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Roderich Kulbach
Ideen für eine integrative Stadtpolitik 1


1. Begriffsbestimmungen

Der Integrationsbegriff ist im Zusammenhang mit der Lebenssituation von Migranten zur Worthülse geworden, mit der jede Profession andere Inhalte verbindet. Wenn zudem politische Programme mit völlig unterschiedlichen Zielsetzungen die „Integration der ausländischen Mitbürger" anstreben, ist es unerläßlich, den eigenen Standpunkt darzulegen. Idealtypisch kann von zwei theoretischen Grunddimensionen mit je zwei entgegengesetzten Ausprägungen ausgegangen werden: Integration steht dann für eine gesellschaftliche Situation, in der die Gruppen in gleichgewichtigen, spannungsarmen Beziehungen zueinander stehen (Gegenteil: Desintegration). Kommt es zu einem Angleichungsprozeß - in der Regel der Minderheiten an die Mehrheit -, wird von Assimilation gesprochen (Gegenteil: Dissimilation). Im Schema dieser Begriffspaare läßt sich die bisherige staatliche Ausländerpolitik in Deutschland als Integration durch Assimilation bezeichnen. Einwanderer sollen als Einzelpersonen integriert werden und die eigene kulturelle Identität weitgehend aufgeben (Frank, S. 13).

Zur Überwindung dieses Integrationskonzeptes wurde zunächst im gesellschaftspolitischen Raum dann von der Wissenschaft das Konzept der multikulturellen Gesellschaft entwickelt. Ausgehend von der Überzeugung, daß Integration keine Zwangsassimilation bedeuten kann, standen Fragen im Vordergrund,

  • wie das Zusammenleben einheimischer Mehrheit und zugewanderten Minderheiten interpretiert und fortentwickelt werden soll;

  • nach welchen normativen Gesichtspunkten es gestaltet werden soll (MAGS NRW 1995, S. 25).

Die unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen bei gleichzeitiger Benutzung des Begriffs „multikulturelle Gesellschaft" haben ihn ebenfalls inhaltlich unklar werden lassen. Dennoch können zwei Positionen unterschieden werden. Zum einen die „Emanzipation der Einwanderungsmin-

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derheiten" mit der Zielperspektive: Gleichheit von Rechten und Pflichten, Möglichkeit der Partizipation und Selbstorganisation, Aufhebung von Abhängigkeitsverhältnissen, Benachteiligungen und sozialen Ungleichheiten (Schulte 1990, S. 21ff).

Eine andere Position fragt, ob diese Forderungen in Zeiten internationaler Arbeitsmigration und sozialpolitischer Deprivilegierung weiter Bevölkerungskreise des Aufnahmelandes nicht Utopie ohne Wirklichkeitswert sind. Dem ist zu begegnen, daß die Bedingungen der Verwirklichung einer multikulturellen Gesellschaft selbstverständlich politischer Natur sind und auf Strukturen anderer Ungleichheit treffen (geschlechtsspezifische, soziale, wirtschaftliche). Auch wird es im Zusammenhang mit der Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft weiterhin Konflikte geben, doch diese müssen auf der Grundlage gleicher Rechte und nach demokratischen Regeln friedfertig ausgetragen werden. Die Frage nach den Alternativen ist hier aufschlußreich: Wollen wir die Entwicklung segregierender Kulturen, in der ethnische und religiöse Unterscheidungen zum Fundament der Identität von Minderheitengruppen werden und im Kampf um vermeintliche soziale und politische Vorteile eingesetzt werden? Die Folge wären zunehmend unlösbare Konflikte, in denen sich ethnisch-kulturelle, wirtschaftliche und religiöse Spannungen miteinander verbinden und eine neue „eth-class-society" entsteht.

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2. Lebenslagen von Ausländern

Bei der Beurteilung der Lebenslagen von Ausländern kommt es zu deutlichen Abweichungen, je nachdem, welche Bezugsgruppe zum Vergleich gewählt wird. Soll die Lebenslage mit den Daheimgebliebenen, der Situation von Migranten in vergleichbaren europäischen Staaten oder mit der Bevölkerung des Aufnahmelandes verglichen werden? Wählt man die Aufnahmegesellschaft als Vergleich, ist es strittig, ob nicht zusätzlich sozial-strukturelle Daten heranzuziehen sind (z.B. die Entwicklung der Lage der ausländischen Arbeiter verglichen mit deutschen Arbeitern).

Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern schneidet Deutschland bei den sozialen und ökonomischen Rechten und der Lebenslage von Migranten insgesamt relativ positiv ab, wohingegen dies bei der Einbürge-

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rung und den politischen Rechten nicht der Fall ist (MAGS NRW 1996, S. 85).

Einblicke in die wissenschaftliche Diskussion der Problematik von Armut und Unterversorgung, auf die das Lebenslagenkonzept zurückgeht, zeigen indes, daß die Situation bestimmter Bevölkerungsgruppen sinnvoll nur mit Einwohnern des jeweiligen Wohnsitz-Landes verglichen werden kann. Als verarmte Personen sind auch nach Vorschlägen der EG-Kommission jene Menschen zu verstehen, die über so geringe materielle und soziale Mittel verfügen, daß sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedsland, in dem sie leben, als Minimum annehmbar sind (Kulbach 1994, S. 12). Auf der Basis umfassender Längsschnittuntersuchungen (sogenanntes sozialökonomisches Paneel) ist versucht worden, ein Bild von Ausländerarmut nachzuzeichnen. Danach liegen ausländische Haushaltseinkommen deutlich unterhalb des Niveaus von deutschen Haushalten, obwohl in letzteren mit durchschnittlich 1,4 Verdienern gegenüber 1,1 in deutschen Haushalten eine höhere Erwerbsbeteiligung zu finden ist.

Insgesamt ist festzustellen, daß die Haushalte ausländischer Arbeitsmigranten in Deutschland wesentlich öfter von Armut betroffen sind als deutsche; sie verbleiben auch längere Zeit unterhalb der Niedrigeinkommensgrenze. Niedrigeinkommen sind darüber hinaus mit Disparitäten in anderen Lebenslagen verknüpft. Dies gilt z.B. für die Wohnverhältnisse. Der Durchschnitt bei deutschen Haushalten lag 1989 bei 1,9 Wohnräumen pro Kopf, während 80% der Ausländer mit einem Raum oder weniger pro Kopf lebten (Deutsche 34%). Zudem tritt bei Ausländern eine Häufung belastender Arbeitsplatzmerkmale auf, und sie sind stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Deutsche. So betrug die Arbeitslosenquote 1993 in NRW insgesamt 10,1%, bei Ausländern 20,2% (MAGS NRW 1994/2, S. 79).

Auch das relative Bildungsgefälle zwischen Deutschen und Ausländern hat sich im Generationsmaßstab kaum verändert. Nachdem die Migrantenkinder in Grund-, Haupt- und Realschule größtenteils integriert sind, sind größere Anteile deutscher Kinder in Fachoberschulen, Gymnasien und Hochschulen. Nur 10% der ausländischen Schüler besuchten 1991 Gymnasien (Deutsche 24,1%), nur 37,3% der 15- bis 18jährigen Ausländer begannen 1991 eine Lehre gegenüber 70% der deutschen Jugendlichen (Gaitanides, S. 37).

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Bei der Bewertung der Lebenslagen von Ausländern im Vergleich mit der Gesamtheit der deutschen Bevölkerung können die Migranten also zurecht als strukturell benachteiligt und institutionell diskriminiert bezeichnet werden (Krummacher/WaItz 1996, S. 115). Wird die Situation der ausländischen Zuwanderer mit der der sozialversicherungspflichtigen deutschen Arbeitnehmer verglichen, ist ein hohes Maß an Übereinstimmung dieser Bevölkerungsgruppen zu konstatieren. Ausnahmen betreffen vor allem den Wohnungsbereich und den Verbleib auch der nachfolgenden Generation vornehmlich in der verarbeitenden Industrie (MAGS NRW 1994/2, S.257f).

