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TEILDOKUMENT:



Chris Steenwegen
Eine gesetzlich verordnete Öko-Steuer auf Konsumgüter. Auswirkungen auf die Beschäftigung/Praktische Probleme bei der Implementation


[Seite der Druckausg.: 113 ]

Am 30. Juli 1993 wurde das Gesetz zur Öko-Steuer vom Belgischen Parlament verabschiedet. Dabei wird von der Notwendigkeit einer Politik der Prävention ausgegangen. Ziel ist:

  • diejenigen Herstellungs- und Verbrauchsprozesse zu beseitigen, die seltene Rohstoffe verschwenden und in mancher Hinsicht umweltbelastend sind,

  • die natürlichen Ressourcen durch Wiederverwendung und Recycling von Rohstoffen zu sparen,

  • die Energie rationell zu verwenden,

  • umweltbelastende Herstellungstechniken zu nutzen.

Um diese Ziele zu erreichen, wird ein neues politisches Instrument vorgeschlagen: Eine Öko-Steuer auf Konsumgüter. Es ist wichtig festzuhalten, daß diese Art von Öko-Steuer sich von anderen Typen von Öko-Steuern unterscheidet, die anders eingreifen; Wir denken dabei an Steuern (Abgaben) auf Rohstoffe und Energie, auf Emissionen usw.

Gesetzlich wird die Öko-Steuer definiert als „jede Steuer, die genügend hoch ist, um die Verwendung oder den Verbrauch von umweltbelastenden Erzeugnissen erheblich einzuschränken und/oder um Herstellungs- und Verbrauchsmuster nach Erzeugnissen voranzutreiben, die in bezug auf die Umwelt und auf den Erhalt der natürlichen Ressourcen vertretbar sind".

An die Öko-Steuern auf Erzeugnisse, so wie sie gesetzlich definiert sind, werden drei Kriterien geknüpft:

1. Regulierende Wirkung

Man führt eine Öko-Steuer ein, um ein bestimmtes Umweltziel zu erreichen. So wird eine Öko-Steuer auf Verpackungen deshalb eingeführt, um

[Seite der Druckausg.: 114 ]

die Müllmenge einzudämmen. Höhere Energiepreise sind eine Antwort auf den Treibhauseffekt und die Versauerung. Eine Öko-Steuer hat erst einen Sinn, wenn sie wirklich zur Erreichung des Umweltziels beiträgt. Ein erstes Kriterium für die Einführung von Öko-Steuern ist also, daß sie genügend hoch sind, um verhaltensverändernde Effekte zu erzielen.

2. Die Steuereinnahmen werden gezielt eingesetzt

Obwohl umweltfördernde Steuern, wenn sie wirksam sind, mit der Zeit fast keine Einnahmen mehr bringen - weil immer weniger umweltbelastend gekauft wird - muß für das erzielte Aufkommen eine Bestimmung gefunden werden. Die erste Bestimmung ist laut Gesetz die Umweltpolitik. In diesem Bereich gibt es im Augenblick einen riesigen Bedarf an Mitteln. Die Einnahmen aus Öko-Steuern auf Konsumgüter können vor allem für „One-Shot"-Ausgaben (z.B. Bodensanierung) verwendet werden. Zudem muß die Öko-Steuer uns dazu anspornen, auf umweltfreundlichere Lebens- und Arbeitsbedingungen umzuschalten. Um die Umstellung zu erleichtern soll der Ertrag der Öko-Steuern wenigstens teilweise dieser „ökologischen Rekonversion" zugute kommen. So werden ökologische und soziale Bedürfnisse miteinander verknüpft.

3. Das Vorhandensein einer Alternative

Selbstverständlich ist ein umweltfreundliches Herstellungs- und Konsumverhalten leichter zu erreichen, wenn eine reizvolle Alternative vorhanden ist. Dann wird ein relativ kleiner Preisunterschied bei der umweltfreundlicheren Alternative schon einen Effekt erzielen. Wer würde noch bleihaltiges Benzin tanken, wenn einen Meter weiter billigeres, bleifreies Benzin zu erhalten ist. Ist die Alternative weniger interessant, so wird die Umstellung etwas mühseliger. Man denke an die öffentlichen Verkehrsmittel. Der Preisunterschied zwischen öffentlichen Verkehrsmitteln und dem eigenen Auto wird noch bedeutend zunehmen müssen, bevor die Leute auf den Bus oder den Zug umsteigen.

