa 40.000 in Georgien leben. In ihr Mutterland Griechenland wurden inzwischen die rund 15.000 Griechen repatriiert, die vor dem Sezessionskrieg in Abchasien (Suchumi) lebten.

    Auffallend war bisher, daß die Russen, seit Generationen als zweitgrößte nationale Minderheit in Georgien lebend, sich im Gegensatz zu den Russen im Baltikum, Moldawien oder in der Ukraine nicht im Sinne der Moskauer Machtpolitik instrumentalisieren ließen. So spielten bei der Durchsetzung der Machtinteressen Moskaus (sowohl unter Gorbatschow als auch unter Jelzin) in Georgien nicht die Russen, sondern die Osseten und Abchasen die Hauptrolle. Der Separatismus der Abchasen und Osseten ließ sich leicht instrumentalisieren, obwohl sie in Georgien über Gebietsautonomie, ein selbständiges Erziehungssystem in ihrer Muttersprache (vom Kindergarten bis zur Universität) und Kultureinrichtungen (z.B. Theater) verfügten.

    Seit Jahrhunderten zeichnete sich Georgien durch Toleranz, Mäßigung und Gastfreundschaft aus, wo verfolgte Völker (Armenier, Juden, Kurden und Griechen) Unterschlupf fanden. Heute sind dieser Toleranz durch die Angst, die georgische Identität und Staatlichkeit zu verlieren, auch gegenüber einem "sanften" Separatismus der Armenier, Aseri oder Adsharen enge Grenzen gesetzt. Gerade das Beispiel Adsharien zeigt, in welchem Maße in der Kaukasus-Region (von Tschetschenien bis Karabach) heute die Bedeutung und das Ansehen von regionalen Führern zunimmt.


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    1. Adsharien

    Die Adsharen sind moslemische Georgier, die im Osmanischen Reich (16.-18. Jahrh.) zum Islam konvertierten. Sie bilden daher keine ethnische, sondern vielmehr eine religiöse Minderheit. 1936 schuf Stalin innerhalb der Republik Georgien im Südwesten die Adsharische Autonome Republik. Ihre 450.000 Bewohner sind mehrheitlich moslemische Georgier. Ihre Hauptstadt ist Batumi an der Schwarzmeerküste. Der Gedanke einer adsharischen Identität trat zur Zeit der Perestrojka Gorbatschows (ab 1988) in den Vordergrund. Er manifestierte sich im Rahmen der neu gegründeten "Adsharischen Volksfront zur Unterstützung der Perestrojka". Auch die Kommunistische Partei Georgiens versuchte, als Verteidiger der lokalen Interessen und der Autonomie der Adsharen aufzutreten. Demgegenüber kündigte Swiad Gamsahurdia, nachdem er die georgischen Wahlen im Oktober 1990 gewonnen hatte, die Absicht an, den autonomen Status der Adsharen aufzuheben. Das führte zu Massendemonstrationen der Adsharen in Batumi. Die Umstände eines Schußwechsels zwischen dem amtierenden Vorsitzenden des adsharischen Obersten Sowjets, Aslan Abaschidse, und seinem ersten Stellvertreter Nodar Imnadse im April 1991, bei dem Imnadse ums Leben kam, blieben ungeklärt. Die für März 1991 geplanten Wahlen für den Obersten Sowjet Adshariens fanden erst am 23. Juni 1991 statt.

    Nach den Wahlen verfügte keine der Parteien über eine absolute Mehrheit im neuen Parlament Adshariens. Von den insgesamt 80 Parlamentssitzen entfielen 32 auf den Wahlblock "Runder Tisch - Freies Georgien". Die Kommunistische Partei und der Wahlblock "Adshara" (Republikanische Partei und Volksfront) erhielten jeweils elf Sitze. Die "Rustaweli"-Gesellschaft errang fünf, der Wahlblock "Ökonomische Erneuerung" vier, die Allgeorgische Partei für Frieden und Freiheit (Afghanistan-Veteranen) drei. Auf die Unabhängigen entfielen 13 Sitze. Zum Vorsitzenden des Parlaments (Oberster Rat) wurde Aslan Abaschidse gewählt.

    Damit begann der Aufstieg dieses Politikers zum mächtigsten und einflußreichsten Führer Adshariens. Er war im wesentlichen mit Hilfe des damaligen georgischen Präsidenten Gamsahurdia an die Macht gekommen, da er sich für ein einheitliches föderatives Georgien ausgesprochen hatte. Nach dem Sturz Gamsahurdias gründete Abaschidse den Bund für die Nationale Erneuerung Adshariens, nahm enge Kontakte zur Türkei auf und bezeichnete die in Adsharien stationierten russischen Truppen als Garantie für die Stabilität, zumal ein Drittel der Bevölkerung Adshariens Russen sind. Beim Ausbruch des Sezessions- und Bürgerkrieges in Abchasien und Westgeorgien ließ Abaschidse unter der adsharischen Bevölkerung Waffen verteilen. Er gewährte den Gamsahurdisten keine Unterstützung, verhinderte aber auch den Einmarsch der georgischen Milizen von Kitowani und Ioseliani nach Adsharien. Abaschidse pflegte nicht nur zu den in Adsharien stationierten russischen Truppen, sondern auch zu den Generälen in Moskau gute Beziehungen. Der russische Verteidigungsminister Gratschow erklärte bei seinem Besuch in Batumi im Februar 1993, daß Adsharien zur geopolitischen Interessensphäre Rußlands gehöre. In Moskau wurde Aslan Abaschidse zu der Zeit, als Schewardnadses Geheimdienstchef Igor Georgadse angeblich Attentatspläne gegen den Präsidenten schmiedete, bereits anstelle von Schewardnadse für das georgische Präsidentenamt gehandelt. Moskau ließ Abaschidse erst fallen, nachdem Schewardnadse in Sachen GUS-Beitritt und russische Truppenstationierung in Georgien eingelenkt hatte.

    Dank seiner Wirtschaftspolitik gelang es Abaschidse jedoch, sich in Adsharien einen starken Rückhalt zu verschaffen. Er erklärte Adsharien zur freien Wirtschaftszone und entwickelte den Hafen von Batumi zum bedeutenden Handelsumschlagplatz. Die Steuerhoheit der Regierung in Tiflis erkannte er nicht an. Er übernahm die Kontrolle über mehrere Banken und die georgische Schiffahrtsgesellschaft und ließ in Adsharien u.a. 92 Straßen- und Eisenbahnbrücken, neun Sekundarschulen, Tennisplätze und in Batumi ein Opernhaus bauen. Zahlreiche Ausländer investierten in der Umgebung von Batumi, das für seine Erdölraffinerien und Strände berühmt ist. Über seinen inzwischen diktatorischen Regierungsstil wird man sich sicherlich hinwegsetzen, sollte es ihm gelingen, den Bau einer Erdölpipeline von Aserbaidschan über Georgien nach Batumi durchzusetzen.

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    2. Südossetien

    Anders als in Adsharien, dessen Autonomiebestrebungen die Staatlichkeit Georgiens bislang nicht gefährdeten, entwickelte sich die Lage in dem 1922 geschaffenen Südossetischen Autonomen Gebiet im Nordosten Georgiens an der Grenze zu Rußland. Nach dem stalinschen Prinzip "teile und herrsche" gehört nach wie vor eine Republik Nordossetien zur Russischen Föderation. Die Osseten leiden unter der Zweiteilung, und die Machtkämpfe gehen zu ihren Lasten, doch Moskau kann auf diese Weise die Region besser kontrollieren. In Südossetien leben 96.000 Menschen, darunter 64.000 Osseten und 28.000 Georgier, ferner Russen (2,1%) und Armenier (1%). Insgesamt leben rund 160.000 Osseten auf georgischem Territorium. Die Osseten sind russisch-orthodoxe Christen, sprechen eine persische Sprache und betrachten sich als Nachfahren der Alanen. Ossetien wurde vom Russischen Imperium im 18. Jahrh. im Kampf gegen die Türken annektiert. Die Osseten, damals unter dem Joch der moslemischen Kabardiner, empfanden die Annexion als Befreiung. Südossetien ist nach georgischer Meinung kein historisch angestammtes Gebiet der Osseten, sondern Heimat der Georgier. Nachdem die Osseten 1918-21 den Bolschewiken bei der Eroberung Georgiens geholfen hatten, "schenkte" ihnen die Sowjetmacht diese Region 1922 als neuen Siedlungsraum, ausgestattet mit Gebietsautonomie. Ossetische Historiker vertreten dagegen die Meinung, daß die Osseten in dem strittigen Gebiet seit dem 12. Jahrh. präsent sind. Dabei stützen sie sich auf die Theorie, daß die Osseten Nachfolger der Alanen sind, die ihrerseits als Nachkommen der Skythen gelten. Kosta Chetagurow (1859-1906), Begründer der ossetischen Literatursprache, gilt als das einzige gesamtnationale Symbol.

