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Heinrich Freckmann: Praktische Konsequenzen des neuen Asylrechts und seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz

1. Als am 10.7.1989 das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß unter AZ. 2 BvR 502/86 u.a. zu der Frage Stellung nahm, bis zu welchem Punkt eine Verfolgung „politisch", also asylrelevant sei, wenn im Heimatland eine Bürgerkriegslage bestehe, wurde in der Politik gerade wieder einmal nachgedacht, inwieweit der Anspruch auf Asyl im deutschen Recht vermindert werden könnte. Gesetzes- und Verfassungsänderungen in den Jahren 1990, 1992 und 1993 waren die Folge. Seit geraumer Zeit schon wird zu der Frage, ob ein Ausschluß vom Recht auf Asylgewähr in der Bundesrepublik im Falle der Durchreise durch ein sicheres Drittland erfolgen darf, eine Klärung seitens des Verfassungsgerichtes erwartet. Maßgeblich dürfte es insoweit auch darauf ankommen, ob es ausreicht, wenn einzig durch die Bundesrepublik gesetzlich festgestellt werden kann, ob der Flüchtling in diesem Durchreiseland hätte „sicher" sein können oder ob diese gesetzliche Fiktion zumindest widerlegbar ist.

Neben der Flut von materiellen und verfahrensrechtlichen Gesetzesänderungen, die seit der eingangs angesprochenen Entscheidung ergangen sind und die - darauf werde ich später eingehen - massive Auswirkungen auf die Lage des Flüchtlings haben, der im Bundesgebiet wegen der ihm in der Heimat drohenden Gefahren bleiben darf, haben sich in der Entscheidungspraxis des Bundesamtes und vieler Verwaltungsgerichte aus jener verfassungsrechtlichen Rechtsprechung Tendenzen ergeben, die nach meiner Auffassung zu einer endgültigen Aushebelung des Asylrechtes führen könnten. Aus diesem Grunde will ich zu Beginn jene Entscheidung kurz darstellen.

2. Das Verfassungsgericht hatte zu entscheiden, inwieweit ein Staat, in dem ein Bürgerkrieg tobt, noch als Verfolger infrage kommt. Ausgangspunkt waren die Asylverfahren von Tamilen.

2.1 Eine asylrelevante Verfolgung liegt hiernach dann vor, wenn sie von einem Träger überlegener, i.d.R. hoheitlicher Macht ausgeht, dem der

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Verletzte unterworfen ist. Das Wort „politisch" bedeutet, daß diese Verfolgung im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um die Gestaltung und Eigenart der allgemeinen Ordnung des Zusammenlebens von Menschen steht, also einen öffentlichen Bezug hat.

2.2 Es wird weiter ausgeführt, Staaten stellten in sich befriedete Einheiten dar, die nach innen alle Gegensätze, Konflikte und Auseinandersetzungen durch eine übergreifende Ordnung in der Weise relativierten, daß diese unterhalb der Stufe der Gewalttätigkeit verblieben, die Existenzmöglichkeit des einzelnen nicht in Frage stellten, insgesamt also die Friedensordnung nicht aufhöben. Werde dem einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Maßnahmen gezielt Rechtsverletzungen zugefügt, die ihn in ihrer Intensität aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzten, so sei die Verfolgung eine politische (BVerfG v. 10.07.1989, 2 BvR 502/86 u.a,B.I.1.a-d).

Hiernach ist eine staatliche Verfolgung möglich durch den Staat selbst wie auch durch dem Staat ähnliche Organisationen, die den jeweiligen Staat verdrängt haben oder denen dieser das Feld überlassen hat und die ihn daher insoweit ersetzen. Daneben sind dem Staat ausnahmsweise Verfolgungshandlungen Dritter zuzurechnen, wenn der Staat zur Schutzgewähr nicht bereit ist oder sich nicht in der Lage sieht, ihm verfügbare Mittel zum Schutz einzusetzen (a.a.O., B.I.2.).