[Seite der Druckausg.: 115 ]

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Eine Übersicht über die Öko-Steuern in Belgien

Getränkeverpackungen:

  • Ziel:

    Die Umweltverschmutzung und vor allem die Produktion von Müll dadurch zurückzudrängen, daß die Wiederverwendung und an zweiter Stelle das Recycling der übriggebliebenen Einwegverpackungen stimuliert wird.

  • Öko-Steuer:

    Auf Erfrischungsgetränke, Mineralwasser und Bier besteht eine Öko-Steuer von 15 Bfrs/Liter, mit einem Minimum von 7 Bfrs, wenn es den Erzeugern nicht gelingt, die Quote der Mehrwegflaschen bis Anfang 1997 auf 40-60% zu steigern. Der Rest der Einwegverpackungen soll zu 70% (Plastik) bzw. 80% (Glas, Metall) recycled werden. Sammeln und Recycling geschehen auf Kosten der Industrie.

    In Kraft ab 1.Januar 1996.

    Für andere Getränke ist spätestens 1997 eine gleichlautende Regelung vom dafür zuständigen Ausschuß auszuarbeiten. Ausgenommen sind alle mehrmals zu verwendenden Getränkeverpackungen mit Pfand. Auf Getränkeverpackungen aus PVC wird ab 1. Juli 1996 die volle Öko-Steuer erhoben.

Papier:

  • Ziel:

    Den Absatz von Altpapier zu steigern.

  • Öko-Steuer:

    Zehn Bfrs/Kilo Papier, wenn die Erzeuger bei der Herstellung nicht genügend Altpapier verwenden. Der verpflichtende Prozentsatz variiert der Papiersorte entsprechend von 30-80%. Nicht chlorgebleichtes Papier (aus 100% neuen Fasern) erhält eine Ermäßigung von 50%; die Öko-Steuer beträgt also 5 Bfrs/Kilo.

    In Kraft ab dem 1. Januar 1996 entsprechend der Papiersorte.

[Seite der Druckausg.: 116 ]

Wegwerf-Erzeugnisse:

  • Ziel:

    Den Erzeugern und Konsumenten ein Signal zu geben, daß eine nachhaltige Gesellschaft sorgfältig und sparsam umgehen soll mit den Rohstoffen, oder daß es ganz unsinnig ist, weiter Wegwerfgüter zu produzieren und zu kaufen.

  • Öko-Steuer:

    Eine Gebühr ist vorgesehen auf Wegwerfrasierapparate und -kameras in Höhe von 10 Bfrs bzw. 300 Bfrs pro Stück. Freigestellt sind Rasierapparate mit auswechselbaren Messern und Kameras, die 80% recycled oder wiederverwendet werden.

    In Kraft für Rasierapparate seit dem 1. Januar 1994; für Einwegkameras seit Juli 1994.

Batterien:

  • Ziel:

    Vorbeugen, daß Batterien nicht in die Umwelt geraten. Auch aufladbare Batterien sind betroffen.

  • Öko-Steuer:

    Zwanzig Bfrs/Stück. Freigestellt sind Batterien mit einem Pfand von wenigstens 10 Bfrs/Stück.

    In Kraft seit 1. Juli 1995.

Industrielle Verpackungen:

  • Ziel:

    Zu verhüten, daß industrielle Verpackungen von gefährlichen Erzeugnissen in die Umwelt geraten.

  • Öko-Steuer:

    Auf Tinten-, Leim-, Öl- und Lösungsmittelverpackung und Verpackungen von Pestiziden kommt eine Öko-Steuer von 25 Bfrs/Liter mit einem Maximum von 500 Bfrs pro Verpackung. Freigestellt sind Verpackungen mit einem genügend hohen Pfand.

