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TEILDOKUMENT:




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Barbara Meifort
Qualifikation, Löhne und Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte: ein frauenspezifisches Berufsbild




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1. Was sind Frauenberufe?

Um zu dem Thema „Qualifikation, Löhne, Arbeitsbedingungen der Pflegeberufe" aus frauenspezifischer Perspektive zu referieren, sind einige Vorbemerkungen erforderlich. Zunächst ist vorab zu fragen, was unter einem frauenspezifischen Berufsfeld bzw. was unter Frauenberufen zu verstehen ist, was mit einer solchen begrifflichen Zuschreibung anzufangen ist und was unter „Pflegeberufen" zu verstehen ist.

1. Vorbemerkung:

Die Frage nach der bisherigen Entwicklung und nach der Zukunft der Pflege aus frauenspezifischer Sicht ist von grundsätzlicher Bedeutung und erlaubt es nicht, das Thema auf die Frage nach den Wirkungen der Pflegeversicherung einzugrenzen, wie es das Rahmenthema der Fachkonferenz nahelegen mag.

Immerhin sind in Deutschland im Schnitt 85 Prozent aller Auszubildenden und Erwerbstätigen in der Pflege Frauen - das ist nicht erst seit Einführung der Pflegeversicherung der Fall.

2. Vorbemerkung:

Es gibt unterschiedliche Definitionen und Methoden zur geschlechtsspezifischen Bestimmung von Berufen. Allen unterschiedlich verwendeten Begriffsbestimmungen ist jedoch gemeinsam, daß Pflegeberufe - auch im internationalen Vergleich betrachtet - in allen Ländern trotz beruflich unterschiedlich verfaßter Arbeitsmärkte zu den sogenannten Frauenberufen zählen, unabhängig davon, welche Pflegeberufe im einzelnen in den verschiedenen Ländern existieren; das gilt sowohl für die eher gesundheitsbezogenen Pflegeberufe, die im englischsprachigen Raum unter „nursing"

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firmieren, als auch für die eher sozialpflegerisch und/oder sozialpädagogisch ausgerichteten Pflegeberufe des sogenannten „Caring"-Sektors.

3. Vorbemerkung:

Die Geschlechtsspezifik eines Berufes, die Feststellung also, ob ein Beruf exklusiv oder zumindest mehrheitlich von Frauen oder Männern ausgeübt wird, ist allein wenig aussagefähig. D.h., der Informationsgehalt der Aussage, daß ein Beruf z.B. ein Frauenberuf ist, ist ohne weitere zusätzliche Erläuterung gering. Der Begriff Frauenberuf bietet allein deshalb auch noch keinerlei Handlungsansätze beispielsweise für Frauenpolitik oder für Frauenförderungsansätze in Berufsbildungs- und Beschäftigungspolitik.

Bezogen auf die Pflegeberufe heißt das:

Allein mit dem Hinweis auf einen hohen Frauenanteil an den Berufsangehörigen läßt sich die Situation der Pflegeberufe in Berufsbildung und Beschäftigung nicht erklären. Es bedarf zusätzlicher Informationen zu berufsrelevanten Einzelmerkmalen, um daraus genauere Schlüsse ziehen zu können. Solche berufsrelevanten Einzelmerkmale, die sich prinzipiell mit dem Berufsbegriff, nicht nur mit dem Begriff „Frauenberuf" verbinden, sind z.B. die Merkmale

  • Qualifikation
  • Lohn
  • Arbeitsbedingungen.

Damit komme ich zu meiner 4. Vorbemerkung.

4. Vorbemerkung:

Das Besondere, das sich mit den Merkmalsausprägungen Qualifikation, Lohn und Arbeitsbedingungen von Frauenberufen verbindet, ist eine Mischung von Vorurteil und Fakten. Diese Mischung läßt sich als „Berufsimage" bezeichnen. Und dieses „Image von Frauenberufen" ist überwiegend negativ belegt.

Aufgrund der in unserer Gesellschaft vorherrschenden traditionellen Rollenteilung zwischen Frauen und Männern prägen geschlechtsspezifische Lebenslaufmuster die Vorstellungen von Beruf und beruflicher Arbeit: Die

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Berufstätigkeit von Frauen hat darin einen nachrangigen Stellenwert. Mit dem Begriff „Frauenberuf" verbinden sich in diesem Zusammenhang besonders diskriminierende Zuschreibungen:

  • Die Vorstellung vom „Job": eine Berufsarbeit mit „Allerwelts-" oder „Jedermann-/Jedefrau-Qualifikationen", die jeden Gedanken an qualifizierte, anspruchsvolle Berufsarbeit mit beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und Karrieren ausschließt;
  • die Vorstellung vom „Billiglohn"-Beruf mit einem deklassierenden „Zuverdiener"-lmage und
  • das Stigma von ungünstigen bis extrem schlechten Arbeitsbedingungen.

Im folgenden soll dieses - zugegebenermaßen überzeichnete - gesellschaftliche (Berufs-)Verständnis von Frauenberufen anhand empirischer Daten auf seine Gültigkeit für Pflegeberufe überprüft werden. Es wird zu fragen sein, ob das in unserer Gesellschaft vorherrschende Negativimage der sogenannten „Frauenberufe" auch für Pflegeberufe Gültigkeit hat, oder ob dieses Bild auf Pflegeberufe nicht anwendbar ist und demzufolge ins Reich der Legendenbildung zurückverwiesen werden muß.

Dazu ist eine letzte Vorbemerkung notwendig.