2.3 Selbstverständlich muß die Verfolgungsmaßnahme gezielt auf den Betroffenen gerichtet sein. Daran fehlt es bei Nachteilen aufgrund allgemeiner Notumstände wie Hunger, Katastrophen, Krieg, Unruhen usw. Andererseits schließen derartige Umstände nicht aus, daß der Staat, der am Rande oder im Bürgerkrieg steht, auch gezielt und asylrelevant Gegner verfolgt (a.a.O., B.I.4.b).

2.4 Aufgrund der sich schnell ändernden politischen Lagen in den Herkunftsländern und der erheblichen Zeitdauer der Asylverfahren stellte sich dem Senat auch die Frage, unter welchen Gesichtspunkten eine Rückkehr des einmal Verfolgten möglich sei.

Erst nachdem also der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Flucht behandelt und nach den vorgenannten Kriterien festgestellt wurde, daß der Betroffene asylrelevant verfolgt wurde und keine Sicherheit in den anderen Landesteilen erhalten konnte, ist daher die politische Gefährdungslage für den

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Betroffenen zu untersuchen, falls er zum Zeitpunkt der Entscheidung in die Heimat zurückkehren sollte. Bestehen die die Flucht begründenden Umstände im Zeitpunkt der Entscheidung ohne wesentliche Änderungen fort, muß der Asylantrag Erfolg haben. Ist hingegen die Verfolgungsgefahr zwischenzeitlich beendet, kommt es darauf an, ob mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist. Gleiches gilt, wenn sich bei fortbestehender regionaler Verfolgung nach der Einreise in den Geltungsbereich des Grundgesetzes eine zumutbare inländische Fluchtalternative eröffnet (a.a.O., B.I.6).

2.5 Anhand dieser in sich schlüssigen verfassungsrichterlichen Feststellungen dürfte einsichtig sein, daß Personen im Bundesgebiet kein Asylrecht erhalten, die, vereinfacht gesagt, erklären, sie benötigten Schutz, weil sie zu Hause der allgemeinen miserablen Lebenssituation unterworfen seien, gegebenenfalls aus einem Gebiet stammten, in dem ein Bürgerkrieg tobe und z.B. auch ihr Haus bereits von Geschossen getroffen sei, wie sie in der Umgebung häufig niedergingen. Für diese Fälle, so führte das Verfassungsgericht aus, gebe es sonstige vorübergehende Schutzfindungsmöglichkeiten im Bundesgebiet.

3. Für immer mehr Personengruppen mehren sich nunmehr jedoch behördliche wie auch gerichtliche Entscheidungen, in denen das Schicksal des einzelnen nahezu unbeachtet bleibt, in denen vielmehr Asylrecht mit den nachfolgend darzulegenden Konsequenzen verneint wird, es gebe in dem Herkunftsland keinen Verfolgerstaat. Dies trifft nicht nur für Somalia zu, sondern in vielen Entscheidungen auch für schwarzafrikanische Länder wie Zaire; ein anderes markantes Beispiel sind Entscheidungen zu afghanischen Asylbewerbern, wo nach meiner Einschätzung derzeit ca. 2/3 der deutschen Verwaltungsgerichte aufgrund fehlender Staatsgewalt bereits Asylrecht nach Art. 16 a GG verneinen mit der weiteren Folge, daß selbstverständlich auch kein Schutz nach § 51 I AuslG und - aufgrund der neuen Feststellung des BVerwG - kein Schutz nach § 53 IV AuslG zugebilligt werden kann.

3.1 Begründet werden diese Entscheidungen damit, daß eine zentrale Herrschaftsgewalt in Afghanistan derzeit nicht bestehe und auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Zwar könne Asylrecht auch gewährt werden, wenn die Gefährdungshandlungen von Organisationen oder Gruppen ausgingen, die selbständige Herrschaftsstrukturen in einer Region er-