    Zur Zeit der Perestrojka Gorbatschows gründeten die Osseten in Georgien die Volksfront "Adamon Nyhas" unter Vorsitz von Alan Tschotschiew (einem Freistilringer), die die Sezession von Georgien betrieb und die Vereinigung mit Nordossetien innerhalb der Russischen Föderation forderte. Moskau nutzte die Sezessionsbestrebungen der Osseten geschickt aus, um Georgien unter Druck zu setzen und zum Wohlverhalten zu zwingen. Die ethnischen Unruhen zwischen Osseten und Georgiern begannen im Herbst 1989, nachdem der südossetische Gebietssowjet beschlossen hatte, das Südossetische Autonome Gebiet in eine Autonome Republik umzuwandeln. Die Belagerung der südossetischen Hauptstadt Zchinwali durch die nationalistische Opposition aus Tiflis forderte Tote und Verletzte. Truppen des sowjetischen Innenministeriums verhüteten zunächst Schlimmeres. Die Südosseten warfen Georgien Assimilierungspolitik vor, obwohl sie über weitgehende Gebiets- und Kulturautonomie sowie Selbstverwaltung verfügten, sogar auf Kosten der in ihrer Region lebenden Georgier. 80% der Südosseten sprechen Ossetisch als Muttersprache, während in Nordossetien, wo es keine einzige Schule mit Ossetisch als Unterrichtssprache gibt, aufgrund der russischen Assimilierungspolitik nur noch wenige Osseten ihre Sprache beherrschen.

    Am 20. September 1990 proklamierten die Südosseten eine Südossetische Demokratische Sowjetrepublik, erklärten ihre Loslösung von Georgien sowie ihren Anschluß an die UdSSR und riefen zum Boykott der georgischen Parlamentswahlen sowie zur Beteiligung an Gorbatschows Referendum zum neuen Unionsvertrag auf. Bis zur Durchführung von Wahlen bestimmte der Oberste Sowjet Südossetiens Tores Kulumbegow (Vertreter von "Adamon Nyhas") zum provisorischen Vorsitzenden. Das neue georgische Parlament, in dem nunmehr die Nationalisten mit Swiad Gamsahurdia an der Spitze die Mehrheit besaßen, hob am 11. Dezember 1990 den Autonomie-Status Südossetiens auf und erklärte die am 9. Dezember 1990 in Südossetien durchgeführten Wahlen für ungültig. Gewinner der Wahlen zum Obersten Sowjet Südossetiens wurde die Volksfront "Adamon Nyhas". Von den 64 Parlamentssitzen erhielt sie 20, ihr Koalitionspartner, der Jugendblock, 15. Parlamentsvorsitzender wurde Tores Kulumbegow, sein Stellvertreter Alan Tschotschiew.

    Die Annullierung der Beschlüsse der Parlamente von Georgien und Südossetien durch den Präsidenten der UdSSR, Gorbatschow, am 7. Januar 1991 blieb wirkungslos. Die georgischen Milizen von Kitowani und Ioseliani drangen in das autonome Gebiet ein und zerstörten rund 100 ossetische Dörfer, während die Osseten die Häuser der Georgier in der Gebietshauptstadt Zchinwali in Brand setzten. Zahlreiche Osseten flohen nach Nordossetien, die vertriebenen Georgier nach Tiflis. Die sowjetischen Ordnungskräfte sahen den Ereignissen tatenlos zu, da sie keinen Befehl aus Moskau hatten, einzugreifen. Erst im April 1991 schickte Moskau zur Wiederherstellung der Ordnung Sondertruppen (OMON) des Innenministeriums nach Südossetien, die die ossetische Seite unterstützten. Die georgischen Milizen verließen Südossetien. In Tiflis war man - das Beispiel Moldawiens vor Augen - der Meinung, daß Moskau die ossetische Karte ausspielen wolle, um Georgien im Bestand der UdSSR zu behalten. Doch dann trafen Gorbatschows Gegenspieler Gamsahurdia (Georgien) und Jelzin (Russische Föderation) in Kasbeg zusammen und vereinbarten, gemeinsame Polizeieinheiten zur Wiederherstellung der Ordnung in Südossetien aufzustellen. Andere Interessen als die der Moskauer Zentrale verfolgte die Russische Föderation (RSFSR), da auch in der RSFSR Osseten (in Nordossetien) leben. Da Georgien nicht in der Lage war, den Südossetien-Konflikt durch militärische Gewalt zu lösen, klangen die Drohungen Gorbatschows plausibel: Sollte Georgien den neuen Unionsvertrag nicht unterschreiben, so könne Südossetien der UdSSR getrennt beitreten. Da beim Unionsreferendum vom 17. März 1991 Südossetien für die Erhaltung der UdSSR stimmte, blieb wenig Hoffnung für eine friedliche Lösung des südossetischen Konfliktes.

    So dauerten die Kämpfe zwischen Georgiern und Osseten im Laufe des Jahres 1991 an. Das sowjetische Innenministerium entsandte zusätzliche Truppen nach Südossetien. Als treibende Kraft hinter den Aktionen Moskaus erwies sich Anatolij Lukjanow, Vorsitzender des Obersten Sowjets der UdSSR. Die Georgier verhafteten den südossetischen Parlamentspräsidenten Kulumbegow und stellten ihn in Tiflis vor Gericht, die Osseten entführten den von Tiflis entsandten Polizeichef in Zchinwali. Zum neuen südossetischen Parlamentspräsidenten wurde der Erste Sekretär des südossetischen Gebietskomitees der KPdSU, Snaur Gasijew, gewählt. Am 26. November 1991 erklärte das Parlament einseitig die Unabhängigkeit Südossetiens, die 1993 von der Republik Nordossetien (innerhalb der Russischen Föderation) anerkannt wurde, bekräftigte die Resolution über den Anschluß an die Russische Föderation und verhängte den Ausnahmezustand in Südossetien. Als Antwort darauf erließ der georgische Präsident am 3. Dezember 1991 ein Dekret über die Einverleibung Südossetiens in den georgischen Staat unter seinem historischen Namen "Samachablo". Damit endete auch die Ära der georgisch-sowjetischen Beziehungen (Gamsahurdia-Gorbatschow). Mit dem Jahr 1992 begann die Ära der georgisch-russischen Beziehungen (Schewardnadse-Jelzin) in Sachen Südossetien.

    Einer Verständigung über Südossetien zwischen den neuen Machthabern in Tiflis und Moskau, Schewardnadse und Jelzin, standen auch 1992 noch eine Reihe von Faktoren im Wege. Die Kämpfe zwischen Georgiern und Osseten wurden im ersten Halbjahr 1992 mit unverminderter Härte weitergeführt. Zchinwali stand unter ständigem Beschuß der Nationalgarde von Kitowani. Die georgische Wirtschafts- und Verkehrsblockade gegen Südossetien blieb in Kraft. Die südossetischen Kämpfer wurden durch russische und nordossetische "Freiwillige" sowie die in Zchinwali stationierten Einheiten des sowjetischen/russischen Transkaukasischen Militärbezirks unterstützt. Zwar hatte Schewardnadse die Freilassung des in Tiflis inhaftierten südossetischen Parlamentspräsidenten Kulumbegow veranlaßt, doch zählten dieser und der neue Ministerpräsident Südossetiens, Oleg Tesijew, zu den "Hardlinern" in der südossetischen politischen Führung, die keine Bereitschaft zu Kompromissen zeigten. Der Versuch Schewardnadses, im Mai 1992 mit Kulumbegow einen Waffenstillstand zu vereinbaren, scheiterte. Hinzu kam, daß Teile der nationalistischen Opposition (Sigua, Kitowani), die Schewardnadse an die Macht gebracht hatten, in Sachen Südossetien nach wie vor einen "harten" Kurs verfolgten. In Rußland standen Präsident Jelzin in der Südossetien-Politik Vizepräsident Rutzkoj und Parlamentspräsident Chasbulatow, die den Anschluß Südossetiens an Rußland forderten, als "Hardliner" gegenüber. Erst im Juni 1992 beschloß der russische Sicherheitsrat, angesichts der gespannten Lage im Nordkaukasus (Tschetschenien, Inguschetien, Nordossetien) den Südossetien-Konflikt mit politischen Mitteln zu lösen. Das Auftreten russischer Fallschirmjäger-Einheiten setzte den Kämpfen zwischen Osseten und Georgiern ein Ende. Demzufolge war es nun Moskau, das die Bedingungen in Südossetien diktierte. Dies erklärt u. a., warum inzwischen die vertriebenen Südosseten in ihre Siedlungen zurückkehren durften, nicht aber die Georgier.

