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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 73]



Margot von Renesse
Für ein Gesetz zur Förderung der Gleichbehandlung


Im Jahre 4 nach der Vereinigung ist der Umgang mit Fremden in unserer Gesellschaft ein Thema. Nicht nur im Osten, wo die jahrzehntelange Isolierung es erklären könnte, sondern auch im Westen, der sich über lange Zeit an Migration und Migranten gewöhnen konnte, brechen Agressionen gegen Menschen aus, die als Fremde kenntlich sind. Schon weit unterhalb der Schwelle von Straftaten sind diese Agressionen spürbar: in gehässigen Bemerkungen, in abweisender, mißtrauischer, manchmal schikanöser Behandlung durch Behörden, in Verweigerung von Normalität bei Umgangsformen, Dienstleistungen, Vertragsverhandlungen. Treten dabei Motive von Ablehnung der Fremden oder Fremdartigen in rechtlich relevanten Handlungen hervor, so sprechen wir von Diskriminierung.

Zur Moderne mit ihren gesellschaftlichen und individuellen Herausforderungen gehört die Erfahrung, daß das "Andere" uns ständig in unserem eigenen Lebensraum begegnet. Andere Traditionen, andere Werthaltungen, andere Alltagsgewohnheiten werden mitten unter uns gelebt. Verhaltenspluralität kennzeichnet unsere Gesellschaft. Die Konformitätssignale, die Übereinstimmung kenntlich machen und Orientierungshilfe geben, schwächen sich ab. Es sind keineswegs nur, aber unter anderem auch die Migranten aus anderen Herkunftsländern, die sich mit ihrem Anderssein von den vorgefundenen Daseinsformen abheben. Auf die Orientierung an Konformitätssignalen scheinen Menschen um so stärker angewiesen, je weniger sie der eigenen Identität und Wertigkeit sicher sind - je weniger einsichtige und handlungsorientierte Ziele, insbesondere auch auf politischem Felde, den Zusammenhalt der Gesellschaft begründen. Ist eine Selbst-Vergewisserung nicht aus der eigenen Substanz zu erreichen, so droht über die Wahrnehmung des Fremden als des Anderen dessen Stigmatisierung, Diskriminierung und gesellschaftliche Ausgrenzung.

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So ist nicht verwunderlich, daß Ablehnung und Haß auf alles Andersartige und Fremde gerade in den Jahren nach der Wiedervereinigung, die in Ost und West zunehmend als Krise erfahren wurde, wie eine Seuche ausgebrochen ist. Diese hat eine Vielzahl alter Tabus weggefressen und in erschreckender Häufigkeit zu schwersten Straftaten, insbesondere junger Menschen, geführt. Es sind - wie wir wissen - zwar vor allem Ausländer, aber sie nicht allein, die zu Opfern dieses kollektiven Ausbruchs geworden sind. Neben ihnen gelten Haß und Ausgrenzung den Behinderten, den Homosexuellen und all denen, die sich als "Linke" um die Aufrechterhaltung einer pluralen, toleranten - kurz: einer modernen Gesellschaft bemühen. Die Vereinigung der beiden Deutschlands wird zunehmend von großen Teilen der Gesellschaft als äußere und innere Krise erlebt. Es ist nach meiner Meinung weit weniger eine Wiederholung alter nationalistischer Gesinnungen, was zu der erschreckenden Ausgrenzungswut geführt hat, sondern eine katastrophale Verunsicherung der Gesellschaft und der Individuen über den eigenen Weg, die eigene Zukunft. Mit nationalistischen Kategorien allein läßt sich nicht erklären, warum die Aggressionen sich auch auf sogenannte Landsleute aus dem jeweils anderen Teil Deutschlands oder auf Spätaussiedler richten. Es ist vielmehr die Flucht aus der Moderne, eine angst- wie haßbesessene Ablehnung all dessen, was "anders" ist und damit das eigene Sosein in Frage stellt.