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richtet hätten, und es dürfte unerheblich sein, ob diese Herrschaft demokratische oder diktatorische Züge trage, es fehle jedoch daran, daß diese Gruppen in der Lage seien, eine übergreifende Friedensordnung zu erhalten, die dadurch gekennzeichnet sei, einheitliche Regeln des Zusammenlebens vorzugeben und für deren Durchsetzung ein tatsächlich verwirklichtes Gewaltmonopol zur Verfügung zu stellen. Es gehöre hierzu die Möglichkeit der Verhängung von Sanktionen, die reinen Kriminalstrafen gleichzusetzen und nach allgemein anerkannten Grundsätzen zu bewerten seien. Der überall im Lande praktizierte Islam sei nicht so sehr die Grundlage des Handelns der jeweiligen Ortspotentaten, allenfalls deren Alibi. Die jeweilige Herrschaftsmacht würde vielmehr von dem jeweiligen Machthaber bzw. seinem Familienclan letztlich zu dem persönlichen Vorteil genutzt; sie diene nicht mehr einer allgemein herrschenden Friedensordnung und sei somit nicht öffentlich.

3.2 Mit einer derartigen Rechtsprechung können völlig ohne Verfassungs- und Gesetzesänderung nicht nur das Asylrecht, sondern auch viele der sonstigen rudimentären Rechte, welche Schutzsuchende im Bundesgebiet in Anspruch nehmen wollen, ad absurdum geführt werden:

Wieviel Vetternwirtschaft der Herrschenden, Bestechbarkeit der Verwaltung, wechselnde Koalitionen der Machtträger usw. sind in einer Entscheidung aufzulisten, um nachzuweisen, daß keine Herrschaftsgewalt und damit auch kein Asylanspruch bestehen? Einmal im Computer als Begründung gespeichert, lassen sich Entscheidungen für derartige Ländergruppen im Fließbandverfahren herstellen, gegebenenfalls mit dem Schlenker, daß aufgrund der „Clanstrukturen" im Heimatland gewiß auch bei einem anderen Machthaber noch ein Unterkrauchen möglich sei, zumal da bekannt sei, daß jeder der Feudalherren gerne auch sogenannte frühere politische Differenzen übersehe, wenn es opportun sei. Aus den vorhandenen und den Entscheidungen zugrundeliegenden Auskünften, Berichten etc. lassen sich immer einzelne Sätze finden, die derartige Begründungen stützen, auch wenn sie in ihrem Gesamtzusammenhang Wechselmöglichkeiten in abstammungsfremde Gebiete gerade ausschließen.

3.3 Gegen derartige Urteile ist eine Berufungsmöglichkeit kaum noch gegeben: Sie sind computermäßig als Einzelfallentscheidungen dargestellt, und Zulassungsanträge werden z.B. vom OVG Lüneburg mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Frage der Herrschaftsgewalt dahingestellt

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sein könne, da zumindest auch festgestellt sei, es bestünden Schutzfindungsmöglichkeiten in anderen Landesteilen - wobei die Frage nicht behandelt wird, ob dies nicht bereits „andere Staaten" seien.

4. An diesem Beispiel erst wird deutlich, wie bedeutsam allein schon die Verfahrensänderungen der letzten fünf Jahre auf das Schutzfindungsverfahren im Bundesgebiet sind:

4.1 Wie schnell wird nicht dem Asylsuchenden bei der Anhörung vor dem Bundesamt - ich unterstelle, daß dies in bester Absicht geschieht - seitens des Anhörers zur Abkürzung seines Redeflusses erklärt, für die Entscheidung komme es auf Teilaspekte der Umstände nicht an, die er gerade vorträgt. Die Protokollierung der Anhörung wird dann in diesen Punkten verkürzt. Welcher Mensch würde sich auch derartig gutgemeinten Ratschlägen einer Person der Behörde widersetzen.

Kommt es nunmehr im Gerichtsverfahren zu einer weiteren Anhörung, bei der nicht nur der Sachverhalt weiter aufgeklärt werden soll, sondern die vor allem auch der Feststellung der Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden dienen soll, und kommen hier weitere Fakten ans Licht, die im Protokoll des Bundesamtes nicht aus gleich welchen Gründen enthalten waren, so wird ihm nunmehr gesteigertes oder widersprüchliches Vorbringen vorgehalten. In manchen Fällen wird der beteiligte Rechtsbeistand den Eindruck nicht los, als werde die Verhandlung einzig zu dem Grunde durchgeführt, endlich einen noch so kleinen Widerspruch oder ein neues und damit gesteigertes Vorbringen hervorzurufen. Bausteinmäßige Urteilsbegründungen unter Zitierung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, daß in diesem Einzelfall aus eben diesem Grunde das Vorbringen unglaubwürdig und der Klageanspruch abzuweisen sei, sind die Folge.