Je nach Bezugsgruppe sprechen Ausländerforscher von den Migranten als ökonomische und soziale Wohnbürger zweiter Klasse (siehe oben), während andere es nicht für gerechtfertigt halten, die Ausländer als „under-class" zu bezeichnen. Für sie sind die sozialen Benachteiligungen überwiegend nicht ausländerspezifischer Natur, sondern schichtspezifisch (u.a. Thränhard). Einigkeit herrscht jedoch in der Feststellung der politischen und rechtlichen Diskriminierung der Migranten. Diese durch bundespolitische Vorgaben hervorgerufenen Benachteiligungen beeinträchtigen eine Identifizierung mit dem Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland und erzwingen als Überlebensstrategie den Rückzug auf die eigene Gruppenidentität. Besonders bei der nachwachsenden Generation kann eine derartige rückwärtsgewandte Rekonstruktion der eigenen Herkunftsidentität zum Aufbau ethnischer Feindbilder beitragen und zu einer Eskalation interethnischer Konflikte mit der Mehrheitsgesellschaft führen (Gaitanides, S. 39).

Die Versäumnisse der Bundesrepublik Deutschland auf der politisch-rechtlichen Ebene sind bekannt (Deutschland kein Einwanderungsland, Vorenthaltung demokratischer Rechte wie das Kommunalwahlrecht usw.). Sie müssen auch häufig auf der kommunalen Ebene als Alibi für eigenes Nichtstun herhalten, obwohl vielfältige Möglichkeiten für Förderungen und gegen Diskriminierungen von Migranten bestehen. Diese drohen jedoch angesichts massiver anderer Probleme heutiger Kommunalpolitik in den Hintergrund zu rücken, zumal sie nicht mit dem Gewicht von Wählerstimmen versehen sind.

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3. Probleme heutiger Stadtpolitik

Veränderte Ansprüche der Bürger, Verlagerung von Lebensrisiken wie z.B. Arbeitslosigkeit aus den Versicherungssystemen auf die Kommune und das Abschieben von Aufgaben ohne angemessene Ausgleichszahlungen (z.B. Kindergärten) haben die Haushalte der Gemeinden mit einem Schuldenberg von fast 160 Milliarden DM (1994) auf einen Tiefpunkt gebracht. Dieser Sachverhalt trifft mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen zusammen, die im städtischen Raum besonders deutlich werden und als sich verändernde Möglichkeiten zu gesellschaftlicher Teilhabe benannt werden können. Als Gründe hierfür werden herkömmlich bezeichnet:

  • die großen Transfersysteme können durch ihre Lohnarbeitszentrierung ihre Ausgleichsfunktion immer weniger erfüllen;

  • der Umfang der integrativen Effekte sozialer Dienste hat nicht mit den Steigerungen an Ressourcen Schritt gehalten;

  • die Zerstörung traditionsgeleiteter Integrationssysteme hat zu einer Schwächung der Bindungskraft traditioneller Normen und kultureller Orientierungen geführt; diese von vielen als Befreiung erlebte Individualisierung der Lebensgestaltung kann in Krisen jedoch einen hohen Preis kosten, weil die Wertdifferenzierungen die Geltungskraft herkömmlicher sozialer Übereinkünfte in Frage stellen (Blanke, S. 8).

Hinzu kommen Probleme aus absehbaren gesellschaftlichen Veränderungen, die an die zukünftige Stadtentwicklung hohe Anforderungen stellen, wird doch die Expansion der Städte auf lange Frist anhalten. Alle namhaften Stadtentwicklungsexperten sind sich daher einig, daß die Sorge der Kommunalpolitik in den kommenden Jahren der Verhinderung weiterer räumlicher Segregation in den Großstädten dienen muß. Trotz einer sich verbessernden Wohnsituation von Ausländern leben sie gemeinsam mit deutschen benachteiligten Bevölkerungsgruppen auch heute noch vornehmlich in Stadtteilen mit geringer Wohn- und Wohnumfeldqualität. Dies geschieht keineswegs freiwillig, sondern aufgrund struktureller Benachteiligungen (Haushaltsgröße, Vermietervorbehalte, Miethöhe usw.). Die Problemlagen der Bewohner in den benachteiligten Wohngebieten überlagern sich, so daß die materiell zu fassenden strukturellen Mängel sich mit