Diese Deutung läßt nichts von den gegenwärtigen Erscheinungen harmloser erscheinen, als wenn es sich um dezidiert rassistische oder nationalistische Ideologien handelte. Im Gegenteil: Wabernd und unpräzise, dabei zutiefst totalitär bildet das Syndrom einen idealen Nährboden für jede noch so jämmerliche Ideologie, die sich ihm zur Selbsterklärung oder Rechtfertigung anbietet. Es baut zugleich die verständnislose Kulisse für diejenigen auf, die Gewalttaten begehen und nicht wie sonst mit kollektivem Abscheu rechnen müssen. Es ist rational kaum zu beeinflussen; ihm kommen weder Argumente - etwa über den gesamtgesellschaftlichen Gewinn aus der Erwerbsbeteiligung der Migranten - noch moralische Appelle bei. Will man diesen Sumpf austrocknen, so muß man an die Ursache: das Gefühl der Verlorenheit in der Krise.

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Diese Überlegungen haben für die Formulierung eines Gleichbehandlungsgesetzes einige Konsequenzen: Dieses Gesetz kann nur ein, allerdings nicht unwichtiger Baustein im Rahmen einer größer angelegten Gesellschaftspolitik sein, in der das Leben mit Menschen, die als "anders" erlebt werden, eine Selbstverständlichkeit ist.

Die Diskriminierung selber als die Abwehr alles dessen, was "anders" ist, fordert den Gesetzgeber heraus. Es geht um die Verwirklichung des Artikels 3 des Grundgesetzes als einer Grundnorm des gesellschaftlichen Zusammenlebens in der Moderne, die uns zwingt, jeden von uns in seiner Unterschiedlichkeit als "anders" auszuhalten. Um diesen Ansatz deutlich zu machen, muß vermieden werden, aus den von Diskriminierung bedrohten Gruppen einzelne besonders hervorzuheben. Wir stellen uns daher nicht gesonderte Gesetze zur Gleichbehandlung von Ausländern oder von Behinderten oder von Angehörigen einer nicht-christlichen Religion vor, sondern ein "Artikel 3-Gesetz". Dies soll den Grundsatz der Gleichbehandlung aller in Art. 3 aufgezählten Personengruppen sowie weiterer, die bisher in Art. 3 nicht genannt sind, zunächst in einem Vorschaltgesetz übergreifend konkretisieren. Ein nachfolgendes Artikelgesetzes soll Änderungen oder Ergänzungen von Spezialregelungen - etwa des Strafgesetzbuchs, des Gaststättengesetzes u.ä. - enthalten.

Das Gleichbehandlungsgesetz kann nur wenig ausrichten gegen die Quellen, aus denen die Aggressionen sprudeln. Gesinnungen kann der Gesetzgeber unmittelbar weder verbieten noch ändern. Das Gesetz kann und muß jedoch deren Auswirkungen durch klare rechtliche Regelungen kenntlich machen, möglichst verhindern und - wo es dazu gekommen ist - mit Sanktionen ahnden. Es kann auf diese Weise dazu beitragen, daß die in Zeiten der Krise einbrechenden Tabuschranken stabilisiert werden. Dies ist bereits ein Gewinn.

Dazu muß höchster Wert auf die Handhabbarkeit der Vorschriften in der Praxis gelegt werden. Aus diesem Grunde - so scheint mir - kann es zwei Instrumente nicht geben, die vielfach diskutiert und vorgeschlagen werden: Quotenregelung und Verbandsklage. Eine Quotenregelung (etwa bei der Vermietung von öffentlich geförderten Wohnungen oder

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beim Abschluß von Arbeitsverträgen) setzt eine klare Polarität zwischen bestimmten, in sich weitgehend homogenen Gruppen - wie zwischen Männern und Frauen gegeben - voraus. Die Vielzahl und innere Vielfalt der von Diskriminierung bedrohten Gruppen läßt eine Quotenregelung hingegen nicht zu.

Die Verbandsklage ist ein Instrument, das dem deutschen Parteienprozeß vorn System her nicht entspricht. Auch in diesem System kann gewährleistet werden, daß den von Diskriminierung Betroffenen verbandliche Hilfe im Gerichtsverfahren zuteil wird. Anonymität der Betroffenen kann auch die Verbandsklage nicht sichern, weil auch sie nicht umhin kommt, Vorfälle und handelnde Personen beim Namen zu nennen. Unser Vorschlag ist, daß Betroffene, die gegen erlebte Diskriminierung vorgehen wollen, sich des Rechtsbeistands einschlägig erfahrener Verbände versichern können.