    Vor diesem Hintergrund unterzeichneten Schewardnadse und Jelzin am 24. Juni 1992 in Sotschi ein "Abkommen über die Prinzipien einer Lösung des Georgisch-Ossetischen Konfliktes". Zudem vereinbarten die beiden Länder, ab 1. Juli 1992 diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Das Abkommen sah vor: Waffenstillstand ab 29. Juni, Abzug der in Südossetien stationierten Einheiten (zwei Regimenter) der russischen Armee, Entflechtung der Kriegsparteien durch die Schaffung eines Korridors (15 km), Entsendung einer gemeinsamen Friedenstruppe und einer Beobachterkommission sowie von Militärbeobachtern, Rückkehr der Flüchtlinge sowie Aufhebung der Wirtschaftsblockade. Dieses von Moskau diktierte Abkommen führte zwar zu einem Waffenstillstand, klammerte jedoch die Ursachen des Konfliktes, vor allem die Frage des politischen Status Südossetiens, aus. Rußland wie auch Westeuropa haben die territoriale Integrität Georgiens anerkannt. Der georgische Verfassungsentwurf sah territoriale Selbstverwaltung für Südossetien vor. Die alte Garde der "Hardliner" in der politischen Führung Südossetiens (Kulumbegow, Tschotschijew und Tesijew) wurde zwar im September 1993 abgelöst, doch auch die neue Garde unter Führung des neuen südossetischen Parlamentsvorsitzenden und Historikers Ludwig Tschibirow beharrte auf der Vereinigung mit Nordossetien und der Zugehörigkeit zu Rußland. Dabei kann sich Tschibirow auch ein vereintes Nord- und Südossetien außerhalb der Russischen Föderation, jedoch als GUS-Mitglied, vorstellen. Eine andere Gruppe in der südossetischen Führung besteht auf einer unabhängigen "Republik Südossetien", weshalb auch einige südossetische Anhänger dieser Richtung den Unabhängigkeitskampf Dudajews in Tschetschenien unterstützen.

    Aufgrund des Abkommens zwischen Jelzin und Schewardnadse ist seit Juli 1992 eine knapp 1.500 Mann starke gemeinsame Friedenstruppe, bestehend aus einem russischen Bataillon (700 Mann) sowie nord- und südossetischen (470) und georgischen (320) Milizen, in Südossetien stationiert. Außerdem wurden im April 1994 zusätzlich russische Truppen zur Kontrolle der wichtigen Paßstraße zwischen Nord- und Südossetien in das Gebiet verlegt. Die dreiseitige Friedenstruppe verfügt über ein gemeinsames Kommando unter Leitung des russischen Generalmajors Anatolij Merkuljew. Ferner gibt es eine regelmäßig tagende gemeinsame Kontrollkommission, in der Rußland, Georgien sowie Nord- und Südossetien vertreten sind. Sie trat am 1. November 1994 erstmals zusammen. Die ossetischen Milizen der dreiseitigen Friedenstruppe werden von Rußland finanziert und ausgerüstet. Seit der Präsenz der Friedenstruppe in Südossetien nahm hier die Kriminalität, vor allem jedoch der Drogenhandel auf der Hauptschmuggelroute über den Kaukasus, an dem die ossetische, georgische und russische Mafia zusammen mit Angehörigen der Friedenstruppe beteiligt ist, erheblich zu. Im Fühjahr 1995 schlugen russische Militärs die Auflösung der ossetischen und georgischen Einheiten der dreiseitigen Friedenstruppe vor. Nach ihrer Ansicht sollte Südossetien ausschließlich durch die russische Armee sowie von Beobachtern der OSZE kontrolliert werden.

    Eine Mission der OSZE zur Beobachtung des georgisch-südossetischen Konflikts gibt es seit Dezember 1992 in Tiflis. Zunächst gehörten ihr 17 Personen an (darunter acht Militärbeobachter aus Österreich, Ungarn, Frankreich, Tschechien, Polen, Irland, Deutschland und den Niederlanden) unter Leitung des deutschen Diplomaten Hansjörg Eiff. Ihr ursprünglicher Auftrag war, die Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien mit dem Ziel einer friedlichen politischen Regelung zu unterstützen. 1994 kam es zur Erweiterung des Auftrages: Hilfestellung bei der Förderung der Menschenrechte, dem Aufbau demokratischer Institutionen, der Erarbeitung einer neuen Verfassung und eines Staatsbürgerschaftsgesetzes sowie der Schaffung einer unabhängigen Justiz; Verbindung zu den UNO-Aktivitäten in Abchasien; Beobachtung von Wahlen; Überwachung der Friedenstruppe und des Waffenstillstandes in Südossetien. Im Rahmen des erweiterten Auftrages ist seit 1994 auch das Warschauer Büro der OSZE für demokratische Institutionen und Menschenrechte eingeschaltet. Inzwischen wurde beschlossen, das Mandat der OSZE bis zum 30. September 1995 zu verlängern, die Mission um zwei Mitglieder aufzustocken und eine Zweigstelle in Zchinwali einzurichten. Neuer Missionsleiter wurde der deutsche Diplomat Dieter Boden. Die bisher vorgelegten Pläne zur Konfliktlösung (sowohl Rußlands als auch der OSZE) sehen eine weitergehende Autonomie für Südossetien im Rahmen eines föderativen Georgien vor als die georgischen Pläne. Die georgische Opposition lehnte mit einem Brief vom Mai 1995 den OSZE-Plan über eine politische Autonomie Südossetiens ab. Die Südosseten weigern sich nach wie vor, in irgendeiner Form zu Georgien zu gehören. Beim Besuch des deutschen Generalsekretärs der OSZE, Wilhelm Höynck, in Zchinwali im Sommer 1995 pochte die südossetische Seite auf den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker (NZZ, 13. Juli 1995, S. 7).

    Die Einflußmöglichkeiten der OSZE in Südossetien sind schon aus geopolitischen Gründen sehr begrenzt. Wichtigster Faktor bei der Konfliktlösung ist die Großmacht Rußland. Einen entscheidenden Fehler machte die OSZE womöglich, als sie bei den Verhandlungen am 14. Juni 1994 in Wladikawkas die Legalität des Status der "Friedenstruppe", die sich aus den kämpfenden Parteien zusammensetzt, anerkannte. Wie diese "Friedenstruppe" - "Blauhelme" aus Einheiten der Kriegsparteien anstatt aus Soldaten neutraler Länder - zur Konfliktlösung unter OSZE-Regie beitragen kann, ist unergründlich. Ähnlich gelagert sind die Probleme mit der "Friedenstruppe" in Abchasien, wo die Konfliktlösung von der UNO überwacht wird.

    Inhaltsverzeichnis

    3. Abchasien

    Die Abchasen, die sich selbst Apsua nennen, sind mehrheitlich sunnitische Moslems. Eine Minderheit bekennt sich zum orthodoxen Christentum. Als kaukasisches Volk gehören sie zur abchasisch-adygeischen Sprachgruppe. Die abchasische Schrift wurde ab 1932 auf der Basis des Lateinischen, ab 1938 des Georgischen und ab 1954 des Russischen geschrieben. Im 8. Jahrh. (746) entstand als Feudalstaat das Abchasische Fürstentum, zu dem auch Westgeorgien gehörte, und das sich im 10. Jahrh. mit Kachetien und Tao-Klardschetien zu einem georgischen Königreich vereinte. Im 15. Jahrh. zerfiel das georgische Königreich. Das Abchasische Fürstentum wurde wieder selbständig. Im Kampf gegen die Türkenherrschaft schloß es sich 1810 freiwillig Rußland an. Nach dem Einmarsch der Roten Armee 1921 in Tiflis bekam Abchasien einen autonomen Status innerhalb Georgiens. Nach den georgischen Aufständen gegen die Sowjetmacht 1924 trennte Moskau Abchasien von Tiflis und wertete seinen Status auf. Von 1925 bis 1931 gab es eine Abchasische Sozialistische Sowjetrepublik. 1931 wurde der Status erneut herabgestuft zur Abchasischen Autonomen Republik innerhalb Georgiens.

    In Abchasien (im Nordwesten Georgiens) lebten 1990 rund 530.000 Menschen, darunter 240.000 Georgier (46%), 90.000 Abchasen (18%), Armenier (14,5%), Russen (14%) sowie Griechen, Ukrainer, Juden und Kabardinier. Die Abchasen ließen sich von Moskau stets leicht gegen georgische Unbotmäßigkeiten instrumentalisieren. Nach der Verabschiedung der georgischen Verfassung von 1978 fühlten sich die Abchasen kulturell diskriminiert, forderten die Sezession von Georgien und den Anschluß an die Russische Föderation (RSFSR). Zwar gab Moskau diesen Forderungen nicht nach, doch gewährte man ihnen eine Reihe von Konzessionen, einschließlich der Einrichtung einer eigenen Universität in der abchasischen Hauptstadt Suchumi. Fast alle Führungsposten in Partei und Regierung sowie den kulturellen Einrichtungen der autonomen Republik wurden durch die Minderheit der Abchasen (knapp 18%) besetzt. Der georgischen Mehrheit (46%) erschien das Leben in Abchasien zunehmend unerträglich.