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sozialräumlichen Defiziten vermischen. Dies führt zu einer hohen Konzentration von sozial und ökonomisch erfolgs- und durchsetzungsschwachen Gruppen wie Zuwanderern, Alten, Kinderreichen, Alleinerziehenden, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern (Krummacher/WaItz 1994, S. 179). Unter den gegenwärtigen sich rasch wandernden ökonomischen und sozialen Bedingungen gibt es zur Verhinderung räumlicher Segregation in unseren Großstädten keine einheitlichen Lösungen. Allerdings deuten viele Vorschläge in gleiche Richtungen. Zunächst muß das Interesse der Kommunalpolitik sich verstärkt von der sogenannten ersten Stadt, der international wettbewerbsfähigen Stadt, und der zweiten Stadt, der Wohnstadt für die Mittelschicht, auf die dritte Stadt richten. Dies ist die maginalisierte Stadt, die Stadt der Randgruppen, Ausgegrenzten und partiell der Ausländer (Oelschlegel, S. 89). Diese Dreiteilung der Großstädte spiegelt sich auf drei Ebenen wider:

  • der ökonomischen Spaltung nach Eigentum und Einkommen;

  • der sozialen Spaltung nach Bildung und sozialer Integration;

  • der kulturellen Spaltung nach Gesellschaftsschicht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion und normativer Orientierung.

Die zunehmende Desintegration der Stadtteile verhindert durch die ungleichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse Kommunikation und Integration zwischen den Bewohnern und beeinträchtigt die Identität der Bewohner mit ihrem Stadtteil (Krummacher/WaItz 1994, S. 185). Die Gefahr zukünftiger Spannungen steigt dadurch.

Lösungsvorschläge müssen die Abkehr von tradierten, vornehmlich bürokratisch-funktionalen Wegen vorsehen und sich an der Nutzung der örtlichen Ressourcen ausrichten (Prinzip der Kooperation und Selbstorganisation). Nicht die Unterstützung von Randgruppen allein (z.B. Ausländern) kann das Ziel sein, sondern die Stärkung benachteiligter sozialer Räume. Hierzu bedarf es der Entwicklung von bereichsübergreifenden Strukturen, die jenseits der bisherigen sektoral organisierten Verwaltung Geldströme in benachteiligte Stadtgebiete lenken. Besonders lokaler Sozialpolitik käme hierbei die Rolle von Koordinierung, Initiierung und Moderation zu. Ziel muß die Unterstützung und Selbsthilfeaktivierung der deutschen und ausländischen Bürger gemäß dem „uno aktu"-Prinzip sein. Die Empfänger von Leistungen müssen an deren Erbringung je nach eigener Lei-

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stungskraft mitwirken (Kulbach 1996, S. 478). Durch derartige katalytische Programme können öffentliche Gelder gezielter eingesetzt werden, in den Funktionen spezialisierte Maßnahmen räumlich auf Nachbarschaftsebene verknüpft werden. Die Stärkung der Bewohner und ihre Nachbarschaftsorganisation vermindert die Isolierung und Segregation, schafft Kontakte und Vertrauen über ethnische Grenzen hinweg.

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4. Kommunale Handlungsperspektiven im Ausländerbereich

In einer Welt offener Grenzen kann die Bundesrepublik Deutschland keine „geschlossene" Gesellschaft bilden. Dies schließt auch die generative Entwicklung aus, weil die Anpassungslasten einer geschlossenen Gesellschaft mit sinkender Zahl der Erwerbstätigen bei steigender Zahl der Rentner und Pensionäre höher wären als die Anpassungslasten einer Einwanderung (BMRBS, S. 9).

Auch ohne erhebliche Zuwanderung von Ausländern wird sich die ethnische Zusammensetzung der Gesellschaft durch den Rückgang der deutschen Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren deutlich verändern. Die Bevölkerungsprognose geht für NRW von einer Steigerung von 9,9% (1992) auf 16,5% (2010) aus. In Großstädten wird der Anteil auf 26,6% (Duisburg), 26,2% (Köln) oder 24,1% in Düsseldorf steigen (MAGS NRW 1994/1, S. 32). Um so wichtiger wird es in Zukunft sein. Konfliktpotentiale zwischen Deutschen und Ausländern abzubauen und ein gleichberechtigtes Zusammenleben der einzelnen Gruppen auch auf kommunaler Ebene stärker zu fördern.