Das Gleichbehandlungsgesetz, wie es die SPD sich vornimmt, soll das Grundrecht auf Gleichbehandlung, das Art. 3 GG zunächst als Abwehrrecht des Bürgers gegen Willkür und Ungleichbehandlung durch die öffentliche Gewalt formuliert, entfalten. Deshalb soll es ausdrücklicher Bestandteil des öffentlichen Dienstrechts werden.

Es geht ebenfalls darum, den latent hinter dem Abwehrrecht verborgenen Gewährleistungsanspruch zu aktivieren. Dieser beschränkt sich nicht auf die Beziehung zwischen Staat und Bürger. Im Lichte des Gleichheitsgebotes ist jedes eindeutig diskriminierende Verhalten zwischen Bürgern als Störung der öffentlichen Ordnung, ja des Rechtsfriedens anzusehen, so daß privat- wie öffentlich-rechtlich daraus Konsequenzen zu ziehen sind.

Erkennt man an, daß Verstöße gegen Art. 3 GG eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sind, dann ist es nur konsequent, daß es einer behördlichen Zuständigkeit bedarf, um solche Verstöße zu verhindern und Gleichbehandlung durchzusetzen. Unser Vorschlag ist, dazu auf Bundes- wie auf Landesebene eine solche deutsche Behördenzuständigkeit zu begründen. Diese Behörde soll auch Konflikte zwischen Bürgern wegen des Vorwurfs der Diskriminierung zu schlich-

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ten bestrebt sein. Nicht alle diese Konflikte müssen vor Gericht ausgetragen werden.

Ein Gleichbehandlungsgesetz, auch wenn es nicht speziell als Gesetz zum Schütze von Ausländern vor Diskriminierung gemeint ist, wird auf diesem Gebiet zweifellos einen seiner Schwerpunkte haben. Hier hat es sich einzuordnen in eine Gesamtkonzeption von Einwanderungs- und Einwandererpolitik, die nun bald überzeugend dargelegt werden muß. Das Fehlen einer klaren politischen Zielsetzung auf diesem Gebiet trägt mit zur Verunsicherung der Bevölkerung im Umgang mit Migranten bei. Was heißt für eine zukünftige Migrationspolitik "Integration"? Verlangt ein solches Ziel die möglichst rasche Einebnung von Unterschieden, die kulturelle Anpassung an die Gesellschaft des Einwanderungslandes? In letzter Zeit ist im Zusammenhang mit der Verfassungsdiskussion von CDU-Abgeordneten die Befürchtung formuliert worden, ein Verfassungsziel "Achtung vor der ethnischen und kulturellen Identität" einer Minderheit in unserer Gesellschaft laufe dem Ziel der Integration zuwider. Diese Sorge kann nur haben, wer unter Integration eine Anpassungsleistung nur der Migranten versteht.

Ein Gesetz zur Förderung der Gleichbehandlung, wie es die SPD versteht, muß dagegen anstreben, das Zusammenleben zwischen Gruppen in der Gesellschaft im Sinne von Akzeptanz und Aushalten der Vielfalt zu fördern. Wer "anders" ist als die Mehrheit - und das können mittlerweile auch Deutsche in einer Umgebung mit Ausländermehrheit sein -, soll es ungestört sein können, ohne Ausgrenzung befürchten zu müssen. Die schwierige Alltagsintegration setzt das wechselseitige Hinnehmen anderer Tradition, Kultur und Sprache voraus. Das Gleichbehandlungsgesetz begleitet und begünstigt sie mit der Sanktionierung von Benachteiligungen, mit der Formulierung eines öffentlichen Auftrags, im Sinne der Gleichbehandlung positiv zu wirken. Dies gilt gleichermaßen für Migranten und Einheimische, mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Ausgrenzungsprozesse gibt es nicht nur bei den "geborenen" Deutschen, sondern auch innerhalb der Migrantengruppen.