4.2 Die Richter selbst stehen unter erheblichem Druck: Die Zahl der Verfahren ist erheblich angestiegen, die Richterstellen wurden nicht in dem gleichen Umfang vermehrt. Statt dessen wurden Mittel zur Verfahrensbeschleunigung geschaffen:

  • die Rechtsmittelfristen wurden gegenüber den normalen für jedermann geltenden Rechtsmittelfristen erheblich verkürzt; viele Rechtsmittel, also Klagen, Zulassungsanträge usw. erledigen sich daher schon dadurch, daß sie zu spät eingelegt oder zu spät begründet sind;

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  • solange keine Grundsatzfragen betroffen sind, kann die Übertragung des Rechtsstreites zur Verhandlung und Entscheidung auf den Einzelrichter erfolgen;

  • Gründe und Tatsachen, die zu spät vorgebracht wurden, können unberücksichtigt bleiben (Konklusionsklausel);

  • Berufungsverfahren sind nur noch möglich, wenn auf gesonderten Antrag hin die Berufung zugelassen wird. Dies ist gemäß § 78 III AsylVfG nur noch möglich bei grundsätzlicher Bedeutung der Sache, wesentlicher und in der Begründung maßgeblicher Abweichung von der ober- oder höchstrichterlichen Rechtsprechung oder bei Vorliegen eines wesentlichen und die Entscheidung einzig stützenden Verfahrensmangels gemäß § 138 VwGO.

4.3 Wen wundert es dann noch, daß viele Entscheidungen heute den Eindruck erwecken, es solle unter Einsatz der computermäßigen Bausteinverarbeitung einzig abgesichert werden, es läge eine Einzelfallentscheidung vor. Auch wenn dem jeweiligen Richter bewußt ist, daß andere Gerichte konträr entscheiden, so wird nicht mehr versucht, eine einheitliche ober- oder gar höchstrichterliche Entscheidung anzustreben, sondern einzig eine immer greifende Begründung auf- und ausgebaut, wonach die vorliegende Entscheidung einzig Einzelfallcharakter habe, so daß bereits aus diesem Grunde ein Antrag auf Rechtsmittelzulassung fehlschlagen muß. Daß gar ein Gericht z.B. zur Klärung der Frage, was denn unter „Herrschaftsgewalt" zu verstehen sei, selbst das Verfassungsgericht anruft, scheint undenkbar. Ein jedes Gericht interpretiert vielmehr die verfassungsrechtliche Auslegung auf seine Weise in festgeformten Bausteinen.

5. Was nun geschieht dem Schutzsuchenden nach einer rechtskräftigen Entscheidung, welchen Status erhält er, welche Probleme stellen sich ihm außer denen, die allein durch das Leben außerhalb der Heimat oder durch persönliche Erfahrungen begründet sind?

Wir kennen unterdessen im wesentlichen die ganze Skala der Entscheidungsmöglichkeiten, nämlich

  • Asylanerkennung gemäß Art. 16 a GG;

  • kein Asyl, aber § 51 I AuslG;

  • kein Asyl, kein § 51 I AuslG, aber § 53 AuslG - welcher Absatz?;

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  • kein Asyl, keine §§51 oder 53 AuslG, aber gleichwohl keine Rückkehrmöglichkeit;

  • kein Asyl, keine §§51 oder 53 AuslG, theoretische freiwillige Rückkehrmöglichkeit, aber keine Abschiebungsmöglichkeit.