Neben den Problemen, die Migranten gleichermaßen wie deutsche Minderheiten haben (hohe Arbeitslosigkeit, mangelnder Wohnraum usw.), gibt es zusätzliche, die spezifische Förderung verlangen. Diese reichen von Sprachproblemen über Identitätskonflikte und zunehmende Ausländerfeindlichkeit bis zu Schwierigkeiten, die sich aus dem Ausländerrecht ergeben.

Die traditionelle Alterslastigkeit der deutschen Sozialpolitik hat sich bisher zu Ungunsten der Einwanderer ausgewirkt. Sie haben viel in die Rentenkassen eingezahlt und im Kinder- und Jugendbereich kein Optimum erhalten. Mit der absehbaren Erweiterung des Kindergartenangebotes für

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alle Kinder wird die Zahl der ausländischen Kinder geringer, die mit unzureichenden Deutschkenntnissen in die Schule kommen. Eine systematische Förderung im Kindergarten würde verbessert durch eine spezielle Einstellungspolitik, die ausländischen Erzieherinnen und Erziehern Chancengleichheit einräumt. Dies wird von den Einwanderern vielfach gewünscht, hat aber noch keine Wirkungen gezeigt. So betrug die Quote ausländischer Erzieherinnen und Erzieher in nordrhein-westfälischen Kindergärten im Jahr 1992 nur 1,6%, ihr Anteil in der Erzieherausbildung 3% (MAGS NRW 1994/2, S. 175).

Die Ausbildungseinrichtungen sind häufig in kirchlicher Trägerschaft, mithin für viele Ausländerinnen und Ausländer in weiter Distanz. Hinzu kommt, daß christliche Einrichtungen in den seltensten Fällen Muslime einstellen. Aufgrund ihrer Sprachkompetenz und kulturspezifischen Erfahrungen wären Migrantinnen und Migranten jedoch besonders geeignet in multinationalen Kindergärten. Angesichts der weitgehenden Nichtrepräsentanz von Einwanderern im öffentlichen Sektor würden sich auch andere Bereiche der Kommunalverwaltung anbieten, in denen durch Modell-Ausbildungsprogramme gezielt um ausländische Bewerber geworben werden sollte.

Die heutige Schulsituation ausländischer Kinder und Jugendlicher ist durch die Spannung zwischen monokultureller Bildungspolitik und multikultureller Schulrealität geprägt. Dies schafft Spannungen und Ängste bei allen Beteiligten (Schülern, Eltern, Lehrern). Zudem ist die Schule nur unzureichend mit den Jugendfreizeitangeboten und den sozialen Diensten verbunden. Daraus ergeben sich zum einen Ungleichgewichte der ausländischen Schulabgänger gegenüber den deutschen Mitbewerbern am Ausbildungs- und Stellenmarkt. Zum anderen setzen sich gegenseitige Vorbehalte von der Schule in den Freizeitbereich hinein fort. Dies führt zu der auf den ersten Blick widersprüchlichen Forderung nach Verbesserung der Miteinbeziehung ausländischer Jugendlicher in die Arbeit der Jugendfreizeiteinrichtungen, z.B. durch aufsuchende Jugendarbeit und Schaffung von autonomen, nationalen Rückzugsräumen. Hierbei ist insbesondere auch an ausländische Mädchen gedacht, die deutsche Einrichtungen zum Teil nicht besuchen dürfen bzw. sich mit ihren Sonderproblemen dort nicht angenommen fühlen.

Eine nicht zu unterschätzende Integrationshilfe kann der Sport bieten, der in Deutschland trotz wachsender Zahl von Fitness-Studios vornehmlich

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im Verein betrieben wird. Die abnehmenden Zahlen deutscher Kinder haben vielfach dazu beigetragen, Zugangsbarrieren für ausländische Kinder und Jugendliche zu den Vereinen zu mindern (Beiträge, Bereitschaft zu längerfristigen Bindungen usw.). Untersuchungen belegen jedoch, daß junge ausländische Erwachsene häufig den deutschen Vereinen den Rücken kehren, weil ihnen die Zeit zum Sport fehlt oder sie ausländischen Vereinen beitreten. Offenbar wächst bei ihnen das Identifikationsbedürfnis mit der Herkunftsgruppe (Heckmann, S. 29). Die gleichberechtigte Förderung ausländischer Vereine z.B. bei der Vergabe von Zuschüssen, Hallenzeiten und Übungsplätzen bleibt daher auf der Tagesordnung. Den deutschen Vereinen ist anzuempfehlen, ihre Bemühungen um Kooperation mit im Ausländerbereich tätigen Initiativen zu intensivieren, um in Zeiten abnehmenden Nachwuchses die Mannschaften aufrechterhalten zu können (Kulbach 1988, S. 16).

