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[AUSSENPOLITIKFORSCHUNG]
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IV. Handeln

Wie kann und sollte auf die analysierten Herausforderungen eingegangen werden? Dazu wird rekapituliert, warum gehandelt werden muß („Gründe"), welcher Richtschnur das Handeln folgen sollte („Leitlinie"), woran es sich ausrichten sollte („Prinzipien"), was es erfordert („Mandat"), welche grundlegenden Schritte notwendig sind („Antworten") und welche Spannungen dabei auftreten können („Konflikte").

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1. Gründe

Warum deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nicht daran vorbeikommt, sich der globalen Herausforderungen von Umwelt- und Ressourcenschutz, Bevölkerungswachstum, Migration und Proliferation anzunehmen, wurde im vorstehenden Kapitel „Implikationen" nachgewiesen. Hier genügt es deshalb, zwei zusätzlich motivierende Aspekte anzusprechen.

Der erste ist die vielbeschworene „gewachsene Verantwortung des vereinten Deutschland". Als ein geteiltes Land, durch dessen Mitte die politisch-militärische Nahtstelle der Ost-West-Konfrontation verlief, war Deutschland zur Zeit des Kalten Krieges besonders verwundbar und nur begrenzt souverän. Nach seinem Ende haben sich der Handlungsspielraum Deutschlands und die ausländischen Erwartungen an seine Regierung vergrößert. [ Vgl. Eckhard Lübkemeier, The United Germany in the Post-Bi polar World, Interna tionale Politik und Gesellschaft , 2/1994, S. 151-153.]

Die in diesem Sinne gestiegene Bedeutung Deutschlands wird regelmäßig zitiert, wenn eine stärkere deutsche Beteiligung an internationalen Militäroperationen angemahnt wird. Unstrittig ist jedoch auch bei ihren Befürwortern, daß damit keine Konflikte zu lösen sind. Deutschlands gewachsenes Gewicht im Interesse seiner Bürger verantwortlich zu gebrauchen heißt deshalb in erster Linie, einen größeren Beitrag zur zivilen Konfliktverhütung und -regelung zu leisten.

Der zweite Aspekt betrifft die Chancen einer solchen Strategie. Im Kalten Krieg waren Sicherheit und Sicherheitspolitik militärisch geprägt: Immense Ressourcen und Aufmerksamkeit wurden absorbiert von dem Bemühen, durch Rüstung und Rüstungskontrolle die existentielle Bedrohung einer militärischen Eskalation des Ost-West-Antagonismus zu verhindern. Ein Angriff auf eigenes oder Bündnisgebiet ist für Deutschland nach wie vor der bedrohlichste, heute aber auch der unwahrscheinlichste Fall. [ So auch das Bundesministerium der Verteidigung (vgl. Weißbuch 1994 (Kap. II, Anm. 131), Ziff. 508).] Die militärpolitische Lage erlaubt es deshalb, Konsequenzen aus der allseits akzeptierten Auffassung zu ziehen, daß nicht-militärische Sicherheitsfragen an Bedeutung gewonnen haben.

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2. Leitlinie: „Solidarisches Handeln"

Als Richtschnur staatlichen und individuellen Handelns, das gemein- und globalverträglich ist, hat sich der Begriff „nachhaltige Entwicklung" („sustainable development") durchgesetzt. Nachhaltige Entwicklung will zum Ausdruck bringen, daß soziale und ökologische Entwicklung zwei Seiten einer Medaille sind: Nur eine Entwicklung für und durch die Menschen kann umweltgerecht sein, und nur eine umweltschonende Entwicklung sichert die Lebensgrundlage der Menschheit. [ Zum Konzept "sustainable development" vgl. Harborth (Kap. III, Anm. 7), S. 231-247; Fritz Vorholz, Die Last der Hedo nisten, Die Zeit , 22.7.1994, S. 15-16 und Günter Vorholz, The Sustainable Development Approach, Intereconomics , Juli/August 1994, S. 194-198.] Dies ist auch der Kern des hier gewählten Leitbegriffs „solidarisches Handeln". Aber mehr noch als nachhaltige Entwicklung macht er zweierlei deutlich:

• Es gibt eine kollektive und individuelle Verantwortung, aus der eine Verpflichtung zum Tätigwerden erwächst.

