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Vincente Riesgo
Selbsthilfepotentiale nutzen und Migrantenvereine fördern:
Das Beispiel der Spanier in Deutschland


Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf drei „Geschichten" von Selbstorganisation (die des Bundes der Spanischen Elternvereine in der Bundesrepublik Deutschland e.V. - im folgenden: Confederación -, der Spanischen Weiterbildungsakademie e.V. -AEF- und des Projekts ¡Adentro!®), und sie sollten als ein kleiner und bescheidener Beitrag zum Thema behandelt werden, denn mit ihnen wird kein Anspruch auf direkte Übertragbarkeit oder auf einen Modellcharakter unserer Erfahrungen für andere Kollektive oder ethnische Gruppen erhoben. Vielleicht kann man aber diesen Ausführungen einige Erkenntnisse darüber entnehmen, wie der Reichtum an Selbsthilfepotentialen bei den Migranten und ihren Vereinen am effizientesten für eine auf Integrationsförderung gerichtete Politik erkannt und mobilisiert werden kann.

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1. Bund der Spanischen Elternvereine - Die Confederación

Am 29. März 1960 schließt die Bundesrepublik Deutschland ein Anwerbeabkommen mit dem damaligen sich noch unter der Diktatur Francos befindlichen Spanien ab. Anderthalb Jahre später - am 30.09.1961 - leben bereits 61.819 spanische Gastarbeiter in Deutschland. Diese Zahl erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 1973 mit 190.000 beschäftigten Spaniern und einer spanischen Wohnbevölkerung von insgesamt 286.100 Personen in Deutschland. [ s. Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland 1880 bis 1980: Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Berlin - Bonn 1986, S. 188-189]

Am 23. November 1973 wurde mit dem sogenannten „Anwerbestopp" der weitere Zuzug von Gastarbeitern aus Nicht-EG-Ländern, also auch aus Spanien, radikal abgeschnitten. Seitdem ist die Zahl der spanischen Bürger in

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Deutschland langsam, aber stetig zurückgegangen. Am 31. Dezember 1998 betrug sie noch 131.121.

Einige Tage vor dem Inkrafttreten des „Anwerbestopps" fand vom 10.-11. November 1973 in Wiesbaden die erste Versammlung spanischer Elternvereine in Deutschland statt, an der ca. 30 Ortsvereine teilnahmen und in deren Verlauf der Bund der Spanischen Elternvereine in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (Confederación de Asociaciones Españolas de Padres de Familia en la R.F. de Alemania) gegründet wurde.

Was war in diesen dreizehn Jahren (von 1960 bis 1973) geschehen, daß sich die spanischen Migranten für die Gründung des ersten großen Migrantenverbandes in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland entschieden? Einige Entwicklungen waren hierzu von ausschlaggebender Bedeutung:

  • der Strukturwandel der spanischen Population selbst: waren am Anfang die alleinstehenden Männer in der Mehrzahl, so kam es im Laufe der Jahre zu einer ausgewogeneren Bevölkerungszusammensetzung mit einer Stärkung der Frauenpräsenz und der Familien als Folge der Familienzusammenführung bzw. der Familiengründungen,
  • die Anwesenheit von nachgeholten bzw. in Deutschland bereits geborenen Kindern, die eingeschult werden (mußten),
  • das durch eine Kosten-Nutzen Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit v.a. ab der Wirtschaftsrezession 1966/67 [ s. ebenda, S. 211-219]geschaffene politische Klima, das sich zunehmend gegen die Gastarbeiteranwerbung aussprach,
  • die Entstehung von Dienstleistungen für die Gastarbeiter, insbesondere in den Kirchen (Katholischen Missionen) und Wohlfahrtsverbänden (insbesondere die Sozialbetreuung der Caritas).

Entscheidend für die Gründung des Bundes der Spanischen Elternvereine und für ihren späteren und dauerhaften Erfolg war die organisatorische Unterstützung und der pädagogische Rat durch das Referat für Schulwesen und Erwachsenenbildung der Spanischen Katholischen Missionen in Deutschland. Diese Aufgabe wurde verstärkt durch die Zeitschrift CARTA A LOS PADRES, die von diesem Referat in den 70er und 80er Jahren mit einer

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Regelmäßigkeit von 9 Exemplaren im Jahr und seit Beginn der 90er Jahre viermal jährlich herausgegeben wird. CARTA A LOS PADRES war und ist ein Forum, in dem wichtige Entwicklungen der Migrationspolitik kritisch erörtert, Erziehungsfragen angesprochen sowie Lösungsansätze vorgestellt werden und in dem vor allem die Sichtweise der Betroffenen selbst zum Ausdruck kommen kann.