In den nächsten Jahren wird die Zahl der Migranten, die im Bundesgebiet alt werden, stark ansteigen (1991 300.000 über 60jährige, 2010 1,3 Millionen). Die meisten von ihnen werden trotz bestehender Rückkehrwünsche in Deutschland bleiben (familiäre Bindungen, Gesundheitssystem usw.). Damit wird das Altenhilfesystem mit neuen Anforderungen konfrontiert. Dies beginnt bei einer angemessenen Beratung über vorhandene Dienste, bei der die Sozialberater der Wohlfahrtsverbände heute häufig überfordert sind (Scheid, S. 49). Hier ist eine Vernetzung mit kommunalen Angeboten nötig, um zu einer angemessenen Information der älteren Ausländer zu kommen. Neben der Fortbildung deutscher Fachkräfte zu migrationsspezifischen Fragestellungen erscheint auf diesem Gebiet die Ausbildung ausländischer Fachkräfte besonders wichtig. Die strukturelle Weiterentwicklung im Altenhilfebereich darf nicht bei der Fortschreibung bestehender Angebote stehenbleiben; vielmehr bedarf es einer Veränderung des Selbstverständnisses von Fachkräften und Trägern, um der speziellen Lebenslage älterer Migranten zu entsprechen. In die Planungen müssen die Wohlfahrtsverbände und ihre Beratungsdienste für Ausländer einbezogen werden.

Untersuchungen bestätigen indes immer wieder sowohl den Mangel an Kooperation zwischen den kommunalen sozialen Diensten und den Migrationsdiensten der Wohlfahrtsverbände als auch eine fehlende Zusammenarbeit der letztgenannten Dienste untereinander. Zudem gibt es die

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Intention bei den staatlichen Finanzgebern, die Aufgaben der Dienste langfristig auf die kommunalen Regeldienste abzuwälzen. Kontinuierliche Mittelkürzungen sollen hierfür den Weg ebnen. Vorbild war die sogenannte „De-Kategorialisierung" in den Niederlanden, die davon ausgeht, ausländische Klienten nicht mehr gesondert zu beraten, sondern sie zu den Regeldiensten zu schicken. Hierbei sind in der Praxis große Probleme entstanden, weil die Regeldienste vollkommen unvorbereitet waren und auch nicht mit mehr Personal rechnen konnten (Hetzel-Burghardt u.a., S. 68).

Die eingewanderten Minderheiten werden jedoch auf lange Sicht migrationsspezifische soziale und soziokulturelle Probleme haben, die einer bedarfsgerechten sozialen Versorgung zugeführt werden müssen. Statt Abbau vorhandener Strukturen sollte über ihre Verbesserung nachgedacht werden. Dies beinhaltet eine verstärkte Kooperation insbesondere zwischen Migrationsdiensten und kommunalen sozialen Diensten. Die interkulturelle Öffnung der deutschen Regel- und Fachdienste ist auch keineswegs in wünschenswertem Umfang vorangeschritten; weder besteht bei den meisten Mitarbeitern ein Bewußtsein für besondere Probleme der Migranten noch sind sie qualifiziert auf deren Bearbeitung vorbereitet. Stößt schon das nunmehr geforderte Umdenken, den Bürger mit seinen Anliegen als Kunden zu sehen, in weiten Teilen der Verwaltung auf Unverständnis, so trifft dies beim „ausländischen Kunden" erst recht zu. Bei einer Umfrage des Caritasverbandes bei seinen Mitarbeitern, welche Probleme bei den Zuwanderern im Vordergrund stehen, liegt der Komplex Behörden- und Rechtsfragen bei knapp zwei Dritteln der Befragten deutlich vom (Kinstler, S. 34). Eine wesentliche Voraussetzung für Verbesserungen im Verhältnis von Verwaltung und Migranten ist der erklärte politische Wille für eine interkulturelle Öffnung. Dies schließt auch die gezielte Anwerbung ausländischen Personals mit ein.

