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TEILDOKUMENT:


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Rudolf Zwiener
Gesamtwirtschaftliche Effekte einer ökologischen Steuerreform


1. Vorbemerkung

Mit der internationalen Klimakonferenz in Berlin ist auch das Thema „Ökologische Steuerreform" wieder in die Schlagzeilen geraten. Die Diskussionen zu diesem Thema haben spätestens seit dem letzten Wahlkampf auch die politischen Parteien erreicht. Folgt man der Berichterstattung der Presse in den letzten Tagen, dann ist das Regierungslager zur Zeit noch völlig zerstritten. Während sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herr Repnik, klar und unmißverständlich für eine ökologische Steuerreform ausgesprochen hat, bemühte sich Herr Faltlhauser, Staatssekretär im Finanzministerium, möglichst viele Argumente gegen eine ökologische Steuerreform zu formulieren. Einen Teil seiner Argumente, z.B. die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Reform oder die nach der fiskalischen Ergiebigkeit einer Energiesteuer, nahm man nur kopfschüttelnd zur Kenntnis, wurden sie doch schon in mehreren Studien intensiv erörtert. Das Bonner Finanzministerium, das eigentlich federrührend eine solche ökologische Steuerreform konzipieren sollte, ist eindeutig nicht auf dem Stand der gegenwärtigen Diskussion. Hier ist die Wirtschaft schon sehr viel besser informiert. Diese setzte sich auch intensiv mit der vom DIW im Auftrage von Greenpeace im Mai letzten Jahres vorgestellten Studie zu den wirtschaftlichen Auswirkungen einer ökologischen Steuerreform auseinander. [Fn.1: Veröffentlicht als DIW-Sonderheft bei Duncker und Humblot, Berlin 1995, mit den Autoren Bach, Kohlhaas, Meinhardt, Pretorius, Wessels, Zwiener.]
Mit dieser Studie versuchte das DIW, ein einfaches und praktikables Modell einer ökologischen Steuerreform zu entwickeln. Es soll im folgenden noch einmal vorgestellt werden, wobei schon auf einen Teil der bisher vorgebrachten Kritik an diesem Konzept eingegangen werden kann.

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2. Zentrale Ergebnisse der Studie

Wichtigstes Ergebnis der DIW Studie ist die Aussage, daß eine ökologische Steuerreform auch im nationalen Alleingang eingeführt werden kann und sollte. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kann sie so ausgestaltet werden, daß sie weitgehend wachstumsneutral ist. Gleichzeitig dürften durch eine solche Reform positive Beschäftigungseffekte in einer Größenordnung von rund einer halben Million Beschäftigter nach 10 Jahren erreicht werden. Das von der Politik formulierte Ziel einer C02-Minderung um 25% bis zum Jahr 2010 kann fast erreicht werden.

Warum ist auch ein nationaler Alleingang bei einer ökologischen Steuerreform sinnvoll und notwendig? Hier wird doch insbesondere von der Industrie auf die Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige hingewiesen. Im Hinblick auf die Ergebnisse der Studie wird dabei allerdings völlig übertrieben. Mit Ausnahme der Stahlindustrie sind für die Industriebereiche, die überhaupt mit negativen Auswirkungen zu rechnen hätten, die Effekte nach 10 Jahren geringer als die Wettbewerbsverluste, die innerhalb einer Woche im Februar dieses Jahres durch die starke DM-Aufwertung entstanden sind. In einer Zehn-Jahresperiode ergeben sich vielfältige Anpassungsmöglichkeiten für diese Industriebereiche, so daß eine Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zumindest teilweise ausgeglichen werden kann.