    In Kraft im Laufe des Jahres 1995.

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Pestizide:

  • Ziel:

    Die Verwendung gewisser Mittel zu vermeiden und sie durch weniger schädliche Alternativen zu ersetzen.

  • Eine Öko-Steuer ist vorgesehen in Höhe von 10 Bfrs/Gramm pro aktiver Komponente auf sehr giftige und giftige Stoffe; 5 Bfrs/Gramm pro aktiver Komponente auf schädliche, korrosive und reizende Stoffe. Später soll eine Öko-Steuer auf eine dritte Kategorie von Stoffen erhoben werden, deren Wirkung auf Mensch und Umwelt belegt ist. Diese Steuer wird 2 Bfrs/Gramm aktivem Stoff betragen.

    Freigestellt:

    Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmittel, die beruflich verendet werden (Landwirte, Gärtner, Viehzüchter), sowie Desinfektionsmittel und Erzeugnisse, für die die Anwendung in der biologischen Landwirtschaft anerkannt ist. Vorübergehend werden eine Anzahl von Holzmitteln und Erzeugnissen in der Forstwirtschaft freigestellt.

    In Kraft im Laufe des Jahres 1995.

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Auswirkungen der gesetzlich verordneten Öko-Steuer auf die Beschäftigung

  • Unterschied zur C02-/Energiesteuer

Zunächst will ich darauf hinweisen, daß die Debatte über die Einführung von Öko-Steuern in Belgien mit einem Meinungsaustausch über eine C02-/Energiesteuer (das war im Sommer 1992) angefangen hat. Diese Diskussion hat jedoch nicht lange gedauert. Wichtigster Grund dafür war, daß keine Übereinstimmung erreicht werden konnte über die Modalitäten der Inkraftsetzung einer solchen Energie-Steuer: Soll die Energie-Steuer fiskalisch neutral sein, sollen energieintensive Gewerbe und einzelne Firmen freigestellt werden, wie hoch sollen die Gebühren angesetzt werden, wünscht man eine finanzierende oder eine regulierende Steuer usw. Dies sind Fragen, die während dieses Prozesses erörtert wurden.

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Es spricht für sich, daß diese sozialen und wirtschaftlichen Folgen eine große Bedeutung in der Diskussion über die C02-Steuer hatten, vor allem wenn die Einführung in Belgien alleine, also außerhalb der Europäischen Union geschehen würde.

Die Öko-Steuern auf Konsumgüter, so wie sie letztlich verabschiedet worden sind, haben natürlich weniger tiefgreifende Folgen. Obwohl auf mikroökonomischer Ebene Betriebe in Schwierigkeiten geraten können und vielleicht sogar schließen müssen, ist auf makroökonomischer Ebene ein beschränkter Einfluß zu erwarten.

  • Beschränkte makroökonomische Folgen

Deshalb sind auch die Auswirkungen der Öko-Steuer auf die Beschäftigung nicht untersucht worden. Die Erwartungen, daß diese Auswirkungen beschränkt bleiben werden, stützt sich auf folgende Annahmen und Voraussetzungen:

1. Einfluß auf den Preisindex

Das Bündnis der belgischen Unternehmen (die belgische Arbeitgeberorganisation) sagte eine wirtschaftliche Katastrophe voraus. Die Arbeitgeber stützen sich dabei auf die Erhöhung der Preise. Dies würde den Preisindex steigern. Dieser Index hat in Belgien unmittelbare Folgen für die Lohnkosten der Unternehmen, weil die Löhne automatisch an den Preisindex gekoppelt sind. Bei dieser Argumentation berücksichtigten die Arbeitgeber aber nicht, daß es Alternativen zu den geplanten Steuern gibt. Wenn die Unternehmen die notwendige Anpassungszeit bekommen, werden genügend alternative, von Öko-Steuern freigestellte Güter produziert und konsumiert werden können. Die Auswirkung auf den Preis ist dann nicht das Gefälle zwischen dem bestehenden Preis und dem Preis plus Öko-Steuer, sondern das Gefälle zwischen dem bestehenden Preis und dem Preis der Alternative. Das festgestellte Preisgefälle ist in einer Größenordnung, die kleiner ist als die auf dem Markt vorhandenen Preisunterschiede zwischen ähnlichen Produkten.