• Dieses Handeln muß auf Solidarität abzielen, d.h. es muß sich ausrichten nicht allein am eigenen, sondern auch am Wohl der Mitmenschen, der Umwelt und der Nachkommen. Denn nur eine solche Doppelorientierung sichert langfristrig die sozialen und Grundlagen von Entwicklung.

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3. Prinzipien

Globale Herausforderungen erfordern „solidarisches Handeln" als Leitlinie. Für ihre praktische Umsetzung sind drei Prinzipien entscheidend:

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Prävention

Gefährdungen und Konflikte, die nicht auftreten, können auch keine Bedrohung der eigenen Sicherheit darstellen. Vorbeugendes Handeln (bzw. Unterlassen) muß deshalb strategiebestimmend sein.

Dabei müssen Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge und ihre Konsequenzen in Kauf genommen werden. Vorbeugendes Handeln sieht sich mit dem Problem konfrontiert, daß sich der Beweis, warum etwas nicht passiert ist, in der Regel noch schwerer führen läßt als die Zurechnung von Ursache und Wirkung, wenn etwas passiert ist. Und ob die Gefahren einer Klimaänderung mit verheerenden Folgen, einer drastischen Ressourcenverknappung oder weiter anschwellender Migrantenströme real sind, wird man endgültig erst wissen, wenn sie eingetreten sind. Die dann drohenden Schäden könnten jedoch die Kosten einer rechtzeitigen Vorsorge um ein Vielfaches übersteigen. Angesichts dieses Risikos darf auf letzte wissenschaftliche Klarheit nicht gewartet werden. [ Vgl. Rio-Deklaration (Anm. 8), Grundsatz 15 sowie Art. 3 des ebenfalls in Rio abgeschlossenen Klima-Rah menübereinkommens (ebd., S. D 35) und die bereits zitierte Passage aus dem "Umweltgutachten 1994" (Kap. III, S. 52-53). Das gilt natürlich nicht nur für den Umwelt schutz, sondern für alle Maßnahmen, die dazu beitra gen, Konflikte und humanitäre Ka tastrophen zu verhindern.]

Vorbeugendes Handeln heißt, solidarische Entwicklung weltweit zu fördern. Entwicklung braucht Sicherheit, und Sicherheit kann auch eine militärische Komponente erfordern, um sich und andere gegen Gewalt durch Dritte zu schützen. Aber über diese passive Schutzfunktion hinaus hat das Militär keine eigenständige Existenzberechtigung. Der Präventionsgedanke verlangt deshalb zwingend, nicht-militärischen Mitteln und Maßnahmen den eindeutigen Vorrang einzuräumen.

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Kooperation

Solidarisches Handeln setzt auf Kooperation und Konsens. Globale Gefährdungen sind eine Herausforderung für die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, aber allein kann sie ihnen wegen ihres globalen Charakters nur ungenügend begegnen. Sie kann aber auch nur sehr begrenzt andere gegen ihren Willen zu einem gewünschten Verhalten bewegen. Folglich bleibt sie auf ihr freiwilliges Mitwirken angewiesen.

erschaffen.

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Eigenverantwortung

Eigenverantwortliches Handeln ist die Kehrseite von Kooperation. Denn freiwillige und dauerhafte Kooperation lebt davon, daß jeder Partner den Eindruck hat, der andere erbringt die ihm zumutbare Gegenleistung. Das gilt insbesondere dann, wenn es darum geht, Änderungen und Anpassungen vorzunehmen, die auch Lasten mit sich bringen.