5.1 Erhält jemand Asylrecht gemäß Art. 16 a GG, so ist die Lage noch relativ klar: Er ist Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention, hat Anspruch auf Erteilung eines Reisedokumentes nach diesem Abkommen, auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthalts- und der besonderen Arbeitserlaubnis gemäß § 2 AEVO. In der Regel wird ihm auch die selbständige Tätigkeit nicht untersagt - obgleich dies nunmehr auch schon einige Ausländerbehörden versuchen.

Nach fünf Jahren Aufenthalt im Bundesgebiet kann beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Aufenthaltsberechtigung erteilt werden (§ 27 AuslG). Im Ermessenswege kann die Einbürgerung frühestens nach dem RuStAG nach sieben Jahren erfolgen. Die gesamte Aufenthaltszeit ist auf Anspruchseinbürgerungen nach §§ 85 f AuslG anrechenbar.

Auf den Nachzug von engen Familienangehörigen besteht im wesentlichen ein gesetzlicher Anspruch, auch wenn es wiederholt Schwierigkeiten gibt, die Tatsache der Familienzusammengehörigkeit anhand von legalisierten Urkunden zu beweisen, die erforderlichen Mindestwohnraumgrößen vorweisen zu können usw.

Es besteht ein Anspruch auf Kinder- und Erziehungsgeld wie bei Deutschen.

5.2 Erfolgt einzig eine Entscheidung nach § 51 I AuslG, so gibt es zwar auch einen Reiseausweis nach der Genfer Konvention und - unterdessen - die besondere Arbeitserlaubnis, als Aufenthaltsgenehmigung wird jedoch nur die Aufenthaltsbefugnis erteilt.

Folge hiervon ist, daß zwar neuerdings noch Anspruch auf Kindergeld besteht, nicht jedoch auf Erziehungsgeld. Der Erhalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist nur gemäß § 35 AuslG möglich. Dies bedeutet, daß unter Einschluß des Asylverfahrens ein mindestens achtjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet besteht und der betroffene Ausländer für sich und seine hier lebenden Familienangehörigen gesichert ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel leben kann, also ein nachweisbares Einkommen

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in ungekündigter Stellung bezieht, das ohne Kindergeld, Arbeitslosengeld, Renten, Wohnungsgeld etc. die persönlichen Kosten abdeckt und über dem Sozialhilfesatz liegt - selbst für deutsche Gutverdiener fast unmöglich, wenn mehrere Kinder vorhanden sind.

Es besteht kein Anspruch auf Familienzusammenführung; sollte der §51 I-Berechtigte mit einer Person aus einem Drittland verheiratet sein, so wird ihm zugemutet, seine Rechtsstellung als Flüchtling im Bundesgebiet aufzugeben und zum Vollzug der Ehe in das Drittland zu gehen. Familienzusammenführung von Familienangehörigen aus dem Heimatland ist in der Regel nur möglich neben dem bei Asylberechtigten festgestellten gesicherten ausreichenden eigenen Einkommen ohne jegliche öffentliche Mittel.

Eine Einbürgerung nach §§ 85 f AuslG kann nicht erfolgen, da hier bei Antrag eine Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung vorliegen muß. Dies nehmen viele Behörden - m.E. zu Unrecht - auch bei einem Antrag auf Ermessenseinbürgerung nach dem RuStAG an.

Eine dauerhafte Aufenthaltsverfestigung und Integration, wie sie nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfolgen sollte, ist so faktisch nicht möglich.

5.3 Fällt einzig eine Entscheidung nach § 53 AuslG, ist also eine Abschiebung mangels politischer Verfolgung in das Heimatland möglich, nunmehr aber untersagt wegen sonstiger drohender menschenrechtswidriger (Einzel-)Gefährdung, wobei nach der neuesten Rechtsprechung des BVerwG diese im Falle des § 53 IV AuslG vom Staate ausgehen muß - was aber nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung asylrelevant wäre - und im Falle des § 53 VI 1 AuslG nicht die Vielzahl der Bevölkerung treffen darf, sondern nur den jeweiligen Einzelfall, dann darf in vielen Bundesländern nunmehr die Ausländerbehörde eine Aufenthaltsbefugnis erteilen, wenn der Betroffene einen gültigen Heimatpaß hat oder besorgen konnte.