Die Confederación nutzte das unmittelbare Interesse der spanischen Eltern an der Schulsituation ihrer Kinder, um parallel dazu dem Prozeß der Selbsthilfe und -organisation, der sich in der Basis entwickelte, beizustehen und ihn zu leiten. Die Confederación befürwortete von Anfang an die Eingliederung der spanischen Kinder in die deutsche Regelschule. Das war damals alles andere als selbstverständlich, wenn wir uns daran erinnern, daß die damalige politische Diskussion noch vom grundlegenden Rückkehrwunsch der Gastarbeiter ausging und dem „Rotationsmodell", das ihre schulpolitische Manifestation in den „Nationalklassen" hatte, dem Vorzug zu geben schien.

Andererseits sprach sich die Confederación ebenfalls für die Pflege der Muttersprache aus und forderte konsequent einen ergänzenden muttersprachlichen Unterricht, nicht nur um eine eventuelle Rückkehr der Kinder ins Heimatland der Eltern zu erleichtern, sondern auch, um der psychologischen und familiären Situation der Kinder gerecht zu werden. Auch hier mußten die Elternvereine gegen die routinierten Meinungen von wortführenden Politikern und (Pseudo-)Wissenschaftlern ankämpfen, die den muttersprachlichen Unterricht für eine „Überlastung" der Kinder und ein Integrationshemmnis hielten. Die Elternvereine bewiesen aber einen großen Weitblick und trugen nicht nur zur Entwicklung einer stabilen Identität ihrer bilingual ausgebildeten Kinder bei, sie eröffneten ihnen somit auch damals noch ungeahnte berufliche Perspektiven, die sich heute in einer zunehmend globalisierten und interkulturell agierenden Weltwirtschaft gut realisieren lassen.

Diese einfache, aber klare Idee der Elternvereine (Integration in die deutsche Regelschule und Förderung des muttersprachlichen Unterrichts) hatte ein ungeheuerliches Mobilisierungspotential, was sich in einer rasanten Gründung von neuen Elternvereinen überall in Deutschland zeigte, wo spanische Gastarbeiter wohnten. Ende der 70er Jahre gab es in der Bundesre-

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publik weit über 100 spanische Elternvereine. Diese mobilisierende Idee hatte auch die Kraft, spanische Migranten zu einem gemeinsamen Werk unabhängig von ihren politischen, religiösen oder ideologischen Überzeugungen zusammenzuführen. In diesem Sinne trugen die Elternvereine ent-
scheidend zur Entwicklung einer politischen Kultur unter den spanischen Migranten bei. Aus den Gastarbeitern waren Bürger - wenn auch für das Aufnahmeland weiterhin Bürger zweiter Kategorie - geworden, die ihre Interessen erkannten, das Wort ergriffen, um diese zu vertreten und merkten, daß auch sie soziale und politische (in diesem Fall schulpolitische) Realität verändern konnten.

„Schule" war in dieser Phase für die spanischen Migranten in den Elternvereinen viel mehr als eine Erziehungsinstitution. „Schule" war ein Politikum, ein Bereich, in dem Menschen, die bis dahin Objekte von Politik gewesen waren, nun Ansprechpartner der schulischen und (schul-)politischen Instanzen sowohl des Herkunfts- als auch des Aufnahmelandes wurden. Ab dem Jahr 1977 hat sich die damalige spanische Regierung der Union des Demokratischen Zentrums (UCD), die erste nach dem Bürgerkrieg aus freien Wahlen hervorgegangene Regierung, im Zuge des Demokratisierungsprozesses, sehr aufgeschlossen gegenüber den Elternvereinen gezeigt und sie als Verhandlungspartner akzeptiert. In Deutschland selbst konnte die gute Zusammenarbeit der Elternvereine mit den Schulbehörden auf lokaler und Landesebene - und seit Beginn der 80er Jahre auch auf Bundesebene mit der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung [ Die ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Frau Liselotte Funcke, ist, in Anerkennung ihrer Verdienste für die Integration der Migranten/innen in Deutschland, seit November 1992 Ehrenvorsitzende sowohl des Bundes der Spanischen Elternvereine als auch der Spanischen Weiterbildungsakademie - AEF.]- einen erheblichen Beitrag zu den im Verhältnis zu anderen Nationalitäten sehr guten Schulergebnissen der spanischen Kinder leisten.