Technologische Verbesserungen können Entlastung bringen, aber sie sind kein Ersatz für solidarisches Handeln. [ So auch das "Umweltgutachten 1994": "Der Umweltrat emp fiehlt deshalb, nicht nur al lein auf eine dauerhafte Wirk samkeit der technischen Reduktionspotentiale im Energiever brauch zu hoffen. Hierzu müssen Entlastungspo tentiale nichttechnischer Art, z.B. im Rahmen von Ver haltens änderungen, aktiviert werden, um den Pro-Kopf-Ver brauch und den Gesamtver brauch zu senken." (Kap. III, Anm. 51, S. 22-23). ] Das gilt für Individuen und Kollektive gleichermaßen. Wer als Bürger in einer Demokratie die Freiheit der Wahl beansprucht, trägt auch die Verantwortung dafür, daß die Folgen seines Handelns gemeinwohlverträglich sind. Denn nur die Gemeinschaft garantiert dem einzelnen jene Rechts- und Versorgungssicherheit, die ihm Freiheit ermöglicht. Jeder Bundesbürger hat deshalb durch solidarisches Handeln dazu beizutragen, globale Gefährdungen abzuwenden, die seine Sicherheit beeinträchtigen können. [ An die Verantwortung des einzelnen erinnern auch Klaus Michael Meyer-Abich und Michael Müller, Stellt euch vor, jeder fängt mit der Umweltpolitik bei sich selbst an, FR , 30.7.1994, S. 14.]

Globale Herausforderungen lassen sich nur durch internationale Kooperation bewältigen. Dazu sind und bleiben die Staaten die wichtigsten Akteure. Das Erfordernis der Kooperation entbindet jedoch keinen Staat von seiner Verantwortung zu solidarischem Handeln in seinem Hoheitsbereich. Im Gegenteil: Wer seiner Verantwortung dort gerecht wird, wo er souverän ist, kann nicht nur Gleiches von anderen erwarten, sondern regt zu gemeinsamem Handeln an, indem er Machbarkeit und guten Willen demonstriert.

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4. Mandat

Auch wenn politische Entscheidungsträger nicht populistisch handeln - in Demokratien brauchen sie die Unterstützung der Mehrheit. Wenn aber diese Mehrheit aus Bequemlichkeit, Unwissenheit oder gar wider besseres Wissen nicht bereit ist, ein Mandat zu notwendigem solidarischen Handeln zu erteilen, hat, wer nicht auf den risikoreichen Krisenschock setzen will, nur eine ebenso altmodische wie häufig frustrierende Möglichkeit: Problembewußtsein und Veränderungsbereitschaft schaffen durch aufklärerische Kärrnerarbeit und durch das Vorbild solidarischen Handelns. Das kostet Zeit, vielleicht sogar mehr Zeit, als rückblickend zur Verfügung stand. Aber erstens weiß dies heute niemand, und zweitens gibt es keine weniger gewagte Alternative.

Ein Reformmandat bekommt nur, wer verdeutlichen kann, daß Veränderungen am für viele bequemen Status quo in ihrem eigenen Interesse sind. Das wurde im Kapitel III („Implikationen") versucht. Vor Untergangsvisionen wie auch vor Verharmlosungen sei allerdings nochmals gewarnt: Gegen die Apokalyptiker ist einzuwenden, daß (solidarisch) gehandelt werden kann, den Schönfärbern ist entgegenzuhalten, daß gehandelt werden muß.

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5. Antworten

Die nachfolgenden Empfehlungen sind nicht neu, sondern greifen bekannte Vorschläge auf. Es geht auch nicht darum, neue Antworten zu geben. Denn das Kernproblem liegt darin, daß für erforderliche Veränderungen vielfach immer noch das demokratische Mandat fehlt.