Ein nationaler Alleingang ist allein schon deshalb sinnvoll, um das gegenwärtige Blockadedenken aufzubrechen. In vielen Ländern der Europäischen Union wird gesagt: „Eine ökologische Steuerreform ja, aber nur dann, wenn alle Länder mitmachen." Mit dieser Formel gelingt es der Politik, eine Reform schon im Ansatz zu verhindern. Während der Zeit der deutschen Ratsführung in der Europäischen Union wurde auch prompt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene ökologische Steuerreform erst einmal zu Grabe getragen. Fängt ein Land mit einer ökologischen Steuerreform an, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, daß andere Länder nachziehen. Außerdem sind einige europäische Länder - Dänemark, Belgien, Niederlande, Schweden - schon weiter mit der ökologischen Ausrichtung ihres Steuersystems. Durch eine nationale Vorreiterrolle ergeben sich auch Wettbewerbsvorteile für die umweltorientierten Industriezweige. Letztlich wird ein zeitlicher Vorsprung in der Entwicklung

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neuer Umwelttechnologien erzielt. Und selbst dem Argument, daß eine CO2-Minderung nur durch ein abgestimmtes weltweites Vorgehen erreicht werden kann, kann entgegen gehalten werden, daß durch die Entwicklung und den Export energieschonender Technologien ein wichtiger Beitrag zur CO2-Minderung geleistet wird. Idealerweise wird aber aus dem nationalen Alleingang nach einiger Zeit ein abgestimmtes internationales Vorgehen.

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3. Idee einer ökologischen Steuerreform

In Deutschland propagiert schon seit Jahren der Biologe E.U. v. Weizsäcker die Idee einer ökologischen Steuerreform. Seinen Grundideen folgte denn auch der konkretisierte DIW-Vorschlag. Dieser besteht im wesentlichen aus drei Grundelementen:

Als zentrales Element unseres wirtschaftlichen Handelns, des Ressourcenverbrauchs und der Umweltschädigung wird der Faktor Energie angesehen. Mit dem Einsatz von Energie ist weit mehr als nur der C02-Ausstoß verbunden. Auch andere Emissionen gehen auf den Energieeinsatz zurück. Unsere gesamte wirtschaftliche Organisation, aber auch unser Freizeitverhalten basiert auf der Verfügbarkeit von „billiger" Energie. Im gegenwärtigen Preis der Energie werden nicht die Kosten abgedeckt, die letztlich der Umwelt, aber auch unserer Gesundheit durch ihren Einsatz entstehen. Ein „angemessener", dies berücksichtigender Energiepreis würde unsere Entscheidungen über Urlaubsreisen, über den Wohnort und generell über unsere Mobilität beeinflussen. Standortentscheidungen der Wirtschaft würden anders getroffen, wenn sich die Transportkosten entscheidend erhöhen würden. Dazu kämen Verschiebungen der Nachfrage - weg von teuren, energieintensiven Produkten.

Ein zweites Grundelement der ökologischen Steuerreform ist die aufkommensneutrale Rückerstattung der Energiesteuereinnahmen in Form einer Senkung der Arbeitskosten. Unser derzeitiges Steuersystem verkoppelt eine Vielzahl von Steuern und Abgaben mit dem Faktor Arbeit. Eine besondere Rolle dabei spielen die sogenannten versicherungsfremden Leistungen im Rahmen der Sozialversicherung. Dies sind Leistungen, die eigentlich über das allgemeine Steuersystem finanziert werden müßten. Im Zuge der Finanzbelastung durch die deutsche Einheit wurden diese versicherungsfremden

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Leistungen weiter ausgedehnt. Zwar besteht unter Ökonomen auch heute noch der Streit darüber, wie bedeutsam die Höhe der Arbeitskosten für die Beschäftigungsentwicklung einer Volkswirtschaft sind. Doch sind sich die Ökonomen einig, daß die versicherungsfremden Leistungen der Sozialversicherung aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu finanzieren sind. Viele Ökonomen, auch die Autoren der DIW-Studie, setzen darüber hinaus darauf, daß sich mit einer Senkung der Lohnnebenkosten die Beschäftigung nennenswert erhöhen läßt. Wie dies funktionieren soll, wird im weiteren Verlauf dieses Beitrags erläutert.