Beispiele für Ansätze koordinierter Verwaltungsplanung und besonderer Berücksichtigung ausländischer Belange bei der Mittelvergabe gibt es seit vielen Jahren in verschiedenen Städten (z.B. Kölner Maßnahmenprogramm für ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien). Obwohl sie wie fast alle sozialen Belange von Kürzungen in den letzten Jahren betroffen sind, ist doch hervorzuheben, daß die ressourcenübergreifende Planung, das Bündeln spezifischer Beiträge fast aller Fachämter die Nachdenklichkeit

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und Verantwortlichkeit im Umgang mit den Migranten erhöht hat (Zaschke, S.67).

Ein weiterer Schritt zur Unterstützung eines positiven Klimas für das gemeinsame Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in der Kommune ist die Schaffung eines Amtes für multikulturelle Angelegenheiten. Dies kann kein Über-Dezernat sein, aber es kann vorbeugend aktiv sein, sich innovatorisch einmischen und die Koordination der Fachämter unterstützen. Darüber hinaus hätte es u.a. folgende Aufgaben (Schröer, S. 57):

  • Öffentlichkeitsarbeit für ein multikulturelles Klima;

  • Initiierung modellhafter sozial-kultureller Projekte;

  • Unterstützung der internationalen Kulturarbeit und Förderung der autonomen Organisation der Minderheiten;

  • Einbindung in den demokratischen Prozeß der Kommunen von den Bezirksausschüssen bis zum Stadtrat durch den Aufbau eines Netzes von Ausländerbeauftragten;

  • Kooperation mit und Unterstützung des Ausländerbeirates.

Gleichwohl kann die Einrichtung einer neuen Dienststelle wie die eines Amtes für multikulturelle Angelegenheiten nur ein Baustein in einem integrierten Konzept einer kommunalen Minderheiten- und Gleichstellungspolitik sein. Weitere Elemente sind in dem dualen Spannungsfeld zwischen der Förderung kulturautonomer Selbsthilfeaktivitäten der Migranten und der stärkeren Miteinbeziehung in vorhandene städtische Kulturaktivitäten anzusiedeln. In der Debatte um eine multikulturelle Gesellschaft wird folgerichtig von zwei Domänen gesprochen (Rex, S. 42). In der privaten oder Gruppendomäne übt jede Gruppe ihre Religion aus und bewahrt eigene kulturelle Tradition. In der öffentlichen Domäne, die in einer Demokratie auf Chancengleichheit für alle gegründet ist, muß auf dem Hintergrund der Kultur der Aufnahmegesellschaft Gemeinsames gesucht werden, der Dialog und der Austausch im Vordergrund stehen. Für die kommunale Kulturpolitik bedeutet dies die Unterstützung der Minderheitenkulturen durch eine angemessene Berücksichtigung im Haushalt ebenso wie die Miteinbeziehung ihrer Belange bei der Ausrichtung städtischer Kulturaktivitäten (Ausstellungen aus ihrem Kulturkreis im Museum, Beteiligung an soziokulturellen Zentren usw.).

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5. Ausblick

In letzter Zeit häufen sich die Forderungen nach Anti-Diskriminierungsmaßnahmen sowie positiven Diskriminierungen für Migranten z.B. durch Quoten bei der Einstellung. Gefordert werden ein Anti-Diskriminierungsgesetz nach niederländischem Vorbild sowie Antirassismus-Stellen in den Kommunen. Die holländischen Erfahrungen zeigen, daß die juristischen Möglichkeiten aus diesem Gesetz im Alltagsleben recht gering sind. Ermutigender sind die Ergebnisse der Antirassismus-Stellen vor Ort. Sie können durch Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit, durch Multiplikatoren-Fortbildung und Schlichtungsversuche bei Behörden und Arbeitgebern gute Wirkungen erzielen.