2. Das Vorhandensein einer Alternative

Weil jedesmal ein alternatives Erzeugnis vorhanden sein muß, wird der Umsatzverlust von einem Produkt mit einer negativen Auswirkung - kom-

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pensiert vom wachsenden Verbrauch des alternativen Konsumgutes, das von den Behörden bevorzugt wird. Das wird dann wiederum ökonomisch positiv wirken. Die Erwartung war und ist also, daß sich negative und positive Wirkungen ausgleichen werden. Mehr noch: Eine Ökonomie, die an eine nachhaltige Gesellschaft angepaßt ist, hat bessere Zukunftschancen.

3. Beschränkte Anzahl von Produkten

Letztendlich handelt es sich hier um eine sehr beschränkte Anzahl von Gütern und dementsprechend um eine beschränkte Auswirkung auf die Wirtschaft. Dies ist auch eine bewußte Entscheidung gewesen. Absicht ist, das System allmählich auf andere Erzeugnisse auszuweiten. Dabei kann man sich auf die schon gesammelten Erfahrungen stützen.

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Fallbeispiel: Die Öko-Steuer auf PVC-Getränkeverpackungen

Wie schon erwähnt, gibt es für PVC-Flaschen eine Sonderregelung. Sie stützt sich auf die Umweltschädlichkeit von PVC, einen Stoff, der in manchen Ländern schon seit einiger Zeit kontestiert wird und deshalb schon in einigen Anwendungsbereichen verboten ist. Wir werden uns aber hier mit den Umweltaspekten von PVC nicht beschäftigen.

Bei der Verabschiedung des Öko-Steuer-Gesetzes wurde ein Ausschuß vorgesehen, der für die Durchführung und Umsetzung des neuen Gesetzes zuständig ist. Im Ausschuß sitzen zwölf Spezialisten aus den Bereichen Ökonomie, Umwelt und/oder Steuerrecht. Er bekam u.a. den Auftrag, die sozio-ökonomischen Folgen der Einführung einer Öko-Steuer auf PVC-Verpackungen zu untersuchen.

Die Beweggründe für diesen besonderen Auftrag sind zweierlei:

  • Der starke Widerstand der Industrie - namentlich von Solvay, einem großen belgischen PVC-Erzeuger, von den französischen Mineralwasserproduzenten, die fast alle in PVC verpacken und von KANEKA, einem Erzeuger von einem Additiv zur Herstellung von Flaschen. Diese Unternehmen fürchteten eine ökonomische Katastrophe in ihrem Gewerbe, bei der Einführung der Öko-Steuer.

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  • Die politische Empfindlichkeit und Brisanz:
    Solvay ist mit ca. 20.000 Arbeitnehmern der größte Einzelarbeitgeber in Wallonien.

    Wichtig ist zu wissen, daß die belgischen Mineralwasserproduzenten kein PVC mehr verwenden, sondern nur noch PET und Glas. Die französischen Importeure verwenden aber meist noch PVC. Die Rohstoffe dafür werden teilweise von einer belgischen Niederlassung von Solvay geliefert. Der belgische Markt umfaßt nur einen kleinen Teil der gesamten Produktion der französischen Wasserproduzenten (ca. 5%).

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Sozio-ökonomische Bewertung der Öko-Steuer auf Getränkeverpackungen aus PVC

Am 30. Dezember 1994 hatte der Öko-Steuer-Ausschuß sein Gutachten fertiggestellt. Die Arbeitsgruppe hatte folgendes Verfahren angewendet:

  • Der Gruppe standen einige Gutachten zur Verfügung, die schon im Gesetzgebungsverfahren oder danach von den beteiligten Unternehmen an den Ausschuß übergeben worden waren.