    Während sich in Tiflis die georgischen Nationalisten um Gamsahurdia sammelten und die Trennung Georgiens von der UdSSR forderten, entstand zur Zeit der Perestrojka Gorbatschows (1985-1991) auch in Abchasien eine nationalistische Volksfront ("Aidgylara"/Volksforum), die die Sezession Abchasiens von Georgien anstrebte. Im Frühjahr 1989 begannen Massendemonstrationen der Abchasen, die im Rahmen eines unabhängigen Georgien den angeblichen Verlust ihrer nationalen Identität fürchteten. Die Zusammenstöße zwischen Abchasen und Georgiern im Sommer 1989 in Abchasien forderten Todesopfer und zahlreiche Verletzte. Die Vorgänge in Abchasien lösten auch die Massendemonstrationen georgischer Nationalisten in Tiflis aus, die von den sowjetischen Sicherheitskräften brutal (durch Giftgaseinsatz) beendet wurden. Es folgte ein Appell des abchasischen Parteichefs Boris Adleiba und des abchasischen Volksdeputierten der UdSSR, Wladislaw Ardsinba (Direktor des abchasischen Instituts für Sprache, Literatur und Geschichte), an Gorbatschow, Abchasien den Status einer unabhängigen Republik innerhalb der UdSSR zu gewähren. Die Vermutung lag nahe, daß Moskau die Agitation der Abchasen ermutigte und sie als Instrument gegen die georgischen Nationalisten um Gamsahurdia einsetzte.

    Am 25. August 1990 erklärte der Oberste Sowjet der Abchasischen ASSR die staatliche Souveränität der Abchasischen Sozialistischen Sowjetrepublik und legte die abchasische Position zum Abschluß eines Unionsvertrages fest. An der Sitzung nahmen nur 72 der 140 Abgeordneten teil. Zwei Tage später erklärte der Oberste Sowjet Georgiens die abchasische Deklaration für ungültig. Die Abchasen boykottierten (ebenso wie die Südosseten) die georgischen Wahlen vom Oktober 1990. Sie beteiligten sich am Referendum Gorbatschows im März 1991, nicht aber an der Abstimmung über die Unabhängigkeit Georgiens. Während die Kommunistische Partei Georgiens im Dezember 1990 die Beziehungen zu Moskau abbrach, festigte die abchasische KP-Führung ihre Bindungen zur KPdSU. Sie unterstützte auch den Moskauer Putschversuch im August 1991. Der Vorsitzende des Obersten Sowjets Abchasiens, Wladislaw Ardsinba, war auch bereit, den Unionsvertrag Gorbatschows zu unterzeichnen.

    Nach dem gescheiterten Moskauer Putschversuch entspannten sich vorübergehend die abchasisch-georgischen Beziehungen. Es kam zu einem Kompromiß bezüglich der Wahlen für das abchasische Parlament am 22. September 1991. Die 65 Sitze im neuen Parlament wurden im voraus festgelegt: 28 Sitze für die Abchasen, 26 für die Georgier und 11 für andere Nationalitäten. Die für die Georgier bestimmten Mandate gewannen die Anhänger des "Runden Tisches" von Gamsahurdia. Moskau und Tiflis stellten fest, daß es sich in Abchasien nicht um einen ethnischen Konflikt, sondern um einen Machtkampf zwischen lokalen Eliten handelte. Während am Ende des Machtkampfes in Tiflis um die Jahreswende 1991/92 Präsident Gamsahurdia gestürzt wurde, geriet Abchasien in eine Parlamentskrise, die schließlich zu einem bewaffneten Konflikt führte. Die georgische Fraktion (Gamsahurdisten) boykottierten die Parlamentssitzungen. Tiflis forderte Neuwahlen in Abchasien, die nicht mehr von ethnischen Kriterien bestimmt werden sollten. Weitere Streitpunkte waren: die Umbenennung der autonomen Republik, das Wüten der "Mchedrioni"-Milizen in Suchumi und die Übergabe des russischen Marinehafens Otschamtschira an der abchasischen Schwarzmeerküste an Tiflis. Das abchasische Parlament spaltete sich in drei Fraktionen. Die eine Richtung plädierte für die staatliche Eigenständigkeit, die andere für ein Bündnis mit den Gamsahurdisten in Westgeorgien, um die neuen Machthaber um Schewardnadse in Tiflis zu stürzen. Eine dritte Richtung blieb der neuen Führung Georgiens treu.

    Das Verhältnis zwischen Abchasien und Georgien wurde in der Periode 1989-1992 durch externe Faktoren kompliziert. In Moskau tobte der Machtkampf Gorbatschow-Jelzin, aus dem zwar Jelzin als Sieger hervorging, jedoch auf Kosten der untergegangenen UdSSR. Gleichzeitig bildeten sich unter den Völkern des Nordkaukasus - oft kurzlebige - Allianzen mit dem Ziel, größere Autonomie zu erlangen. Als Modell galt die Nordkaukasische (Berg-)Republik von 1921-1924. Als Alternative schlug der georgische Präsident Gamsahurdia die Schaffung einer "Kaukasischen Gemeinschaft" der Bergvölker unter georgischer Führung vor, die vor allem vom tschetschenischen Präsidenten Dudajew unterstützt wurde. Das persönliche Bündnis Gamsahurdia-Dudajew hatte mehrere Gründe: Vor allem waren da die Osseten als gemeinsamer Feind der Georgier sowie der Tschetschenen und Inguschen. Außerdem lehnten beide den neuen Unionsvertrag Gorbatschows ab, fühlten sich aber auch von Jelzin betrogen, nachdem sie ihn im Machtkampf gegen Gorbatschow unterstützt hatten. Im Mittelpunkt des ersten Kongresses der Bergvölker des Kaukasus im August 1989 stand die Forderung, den Status der kaukasischen Verwaltungseinheiten auf die Ebene von Unionsrepubliken zu heben und eine separate Kaukasische Föderale Republik zu gründen. Nur die Abchasen stellten sich auf die Seite Moskaus. Als sie jedoch Ende 1991 merkten, daß sie in ihrem Kampf gegen Georgien keine Unterstützung seitens Moskau erwarten konnten, änderten sie ihre Haltung. Auf dem dritten Kongreß der Bergvölker des Kaukasus im November 1991 in Suchumi traten auch die Abchasen für die Schaffung einer Kaukasischen Föderation ein. Auf diesem Kongreß wurde auch die Gründung der Konföderation der Bergvölker des Kaukasus sowie die Aufstellung von bewaffneten Einheiten beschlossen.

    Der abchasisch-georgische Krieg begann im Sommer 1992, nachdem der Oberste Sowjet Abchasiens am 23. Juli 1992 die abchasische Verfassung von 1925 an die Stelle der georgischen Verfassung von 1978 gesetzt und damit die Unabhängigkeit Abchasiens erklärt hatte. Eine Gegenerklärung Georgiens über die Ungültigkeit der abchasischen Beschlüsse folgte am 25. Juli. Noch im Juni 1992 schufen die Abchasen ein Komitee zur Nationalen Rettung. Es bahnte sich ein Bündnis zwischen den Abchasen und dem abgesetzten georgischen Präsidenten Gamsahurdia an mit dem Ziel, die georgischen Wahlen zur Legitimierung der Macht Schewardnadses zu verhindern. Die georgische Bevölkerung in Abchasien war zwischen den Anhängern Schewardnadses und Gamsahurdias gespalten. Am 14. August 1992 besetzte die georgische Nationalgarde Kitowanis die westgeorgische Stadt Sugdidi und am 18. August die abchasische Hauptstadt Suchumi. Der abchasische Parlamentspräsident Ardsinba und seine Parlamentsfraktion setzten sich in die Stadt Gudauta (Hochburg der Ardsinba-Anhänger) ab. Die Kämpfe zwischen den abchasischen Milizen und der georgischen Nationalgarde verursachten Flüchtligsströme von Armeniern, Russen und Georgiern aus Abchasien. Ardsinba ersuchte die Konföderation der Bergvölker des Kaukasus um Hilfe. Etwa 2.000 nordkaukasische Freiwillige sowie Südosseten, abchasische Kosaken und Abchasen aus der Türkei und den Nahostländern (wo ca. 500.000 Abchasen leben) stellten sich als Kämpfer auf die Seite der Abchasen. Damit hatte sich die militärische Lage zugunsten der Abchasen verändert.