Das dritte Grundelement der ökologischen Steuerreform besteht in ihrer langfristigen Ausrichtung. Die Energiepreise sollen in kleinen Schritten, aber stetig ansteigen. Dies hat den Vorteil, daß sich alle Beteiligten auf die langfristige, merkliche Verteuerung der Energie einstellen können. Der gegenwärtige Kapitalstock wird nicht plötzlich entwertet, wie dies nach den beiden Ölpreiskrisen der Fall war. Auch die Verbraucher haben Zeit, sich auf steigende Energiepreise einzustellen. Beim Kauf eines neuen Autos können sie insbesondere auf den Benzinverbrauch achten, beim Kauf eines neuen Haushaltsgeräts auf dessen Stromverbrauch. Wichtig ist, daß alle von der Unumkehrbarkeit dieser Entwicklung überzeugt sind. Nur dann werden die notwendigen Verbrauchs- und Investitionsentscheidungen auch durchgerührt.

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4. Mehrstufiger Aufbau der Studie

Als erste Frage stellt sich, wie die Energiesteuer eingeführt werden soll. Der DIW-Vorschlag sieht eine Mengensteuer vor, der die fossilen Energieträger (Mineralölproduktion, Kohle, Gas sowie Elektrizität) unterliegen. Erneuerbare Energien sind von den Besteuerungen ausgenommen und gewinnen dadurch an Wettbewerbsfähigkeit. Diese Steuer dürfte unter Effizienzgesichtspunkten anderen Besteuerungsformen überlegen sein. Allerdings wird damit nicht das unterschiedlich hohe Emissionsvolumen verschiedener Energieträger berücksichtigt. Die Ausgestaltung als Mengensteuer hat den Vorteil, daß Preisschwankungen einzelner Energieträger gedämpft werden. Der Steuersatz soll so gesetzt werden, daß sich die einzelnen Energieträger von Jahr zu Jahr um real 7% verteuern. Dies allerdings, bevor weitere Steuern die einzelnen Energieträger belasten. Hier

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ist vor allem die Mineralölsteuer zu nennen, die den Verkehrsbereich belastet. Wie im Schaubild 1 deutlich wird, verteuern sich die verschiedenen Energieträger bei einem solchen Ansatz sehr unterschiedlich. Der Preis für Benzin liegt nach 10 Jahren um 38 Pfg./l höher als heute (von ansonsten auftretenden Preissteigerungen wird hier abgesehen). Heizöl verteuert sich um 41 Pfg./l und hätte damit einen sehr viel stärken relativen Preisanstieg zu verzeichnen als Benzin. Der Preis für Haushaltsstrom stiege innerhalb von 10 Jahren um real 11 Pfg./kWh. Bei diesen Werten wird sofort deutlich, daß damit ein Umlenken von Verkehrsströmen bzw. ein Zurückdrängen des Individualverkehrs nicht erreicht werden kann. Wer dies wünscht, muß also zusätzlich zur Energiesteuer die Mineralölsteuer weiter erhöhen. Der Preisanstieg von jährlich 7% wurde gewählt, um möglichst nahe an das CO2-Minderungsziel der Bundesregierung heranzukommen.

Schaubild 1

Bei dieser Ausgestaltung der Energiesteuer würde ein Aufkommen von 120 Mrd. DM nach 10 Jahren erreicht. Dies würde zu 30% von den privaten