Bevor gesagt wird, was zu tun ist, muß an den Unterschied zwischen primären und sekundären Gefährdungen erinnert werden. Umwelt- und Ressourcenschutz, Bevölkerungswachstum, Migration und Proliferation sind globale Herausforderungen, die nicht ausschließlich, aber doch maßgeblich auf die östliche, westliche und südliche Transformationskrise zurückgehen. Jede Strategie muß sich deshalb auf diese Wurzeln konzentrieren, ohne jedoch über dieser Langzeitaufgabe das flankierende und zuweilen kurzfristige Reagieren auf Krisensymptome zu vernachlässigen. Die zentrale Frage ist daher, was Deutschland zur Bewältigung der drei Transformationskrisen beitragen kann.

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Transformationskrise West

Solidarisch Handeln beginnt dort, wo kollektive und individuelle Verantwortung am größten sind. Aber nicht nur dieses Leitprinzip, auch das Präventionsgebot erfordert eine Änderung der eigenen Produktions- und Lebensweise.

Produzenten und Konsumenten müssen sich umwelt- und ressourcenschonender verhalten. Das Kernprinzip ist klar: Die Kosten von Umwelt- und Ressourcenbelastung müssen stärker als bisher internalisiert, d.h. dem Verbraucher und Verschmutzer in Rechnung gestellt werden. Auf diese Weise werden Produzenten und Konsumenten, die individuelle Nutzenmaximierung betreiben, dazu angehalten, dieses Ziel ökologieverträglicher zu verfolgen.

Hauptinstrument ist eine ökologisch orientierte Steuerreform, die den Verbrauch von Ressourcen und die Belastung von Luft, Boden und Wasser mit Schadstoffen verteuert. Neben höheren Kosten durch Steuern und Abgaben sind auch administrative Maßnahmen und Auflagen zu erwägen. Zu ersteren gehören Ausbau und Verbesserung des Schienenverkehrs gegenüber dem Straßenverkehr, zu letzteren Mengenbegrenzungen etwa bei Kohlendioxidemissionen oder beim Kraftstoffverbrauch von Automobilen. [ Vgl. Enquete-Kommission (Kap. II, Anm. 42, S. 100) und DIW, Wochenbericht , 22/1994, S. 364.]

Der Einwand, man könne nicht allein handeln, weil dies die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland gefährde, liefert kein Alibi für Untätigkeit. Erstens kann sich eine umweltpolitische Vorreiterrolle auch ökonomisch rechnen. Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung fand keine Anhaltspunkte, daß sich die im internationalen Vergleich höheren deutschen Umweltschutzausgaben nachteilig auf die Standortqualität ausgewirkt hätten. Auf den schnell wachsenden Märkten für Umweltschutzgüter gehören deutsche Unternehmen zu den führenden Wettbewerbern. [ DIW, Umweltschutz und Standortqualität in der Bundesrepu blik Deutschland, Wo chenbericht , 16/1993, S. 199-206.]

Zweitens kann national kompensiert werden, indem zum Beispiel höhere Energiesteuern durch Entlastungen an anderer Stelle ausgeglichen werden. Drittens kann der Staat umweltschonendes Verhalten auf vielfache Weise fördern: als Nachfrager und Anbieter (etwa im Falle der Verkehrsmittel), durch die Vergabe von Forschungs- und Entwicklungsgeldern oder durch Anreize (Steuern, Abgaben, Prämien) und Verbote (z.B. Einwegflaschen). Viertens bestimmt jeder einzelne Bürger als Nachfrager und Handelnder mit, wie umweltschonend in Deutschland produziert und konsumiert wird.