  • Die zuständige Verwaltung erstellte einen Bericht.

Die Arbeitsgruppe ging davon aus, daß die Auswirkungen auf die belgische Industrie vor allem von dem Verhalten der französischen Mineralwassererzeuger beeinflußt würden. Deshalb hatte man versucht, die möglichen Reaktionen vorauszusagen. Man unterschied dabei zwei Ebenen:

  • Die „mechanischen" Auswirkungen; kurzfristige Effekte, die direkt proportional sind zum Export französischer Mineralwasserflaschen nach Belgien und die der Öko-Steuer unterworfen sind.

  • Die „indirekten" Folgen; mittelfristiger Auswirkungen, die tiefgreifender sind. Der Zeitraum ist schwer festzustellen.

Die Planungen der französischen Erzeuger sind nicht definitiv bekannt. Deshalb wurden zwei extreme Hypothesen vorausgesetzt, die für das eine oder das andere Szenario plädieren. Die Arbeitsgruppe hat sich auf diese Argumente gestützt, um eine Position zu entwickeln.

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Die Untersuchung der vorliegenden Dokumente hat viele zusätzliche Fragen aufgeworfen. Die Arbeitsgruppe hat daraufhin die betroffenen Unternehmen mit diesen Fragen konfrontiert.

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Die Folgen für die Mineralwassererzeuger:

  • Kurzfristig:

    Hypothese A: Die Öko-Steuer tritt in Kraft, bevor die französischen Erzeuger ihre PVC-Flaschen ersetzt haben können.

    Hypothese B: Die französischen Erzeuger haben Maßnahmen unternommen und sich bereit, umzustellen.

Viele Argumente unterstützen die Hypothese B:

  • Das Gesetz war 1992 schon angekündigt und wurde 1993 gebilligt. Eine Menge Zeit ist deshalb bereits vergangen.

  • Diese Produzenten erzeugen schon eine Menge alternativer Verpackung. Die Produktion liegt bedeutend höher als der besonders kleine Teil der Produktion, der für den belgischen Markt umgestellt werden soll.

  • Die meisten französischen Marken gehören einer internationalen Gruppe, von der man erwarten kann, daß sie imstande ist, genügend schnell zu investieren (Beispiele: Danone (Evian und Volvic), Nestle (Vittel, Contrexeville, Perrier, Valvert).

Schlußfolgerungen:

Es wird in jedem Fall eine (zeitlich begrenzte) Verschiebung von einigen Prozenten im Marktanteil der französischen Mineralwasser in Richtung der belgischen geben. Dies könnte in Belgien eine Größenordnung von 20.000 bis 90.000 Arbeitsplätzen betreffen.

Gravierende Verschiebungen würden stattfinden, wenn auch eine Öko-Steuer, die den Wiedergebrauch stimuliert, in Kraft treten würde. In diesem Fall würden die französischen Mineralwasserproduzenten, auch wenn sie die Kapazitäten haben, um auf Mehrwegglas umzustellen, ihre sehr

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niedrigen Preise erhöhen. Eine solche Entwicklung würde erhebliche Auswirkungen auf ihren Marktanteil haben. In diesem Fall wäre in Belgien ein Gewinn an Arbeitsplätzen zu erwarten.

  • Mittelfristig

Bleibt noch die Frage, ob die Öko-Steuer die französischen Erzeuger dazu anspornen wird, die ganze Produktionskapazität umzustellen. Diese Hypothese der „Ansteckung" wird von Solvay und KANEKA als wichtigstes Risiko der Öko-Steuerregelung erwähnt. Das schlechte Image, mit dem die Öko-Steuer PVC versieht, hätte eine Auswirkung auf sämtliche PVC-Produkte, sicher auch auf PVC-Verpackungen. Deshalb würde man bevorzugt in andere Materialien investieren.