Natürlich gibt es weder Kinder- oder Erziehungsgeld, keinen Anspruch auf Familienzusammenführung, erst nach sechsjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet die besondere Arbeitserlaubnis für jeden Job, davor nur die allgemeine Arbeitserlaubnis für eine nachgewiesene Arbeitsstelle, für die keine deutschen oder bevorrechtigten ausländischen Arbeitsuchenden zu vermitteln sind - also so gut wie keine Arbeitserlaubnis mehr.

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Die selbständige Tätigkeit wird regelmäßig untersagt, gleich für welches Gewerbe, die Betroffenen also gerade dazu gezwungen, öffentliche Mittel in Anspruch zu nehmen, da sie nichts tun dürfen, wodurch sie für ihren und ihrer Familie Lebensunterhalt selbst sorgen könnten.

Wird ihnen von den Heimatbehörden ihr Paß nicht verlängert, riskieren sie, aufenthaltsrechtlich heruntergestuft zu werden auf eine Duldung: Nach dem Ausländerrecht erlischt eine jede Aufenthaltsgenehmigung, wenn sich der Ausländer nicht durch einen gültigen Paß oder Paßersatz ausweisen kann.

Kafkaeschke Verhältnisse sind in diesem Zusammenhang nicht selten. So gibt es Fälle staatenloser Kurden aus dem Libanon, die in den achtziger Jahren in das Bundesgebiet kamen, denen alle Jahre wieder zugemutet wird, seitens der libanesischen Botschaft ihre uralten Laisser Passez verlängern oder erneuern zu lassen bzw. Nachweise darüber beizubringen, daß der Libanon hierzu nicht bereit ist, sowie Nachweise aller Länder vorzulegen, in denen Kurden siedeln, daß sie nicht Staatsangehörige des jeweiligen Landes sind. In der Regel gibt es von keinem dieser Länder auf irgendwelche Anfragen der Betroffenen oder deren Anwälte irgendwelche Reaktionen. Sprechen die Betroffenen selbst in der Botschaft vor, müssen sie Gebühren zahlen und erhalten formularmäßige Bescheinigungen, daß Anträge nicht entschieden werden können o.ä. In einem mir unlängst bekanntgewordenen Fall hat die Ausländerbehörde nunmehr wegen Gebrauchmachens einer falschen Urkunde gar ein Strafverfahren gegen einen libanesischen Kurden eingeleitet, weil auf deren Nachfrage zu einer solchen Bescheinigung die Botschaft nunmehr erklärte, die Bescheinigung (die der Ausländer nach Gebührenzahlung in der Botschaft erhielt) sei gefälscht.

5.4 Gibt es weder Asyl noch § 511 oder § 53 AuslG, so wird dem Ausländer eine Grenzübertrittsbescheinigung, gar nichts, Bescheinigung über Ausreisepflicht o.ä., allenfalls eine Duldung erteilt, wenn seine Abschiebung nicht möglich ist, sei es wegen fehlender Papiere, weil ein Abschiebungsweg fehlt oder aus sonstigen Gründen eine Abschiebung derzeit nicht erfolgt. Dem behördlichen Einfallsreichtum scheinen hier keine Grenzen gesetzt zu sein. Sozialhilfe bzw. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden vermindert oder gar nicht gezahlt, sonstige Rechte bestehen praktisch nicht mehr.

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6. Eine Vielzahl von Menschen lebt in einem der oben geschilderten Zustände nunmehr in unserem Land. Eine Gesetzesinitiative einiger Bundesländer, den Aufenthalt von „Altfällen" zu legalisieren, insbesondere dann, wenn Kinder in die hiesigen Lebensverhältnisse hineingewachsen sind, läuft und läuft und läuft, bisher ohne Ergebnis. Bleiberechtsregelungen für Problemländer wie z.B. Afghanistan, Zaire usw. werden nicht einmal mehr diskutiert. So entsteht der Eindruck, in Deutschland solle das zweifellos durch den Zuzug von Schutzsuchenden vorhandene Problem dadurch gelöst werden, daß man diese Menschen rechtlich und materiell „aushungert".


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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