Deutsche Eigenverantwortlichkeit bedeutet keinerlei Abschwächung des Kooperationsgebots. Der Westen insgesamt, nicht Deutschland allein, befindet sich in einer Transformationskrise. Sie kann nur durch eine gemeinsame Anstrengung überwunden werden, weil es darum geht zu demonstrieren, daß die westliche Produktions- und Lebensweise mit nachhaltiger Entwicklung vereinbar gemacht werden kann. Dabei tragen die führenden Länder eine besondere Verantwortung. Wenn der politische Wille aufgebracht würde, könnte deshalb die vielgestellte Frage nach Sinn und Nutzen der G-7-Runde leicht beantwortet werden: Das Gremium müßte sich auf eine langfristige Transformation der eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verständigen, die sie global- und zukunftsverträglich macht.

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Transformationskrise Ost

Es gibt Grenzen der westlichen Einflußnahme auf die östliche Transformationskrise. Deutschland und seine westlichen Partner können finanzielle und technische Unterstützung leisten, und vor allem und am wichtigsten können sie ihre Märkte öffnen. Mehr als Hilfe zur Selbsthilfe im doppelten Sinne ist jedoch nicht möglich. Zum einen zur Förderung von privatwirtschaftlicher Kooperation zwischen und innerhalb von Unternehmen, deren autonome Entscheidungen Quantität und Qualität von Handel und Investitionen maßgeblich bestimmen. Zum anderen zur Förderung der Eigenverantwortung der Reformstaaten; denn selbst für die kleineren von ihnen gilt, daß ihnen von außen eine Bewältigung ihrer Transformationsprobleme nicht abgenommen werden kann.

Das entbindet allerdings umgekehrt den Westen nicht davon, die Selbsthilfe durch Hilfe zu erleichtern. Ihre Wirkung wird je nach Größe des Landes und Intensität seiner Probleme unterschiedlich ausfallen. Im Falle Rußlands ist diese Wirkung vielleicht am geringsten; das wenige, was getan oder unterlassen werden kann, ist gleichwohl unverzichtbar, weil Rußlands Entwicklung für andere auch die größten Risiken und Chancen birgt, und weil unklar ist, wie gering die äußeren Einflußmöglichkeiten tatsächlich sind.

Im Falle Rußlands und anderer Länder wie der Ukraine sind sie auch deshalb geringer, weil diese Staaten nicht für eine Aufnahme in die Europäische Union in Frage kommen. Für Staaten wie Polen, Ungarn oder die Tschechische Republik hingegen ist die Aussicht auf EU-Mitgliedschaft eine Stütze ihres Reformprozesses. Das kann sie aber nur solange sein, wie diese Perspektive glaubwürdig ist. Dafür zu sorgen und innerhalb der EU zu werben, liegt im deutschen Interesse.

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Transformationskrise Süd

Eigenverantwortlichkeit auf beiden Seiten gilt auch für das West-Süd-Verhältnis. Auf seiten Deutschlands und seiner westlichen Partner beginnt solidarisches Handeln mit der Bewältigung ihrer eigenen Transformationskrise. Neben dieser grundlegenden ökologischen Reform geht es um ökonomische und politische Veränderungen, um den externen Gründen der südlichen Transformationskrise zu begegnen. Da sie bereits ausführlich dargelegt worden sind, können hier Stichworte genügen: [ Vgl. Kap. II, Abschn. 2.3.]

• Abbau von Protektionismus und Exportsubventionen, die Produzenten in Entwicklungsländern Märkte nehmen;

• Verminderung der Schuldenlast durch Erlaß und Umschuldung;

• Erhöhung der öffentlichen Hilfe bei verstärkter Förderung ärmerer Länder und benachteiligter Gruppen (Grundschulbildung, Gesundheitsversorgung, Frauen, Ernährung);

- Orientierung der öffentlichen Hilfe („Konditionalität") an „good governance"-Kriterien; [ Vgl. Kap. II, Abschn. 2.3.]

• Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe, die alle Politikbereiche bindet;

• Verminderung von Rüstungsexport und bessere Kontrolle rüstungsrelevanter Exporte.