Die unterschiedlichen Argumente bestätigen bzw. widerlegen die „Ansteckungstheorie". Die Schlußfolgerung der Arbeitsgruppe ist, daß ein derartiges Szenario kaum von einer belgischen Öko-Steuer auf Getränkeverpackungen allein verursacht werden könnte. Offenbar verliert PVC übrigens schon jetzt die Schlacht auf dem Flaschenmarkt. Verschiedene Quellen melden, daß Danone (Evian und Volvic) umstellen würden auf PET, sowie es andere Erzeuger schon vor der belgischen Öko-Steuer taten.

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Die Folgen für die Rohstoffproduzenten:

  • Kurzfristige „mechanische" Auswirkungen:

    Bei einer Umstellung der französischen Mineralwasser auf PET für den Export nach Belgien verliert Solvay etwa 3000 Tonnen Umsatz bei einer Jahresproduktion von 200.000 Tonnen.

    Die finanziellen und sozialen Folgen sind:

    3.000 Tonnen bei einem Preis von durchschnittlich 25 Bfrs/Kilo: 75 Mio. Bfrs. Bei einem Gesamtumsatz von Solvay Belgien in Höhe von 21,093 Mrd. Bfrs, davon 5,5 für die PVC-Herstellung.

    Die Auswirkungen auf die Brutto- und Nettoerträge konnten nicht genau errechnet werden mangels Angaben über die variablen Kosten für Rohstoffe und Energie. Dennoch ist die Schlußfolgerung, daß die Rentabilität

    [Seite der Druckausg.: 123 ]

    der Niederlassung in Jemeppe (Belgien) beeinträchtigt werden würde, ohne dadurch gefährdet zu sein.

    Im sozialen Bereich sind die Auswirkungen noch schwieriger einzuschätzen.

    Ein gleichlautendes Szenario ergibt sich für KANEKA, das das Additiv MBS erzeugt. Bei der Umstellung der Franzosen verliert KANEKA 10 Mio. Bfrs bei einem Gesamtumsatz von 3,4 Mrd. Bfrs. Auch hier ist die Folgerung, daß der Bestand des Unternehmens nicht gefährdet wird.

  • Mittelfristige Folgen:

    Die Auswirkungen wären viel tiefgreifender, wenn die Franzosen ihre ganze Produktion umstellen würden.

    Obwohl Solvay in Jemeppe (Belgien) nur 2% der PVC-Produktion von Flaschen herstellt, könnte die internationale Solvay-Gruppe sich entscheiden, die erlittenen Produktionsverluste des französischen Sitzes von der belgischen Niederlassung tragen zu lassen. Dies würde einen Umsatzverlust von ca. 2 Mrd. Bfrs verursachen. Die Niederlassung müßte dann schließen; 1.200 Menschen würden ihre Stelle verlieren. Diese Auswirkung wäre aber fast völlig der Delokalisierung zuzuschreiben. Außerdem ist völlig unklar, ob Solvay ein solches Szenario plant.

    Im Fall KANEKA hätte ein Umsatzverlust von 17% ähnliche Auswirkungen. Hier handelt es sich um 150 Arbeitnehmer.

    Fazit:
    In den ersten Presseerklärungen und Gutachten der betroffenen Erzeuger war die Rede von Zehntausenden von Entlassungen. Solvay erwähnte 120.000 Entlassungen durch den Abbau der Chlorchemie. Bei näherem Hinsehen sind die Auswirkungen, wie gesagt, weniger dramatisch.

[Seite der Druckausg.: 124 ]

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Einwände gegen Öko-Steuern auf Konsumgüter und ihre Implementierung

1. Die Wirksamkeit der Einführung von Öko-Steuern auf Konsumgüter

  • Jeder ist für Öko-Steuer auf Konsumgüter als neues Steuerungsinstrument in der Theorie. (Man stößt plötzlich auf enormen Widerstand, wenn man konkrete Güter nennt; davor sollte man sich hüten.)

  • Offenbar haben Öko-Steuern einen wichtigen Ankündigungseffekt. Mit anderen Worten, die Ankündigung von den Behörden, daß gewisse Güter oder Gruppen von Produkten mit der Zeit positiv diskriminiert werden sollen, hat schon eine Auswirkung auf den Markt.