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Haushalten und zu 70% von der Wirtschaft erbracht. Die zweite Grundidee besteht darin, beide große Gruppen jeweils vollständig für ihre Mehrbelastung zu kompensieren. Innerhalb der jeweiligen Gruppen wären dann die Energieeinsparer die Nettogewinner. Private Haushalte oder Unternehmen, die weiterhin überdurchschnittlich viel Energie verbrauchen, würden zusätzlich belastet. Als Kompensation für die Mehrausgaben der privaten Haushalte bietet sich idealerweise die Mehrwertsteuer an. Dies, weil sie etwa mit den gleichen leicht regressiven Verteilungswirkungen belastet ist wie eine allgemeine Energiesteuer. Zudem wäre es verwaltungstechnisch am einfachsten, die Mehrwertsteuersätze zu senken. Leider ist dieser Weg aber bei einem nationalen Alleingang verbaut. Hier bestehen eindeutige EU-Vereinbarungen zur Harmonisierung der europäischen Mehrwertsteuersätze. Als „second-best-Lösung hat das DIW daher die Einrührung eines „Öko-Bonus" vorgeschlagen. Dieser wäre so auszugestalten, daß einheitlich, orientiert an der Anzahl der Haushaltsmitglieder, eine Rückerstattung der Energiesteuer an die privaten Haushalte erfolgen sollte. Die Durchführung könnte ähnlich wie die Kindergeldzahlungen geregelt werden. Dieses Verfahren hätte den Vorteil, daß es fast völlig verteilungsneutral in bezug auf die Energiesteuer wäre. (vgl. Schaubild 2). Nettobe- und -entlastung bewegten sich im Promillebereich. Andere Vorschläge, die in der Öffentlichkeit kursieren, erreichen nicht diese Verteilungsneutralität. So würden z.B. bei einer Rückerstattung in Form einer Senkung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung die Selbständigen, Beamten und Sozialhilfeempfänger unberücksichtigt bleiben. Da die Selbständigen und Beamten bei der Finanzierung der deutschen Einheit weitgehend geschont wurden, könnte man ein gewisses Verständnis für eine solche Regelung aufbringen. Allerdings dürfte die Lobbyarbeit dieser beiden Gruppen eine Regelung ohne ihre Einbeziehung zu verhindern wissen. Da wären schon die Beamten des Finanzministeriums vor. Problematisch wäre aber auch, daß die Sozialhilfeempfänger und Familien mit Kindern schlechter gestellt würden, da sie entweder keine höheren Transfers und/oder keine adäquate Entlastung erhielten.

Die Kompensation für den Unternehmensbereich sollte nach dem DIW-Modell über einer Senkung der Beitragssätze der Arbeitgeber zur Rentenversicherung erfolgen. Dies wäre verwaltungstechnisch leicht zu bewerkstelligen und hätte den Vorteil, daß gezielt eine Entlastung bei den Arbeitskosten erfolgt. Wie die Reaktionen auf den DIW-Vorschlag zeigen,

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Schaubild 2

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hat aber insbesondere die Gewerkschaftsseite große Vorbehalte gegen eine solche Regelung, die die solidarische Finanzierung der Sozialleistungen aufhebt. Aus rein theoretischen Überlegungen heraus spielt es keine große Rolle, ob nur die Beitragssätze der Arbeitgeber oder die Beitragssätze von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam gesenkt werden, solange nur die Arbeitskosten insgesamt niedriger ausfallen. Allerdings könnte hiervon in der gegenwärtigen Situation eine Signalwirkung für zukünftige Beitragssatzänderungen ausgehen. Angesichts der ungleichen Verhandlungsstärke der beiden Tarifpartner befürchten die Gewerkschaften bei einer solchen Regelung eine weitere Verschlechterung der Verteilungsposition der Arbeitnehmer.

Mit Hilfe von energiewirtschaftlichen Modellen, angelehnt an Ergebnisse der Prognos AG, wurden die möglichen Energieeinsparungen in Folge der ökologischen Steuerreform abgeschätzt. Dabei wurde berücksichtigt, daß auch ohne Energiesteuer in Zukunft die Energieeffizienz der Produkte steigen wird. Allerdings dürfte diese Entwicklung durch das zu erwartende Wirtschaftswachstum in etwa kompensiert werden mit dem Effekt, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren gegenwärtigen Energieeinsatz und damit ihre CO2-Emissionen hält. Verglichen mit einem solchen Status-quo-Szenario sinken Energieverbrauch und CO2-Emissionen bei Durchführung einer ökologischen Steuerreform um bis zu 25% im Jahr 2010 (vgl. Tabelle 1).