Eigenverantwortung auf seiten der Entwicklungsländer heißt, die inneren Voraussetzungen für wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fortschritt zu schaffen. Stichwortartig gehören dazu:

• ein nationaler Konsens zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, der verläßliche Rahmenbedingungen schafft;

• angemessene makroökonomische Politik (Haushaltsdisziplin, niedrige Inflationsrate, realistische Wechselkurse, Importrestriktionen zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit);

• Investitionen in die Leistungsfähigkeit der Menschen (Bildung, Gesundheit);

• effiziente Staatsapparate;

• Offenheit gegenüber Kapital und Technologie aus dem Ausland.

Die Bewältigung der drei Transformationskrisen als primäre Gefährdungsquellen deutscher Sicherheit ist eine strategische Langzeitaufgabe. Parallel dazu kann nicht auf Maßnahmen verzichtet werden, die mehr auf die Symptome als die Ursachen der Krisen abstellen.

Was die Migration betrifft, fehlt es zum Beispiel an einer geregelten Zuwanderungspolitik. Nicht nur, aber besonders in Deutschland ist dies bisher ein Tabuthema. Dabei ist klar, daß Zuwanderung stattfindet, daß Deutschland innerhalb von EU-Europa das bevorzugte Ziel ist und daß angesichts einer schrumpfenden Bevölkerung eine Zuwanderung durchaus positive Effekte haben könnte. Aber eben nur, wenn sie kontrolliert und konsequent zugleich erfolgt: Einerseits heißt das Bestimmung der Konditionen der Einwanderung (Kontingente, Qualifikation der Einwanderer) an den Interessen des Aufnahmelandes, und andererseits bedeutet es rasche und vorbehaltlose Integration der Zugewanderten (Staatsangehörigkeitsrecht, materielle Hilfen, Werbung für Einwanderung als willkommene Bereicherung statt geduldeter Notlösung). [ Vgl. zum Gesamtkomplex Klaus J. Bade (Hrsg.), Das Mani fest der 60. Deutschland und die Einwanderung, München 1994; Ursula Mehrländer und Günther Schultze, Einwanderungskon zept für die Bundesrepublik Deutschland - Fakten, Argu mente, Vor schläge, Friedrich-Ebert-Stiftung, 1992 und Werner Weidenfeld und Olaf Hillenbrand, Wie kann Europa die Immigration bewälti gen? Möglichkeiten und Grenzen eines Ein wanderungskonzepts, Europa-Archiv , 1/1994, S. 1-10.]

Das Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern ist eine Begleiterscheinung der südlichen Transformationskrise. Auf dieses Symptom gerichtete Maßnahmen sind gleichwohl notwendig und erfolgversprechend. Seitdem sichere und wirkungsvolle Verhütungsmethoden allgemein zugänglich wurden, hat es zum Beispiel eine „reproduktive Revolution" gegeben: Waren es 1960 in Asien, Afrika und Lateinamerika nur rund 20 % der Frauen im gebärfähigen Alter, die Verhütung betrieben, sollen es heute 55 % sein. [ Vgl. UNFPA 1994 (Kap. II, Anm. 108), S. 23.] Der UN-Bevölkerungsfonds hat eine umfassende „Agenda für reproduktive Gesundheit" vorgeschlagen, die u.a. zum Ziel hat, diese Quote weiter zu erhöhen. [ Vgl. ebd., S. 33-40.]

Auch die Verbreitung von Waffen und waffenfähiger Technologie ist ein Krisensymptom. In Westeuropa und im transatlantischen Verhältnis hat sich gezeigt, daß Demokratien auf militärische Abschreckung untereinander verzichten können, weil Konflikte für alle verläßlich nur noch gewaltfrei ausgetragen werden. [ Vgl. Kap. II, Abschn. 1.] Dieses „Modell" mag an Bedingungen geknüpft sein, die nicht globalisierbar sind. Es belegt aber, daß Frieden ohne Waffen zwischen Staaten möglich ist.