    In dieser Situation trafen sich Jelzin, Schewardnadse und Ardsinba in Moskau und unterzeichneten am 3. September 1992 eine Vereinbarung, die die territoriale Integrität Georgiens garantierte, einen Waffenstillstand und die Einsetzung einer Kontrollkommission sowie Neuwahlen in Abchasien vorsah. Der künftige Status Abchasiens wurde dabei ausgeklammert. Durch diese Vereinbarung hat sich Moskau eine Schlüsselrolle im abchasisch-georgischen Konflikt gesichert. Es ging dabei jedoch nicht mehr um einen ethnischen Konflikt, sondern um die Staatlichkeit Georgiens. Es zeigte sich, daß für Moskau die Kontrolle Georgiens, vor allem aber der Region Abchasien an der Schwarzmeerküste, wirtschaftliche und strategische Bedeutung hat. Georgien war jedoch nach wie vor weder bereit, der GUS beizutreten noch die Stationierung russischer Truppen in Georgien zuzulassen. Die Folge war die Fortsetzung des Krieges ab Oktober 1992. Auf abchasischer Seite kämpften nunmehr nicht nur die Freiwilligen der Nordkaukasus-Völker, sondern auch Einheiten der russischen Armee. Moskau stellte den abchasischen Milizen auch schwere Waffen zur Verfügung und schickte Kriegsschiffe der Schwarzmeerflotte in die georgischen Küstengewässer. Die russisch-georgischen Spannungen nahmen zu. Von einer neutralen russischen Friedensmission im Sinne der geschlossenen Vereinbarung konnte keine Rede mehr sein. Es wurde immer deutlicher, daß Moskau die ethnischen Spannungen dazu benutzte, die Ereignisse im Süden der russischen Grenze zu steuern. Die Stellungnahmen des russischen Parlamentsvorsitzenden Chasbulatow und des Verteidigungsministers Gratschow ließen den Schluß zu, daß das mehrheitlich konservative Parlament und das russische Militär die abchasische Seite unterstützten. Sie erklärten Abchasien zur "Schutzzone". Unter diesen "geschützten" Bedingungen fiel es dem abchasischen Parlamentsvorsitzenden Wladislaw Ardsinba leicht, 1992/93 eine separatistische Bewegung, gestützt auf die abchasischen Klans in Gudauta und Otschamtschira, aufzubauen. Im Juni 1993 forderte Moskau Georgien erstmals öffentlich auf, Abchasien im Rahmen eines föderalen Systems eine "wirkliche" Autonomie zu gewähren.

    Die direkte und indirekte Intervention Moskaus auf der Seite der Abchasen führte dazu, daß die abchasischen Milizen bis zum Sommer 1993 ganz Abchasien - mit Ausnahme der Hauptstadt Suchumi - kontrollierten. Angesichts der erniedrigenden Niederlagen sah sich Schewardnadse gezwungen, einen neuen russischen Konfliktregelungsplan zu akzeptieren. Das am 27. Juli 1993 in Sotschi unter starkem Druck Rußlands unterzeichnete neue Waffenstillstandsabkommen zwischen Georgien, Abchasien und Rußland sah u.a. den Rückzug der georgischen Truppen aus Abchasien, die Rückkehr des abchasischen Parlaments nach Suchumi sowie die Einbeziehung von UNO-Beobachtern vor. Nachdem die georgischen Truppen ihre schweren Waffen und Raketen, den Vereinbarungen entsprechend, den russischen "Friedenstruppen" abgeliefert hatten, brachen die Abchasen am 16. September das Waffenstillstandsabkommen und eroberten mit militärischer Gewalt Suchumi. Die letzten georgischen Truppen verließen am 30. September 1993 Abchasien, gefolgt von rund 250.000 georgischen Flüchtlingen sowie Tausenden von Armeniern und Griechen. Die pro-georgische abchasische Regierung verlegte ihren Sitz von Suchumi nach Tiflis. Damit hatte sich die Bevölkerung Abchasiens innerhalb weniger Wochen um die Hälfte verringert. Es war allerdings nicht das abchasische Volk, das diesen Kampf geführt hatte, vielmehr waren es die mit Ardsinba verbündeten Klans im Norden Abchasiens. Realistisch gesehen, hätten die 90.000 Abchasen ohne die Hilfe Moskaus die 230.000 Georgier Abchasiens nicht besiegen können. Damit hat Georgien nach Südossetien de facto auch Abchasien verloren. Daran ändert sich auch nichts, wenn Moskau und das internationale Völkerrecht die territoriale Integrität Georgiens formell anerkennen. Eine De-jure-Abspaltung Abchasiens von Georgien kann sich Moskau vorerst nicht leisten, weil dies ein Präzedenzfall für Rußland werden könnte. So könnten z.B. die nordkaukasischen Völker versuchen, wie das Beispiel Tschetschenien zeigt, ihre Abspaltung von Rußland mit Waffengewalt durchzusetzen. Die Fälle Abchasien und Südossetien zeigen anschaulich, wie Moskaus Politik gegenüber dem "nahen Ausland" ausformuliert und gehandhabt wurde. Nachdem bis Ende 1993 nach Südossetien auch Abchasien unter die Kontrolle der russischen "Friedenstruppen" gebracht worden war, ging es Moskau nur noch darum, Schewardnadse, dessen Lage im Kampf gegen die Gamsahurdisten in Westgeorgien aussichtslos schien, zu "retten" und an der Macht zu halten. Der Preis dafür war der georgische Beitritt zur GUS und die langfristige Stationierung der russischen Armee in Georgien.

    Angesichts der Zweifel an der Bereitschaft und Fähigkeit Rußlands, innerhalb der Grenzen der früheren UdSSR als "Vermittler" oder "Friedensstifter" tätig zu werden, muß das bisherige UNO-Engagement in Abchasien eher unbefriedigend erscheinen. Georgien bemühte sich erfolglos um die Unterstützung der UNO und der KSZE/OSZE bei der Auseinandersetzung mit den abchasischen Separatisten. Georgien hat in den Augen westlicher Politiker eine geringere strategische Bedeutung als Rußland. Es kann demnach in die neu aufgelegte russische Einflußsphäre entlassen werden. Aus den Georgien-Beiträgen westlicher Medien war der Vorwurf an Georgien herauszuhören, den "unterdrückten" Abchasen nicht die Unabhängigkeit gewähren zu wollen. Auf diese Weise wurde Rußland die rasche Rückkehr in die Region erleichtert. Im Westen wurde allzu leichtfertig übersehen, daß die Verletzung der Unversehrheit der territorialen Grenzen eines OSZE-Staates (Georgien) durch eine nationale Minderheit (Abchasen) mit tatkräftiger Unterstützung eines anderen OSZE-Mitgliedstaates (Rußland) einen Präzedenzfall darstellt, der nicht nur die Staatlichkeit Georgiens auf dem Territorium der untergegangenen UdSSR gefährdet.

    Die internationale Staatengemeinschaft trat im Abchasien-Konflikt erstmals im Herbst 1992 in Erscheinung. In Artikel 12 der Moskauer Vereinbarung vom 3. September 1992 zwischen Georgien, Abchasien und Rußland hieß es: "Die Seiten bitten die UNO und die KSZE um Unterstützung für die oben dargelegten Regelungsgrundsätze und für deren Realisierung einschließlich der Entsendung von Beobachtern und einer Mission für die Feststellung der Fakten" (ITAR-TASS, 4.9.1992). Vier Wochen später beklagte sich Georgien in einem Appell an UNO, KSZE und NATO über das Eindringen militärischer Einheiten von russischem Territorium aus nach Abchasien. Gleichzeitig bat Tiflis den UN-Generalsekretär um die Einberufung einer Sitzung des Sicherheitsrats über die Lage in Georgien. Beim Besuch der (ersten) UN-Beobachtergruppe in Abchasien im Oktober 1992 wurde mitgeteilt, daß der Einsatz von UN-Blauhelmen in Abchasien nicht in Frage komme. Statt dessen wolle man ständige Beobachter entsenden. Angesichts der bedrohlichen Situation in Abchasien bat Schewardnadse im Januar 1993 die UNO erneut offiziell um die dringende Entsendung einer UNO-Friedenstruppe, da die im September 1992 geschlossene Vereinbarung praktisch außer Kraft sei. Statt einer Friedenstruppe kam im April 1993 eine zweite UN-Beobachtergruppe nach Abchasien, die Gudauta und Otschamtschira besuchte.

