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Vorbemerkung


Die Bundesrepublik Deutschland kann heute auf eine über 30jährige Zuwanderung von ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familien zurückblicken. Trotz der vielfältigen Bemühungen der Zuwanderer selbst und der Hilfsangebote der deutschen Gesellschaft wäre es aber sicher verfehlt, von einer gelungenen Integration zu sprechen. Zu gravierend sind auch heute noch die Benachteiligungen im Schul-, Arbeits- und Wohnbereich. Und auch das Zusammenleben im Stadtteil, im Verein und auch in der Schule und am Arbeitsplatz gestalten sich häufig konflikthaft. Von der rechtlichen und politischen Gleichstellung der Zuwanderer mit Einheimischen sind wir noch ein weites Stück entfernt. Auch in den neuen Bundesländern zeigen sich erhebliche Konflikte im Zusammenleben von Einheimischen und Zuwanderern, seien es nun die „alten" Vertragsarbeitnehmer oder die „neuen" Flüchtlinge und Asylbewerber.

Es wird deshalb meines Erachtens eine zentrale Aufgabe der Zukunft sein, das Zusammenleben von Migranten und Einheimischen in einer multikulturellen Gesellschaft zu gestalten und zu regeln. Wir müssen Abschied nehmen von der Vorstellung, daß Deutschland ein ethnisch homogener Nationalstaat sei. Dies war er weder in der Vergangenheit, noch wird er es in Zukunft sein können. Dem Projekt „Interkulturelles Lernen" messe ich in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu.

Innerhalb der pädagogischen Disziplin ist das Konzept des interkulturellen Lernens die Antwort auf die in den sechziger und siebziger Jahren dominierende „Ausländerpädagogik". Diese konzentrierte sich in ihren Bemühungen in erster Linie auf die Behebung von Defiziten der Zuwanderer und verfolgte oftmals das Ziel, die Anpassung der Migranten an die Kultur der Einheimischen und die etablierten Standards zu gewährleisten. Eine Gefahr bei ihr bestand darin, einen statischen Kulturbegriff zur Grundlage ihrer Bemühungen zu machen. Die Kulturen der Herkunftsländer wurden häufig als Interpretationsrahmen für auftretende Konflikte in der deutschen Gesellschaft benutzt. Interkulturelles Lernen hingegen stützt sich auf einen Kulturbegriff, der die aktive Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen zum Ausgangspunkt nimmt. Es betont das Prozeßhafte, nicht Abgeschlossene und die Lernfä-

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higkeit der Individuen. Vor allem bezieht es auch die Mehrheit in die Planungen mit ein. Kultur wird nicht mit Nation gleichgesetzt, was vor allem für die Interpretation der Lebenswelt der Migranten von entscheidender Bedeutung ist. Nicht mehr die Kultur der Herkunftsländer wird dann zum entscheidenden Bezugspunkt der pädagogischen Bemühungen, sondern die speziellen kulturellen Elemente und Lebensmilieus der Migrantenkulturen, der ethnischen Minderheiten, stehen im Mittelpunkt.

Mit diesen Themen beschäftigte sich der Gesprächskreis Arbeit und Soziales während einer Konferenz am 18. Oktober 1994 in Lutherstadt Wittenberg. Ich danke den Referentinnen und Referenten, die uns ihre Beiträge zum Abdruck zur Verfügung gestellt haben. Wir haben die Tagungsdokumentation ergänzt durch einen Beitrag von Jürgen Micksch, der eine Art Bilanz der „Woche der ausländischen Mitbürger" enthält. Außerdem gilt mein Dank meiner Kollegin Claudia Unkelbach, die für die Organisation der Konferenz und die Erstellung dieser Broschüre verantwortlich war.

Bonn, im Juni 1995 Günther Schultze

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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