In den 80er Jahren mußte sich die Confederación gegenüber Vereinnahmungsversuchen durch politische Parteien als Funktionsverband behaupten und konnte sich nach jahrelangen internen Auseinandersetzungen als parteiunabhängige Organisation konsolidieren. In dieser Konsolidierungsphase, die nicht weniger wichtig, dafür aber sicherlich schwieriger als die Gründungsphase war, zeigten sich Probleme, die mit der fehlenden Demokratieerfahrung im diktatorisch regierten Herkunftsland einerseits und mit der

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Demokratieverweigerung des Aufnahmelandes andererseits eng verbunden waren.

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2. Die Spanische Weiterbildungsakademie - Academia Española de Formación e.V. - AEF

Die Bildungsarbeit genoß immer eine große Priorität in der Arbeit der Confederación. Sehr früh merkten die Verbandsverantwortlichen, daß der Schulerfolg der Kinder (Hauptgründungsziel der Organisation) eng mit einer konsequenten Förderung der Elternbildung verbunden sein würde. In einer ersten Phase ging es vorwiegend um die Aufklärung der Eltern hinsichtlich wichtiger Strukturmerkmale des deutschen Schulsystems und ihrer Auswirkungen auf die Schullaufbahn der Migrantenkinder. Das dreigliedrige deutsche Schulmodell und die häufige Abschiebung von ausländischen Kindern in die Sonderschule boten nicht die besten Voraussetzungen für eine gelungene Integration. Hinzu kam die damals vorherrschende große Ignoranz der Lehrerschaft hinsichtlich Herkunftskulturen und -sprachen sowie anderer Spezifika von Migrantenkindern. Interkulturelle Pädagogik war damals noch ein unbekannter Begriff. Man entwickelte gerade allmählich die sogenannte „Ausländer-Pädagogik", für die Migration ein überwiegend negativ geprägter Begriff blieb und Migrantenkinder überwiegend durch ihre auszugleichenden „Defizite" definiert wurden.

Neben den Informationskampagnen über das deutsche Schulsystem und anderen migrationsrelevanten Aspekten der Schulpolitik betrieb die Confederación eine sehr intensive Familienbildungsarbeit, in der die Stärkung der Erziehungsfähigkeit der Auswandererfamilie das Hauptziel war. Dabei versuchte man, die Wunschvorstellungen der Migranten hinsichtlich ihres Migrationsprojekts (z.B. „Reizthemen" wie „Sparen" oder „Rückkehr") mit den Anforderungen des reellen Lebens in Deutschland zu konfrontieren, die vorhandenen Widersprüche zu erkennen und dem „Hier und Jetzt" der eigenen sozialen Situation angemessene Handlungsmuster zu entwickeln.

Die Bildungsbemühungen der Elternvereine und der Confederación stießen aber bald an ihre Grenzen, da sie über keine adäquate Bildungsinfrastruktur verfügten und die etablierten Einrichtungen der Erwachsenenbildung nur sehr zögerlich und mißtrauisch und in absolut unzureichender Weise auf die

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Bildungsnachfrage der Migranten antworteten. Die Bildungsangebote für Migranten - soweit vorhanden - hatten einen Residualcharakter neben,
besser gesagt nach den für die herkömmliche Klientel konzipierten Offerten.

Auf der Grundlage dieser Erfahrungen entstand die Spanische Weiterbildungsakademie - Academia Española de Formación- e.V. Sie wurde im Jahr 1984 von einer Gruppe in der Bildungsarbeit mit Migranten lange erfahrener und engagierter spanischer und deutscher Bürger gegründet.

Das Gründungsziel der AEF war die Entwicklung eines Bildungsangebots, das sowohl vom Inhalt als auch von der Methodologie her den tatsächlichen Bedürfnissen der Migranten in Deutschland gerecht wird, um deren Lebensqualität zu verbessern.