Der Alltagsintegration ist die Systemintegration gegenüberzustellen. Hier soll ein Gleichbehandlungsgesetz sicherstellen, daß denen, die zu

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einem System gehören, alle Rechte dieses Systems zur Verfügung stehen: Deutsche wie ausländische Arbeitnehmer, Sozialversicherte, Arbeitgeber, Handwerker, Freiberufler, Kaufleute oder sonstige Gewerbetreibende müssen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit alle Mitwirkungsmöglichkeiten ihres Systems in vollem Umfang nutzen können. Für die Angehörigen eines Systems darf es keine System irrelevante Differenzierung geben.

Systemintegration zielt ebenfalls auf eine behutsame Erleichterung des Zugangs zu einer Reihe von Systemen, die gegenwärtig noch an die deutsche Staatsangehörigkeit oder einen gleichgestellten Ausländerstatus gekoppelt sind. Hier gebietet das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 eine rationale Prüfung der Argumente, mit denen eine solche Koppelung begründet wird. Halten solche Argumente der Prüfung nicht stand, so sind Neuregelungen erforderlich.

Ein solches Zugangsbeschränkungsinstrument ist das Erfordernis der besonderen Arbeitserlaubnis gemäß § 19 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Es erscheint zwar vertretbar, den Zugang zum einheimischen Arbeitsmarkt nicht schlicht unbegrenzt freizugeben, sondern die Interessen der Einheimischen, zu denen auch Ausländer gehören können, vorrangig zu berücksichtigen. Das aber kann nicht mit gleicher Härte für diejenigen gelten, die nach einer ersten Erlaubnis nach Jahresfrist eine zweite für denselben Arbeitsplatz nachsuchen. Denn wer dieselbe Beschäftigung fortsetzen will, ist bereits in das System des inländischen Arbeitsmarkts eingetreten und hat unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung Anspruch auf Berücksichtigung auch seiner Belange als Systemangehöriger. Hier kann eine Regelung Abhilfe schaffen, wie sie bereits nach dem Assoziierungsabkommen mit der Türkei für türkische Arbeitnehmer in Kraft ist.

Ähnliches muß gelten für die jungen Menschen, die vorwiegend im Inland als Schüler allgemeinbildender Schulen Zugangsvoraussetzungen für bestimmte Bildungseinrichtungen erworben haben. Die für solche weiterführenden Bildungsgänge vorgesehenen Fördermöglichkeiten nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFöG) müssen ihnen, die bereits systemintegriert waren, ebenfalls zur Verfügung stehen.

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Ein besonderes Problem stellt der Zugang zum Beamtenstatus für Nicht-Deutsche dar. Hier wird in aller Regel davon ausgegangen, daß die Stellung des Beamten die deutsche Staatsangehörigkeit erfordert - unabhängig davon, ob sein Tätigkeitsgebiet im strengen Sinne hoheitliche Tätigkeiten umfaßt. Gleichwohl kommt die Verbeamtung eines Ausländers vereinzelt vor, wenn dies aus deutschem Interesse geboten erscheint. Verfassungsrechtliche Hindernisse werden in solchen Fällen nicht gesehen. Sieht man die Präsenz von Ausländern auch im Beamtenstatus im öffentlichen Dienst als ein wesentliches Mittel zur Förderung von Gleichbehandlung an, so kann einer vorsichtigen Öffnung des Zugangs zu diesem System auch für Ausländer kein unüberwindliches verfassungsrechtliches Hindernis entgegenstehen.

Die in allen Rechtsverordnungen grundlegende Unterscheidung zwischen In- und Ausländern völlig zu beseitigen, ist nicht das Ziel der Gleichbehandlung. Anders gesagt: Es besteht kein Anlaß, das System "Staatsangehöriger" aufzugeben. Eine solche - scheinbar fortschrittliche - Entscheidung hätte eine Vielzahl unerwünschter nationaler und internationaler Konsequenzen. Nach wie vor bedarf es einer rechtlichen, international respektierten Begriffsbestimmung, wer "zu uns gehört" und für wen das Staatswesen nach innen und außen besondere Verantwortung trägt.