Die globale Herausforderung der Proliferation erlaubt es aber nicht, auf den Ausbruch des Weltfriedens oder die Einsetzung einer UN-Weltregierung zu warten. Wichtige Elemente einer Anti-Proliferationspolitik sind:

• Exportbeschränkungen und -kontrollen für Rüstungsgüter und rüstungsrelevante Produkte und Verfahren auf nationaler und internationaler Ebene;

• Stärkung der Nichtverbreitungsregime (z.B. unbegrenzte Verlängerung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, gekoppelt mit Stopp von Kernwaffentests und der Spaltstoffproduktion für militärische Zwecke; Durchführung der nuklearen Abrüstungsabkommen START I und II; Kernwaffenregister; Verbesserung des Überwachungsregimes der IAEO);

• Rüstungskontroll- und Abrüstungshilfen (Konversion, Verschrottung und Entsorgung, Einrichtung von Exportkontrollregime, Unterstützung regionaler Rüstungskontrolle);

- Sanktionen gegen Proliferatoren (z.B. Entzug von Hilfe, Handelsbeschränkungen bis hin zu Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII der UNO-Charta). [ Vgl. Joachim Krause, Aufgaben und Instrumente künftiger Nonproliferationspolitik, in: Wolfgang Heydrich u.a. (Hrsg.), Sicherheitspolitik Deutschlands: Neue Konstella tionen, Risi ken, Instrumente, Baden-Baden 1992, S. 709-733; Müller (Kap. II, Anm. 129), S. 187-188 und Weißbuch 1994 (Kap. III, Anm. 45), Ziff. 492.]

Derartige Maßnahmen müssen Vorrang haben vor militärischen Schutzvorkehrungen, die sich nicht zuletzt in dem Maße aufdrängen, in dem selbstverschuldete Versäumnisse der zivilen Anti-Proliferationspolitik begangen werden. Gänzlich ausgeschlossen sollen sie aber nicht werden. Allerdings sollte es sich dabei nur um defensive Maßnahmen im Sinne von Abschreckung und nicht um offensive Optionen (Zerstörung militärischer Einrichtungen durch präemptiven Waffeneinsatz) handeln. [ Vgl. für die Risiken offensiver Optionen Marc Dean Millot, Facing the Emerging Reality of Regional Nuclear Adver saries, The Washington Quarterly , Sommer 1994, S. 47-49. (Millot plädiert allerdings vehement für andere mili tärische Gegenmaßnahmen, da er eine für die USA und ihre Verbündeten gefährliche Verbreitung nuklearer Waffen für unvermeidlich hält).]

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6. Konflikte

Antworten auf globale Herausforderungen lassen sich leicht finden. Weitaus schwieriger ist es, den politischen und individuellen Willen zu ihrer Umsetzung aufzubringen. Das hängt auch mit Prioritäten- und Zielkonflikten zusammen, für die einige Beispiele aufgeführt werden.

Auch um Widerstände gegen eine ökologische Transformation der westlichen Wirtschaft und Gesellschaft so gering wie möglich zu halten, sind die Umstellungsprozesse langfristig anzulegen und sozial abzufedern. Denn neben den von jedem einzelnen geforderten Verhaltensänderungen wird es ganze Gruppen geben, die befürchten werden, zu den Verlierern zu gehören. Kohle zum Beispiel verursacht von den fossilen Energieträgern (neben Kohle Erdöl und Gas) die meisten Kohlendioxidemissionen. Das deutsche Ziel einer 25-20 %igen Verminderung dieser Emissionen bis 2005 steht jedoch mit den beabsichtigten Kohleeinsatzmengen nicht im Einklang. [ So das Fazit von Reinhard Loske und Peter Hennicke, Klima schutz und Kohlepolitik. Überlegungen zu einem strukturel len Dilemma deutscher Energiepolitik, Wuppertal In stitut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal Papers , Nr. 5 (Sep tember 1993), S. 18.] Soll an ihm festgehalten werden und sind anderswo keine zusätzlichen Emissionsverringerungen zu erreichen, dürfte ein weiterer Arbeitsplätzeabbau im Krisensektor Bergbau nicht zu umgehen sein.