Das pädagogische Konzept der AEF ist emanzipatorisch ausgerichtet und sieht vor, daß die Migranten als aktive Subjekte an dem Entwurf, der Anwendung und der Auswertung ihrer Bildungsprogramme direkt teilnehmen. Zu diesem Zweck arbeitete die AEF von Anfang an sehr eng mit den Migrantenorganisationen, insbesondere mit der Confederación, und mit den Katholischen Missionen zusammen. Die Bildungsarbeit der AEF erschöpft sich nicht in der Erweiterung des kognitiven Horizonts einer bestimmten Bildungsklientel, sondern sie zielt auf die Umgestaltung der sozialen und politischen Rahmenbedingungen dieser Gesellschaft ab, damit in ihr die Migranten als gleichberechtigte Bürger leben können. In diesem Sinne war die pädagogische Arbeit der AEF seit ihrer Gründung offen für den konstruktiven Austausch zwischen Einwanderern und der deutschen Gesellschaft sowie zwischen den verschiedenen in diesem Land ansässigen Einwanderer-Kollektiven.

Eine wichtige strukturelle Stärke der AEF besteht in ihrer engen Vernetzung und Zusammenarbeit mit über 100 lokalen Trägern (Elternvereinen, Kulturzentren, Katholischen Missionen sowie Beratungsdiensten der Wohlfahrtsverbände), die über das ganze Bundesgebiet verteilt sind.

Zur Erreichung ihrer Gründungsziele hat sich die Arbeit der AEF selektiv in Bereichen konzentriert, wo ein größeres Mobilisierungspotential hinsicht-
lich der Teilhabe von Migranten am gesellschaftlichen Leben vorhanden
war.

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Beispiele hierfür sind u.a.:

  • Die Qualifizierung von Migranten/innen für die Beteiligung an der Kommunalpolitik.
  • Die Entwicklung und Erprobung von Konzepten zur gleichberechtigten Beteiligung von Migranten an der Arbeit von Wohlfahrtsverbänden, insbesondere beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), das für die Anliegen und den auf Selbstorganisation gerichteten pädagogischen Ansatz der AEF sehr früh ein offenes Ohr gezeigt hat.
  • Die Förderung eines qualifizierten Vereinsmanagements in den Migrantenorganisationen.
  • Die Stärkung der Frauenposition in der Migrantenkolonie und in der Gesellschaft, wozu die mit finanzieller Förderung durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) durchgeführten Frauenkurse und -seminare einen unschätzbaren und unentbehrlichen Beitrag leisten.
  • Die Stärkung des Selbstwertgefühls von jungen Migranten/innen, insbesondere durch die Förderung ihrer interkulturellen Kompetenzen.
  • Die Förderung von Selbständigkeit und wirtschaftlicher Eigeninitiative bei Migranten.
  • Die Entwicklung von Foren zur Herstellung einer öffentlichen Debatte über die Zukunftsfragen von multikulturellen Gesellschaften (insbesondere sei hier das „Bocholter Forum für Migrationsfragen" genannt).
  • Die Aktivierung von älteren Migranten/innen zur Stärkung ihrer eigenen Rolle in der Gesellschaft. Zu diesem Zweck wurde das Projekt ¡Adentro!® entwickelt.


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3. ¡Adentro!®

¡Adentro!® lief als Modellprojekt von April 1994 bis März 1997 und gehört seitdem ununterbrochen zum laufenden Bildungsprogramm der AEF. Seit April dieses Jahres (1999) hat sich das Programm als ¡Adentro!® Europa mit Hilfe des von der EU-Kommission geförderten Projekts „A, wie Alt und Aktiv. Ältere Migranten/innen in der Gesellschaft" als Transferprojekt auch

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auf andere europäische Staaten, in denen spanischsprechende Migranten/innen leben, ausgeweitet.

¡Adentro!® ist ein gesellschaftspolitisches Bildungsprogramm, in dem ältere Migranten für die soziokulturelle Animation und die Gemeinwesenarbeit qualifiziert werden. Hierzu zielt das Programm auf die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und der Kommunikationskompetenzen der Teilnehmer ab, die eine Fortbildung in folgenden vier Fachbereichen erhalten:

  1. Bewegung und Gesundheitsförderung im Alter
  2. Organisation von soziokulturellen Aktivitäten
  3. Grundinformation über (senioren-)relevante Fragen des Sozialrechts und der Sozialpolitik
  4. Netzwerk-, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit

¡Adentro!® gibt den Teilnehmer/innen auf der Grundlage der Biographiearbeit die Möglichkeit, eine kritische, aber positive Bilanz der eigenen Migrationserfahrung zu ziehen, um sie als Impuls und Kraft für den Einstieg in eine neue Lebensphase zu nutzen. Indem ihre Lebensbiographie ernst genommen wird, treten sie selbstbewußt als Subjekte ihrer eigenen Geschichte auf und mobilisieren große Selbsthilfepotentiale, die sie vor allem im Kampf gegen Isolierung und Marginalisierung gezielt einsetzen.