    Erst ein Jahr später, Anfang Juli 1993, beschloß der UN-Sicherheitsrat, 50 Militärbeobachter nach Georgien zu entsenden. Voraussetzung dafür war der Abschluß eines Waffenstillstandsabkommens. Außerdem soll die UNO vorgeschlagen haben, daß nach dem Abzug der georgischen Truppen UN-Blauhelme den Waffenstillstand in Suchumi sichern sollen (FAZ, 26.7.93). Herausgekommen ist lediglich nach dem am 27. Juli 1993 unterzeichneten Waffenstillstandsabkommen eine UNO-Zusage, die Zahl der UN-Beobachter von 50 auf 100 bis 150 zu erhöhen. Die Entflechtung der abchasischen und georgischen Truppen im August 1993 in Suchumi fand tatsächlich in Anwesenheit einiger UN-Beobachter statt. Die Abchasen weigerten sich, an der UN-Konferenz über eine politische Lösung des Konflikts am 10. September 1993 in Genf teilzunehmen, die aufgrund der Resolution Nr. 858 des UN-Sicherheitsrates vom 24. August 1993 stattfinden sollte. Statt dessen starteten sie unter Verletzung des Waffenstillstandsabkommens am 16. September eine militärische Offensive gegen Suchumi. Rußland verletzte ebenfalls die Waffenstillstandsvereinbarung, da es seinen Verpflichtungen als Garantiemacht des Waffenstillstands nicht nachkam. Der dramatische Hilferuf Schewardnadses an den UN-Generalsekretär blieb ungehört. Der UNO blieb nur noch die Aufgabe, die humanitäre Hilfe für die mehr als 250.000 Flüchtlinge aus Abchasien zu organisieren. Die Politik des abchasischen Separatistenführers Ardsinba, nur den nicht-georgischen Flüchtlingen, vor allem Russen, die Rückkehr nach Abchasien zu erlauben, wurde hingenommen. In den Häusern der vertriebenen Georgier ließ Ardsinba Kosaken, Tschetschenen und Tscherkessen ansiedeln.

    Im Jahre 1994 handelte die UNO durchweg im Sinne der russischen Abchasien-Politik. Am 4. April 1994 wurde in Moskau unter der Schirmherrschaft Rußlands, der UNO und der KSZE zwischen Georgien und Abchasien ein Abkommen unterzeichnet, das einen Waffenstillstand, die Rückkehr der rund 250.000 Flüchtlinge und die Entsendung einer 2.500 Mann starken UNO-Friedenstruppe nach Abchasien vorsah. Es erlaubte Abchasien, sich eine eigene Verfassung und Gesetzgebung sowie Hymne und Staatsflagge zuzulegen. Die Oberhoheit Georgiens über Abchasien fand in dem Abkommen keine Erwähnung. Die Abchasen werteten dies als ersten Schritt in Richtung internationale Anerkennung und Unabhängigkeit. UN-Generalsekretär Boutros Ghali erklärte in Moskau, daß die UNO die von Rußland immer wieder verlangte Hegemonie über sein früheres Territorium nicht akzeptiert, wohl aber eine russische Mitwirkung an der Friedensoperation, wobei diese eine Minderheitsbeteiligung bleiben soll (NZZ, 7.4.94). Drei Monate später akzeptierte die UNO die russische Hegemonie über sein früheres Territorium.

    Am 14. Mai 1994 unterzeichneten Abchasien und Georgien in Moskau unter der Schirmherrschaft Rußlands ein weiteres Abkommen über die Entsendung einer 2.500 Mann starken GUS-Friedenstruppe, die in Wirklichkeit aus drei Bataillonen der russischen Armee bestand. Sie wurden ab Juni 1994 in einer 12-km-Sicherheitszone am Fluß Inguri an der abchasisch-georgischen Grenze sowie in Kodori Gorge stationiert, u.a. mit der Aufgabe, die Rückkehr der georgischen Flüchtlinge in den abchasischen Bezirk Gali zu ermöglichen. Dem georgischen Wunsch, die Friedenstruppe zur Sicherung der Rückkehr der Flüchtlinge in ganz Abchasien zu verteilen, wurde nicht entsprochen. Die anderen GUS-Staaten lehnten eine Beteiligung an der "Friedensmission" ab. Nur Tadschikistan und Armenien boten die Entsendung jeweils einer Kompanie, Kasachstan und Kirgistan von einigen Beobachtern an. Die GUS-Peacekeeping-Truppe (insgesamt 3.000 Mann), ausgerüstet mit schwerer Artillerie (122 mm) und Panzern (T-72), richtete zunächst unter dem Kommando des Generalmajors Wasilij Jakuschew drei Stützpunkte und 12 Beobachterposten entlang des Inguri-Flusses ein. Die Kosten der Operation wurden mit 10 bis 11 Mrd. Rubel veranschlagt, die zum Großteil von der UNO finanziert werden sollten (Isvestija, 23.6.94).

    Der UN-Sicherheitsrat billigte am 1. Juli 1994 nachträglich das russische Vorgehen in Abchasien, nachdem Moskau mit der Blockade der US-Resolution über Haiti gedroht hatte. Nur Tschechien äußerte Bedenken. Außerdem beschloß der Sicherheitsrat, das Mandat der UN-Beobachtermission in Georgien (UNOMIG) bis 21. Juli 1994 zu verlängern. Statt der genehmigten 55 Beobachter waren in dieser Zeit in Georgien kaum 40 im Einsatz. Im übrigen sah die UN-Resolution Nr. 937 die Zusammenarbeit der UN-Beobachter mit der russischen Friedenstruppe vor. Die US-Botschafterin bei der UNO, Madeleine Albright, stellte bei ihrer Kaukasus-Reise fest, daß sich die russische Friedenstruppe neutral verhält (ÖMZ, Nr.6/94). Das Mandat der UNOMIG wurde ab 1. September 1994 um weitere sechs Monate verlängert.

    Derart abgesichert, fiel es den Abchasen leicht, weitere Fakten der Separation von Georgien zu schaffen, bevor überhaupt eine politische Lösung des Konfliktes in Angriff genommen werden konnte. Sowohl der Kommandeur der russischen Friedenstruppe, General Jakuschew, als auch der Abchasen-Führer Ardsinba erklärten in Interviews, daß Abchasien schon immer Teil Rußlands gewesen sei (Pravda, 21.10. und 2.11.94). Am 17. August 1994 unterzeichnete Abchasien in Kasan einen Freundschaftsvertrag mit Tatarstan, der von Moskau nicht für ungültig erklärt wurde. Im Rahmen dieses Freundschaftsvertrages soll Tatarstan 1995 an Abchasien Waffen geliefert haben. Im Mai 1995 folgte die Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen Abchasien und der Republik Kabardino-Balkarien der Russischen Föderation.

    Abchasien war ein bevorzugtes Feriengebiet der UdSSR. Allein das Politbüro der KPdSU besaß 5% der abchasischen Schwarzmeerküste, die heute von Moskau als russisches Eigentum beansprucht wird. So war es nicht verwunderlich, daß Rußland und die Abchasen kein großes Interesse daran hatten, die Rückkehr der 250.000 georgischen Flüchtlinge, wie von der UNO gefordert, zu ermöglichen. Bis Ende 1994 durften gerade 40 Familien (200 Personen) in den Bezirk Gali zurückkehren. Das Schicksal der georgischen Flüchtlinge ist bis heute ungewiß. Weder die UNO, unter deren Ägide eine grundsätzliche Einigung über die Repatriierung der Flüchtlinge erzielt worden war, noch Rußland scheinen es mit den übernommenen Verpflichtungen in dieser Frage ernstzunehmen (NZZ, 17.1.1995). Die Haltung der russischen "Friedenstruppe" und der UNOMIG ließ sich damit mit der Nichteinhaltung des Mandats der UNPROFOR in der serbisch besetzten Krajina auf kroatischem Territorium in bezug auf die Rückkehr von Flüchtlingen vergleichen.

    Als weiteren Schritt verabschiedeten die Abchasen am 26. November 1994 eine neue Verfassung, die ein Präsidialsystem vorsieht und die Republik Abchasien zum souveränen Staat proklamiert. Zum ersten Präsidenten der Republik wurde Wladislaw Ardsinba gewählt. Rußland erkannte offiziell die Souveränitätserklärung Abchasiens nicht an. Georgien weigerte sich, mit einer abchasischen Delegation, die einen unabhängigen Staat vertritt - zunächst im Rahmen der UNO -, zu verhandeln. Moskau verlängerte die Stationierung der russischen Friedenstruppe in Abchasien bis zum 15. Mai 1995 und begann am 11. Dezember 1994 den Krieg in Tschetschenien. Das sog. "abchasische Bataillon" (260 Mann) der Konföderation der Bergvölker des Kaukasus unter der Führung des tschetschenischen Kommandeurs Schamil Bassajew kehrte schon im August 1994 aus Abchasien nach Tschetschenien zurück. Im Januar 1995 erklärte der Führer der georgischen Nationalgarde, Tengis Kitowani, wenn Rußland sich in Tschetschenien eine Invasion leisten dürfe, dann dürfe auch Georgien die abchasische Region zurückerobern, und setzte seine Truppen in Richtung Abchasien in Marsch. Dem anschließend verhafteten Kitowani wurden Verbindungen zum tschetschenischen Präsidenten Dudajew vorgeworfen, während der georgische Präsident die russische Invasion in Tschetschenien begrüßte und rechtfertigte. Das pro-georgische Exilparlament Abchasiens unter Vorsitz von Tamas Nadareischwili sowie die Exilregierung von Surab Erkwania nahmen im Januar 1995 ihre Arbeit in Tiflis auf. In einer Resolution des georgischen Parlaments vom Februar 1995 wurde das abchasische Exilparlament als einzige legitime Macht Abchasiens anerkannt. Der Vorsitzende des abchasischen Exilparlaments, Nadareischwili, erklärte: "Um die territoriale Integrität Georgiens zu wahren, sind wir bereit, wie Rußland in Tschetschenien vorzugehen" (INTERFAX, 2.2.95).