Große Aufmerksamkeit hat der nächste Analyseschritt der DIW-Studie erhalten. In diesem wurden mit Hilfe der Input-Output-Analyse die Nettopreiseffekte der ökologischen Steuerreform für einzelne Industriezweige ermittelt (vgl. Tabelle 2). Danach steigen insbesondere in der Stahl- und der chemischen Industrie die Preise steuerbedingt nach 10 Jahren um 20% bzw. 7%. Diese Ergebnisse wurden von Industrieseite aus als Beleg für die katastrophalen wirtschaftlichen Auswirkungen einer ökologischen Steuerreform genommen. Übersehen wurde dabei, daß viele andere Bereiche, hier insbesondere auch Exportbranchen wie der Maschinenbau und die Elektrotechnik, zu den Gewinnern einer solchen Reform zu rechnen wären und in diesen Branchen auch zusätzliche Arbeitsplätze entstehen würden. Die Exportpreise müßten nach 10 Jahren um knapp 2% erhöht werden bzw. die D-Mark müßte um knapp 2% abwerten, soll die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch die Reform

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Tabelle 1:
Szenarien zur Entwicklung des Energieverbrauchs

- alte und neue Bundesländer -


nicht berührt werden. Dies allerdings nur unter der Annahme, daß es der Wirtschaft in diesen 10 Jahren nicht gelingt, energieeinsparende Techniken zu entwickeln. Eine geradezu absurde Unterstellung. Von daher ist die weit überzogene Kritik der Industrie an dem Vorschlag eines nationalen Alleingangs zurückzuweisen. Die echten Gewinner der Reform wären allerdings die Dienstleistungsbereiche, die besonders arbeitsintensiv pro-

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duzieren. Der Staat selbst würde bei seinen Beiträgen zur Sozialversicherung kräftig entlastet.

Tabelle 2:
Sektorale Preiseffekte durch Energiesteuer und deren Kompensation durch Verminderung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung für die größten Produktionssektoren


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Als letzter Analyseschritt wurden vom DIW die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der ökologischen Steuerreform mit Hilfe eines ökonometrischen Modells ermittelt. Dabei wurden jeweils eine Wirtschaftsentwicklung mit und ohne ökologische Steuerreform miteinander verglichen. Dazu nun im einzelnen.

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5. Details der gesamtwirtschaftlichen Effekte

Die Reaktion gesamtwirtschaftlicher Größen wie Beschäftigung, Preisniveau, Wirtschaftswachstum und Außenbeitrag auf eine ökologische Steuerreform wird wesentlich vom Verhalten der Geld-, Finanz- und Lohnpolitik beeinflußt. Entsprechende Verhaltensannahmen sind dem Modell als Annahmen zugrundegelegt. In Alternativrechnungen wird die Sensitivität der Ergebnisse in bezug auf Veränderungen dieser Annahmen analysiert.

In einer Basisvariante (vgl. Tabelle 3) wird zunächst angenommen, daß sich Realzinsen und der reale Außenwert der D-Mark nicht ändern. Außerdem wird ein unverändertes tarifpolitisches und finanzpolitisches Verhalten unterstellt. In diesem Szenario beeinflußt die Steuerreform Wirtschaftswachstum und Tariflohnentwicklung nur geringfügig. Bei leichter nominaler Abwertung der D-Mark und geringeren Energieimporten nimmt der reale Außenbeitrag zu. Gleichzeitig werden die öffentlichen Haushaltsdefizite insbesondere aufgrund höherer Mehrwertsteuereinnahmen und geringerer Personalkosten reduziert. Die Beschäftigung nimmt innerhalb von zehn Jahren um gut 600.000 Personen zu. Dies ist vor allem auf den ausgelösten Struktureffekt - die Nachfrage wird von energieintensiven zu arbeitsintensiven Produkten verlagert - und durch eine Veränderung der Faktoreinsatzverhältnisse zurückzuführen. Der Beschäftigungsanstieg geht mit einer geringeren Zunahme der Arbeitsproduktivität einher.