  • Es ist sehr wichtig, daß die Öko-Steuern wenn angekündigt, auch tatsächlich durchgeführt werden. Die Zeitplanung ist weniger wichtig, wenn sie nicht zu sehr überschritten wird. Viel schlimmer ist, wenn die Ausgangspunkte des Gesetzes verändert werden, so daß auch die gewünschten Verhaltensmuster anders aussehen. Selbstverständlich brauchen die Unternehmen Rechtssicherheit. Die Behörden müssen ihnen dies auch garantieren. Für Getränkeverpackungen bedeutet dies z.B., daß der Vorzug von Wiederverwendung nicht einfach abgeschafft werden kann.

  • Offenbar ist es eine schwere Aufgabe, die sozio-ökonomischen Folgen der Einführung von Öko-Steuern vorauszusagen. Diese Auswirkungen hängen nämlich von den Möglichkeiten und der Bereitschaft der Produzenten und Konsumenten ab, ihr Verhalten anzupassen.

  • Unternehmen sind ziemlich anpassungsfähig. Die Anpassung ist aber schwieriger, wenn zunächst nur in einem Land der EU Konsum- und Produktionsänderungen stattfinden und damit - in einer kurzfristigen Betrachtungsweise - Wettbewerbsnachteile gegenüber ausländischen Konkurrenten auftreten.

[Seite der Druckausg.: 125 ]

2. Die Höhe der Öko-Steuern

„Jede Steuer, die genügend hoch ist, um die Verwendung oder den Verbrauch von umweltbelastenden Erzeugnissen erheblich einzuschränken und/oder um Herstellungs- und Verbrauchsmustern nach Erzeugnissen voranzutreiben, die in bezug auf die Umwelt und auf den Erhalt der natürlichen Ressourcen vertretbar sind", so sagt das Gesetz. Dieses bedeutet mit anderen Worten, daß die Höhe der Öko-Steuer nicht der Internalisierung der externen Kosten entspricht. Dies ist sowieso eine schwierige Aufgabe. Welche externen Kosten werden in Rechnung gestellt, welche nicht? Wie errechnet man die externen Kosten? Bei der Ausarbeitung der Öko-Steuern ist nicht versucht worden, dieses Problem zu lösen. Die Höhe der Steuer wird so angesetzt, daß man annehmen kann, daß damit eine Änderung des Verhaltens, so wie man es auslösen will, auch stattfindet.

3. Notwendige Grundbedingungen für die Anwendung von Öko-Steuern auf die Konsumgüter

  1. Ausreichende Information über Produkte

    Wenn eine Behörde darüber Aussagen machen will, wie wünschenswert ein Erzeugnis ist, so muß sie einen guten Einblick haben in dessen Umweltqualitäten. Dazu kann eine Öko-Bilanz gemacht werden. Allerdings

    - die Voraussetzungen einer solchen Bilanz sind nicht immer akzeptabel oder korrekt. Das Ergebnis hängt von den Vorannahmen ab. Noch wichtiger ist der Gedanke, daß es unmöglich ist. Umweltprobleme zu quantifizieren, um sie dann miteinander zu vergleichen. Wie groß ist das Ausmaß und die Wirkung der Verschmutzung des Oberflächenwassers im Vergleich mit der Müllproduktion? Wie wägt man das Risiko eines industriellen Unfalls ab gegen die Luftverschmutzung? Dazu reicht eine Öko-Bilanz nicht aus.

    Deshalb kam die Arbeitsgruppe zu dem Schluß, daß eine Öko-Bilanz zusätzliche Auskünfte verschaffen und somit die Beschlußfassung wirksamer machen kann, aber letztendlich gehört es zum Auftrag der Behörde, die gesellschaftlichen Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen und ihre Entscheidung darauf abzustellen.

    [Seite der Druckausg.: 126 ]

    - Wenn man aussagefähige Öko-Bilanzen erstellen will, so muß man auch Einsicht in die notwendigen Daten haben. Heute sind solche Daten leider oft nicht zugänglich bzw. vorhanden. In Belgien haben wir allzu oft feststellen müssen, daß die notwendigen Informationen nur in den betroffenen Unternehmen vorrätig sind.