    Im März 1995 drangen etwa 600 abchasische Milizen in Gali ein und richteten dort in Anwesenheit der untätigen UN-Militärbeobachter und der russischen Friedenstruppe ein Massaker an Georgiern an. Die russische Friedenstruppe stellte den abchasischen Milizen sogar Transportfahrzeuge und Treibstoff zur Verfügung. Weder die russische Friedenstruppe noch die UNOMIG konnten eine plausible Erklärung für ihre passive Haltung abgeben. Das Projekt der Rückführung der Flüchtlinge kam nach dem Massaker erst recht zum Stillstand. Auch auf dem GUS-Gipfel am 26. Mai 1995 weigerte sich Moskau, seine Friedenstruppe in Abchasien mit "Polizeifunktionen" auszustatten. Georgien verlangte zudem den Abzug der armenischen Kompanie der Friedenstruppe, der Raubzüge unter der georgischen Zivilbevölkerung vorgeworfen wurden. Trotzdem wurde das Mandat der russischen Friedenstruppe bis Ende 1995 verlängert. Auch der UN-Sicherheitsrat beschloß am 13. Mai 1995 (Resolution Nr. 993), das Mandat der UN-Beobachtergruppe bis zum 12. Januar 1996 zu verlängern. Die Mission bestand zu dieser Zeit aus 135 Mitgliedern aus 23 Ländern.

    Währenddessen stagnierten die Verhandlungen über den politischen Status Abchasiens und das Schicksal der georgischen Flüchtlinge, die unter der Ägide der UNO im Februar 1995 in Genf stattfanden. Die Vorstellungen über den politischen Status Abchasiens gingen weit auseinander. Abchasien bestand auf einer Konföderation zwischen zwei "gleichen" Staaten, Georgien auf abchasischer Autonomie in einem föderativen System. Noch im Februar 1995 entstand der Eindruck, daß die UNO - aus der Überlegung heraus, daß Georgien den Krieg verloren habe - das von den Abchasen bevorzugte Modell der Konföderation zwischen zwei souveränen Staaten bevorzugte (ITAR-TASS, 14.2.95). Im Sommer 1995 plädierte dann der persönliche Vertreter des UN-Generalsekretärs, Eduard Brunner, für einen politischen Sonderstatus Abchasiens innerhalb eines geeinten Georgien (INTERFAX, 18.7.95), der auch den Vorstellungen Schewardnadses entsprach. Inzwischen haben sich - nach einer neuen Verhandlungsrunde im August 1995 in Moskau - die Positionen der Konfliktparteien weiter verhärtet. Auch innerhalb der maßgeblichen politischen Kräfte in Abchasien, Georgien und Rußland machten sich unterschiedliche Positionen bemerkbar.

    In Abchasien schienen sich zunächst die Anhänger eines harten Kurses um Präsident Ardsinba durchgesetzt zu haben. Das abchasische Parlament hat im August 1995 den von Georgien und Rußland unterstützten Vorschlag eines abchasischen Sonderstatus innerhalb eines föderalen Systems Georgiens abgelehnt. Aber auch die abchasischen "Hardliner" sind gespalten: Einige wollen den Anschluß Abchasiens an die Russische Föderation, andere ziehen eine unabhängige Republik Abchasien vor. Die abchasische Gruppierung, die bereit war, den Autonomiestatus innerhalb eines föderativen Georgien zu akzeptieren, trat in den Hintergrund. Ardsinba versucht offenbar, zunächst die russischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sowie den Ausgang des Tschetschenien-Konfliktes abzuwarten. Da sich Moskau zur Zeit von Ardsinba zunehmend distanziert, könnte die abwartende Haltung Ardsinbas Abchasien möglicherweise in eine Isolation führen.

    In Rußland gibt es sowohl im Parlament als auch unter den Militärs Kräfte, die den Anschluß Abchasiens an die Russische Föderation bzw. einer unabhängigen abchasischen Republik an die GUS befürworten. Die Regierungsmannschaft Präsident Jelzins hält aus verschiedenen Gründen jedoch an der territorialen Integrität Georgiens und der Autonomie Abchasiens in einem föderativen Georgien fest: Vor allem ist da das Interesse an Stabilität im Kaukasus und Anerkennung der hegemonialen Rolle Moskaus durch Georgien. Hinzu kommt der Krieg in Tschetschenien, den Rußland mit dem Hinweis auf das Völkerrechtsprinzip der territorialen Integrität rechtfertigt. Dieses Prinzip kann selbstverständlich auch Georgien in Anspruch nehmen. In diesem Zusammenhang lösten die Bemerkungen des Vorsitzenden des russischen Föderationsrates, Wladimir Schumejko, der den abchasischen Separatisten Ardsinba mit dem tschetschenischen Separatisten Dudajew verglich, heftigen Widerspruch sowohl in der Staatsduma als auch in Tatarstan aus (ITAR-TASS, 14.7.95; INTERFAX, 17.7.95).

    In Georgien tritt Präsident Schewardnadse für eine Verhandlungslösung ein, weshalb auch in der neuen georgischen Verfassung der Status Abchasiens ausgeklammert ist. Der "Mchedrioni"-Führer Ioseliani sowie das abchasische Exilparlament befürworten dagegen (dem Beispiel der kroatischen Armee folgend) eine militärische Lösung des Abchasien-Konflikts.

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    V. Wirtschaftslage

    Eine Folge des georgischen Unabhängigkeitskampfes und der Trennung Georgiens von der UdSSR in den Jahren 1990-91 war die Zerrüttung der georgischen Volkswirtschaft. Die im Dezember 1990 von Moskau verordnete Wirtschaftsblockade gegen Georgien führte zum rapiden Rückgang der Produktion in Industrie und Landwirtschaft. Vor allem in Tiflis stieg die Arbeitslosigkeit auf 40%. 1992 betrug die jährliche Inflationsrate bereits 1.339%. Zwar hatte Georgien zuvor den Bedarf der UdSSR an Tee (95%), Zitrusfrüchten, Wein und Mangan gedeckt. Auch wurden in Georgien Teile der MIG-Kampfflugzeuge und der SU-25, Elektronik zu militärischen Zwecken, Elektrolokomotiven, Computer, Lastwagen u.a. produziert. Doch war die wirtschaftliche Abhängigkeit Georgiens von der UdSSR wesentlich größer als umgekehrt. Die Versuche Gamsahurdias, die katastrophale Lage in der Energieversorgung 1991/92 mit Hilfe Rußlands, Turkmenistans und der Ukraine zu verbessern, blieben ohne Erfolg. Als Schewardnadse 1992 die Macht übernahm, befand sich das Land - belastet durch Sezessionskriege in Südossetien und Abchasien, den Bürgerkrieg gegen die Gamsahurdisten in Westgeorgien und die Spannungen im Verhältnis zu Rußland - am Rande einer wirtschaftlichen Katastrophe. Da auch der Westen kein Interesse an Georgien zeigte, schlidderte das Land geradewegs in eine ökonomische Isolation. Schewardnadse mußte erkennen, daß, um den Zerfall der georgischen Wirtschaft zu verhindern, an Rußland und einem GUS-Beitritt kein Weg vorbeiführt.

    Obwohl Georgien in den ersten drei Jahren seiner Unabhängigkeit der GUS nicht beigetreten war, blieb es eigenartigerweise trotzdem in der Rubelzone. Die Moskauer Zentrale stellte jedoch Georgien nicht genügend Rubel zur Verfügung. Zur Warenknappheit gesellte sich nunmehr auch eine Geldknappheit. Die im April 1993 eingeführten Kupons als Parallelwährung führten zu einer Hyperinflation. Erst 1994 gelang es, die Kupons gegenüber dem US-Dollar stabil zu halten. Die monatliche Inflationsrate lag durchschnittlich bei 3%. Wann die neue georgische Währung Lari eingeführt wird, steht noch nicht fest. Geplant war dies für Herbst 1995.