Der konstante reale Wechselkurs bewirkt, daß auch bei einem nationalen Alleingang die Steuerreform die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht beeinträchtigt, da die Preiseffekte bei den Exportgütern über die Abwertung neutralisiert werden. In einer ersten Alternativrechnung (Variante 1) wird der nominale Wechselkurs konstant gehalten. Folglich verschlechtert sich die Wettbewerbsfähigkeit, und die realen Exporte sinken unter das

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Tabelle 3:
Gesamtwirtschaftliche Effekte einer ökologischen Steuerreform


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Niveau der Referenzsimulation. Andererseits fällt der Anstieg des inländischen Preisniveaus in diesem Fall geringer aus, da die Importpreise nicht steigen. Dies wirkt stabilisierend auf den realen privaten Verbrauch. Die Wachstums- und Beschäftigungswirkungen bewegen sich daher in der gleichen Größenordnung wie in der Basisvariante.

In einer weiteren Simulation (Variante IV) wird ein geringerer Einfluß der Lohnstückkosten auf die Beschäftigung unterstellt, da das Modell die Beschäftigungseffekte möglicherweise überzeichnet. Bei etwas höherem Wirtschaftswachstum und höherer Arbeitsproduktivität als in der Basisvariante fällt der Beschäftigungseffekt dann deutlich geringer, aber immer noch positiv aus.

Bei allen bisher vorgestellten Varianten verbessert sich der Finanzierungssaldo des Staates. Wird nun angenommen, daß die Finanzpolitik einem möglichst saldenneutralen Ausgabenpfad folgt und die über die Energiesteuer hinaus entstehenden Budgetüberschüsse für zusätzliche Investitionen verwendet, so verstärken sich die positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekte im Vergleich zur Basisvariante (Variante V).

Insgesamt zeigt sich, daß auch bei einer vorsichtigen Einschätzung im Zuge der ökologischen Steuerreform innerhalb von zehn Jahren mit bis zu einer halben Million zusätzlicher Beschäftigter gerechnet werden kann. In keiner der untersuchten Varianten wird das Wirtschaftswachstum durch die ökologische Steuerreform wesentlich beeinflußt. Insofern ist eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch die ökologische Steuerreform nicht zu befürchten. Dieses Ergebnis wird durch eine Reihe weiterer Analysen auch für andere Länder und mit Hilfe von ökonometrischen Mehr-Länder-Modellen bestätigt.

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6. Fazit

Die Ergebnisse der Studie zeigen, daß ein nationaler Alleingang bei Einführung einer ökologischen Steuerreform durchaus vernünftig ist. Dabei sind deutliche Beschäftigungseffekte zu erwarten. Allerdings lösen diese nicht unser derzeitiges Problem auf dem Arbeitsmarkt. Berücksichtigt man die Einflüsse von der Stillen Reserve, dann kann die Arbeitslosigkeit innerhalb von 10 Jahren „nur" um 300.000 bis 400.000 Personen abgebaut

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werden. Ein gravierendes Problem einer solchen Reform dürfte zudem die Zunahme der Arbeitslosigkeit an einigen Standorten der Stahl- und der Grundstoffchemie darstellen. Hier handelt es sich zwar um Branchen, die im Rahmen des Strukturwandels sowieso weiter an Bedeutung verlieren werden, doch wird dieser Strukturwandel durch eine ökologische Steuerreform noch beschleunigt. Die Regional- und Strukturpolitik kann die entstehenden Probleme nicht verhindern, sondern nur abfedern. Da bei einem „Abwandern'" energieintensiver Branchen die erzeugten Produkte im Zweifel als sogenannte „graue Energie" wieder importiert werden, spricht einiges dafür, die besonders betroffen Branchen zumindest solange mit einem ermäßigten Energiesteuersatz zu belegen, wie die ökologische Steuerreform noch nicht einheitlich in der Europäischen Union eingeführt wird. Danach kann das Wettbewerbsproblem dadurch vermieden werden, daß an der Außengrenze der Europäischen Union Zölle auf besonders energieintensive Produkte erhoben werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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