Schwieriger stellt sich das Problem der positiven Diskriminierung dar, z.B. durch Quoten bei Einstellungen den Anteil der Minderheiten zu erhöhen. Neben juristischen Grenzen tauchen hier eine Vielzahl praktischer Probleme auf: Wie wird die Qualifikation gemessen? Gehören eingebürgerte Migranten in die Quote? Gilt die Quote für alle Berufe? Sollen ausländische Frauen eine doppelt gewichtete Quote erhalten? Müssen andere Gruppen, die Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, nicht auch quotiert werden?

Vor allem ist jedoch darauf hinzuweisen, daß in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit Vorbehalte in der einheimischen Bevölkerungsgruppe gegen positiv diskriminierte ausländische Mitbürger ansteigen können. Realistischer als eine Quote ist es, bei den Verantwortlichen ein Problembewußtsein für die Notwendigkeit von Gleichberechtigung zu schaffen, das dann zum handlungsleitenden Prinzip werden kann. Überzogene Forderungen schrecken Bündnispartner ab und können mit dem Hinweis auf die finanziell schwierigen Zeiten denkbare Schritte verhindern. Eine demokratische multikulturelle Gesellschaft entsteht im übrigen nicht durch Staatshandeln von oben, sie muß von den Bürgern stets aufs neue erkämpft werden.

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Literatur

Blanke, B. u.a., 1986: Die zweite Stadt, Opladen.

Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), 1993: Zukunftsstadt 2000, Bonn.

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Frank, S., 1995: Staatsräson, Moral und Interesse, Freiburg.

Gaitanides, S., 1996: Probleme der Identitätsfindung der zweiten Ausländergeneration, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit 1/96, S. 32-39.

Heckmann, F., 1985: Sport und gesellschaftliche Integration von Minderheiten, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Sport und ausländische Mitbürger I, Bonn, S. 21-33.

Hetzel-Burghardt, E. u.a., 1990: Das niederländische Modell der Ausländerberatung, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit 2/90, S. 67-68.

Hinz-Rommel, W., 1994: Interkulturelle Kompetenz, Münster.

Kinstler, H. J., 1994: Zur Soziallage von Migranten, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit 3/4/94, S. 30-36.

Kulbach, R., 1988: Beteiligungen und Benachteiligungen ausländischer Mitbürger im Sport, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Sport und ausländische Mitbürger D, Bonn, S. 12-17.

Kulbach, R., 1994: Armutsbericht Bottrop, Bottrop.

Kulbach, R., 1996: Verhindern statt lindern - Modelle der Armutsbekämpfung in Europa, in: Evangelische Kommentare 8/96, S. 475-478.

Krummacher, M./V. Waltz, 1994: Einwanderungsgesellschaft - Ausländerpolitik - multikulturelle Stadtpolitik, geheftete Arbeitsmaterialien, Bochum.

Krummacher, M./V. Waltz, 1996: Einwanderer in der Kommune, Essen.

MAGS NRW (Hrsg.), 1994/1: Friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben von Ausländern und Deutschen, Düsseldorf.

MAGS NRW (Hrsg.), 1994/2: Landessozialbericht Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf.

MAGS NRW (Hrsg.), 1995: Ausländer, Aussiedler und Einheimische als Nachbarn, Düsseldorf.

MAGS NRW (Hrsg.), 1996: Kosten der Nichtintegration ausländischer Zuwanderer, Düsseldorf.

Oelschlegel, D., 1996: Sozialplanung in der dritten Stadt, in: Soziale Arbeit 3/96, S. 89-92.

Rex, J., 1995: Chancengleichheit und multikulturelle Gesellschaft in Großbritannien, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit 1/95, S. 38-43.

Scheib, H., 1995: Ältere Migranten und die Altenhilfe, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit 2/95, S. 46-51.

Schröer, H., 1990: Multikulturelle Gesellschaft als kommunale Gestaltungsaufgabe, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit 4/90, S. 54-57.

Schulte, A., 1990: Multikulturelle Gesellschaft: Ideologie oder realistische Perspektive?, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit 4/90, S. 19-26.

Zaschke, W., 1996: Auf dem Weg zur kommunalen Einwanderungspolitik?, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit 2/96, S. 64-69.


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