    Erst 1995 zeichnete sich eine Verbesserung der Wirtschaftslage Georgiens, zunächst vor allem im Dienstleistungsbereich, ab. Etwa die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts wird jedoch nach wie vor von der Schattenwirtschaft erbracht. Die Privatisierung nahm Georgien frühzeitig (1992) in Angriff. Bis 1995 wurden rund 2.200 Kleinbetriebe und über 600 große Betriebe privatisiert. Mit der Herausgabe von Privatisierungsscheinen (Vouchers) im Sommer 1995 wurde der Privatisierungsprozeß fortgesetzt. Die Privatisierung der Landwirtschaft erfolgte bereits im Januar 1992 durch die quasi zwangsweise Auflösung von Sowchosen und Kolchosen. Doch die Landbevölkerung zeigte bislang wenig Initiative, zur privaten Kleinbauernwirtschaft überzugehen. Das Problem der Energieversorgung des Landes blieb ungelöst, da das Wasserkraftwerk Inguri und das Wärmekraftwerk von Gardabani nach wie vor stillstehen.

    Der mit Hilfe Rußlands zustandegekommene Sieg der Abchasen über Georgien zwang Tiflis zwar, der GUS beizutreten, doch haben sich seitdem die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen Georgiens zu den GUS-Staaten nicht wesentlich verbessert. Über Georgiens Schulden gegenüber Rußland in Höhe von 150 Mill. Dollar wurde im Juni 1995 ein Umschuldungsabkommen vereinbart. Es sieht einen Zahlungsaufschub bis 1998 vor. Außer gegenüber Rußland hat Georgien Schuldenrückzahlungsverpflichtungen gegenüber den GUS-Staaten Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan. Die gesamten Auslandsschulden Georgiens belaufen sich auf über 1 Mrd. $. Zu den weiteren Kreditgebern Georgiens zählen Österreich, China, Iran und die Türkei.

    Erst 1995 zeigte sich der Internationale Währungsfonds (IMF) - und damit auch der Westen - bereit, durch Kredite zur politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung Georgiens beizutragen. Der IMF gewährte Georgien im Juni 1995 zur Stützung der Zahlungsbilanz einen Kredit von 44 Mill. $. Die Weltbank stellte zur Modernisierung der Energiewirtschaft sowie des Transport- und Gesundheitswesens 162 Mill. $ zur Verfügung. Deutschland bewilligte im Februar 1995 insgesamt 50 Mill. DM zur Modernisierung der georgischen Landwirtschaft und des Energiesektors.

    Georgien mißt der wirtschaftlichen Kooperation der Schwarzmeerländer große Bedeutung bei, in deren Rahmen Tiflis neuerlich versucht, Georgien als Transitweg für das Erdöl des Kaspischen Meeres anzubieten. Georgien und die Türkei sind sich einig, das Erdöl über die Pipeline Baku-Samgori-Batumi in die Türkei zu befördern. Auch sieht Tiflis die Möglichkeit, das Erdöl von Batumi aus per Schiff direkt nach Bulgarien, Italien, Spanien oder Rumänien zu liefern.

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    VI. Rußland als Hegemonialmacht

    Als Georgien im März 1990 seine Unabhängigkeit erklärte und Gamsahurdia den Kampf für die Anerkennung von Georgiens Austritt aus dem kommunistischen Imperium aufnahm, befand sich die Perestrojka Gorbatschows bereits auf dem Rückzug. Moskau ging dazu über, die an die Macht gekommenen nichtkommunistischen Regierungen in Georgien und Armenien zu destabilisieren. Dabei wurde die bewährte Taktik "teile und herrsche" angewandt. Auf den Konfrontationskurs Gamsahurdias reagierte Moskau mit der Manipulierung der Südosseten im Konflikt mit Tiflis. Gamsahurdia unterstützte dagegen die nationalen Bewegungen der Völker des Nordkaukasus und baute enge Beziehungen zu Dudajew in Tschetschenien auf. Moskau wandte abwechselnd je nach Interessenlage das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts und das Prinzip der Integrität des Staatsterritoriums an. In Georgien unterstützte es das Recht der Osseten und Abchasen auf Selbstbestimmung und Autonomie bzw. gar Unabhängigkeit, im Falle Tschetschenien beharrte es auf dem Prinzip der territorialen Integrität. Der damalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse widersetzte sich allen Versuchen Georgiens, auf der internationalen Ebene eine eigenständige Rolle einzunehmen. Noch im Frühjahr 1992 machten die USA die Anerkennung der georgischen Unabhängigkeit von Garantien für die Presse- und Religionsfreiheit sowie der Durchführung einer Bodenreform abhängig, obwohl Washington zu dieser Zeit schon längst zu allen anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion diplomatische Beziehungen aufgenommen hatte (SZ, 10.9.91 und 16.3.92). Für Georgien, das nicht über demokratische Traditionen verfügt, galt jedoch das Primat der staatlichen Einheit vor Demokratie. Die Hoffnung der Georgier, daß diese Frage mit Boris Jelzin und der allgemeinen Demokratisierung Rußlands gelöst werden könnte, wurde nicht erfüllt. Auch für Jelzins Rußland blieb die Schlüsselfrage in den georgisch-russischen Beziehungen, wie lange sich Gamsahurdia an der Macht halten könne.

    Auch nach der Machtübernahme Schewardnadses 1992 in Georgien trat keine Verbesserung in den russisch-georgischen Beziehungen ein. Strittige Fragen waren der Abzug der in Georgien stationierten Truppen des Transkaukasischen Militärbezirks, die georgischen Überfälle auf russische Militärdepots und das seismographische Labor des russischen Verteidigungsministeriums in Eschery (Abchasien) sowie die Überlassung der russischen Militärtechnik an Georgien. Rund 20.000 russische Soldaten waren in Georgien, die meisten von ihnen in Abchasien, stationiert. Rußland überließ Georgien 109 Panzer, 203 gepanzerte Fahrzeuge und 13 Artillerie-Systeme. Als der russische Verteidigungsminister Gratschow im März 1993 Adsharien und Abchasien besuchte, erklärte er, daß es die Aufgabe der russischen Soldaten sei, die Interessen Rußlands zu verteidigen (AFP, 2.3.1993). Gemeint waren damit vor allem der Zugang Rußlands zum Schwarzen Meer und die damit verbundene Frage von Stützpunkten für die Schwarzmeerflotte. Moskau begann nunmehr verstärkt, auch die Abchasen zu manipulieren. Der Konflikt Georgiens mit Südossetien und Abchasien wandelte sich zu einem russisch-georgischen Konflikt um. Moskau unterstützte den Sezessionskrieg der Abchasen und mischte sich damit offen in die inneren Angelegenheiten Georgiens ein. Rußland wurde zu einer der Konfliktseiten und übernahm zugleich die Rolle des Vermittlers. Am 8. Oktober 1993 unterzeichneten Rußland und Georgien einen Vertrag über den Status der russischen Truppen in Abchasien. Danach überließ Georgien Rußland den Luftwaffenstützpunkt bei Gudauta und gewährte Stützpunktrechte für die russische Schwarzmeerflotte im Hafen von Poti. Zu diesem Zeitpunkt hatte Georgien den Krieg in Abchasien bereits verloren. In Westgeorgien standen die Truppen Schewardnadses im Kampf gegen die Gamsahurdisten kurz vor ihrer endgültigen Niederlage. Mit russischer Hilfe gelang es schließlich Ende 1993, Schewardnadse an der Macht zu halten. Den Preis dafür zahlte Schewardnadse durch den Beitritt Georgiens zur GUS und die Stationierung russischer Truppen auf georgischem Territorium. Der Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages, dessen Entwurf bereits im März 1993 vorlag, stand nichts mehr im Wege.

    Der russisch-georgische Freundschaftsvertrag, ein Handelsabkommen sowie ein Abkommen über wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit wurden am 3. Februar 1994 in Tiflis unterzeichnet. Zuvor hatte Georgien bereits Freundschaftsverträge mit Frankreich (Januar 1994) und Iran (Januar 1993) abgeschlossen. Am 22. März 1995 wurden in Tiflis zwischen Rußland und Georgien Militärabkommen über die Errichtung russischer Militärbasen auf georgischem Territorium, die militärische und militärtechnische Zusammenarbeit sowie die Schaffung eines gemeinsamen Luftabwehrsystems im Rahmen der kollektiven Sicherheit der GUS paraphiert. Nach dem Willen von Tiflis sollen diese Militärabkommen erst in Kraft treten, wenn die Oberhoheit Georgiens über Südossetien und Abchasien gesichert ist. Das gleiche gilt auch für das geplante GUS-Grenzschutzabkommen, wonach russische Grenztruppen die georgisch-türkische Grenze sichern. Die russischen Militärbasen in Georgien befinden sich in Wasiani (Luftstützpunkt), Batumi (145. motorisierte Infanterie-Division), Achalkalak (147. motorisierte Infanterie-Division) und Gudauta (Fallschirmjägergeschwader). Der Generalstabschef der Streitkräfte der USA, John Shalikashvili, soll sich bei seinem Georgien-Besuch im Mai 1995 mit der Notwendigkeit einverstanden erklärt haben, daß auf dem Territorium Georgiens russische Militärstützpunkte geschaffen werden und fortbestehen (Interfax, 22.5.95).

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