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Jürgen Wolf
Eröffnung und Grußwort


Der Alltag des Politikers und schon gar eines Ministers birgt manche Unberechenbarkeit. Anders geht es auch nicht dem Kultusminister dieses Landes, Herrn Reck. Er hat bis zum letzten Augenblick versucht, an dieser in seinen Augen überaus wichtigen Konferenz teilzunehmen. Es war nun doch nicht möglich: So müssen Sie sich mit dem Staatssekretär begnügen.

Nicht zum ersten Mal tagt die Friedrich-Ebert-Stiftung in den neuen Bundesländern. - Diese Tagungen der Friedrich-Ebert-Stiftung werden langsam zu einer guten Tradition. Auf diese Weise wird dafür gesorgt, daß der Dialog und das Nachdenken über ein Schlüsselproblem unserer Zukunft lebendig erhalten und immer wieder neu ein Reflexionsstand geschaffen wird. Hierfür sind wir gerade in unserem Lande der Friedrich-Ebert-Stiftung sehr dankbar und wir freuen uns. Sie auch diesmal in unserem Lande begrüßen zu können. Wir hoffen, daß dies noch oftmals der Fall sein kann.

Gestatten Sie mir, daß ich mich hier auf einige Fragen und Probleme beschränke, die mir immer wieder bei der Lektüre der Akten kommen und die aus meiner Sicht es wert sind, bedacht zu werden.

Die dürre Zahl der Statistiken weist auf eine Schere, die sich öffnet und bei der ich mich frage, ob sie nur der Anfang einer möglicherweise dramatischen Entwicklung sein könnte. Die Zahl der Lehrstellen ist bundesweit zurückgegangen, um mehr als sechzigtausend, die Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber um eine Lehrstelle hat zugenommen, um nahezu zwanzigtausend.

In den neuen Bundesländern sind wir das Ausbildungsdefizit schon lange gewöhnt; nunmehr stehen hier ca. einem Ausbildungsplatz etwa 2,5 Bewerberinnen und Bewerber gegenüber. Im Lande Sachsen-Anhalt ist diese Relation sogar noch etwas ungünstiger.

Natürlich sind diese bedrückenden, aber nüchternen Fakten Folge von tiefgehenden wirtschaftlichen Ausgangsproblemen, die strukturelle Ursa-

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chen haben. Ich erwarte mir daher von dieser Konferenz auch nicht, daß sie die Lösung sozusagen aus dem Hut zaubert.

Wir haben einen tiefgehenden strukturellen Wandel hinter uns, der auch noch nicht zu Ende gekommen ist. Auf der einen Seite haben wir einen hochmodernen Dienstleistungssektor, der aber nicht unbedingt arbeitsplatzintensiv und ausbildungsextensiv ist. Auf der anderen Seite fehlt uns ein stabiles Netz von Klein- und Mittelbetrieben, das Ausbildungsplätze in großer Anzahl tragen könnte.

Die Bildungswünsche der Jugendlichen decken sich unter diesen Umständen nicht sehr mit dem Ausbildungsangebot. Das führt zu einem immer spürbareren Druck auf das Schulwesen. Die Schulzeit verlängert sich; das Vollzeitschulwesen der Berufsbildenden Schulen gedeiht; die gymnasialen Oberstufen sind voll. Und dies wird - zumindest was die Nachfrage angeht - aller Voraussicht nach so andauern: Zwar redet alle Welt vom dramatischen Rückgang der Geburten; er wird sich bei uns aber erst im Jahre 2004 auswirken.

Der Strukturwandel ist langsam und zäh; sonst wäre es kein Strukturwandel. Wir wissen daher nicht genau, wofür und für wen wir ausbilden und wir können erschreckend wenig Orientierung vermitteln. Die jungen Leute reagieren auf ihre gegenwärtige Situation: Die in dieser Region klassischen Metallberufe haben längst ihre führende Funktion in den Ausbildungswünschen verloren; Handel, Banken, Versicherungen sind an der Spitze. Aber wir haben Gründe zu der Annahme, daß deren rascher Ausbau nicht anhalten wird und daß hier bald die Sättigung erreicht ist. Wir vermuten, daß mehr regionale Bedürfnisse eine Rolle spielen werden, aber das ist noch nicht hinreichend erkennbar, jedenfalls für die jungen Leute. Wie sieht also eine tragfähige Orientierung auf die Zukunft aus, die obendrein den jungen Leuten einleuchtet?

So schauen wir zu, wie sich ein doppeltes Problempotential aufbaut: Etliche der heute angebotenen Ausbildungen werden sich nicht als tragfähig erweisen; der starke Anteil an außerbetrieblicher Ausbildung führt für viele in eine Sackgasse in ihrer Berufsbiographie. Man muß daher kein Prophet sein, um der Weiterbildung eine wichtige Zukunft vorauszusagen.

Ein letzter Blick auf die politische Seite: Wir haben eine Ausbildungsplatzgarantie der Wirtschaft, wenn ich das so sagen darf. Die Zahlen, die

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ich genannt habe, und die Erfahrungen der vergangenen Jahre machen mich skeptisch. Es ist nicht verwunderlich, daß in einer solchen Situation die Idee einer Umlagefinanzierung auftaucht. Ich muß vor diesem Kreise die Bedenken gegenüber diesem Instrument und die Zweifel an seiner Wirksamkeit nicht auflisten.

Selbstkritisch muß ich sagen: Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das sicherlich nicht aus einem einzigen Rezept besteht, sondern das ein sehr verschiedenartiges Maßnahmenbündel mit sehr unterschiedlichen Zeithorizonten darstellt. Ich hoffe, daß diese Tagung zumindest einige der Elemente ans Licht bringt, die wir für ein solches Gesamtkonzept benötigen. Der Erfolg dieser Tagung liegt im unmittelbaren Interesse meines Landes.

Daher ist es auch ein wenig eigennützig, wenn ich Ihnen einen erfolgreichen Tagungsverlauf wünsche.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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