    - Es mangelt noch an Grundinformationen, um den Umweltwert von bestimmten Erzeugnissen oder Gruppen von Gütern zu begutachten. Der Öko-Steuer-Ausschuß hat z.B. erfahren, daß von der Mehrheit der Pestizide, die vor der EU-Richtlinie über Pestizide auf den Markt gekommen sind, kaum Angaben über ihre Öko-Toxität vorliegen.

  2. Ein Verwaltungsapparat, der imstande ist, Öko-Steuern in die Praxis umzusetzen, sowie eine umfangreiche Verwaltung

    Aus dem vorangegangen wird klar geworden sein, daß die Einführung der Öko-Steuern eine umfangreiche Verwaltung erfordert. Sie soll die Einführung vorbereiten, sie umsetzen und sie kontrollieren. In diesem Sinne unterscheidet eine Öko-Steuer sich nicht von anderen Maßnahmen, die eine Behörde Unternehmen und Bürgern auferlegt.

    - Kontrollinstrumente müssen entwickelt werden. Das Gesetz über die belgische Öko-Steuer auf Papier wird schon seit zwei Jahren mit dem Argument herausgeschoben, daß es keine schlüssige analytische Methode gibt, um den Recyclinggrad von Papier eingehend nachzuweisen. Diese Genauigkeit ist aber unumgehbar, wenn man an den Grad des Recyclings eine Steuer koppeln will.

    - Kontrolle ist in der Praxis schwer zu erreichen. Viele Volkswirtschaftler haben für Maßnahmen plädiert, die unmittelbar den Preis beeinflussen, damit der Markt sich selbst reguliert. Ein Argument dafür ist, daß ein Zuviel an Vorschriften kaum zu kontrollieren ist. Auch bei Öko-Steuern auf Konsumgüter ist das ein wirkliches Problem. So kann man schon die meisten toxischen Holzmittel besteuern; aber was tut man mit Holz, das behandelt importiert wird? Man kann nicht-recycletes Papier besteuern oder Batterien, aber was macht man mit den koreanischen Transistorradios, die in einer Pappverpackung importiert werden mit Batterie?

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4. Abstimmung auf den unterschiedlichen politischen Ebenen

  • Steht die Öko-Steuer in Einklang mit der europäischen Politik?

    Selbstverständlich werden die Möglichkeiten der Behörden, Öko-Steuern zu praktizieren, schon heute und noch mehr in der Zukunft beschränkt von dem Spielraum, der ihnen von der EU belassen wird. Für Öko-Steuern gibt es Beschränkungen sowohl im wirtschaftlichen, fiskalischen als auch im ökologischen Bereich. So ist die Öko-Steuer auf Getränkeverpackungen einige Zeit gefährdet worden von dem Richtlinienentwurf der EU auf Verpackungen.

  • Steht die Öko-Steuer in Einklang mit der regionalen Ebene?

    In Belgien ist z.B. die Produktpolitik nach der Staatsreform föderale Zuständigkeit geblieben. Die Öko-Steuern, ein fiskales Instrument, das zur Produktpolitik gehört, sind deshalb föderal, während die Umweltpolitik regionale Zuständigkeit ist.

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Schlußbetrachtung:

Konsumgüter - das geträumte Ziel?

Man muß sich genau überlegen, was die geeignetste Stelle in der Produktionskette ist, um eine Öko-Steuer einzuführen. Die Kontrolle ist bei einer Energie- oder einer Emissionssteuer viel einfacher als bei einer Produktsteuer. Andererseits ist eine Produktsteuer gezielter anzuwenden und sie erteilt dem Konsumenten auch eine wichtige Rolle: er macht dann die „grüne" Wahl. Beide Arten von Steuern werden aller Wahrscheinlichkeit nach eine wichtige Rolle beim Aufbau einer nachhaltigen Gesellschaft spielen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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