Allerdings hat die SPD bereits eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vorgeschlagen, durch die wir der veränderten Realität Rechnung tragen und den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Antrag oder Geburt, auch unter Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit in bestimmten Fällen, erheblich erleichtern wollen. Das System "Staatsangehörigkeit" soll zugänglicher werden für diejenigen, die als Einheimische den Zugang dazu wünschen. Es ist nicht gut für ein Gemeinwesen, wenn große Teile der Wohnbevölkerung außerhalb eines wesentlichen Rechtssystems bleiben.

Auch unterhalb dieser Ebene wollen wir - sobald die Stunde dazu günstig ist - ein kommunales Wahlrecht für lange bei uns lebende Ausländer einführen und die politische Mitwirkung nicht mehr ausschließlich

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an die deutsche Staatsangehörigkeit binden. Mit der Regelung zur Europawahl sind wir diesem Ziel schon ein Stück näher gekommen, weil nicht nur das Recht die Realitäten prägt, sondern Realitäten mitunter das Rechtsbewußtsein.

Zur Frage unserer Tagung heute: Integration und Minderheitenschutz sind kein Gegensatz. Systemintegration kann der Gesetzgeber weitgehend bewirken, gerade wenn er das Anderssein von Minderheiten achtet. Alltagsintegration kann der Gesetzgeber nicht durch Beschluß herbeiführen, aber durch Sanktionierung alltäglicher Diskriminierung und somit die Systemintegration erheblich fördern. Gerade die Hinnahme des "Anderen", und zwar in beiderlei Richtung, ermöglicht sowohl das Finden von notwendigen Kompromissen im Zusammenleben als auch das Aufeinanderzugehen und Voneinanderlernen. Alle Beteiligten müssen das Gefühl haben, daß ihre Identität nicht in ihrem Wert bestritten wird, damit das Gespräch unter Nachbarn - immer ein Gespräch "über den Zaun" - gelingen kann.

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Anhang

Überlegungen zu einem Gesetz zur Förderung der Gleichbehandlung

Gesetzgeberisches Ziel eines Gleichbehandlungsgesetzes muß sein, das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 hinsichtlich sämtlicher Gruppen durchzusetzen, deren Benachteiligungen der Verfassung widersprechen. Darüber hinaus ist auch jede unterschiedliche Behandlung von ausländischen Bevölkerungsgruppen, die in Art. 3 GG nicht ausdrücklich einbezogen sind, im Sinne des prinzipiellen Gleichheitsgebots abzubauen, soweit sie nicht durch rationale Gründe von Gewicht gerechtfertigt sind. Dabei sind unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen gleich zu werten.

Dazu sind erforderlich

  1. die bessere Handhabbarkeit des Art. 3 GG in seiner Eigenschaft als Abwehrrecht gegenüber diskriminierendem staatlichen Handeln;

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  2. das Bemühen, den hinter dem Abwehrrecht des Art. 3 GG liegenden Gewährleistungsanspruch auf Gleichstellung zu erfüllen;

  3. die Sicherung des Einflusses von Art. 3 GG auch auf private Rechtsgestaltung bzw. privates Verhalten;

  4. die Einbeziehung der in Art. 3 GG nicht genannten Bevölkerungsgruppen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, wo rechtlich und politisch in einer Gesellschaft mit hohem Ausländeranteil möglich.

Zu 1.

Die Verpflichtung zur Gleichbehandlung i.S. des Art. 3 GG muß ausdrückliche Verpflichtung des öffentlichen Dienstes werden und Eingang in die Beamtengesetze und die sonstigen Vorschriften des öffentlichen Dienstes finden. Ihre Verletzung rechtfertigt sowohl disziplinar- und arbeitsrechtliche Konsequenzen wie gegebenenfalls Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung.

Der Zugang zum öffentlichen Dienst - auch zum Beamtenstatus - sollte nur in dem Umfang die deutsche Staatsangehörigkeit voraussetzen, wie Amt oder Tätigkeit mit streng hoheitlichen Aufgaben verbunden sind, die ihrer Rechtsqualität nach nur von deutschen Staatsangehörigen wahrgenommen werden können.

Dasselbe gilt für Mitgliedschaft, aktives und passives Wahlrecht innerhalb öffentlich-rechtlicher Standes- oder Berufsorganisationen, ihren Vertretungen und Gremien.

Zu 2.