Zur Zeit arbeiten in ¡Adentro!® ausgebildete Multiplikatoren/innen an über 20 Orten in der ganzen Bundesrepublik. Die von ihnen ins Leben gerufenen Initiativen sind sehr unterschiedlich, wie z. B.: Konstituierung von Seniorengruppen in oder außerhalb der Vereine, Vertretung der Anliegen von älteren Migranten/innen gegenüber den Kommunen, soziokulturelle Angebote in den Vereinen und Wohlfahrtsverbänden, Information und Beratung für die eigene Kolonie, etc.

¡Adentro!® ist auch ein gelungenes Modell von partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Migrantenorganisationen und Wohlfahrtsverbänden. Neben der AEF sind auch Träger des Projekts der Bund der Spanischen Elternvereine und das Deutsche Rote Kreuz (DRK).

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4. Schlußbemerkung

Unserem emanzipatorischen Ansatz würden wir nicht gerecht, wenn wir aus den drei hier dargestellten Beispielen aus der Geschichte der spanischen Migranten für andere ethnische Gruppen oder Nationalitäten absolut übertragbare Elemente oder Lösungsansätze konstruieren wollten.

Eine Reflexion zeigt folgende für den Erfolg wichtige Faktoren:

  • Selbstorganisationen benötigen für ihre Arbeit mittel- und langfristig ausreichende infrastrukturelle und logistische Hilfen sowie fachliche Beratung und Begleitung. Reiner Voluntarismus ist keine ausreichende Grundlage für eine mittel- und langfristig erfolgreiche Arbeit. Ehrenamtlichkeit ist wichtig und unverzichtbar, hat aber auch ihre Grenzen.
  • Erfolgreich auf die Integration hinarbeitende Selbstorganisationen müssen in der Lage sein, sich als Funktionsverbände gegenüber Instrumentalisierungsversuchen von politischen Parteien oder anderen ideologischen Gruppen zu behaupten. Dies ist durchaus kompatibel mit der Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zu politischen (demokratischen) Parteien, solange sie beide Handlungsfelder (Parteipolitik und Verbandsarbeit) gut voneinander trennen können. Pluralismus ist innerhalb der Migrantenorganisationen eine Realität, die nicht nur respektiert, sondern auch gefördert werden soll. In diesem Sinne sollten Migrantenorganisationen in der Lage sein, unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit und solange daraus keine integrationshemmenden Auswirkungen resultieren, zum Wohl ihrer Kolonien auch mit den diplomatischen Vertretungen der Herkunftsländer zusammenzuarbeiten. Für Migranten aus den EU-Staaten ist dies ohnehin eine Selbstverständlichkeit, zumal die Behörden ihrer Herkunftsländer in zunehmender Weise - und in immer mehr auch die Innen- und Integrationspolitik betreffenden Bereichen - mit den hiesigen Behörden zusammenarbeiten.
  • Migrantenselbstorganisationen entwickeln sich sehr positiv, wenn sie mobilisierende Ideen finden, d.h. Themen benennen können, die von den Alltagssorgen der Migranten/innen ausgehen und diese über eine längere Zeit in ihre mittelfristig zu erreichende Lösung einbeziehen.

Inwieweit aus den drei hier dargestellten Beispielen aus der Geschichte der spanischen Migranten für andere ethnische Gruppen oder Nationalitäten

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übertragbare Elemente oder Lösungsansätze vorhanden sind, müßte im Einzelfall ausführlich analysiert und in jeder Gruppe gründlich diskutiert werden.

Aus der Erfahrung der spanischen Migration in Deutschland kann zusammenfassend festgestellt werden, daß die für eine gelungene Integration so unentbehrliche Mobilisierung der Selbsthilfepotentiale der Migranten sich am besten über die Selbstorganisation in den Migrantenvereinen realisieren läßt. Schon aus diesem Grunde sollte eine staatliche Integrationspolitik viel mehr Gewicht auf die Anerkennung und die Förderung der Migrantenvereine und -selbstorganisationen legen als dies bisher der Fall gewesen ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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