Wenn die ökonomische Transnationalisierung die internationale Standortkonkurrenz verschärft, kann dies die ökologische Transformation im Westen erschweren. [ Vgl. dazu Kap. II, Abschn. 2.2.] „Just-in-time"-Produktion [ Also die Reduzierung von Vorratshaltung zugunsten einer häufigen und genau termi nierten Belieferung mit Material und Vorprodukten.] beispielsweise ist wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens (insbesondere LKW-Verkehr) ökologisch schädlich, aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit aber möglicherweise nicht zu umgehen. Das verweist zurück auf einen grundsätzlich unaufhebbaren Konflikt. [ Vgl. Kap. II, Abschn. 2.2.] Die Antriebskräfte einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung sind Profitmaximierung und Wettbewerbsfähigkeit. Um beides zu erreichen, werden die Unternehmen immer versucht sein, ökologische und andere Kosten zu externalisieren, also nicht selbst tragen zu müssen, sondern auf andere (Umwelt, Gesellschaft, Staat) abzuwälzen. [ Dieser Versuchung unterliegt natürlich auch jeder ein zelne, wenn umweltschädigendes Verhalten nichts oder zu wenig ko stet, aber dem Eigennutz dient.]

Jede Hilfe hat angesichts begrenzter Ressourcen und (fast) unbegrenztem Bedarf Opportunitätskosten. Daraus ergibt sich nicht notwendigerweise eine Nullsummen-Konstellation: Was dem einen gegeben wird, wird dem anderen vorenthalten. Neue Herausforderungen können zusätzliche Unterstützung mobilisieren, wie dies auf westlicher Seite für die östliche Transformationskrise geschehen sein könnte. Das ändert aber nichts daran, daß den Entwicklungsländern mit den postkommunistischen Reformstaaten neue Konkurrenten um westliche öffentliche und private Mittel entstanden sind.

Das gilt nicht nur im Verhältnis des Westens zum Osten und Süden, sondern auch innerhalb des Westens. Eine Quelle des Widerstands gegen eine Ostöffnung der Europäischen Union ist die Befürchtung ihrer weniger entwickelten Länder, sich mit zusätzlichen Empfängern eine unzureichend aufgestockte EU-Aufbauhilfe teilen zu müssen. Überhaupt muß dafür Sorge getragen werden, daß eine wünschenswerte EU-Osterweiterung keine desintegrierenden Folgen für die bestehende Union hat.

Auch Welthandel und Umwelt- und Sozialschutz können in ein Spannungsverhältnis geraten. In vielen Ländern werden Billigexporte in den Westen unter ausbeuterischen Bedingungen und hoher Umweltbelastung hergestellt. Auf die Beseitigung solcher Mißstände muß hingewirkt werden. Werden jedoch die sozialen und ökologischen Mindeststandards zu hoch gesetzt, nimmt dies den Exportländern Entwicklungschancen und verschärft damit ihre Transformationskrise.

Solidarisches Handeln als Antwort auf globale Herausforderungen deutscher Sicherheit - darin vor allem sollte sich die gewachsene Verantwortung des vereinten Deutschland und seiner Bürger erfüllen. Ohne Partner geht das nicht, aber ohne Eigeninitiative auch nicht. Im Gegenteil: Wer seiner Verantwortung dort gerecht wird, wo er souverän ist, kann Gleiches von anderen erwarten und regt zu gemeinsamem Handeln an, indem er Machbarkeit und guten Willen zeigt. Global denken, lokal handeln ist ein oft gehörtes Motto. Es stimmt mit einer kleinen Ergänzung: Global denken, lokal und global handeln.


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