Die Verpflichtung von Betriebsräten und Personalvertretungen im öffentlichen Dienst, für die Gleichstellung von Gruppen einzutreten, die von Diskriminierung bedroht sind, ist in den einschlägigen Gesetzen zu verstärken.

In Betrieben und Behörden ab einer bestimmten Größe (wie im Gleichstellungsgesetz) sind durch Betriebsrat oder Personalvertretung speziell

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Beauftragte zu benennen, die sich eventueller Beschwerden anzunehmen haben.

Eine Öffnungsklausel für innerbetriebliche oder innerdienstliche Maßnahmen spezieller Förderung für von Diskriminierung bedrohte Gruppen ist einzuführen.

Zu 3.

Diskriminierendes Verhalten gegen die von Art. 3 GG geschützten Personen sowie gegen Ausländer wird strafrechtlich verfolgt. Dazu sind Klarstellungen in den einschlägigen Strafrechtsbestimmungen (z.B. §§ 130, 140, 185, 186 StGB) bzw. die Konstituierung "schwerer Fälle" erforderlich. Durch diese Klarstellung muß insbesondere auch die Ablehnung eines an die Öffentlichkeit gerichteten Angebotes zum Vertragsabschluß strafbar sein, wenn diese Ablehnung auf diskriminierenden Gründen beruht.

Wird in diskriminierender Weise der Abschluß eines öffentlich ausgelobten Dauerschuldverhältnisses (z.B. Versicherungs-, Miet- oder Arbeitsvertrag) abgelehnt oder der Abschluß an diskriminierende Bedingungen geknüpft, so stellt dies eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung dar. Es wird ein entstandener Schaden in der Mindesthöhe von drei Monatsentgelten unwiderleglich vermutet, der nach dem Gesichtspunkt des Verschuldens beim Vertragsabschluß zu ersetzen ist.

Wird glaubhaft gemacht, daß ein Vertragsabschluß aus Gründen, die dem Verbot der Diskriminierung widersprechen, verweigert oder sein Abschluß an diskriminierende Bedingungen geknüpft worden ist, so trägt die Gegenseite die Beweislast dafür, daß solche Gründe nicht maßgeblich waren.

Machen Betroffene wegen erfolgter Diskriminierung vor Gericht Rechte geltend, führen sie Beschwerde oder sind sie als Zeugen oder Nebenkläger dieserhalb an einem Ermittlungs- oder Strafverfahren beteiligt, so können sie sich von einem Verein oder Verband als Rechtsbeistand vertreten lassen, der sich nach seiner Satzung die Durchsetzung der Gleichbehandlung zum Ziel gesetzt hat.

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Bund und Länder haben Behörden zur Förderung der Gleichbehandlung einzurichten.

Ein Schiedsverfahren in Angelegenheiten, die Diskriminierungen i.S. des Art. 3 GG oder von Ausländern im Arbeits- und Vertragsrecht betreffen, ist einzuführen. Schiedsstelle ist in diesen Fällen die Behörde, die zur Förderung der Gleichstellung der Betroffenen berufen ist.

Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot gefährden die öffentliche Ordnung. Dies ist bei Erteilung bzw. Entzug von öffentlich-rechtlichen Konzessionen und Erlaubnissen (z.B. Gaststättengesetz) zu berücksichtigen.

Zu 4.

Die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit, auch unter Hinnahme der Doppelstaatsangehörigkeit in gesetzlich umschriebenen Fallkonstellationen, ist zu erleichtern (vgl. Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion).

In die Förderungsmöglichkeiten nach dem BAFöG sind "Bildungsinländer" einzubeziehen (junge Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die ihre allgemeinbildende Schulzeit überwiegend in Deutschland absolviert haben).

Rechtliche Hindernisse, die der abhängigen Beschäftigung von legal in Deutschland lebenden Ausländern entgegenstehen, insbesondere § 19 AFG, sind zu entschärfen - dahin, daß die besondere Arbeitserlaubnis zu erteilen ist

  • für eine Beschäftigung, die seit einem Jahr ausgeübt wurde,

  • für jede Beschäftigung, wenn der Antragsteller seit drei Jahren abhängig beschäftigt war.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2003

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