5. Vorbemerkung:

Die Gruppe der Pflegeberufe ist sehr differenziert. Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Berufen im pflegerischen Tätigkeitsfeld: Staatlich geregelt und anerkannt sind allein sieben Pflegeberufe; hinzu kommen noch eine Reihe von staatlich geregelten HelferInnenausbildungen - von der Krankenpflegehilfe über die Altenpflegehilfe bis zur Heilerziehungspflegehilfe. Zusätzlich haben sich im Weiterbildungsbereich weitere Berufe und berufsähnliche Tätigkeitsfelder für Pflegeaufgaben herausgebildet (siehe Übersicht 1).

D.h. Pflege wird bereits heute nicht allein von AltenpflegerInnen und Krankenschwestern/-pflegern ausgeführt; Pflege wird vor allem aber in Zukunft, insbesondere in dem Ausschnitt, den das Pflegeversicherungsgesetz (PflVG) fokussiert, auf jeden Fall immer weniger von Alten- und Krankenpflege als dominierende Berufsgruppe ausgeführt werden.

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Übersicht 1: Berufsstruktur der Pflegeberufe

Berufsgruppe

Berufsbezeichnung

Ausbildungs-dauer

Art der Regelung

Pflege

Krankenschwester/-pfleger

3 Jahre

Bundesregelung


Kinderkrankenschwester/
-pfleger

3 Jahre

Bundesregelung


Krankenpflegehelfer/-in

1 Jahr

Bundesregelung


Hebamme/Entbindungspfleger

3 Jahre

Bundesregelung


Altenpfleger/-in

2 bzw. 3 Jahre

Länderregelung


Altenpflegehelfer/-in

1 Jahr

Länderregelung


Haus- und Familienpfleger/-in

2 bzw. 3 Jahre

Länderregelung


Dorfhelfer/-in

1 bzw. 2 Jahre

Länderregelung


Heilerziehungspfleger/-in

2 bzw. 3 Jahre

Länderregelung


Heilerziehungshelfer/-in

1 Jahr

Länderregelung

© Barbara Meifort, Bundesinstitut für Berufsbildung 1995

Obwohl von der Sache her eine Gleichstellung von „Pflegeberufen" mit „Alten- und Krankenpflege" demnach nicht zulässig ist, wird bei den folgenden Darstellungen allerdings aufgrund der vorhandenen Datenlage eine exemplarische Eingrenzung auf diese beiden Berufe „Alten- und Krankenpflege" vorgenommen.

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2. Qualifikation, Löhne, Arbeitsbedingungen in der Pflege - ein frauenspezifisches Berufsfeld - Fakt oder Legende?

Um Handlungsansätze für Berufsbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen zu erhalten, soll im folgenden die berufliche Situation der Alten- und Krankenpflege zu den Merkmalen „Qualifikationen, Löhne und Arbeitsbedingungen" genauer betrachtet werden und auf eventuelle geschlechtsspezifische Besonderheiten und gegebenenfalls Benachteiligungen hinterfragt werden.

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Qualifikationen und Qualifikationsniveau von Pflegeberufen - oder: „Pflegen kann jede-r!"

Mit dem Begriff „Frauenberuf" - so hatte ich zu Beginn vorangestellt - verbindet sich im allgemeinen die Vorstellung, in bezug auf die Qualifikation handele es sich überwiegend um „Allerweltsqualifikationen". Deshalb stelle ich meinen Ausführungen zu den Qualifikationen der Pflegeberufe die Alltagserfahrung voran: „Pflegen kann jede-r".

Pflegeberufe sind mit einem Widerspruch konfrontiert: Unbestritten ist einerseits, daß für die Pflege und Betreuung kranker, behinderter, alter, hilfe- und pflegebedürftiger Menschen spezifische Kompetenzen und Wissensinhalte erforderlich sind, die in besonderen Berufsbildungsgängen vermittelt werden. Andererseits wird bei der Beurteilung und Bewertung der Qualifikationen von Pflegeberufen allzu gern und häufig auf Alltagserfahrungen zurückgegriffen - nach dem Motto: „Pflegen kann jede-r!". Pflegen nicht jede Mutter, Großmutter, Ehefrau oder Tochter ihre Kinder, (Ehe)partner, Eltern und Großeltern?

Nicht allein, aber sicherlich auch nicht zuletzt aus diesem Grunde versuchen Pflegeberufe, sich bereits formal von dem Image der Allerweltsqualifikation und des Hilfsarbeiter- oder Anlernberufs abzugrenzen. Zum einen dadurch, daß besondere Erschwernisse beim Zugang zur Ausbildung aufgebaut werden, indem ein bestimmtes Mindestalter vorgeschrieben wird; damit wird, ganz in der Tradition der früheren Frauenschulberufe an sogenannten Höhere-Töchter-Schulen, automatisch die Zeitdauer der Vorbildung erhöht; damit soll das Image aufgebaut werden, es handele sich um „etwas Besonderes i.S. von etwas Besserem". Dazu wird diese Vorbildung als besondere formale (schulische) Zugangsvoraussetzung konkretisiert:

  • Für die Krankenpflege werden der mittlere Bildungsabschluß oder ersatzweise zusätzliche, als gleichwertig definierte berufliche Vorbildungen als Zugangsvoraussetzung vorgeschrieben.
  • Für die länderrechtlich geregelte Altenpflegeausbildung werden prinzipiell vergleichsweise dieselben Hürden aufgebaut, nur in anderer Reihenfolge (- also berufliche Vorbildung und ersatzweise der mittlere Schulabschluß).

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Zwar tragen diese formalen Zugangsregelungen zu einer höheren Homogenität der Lerngruppen bei, über die tatsächliche Qualität der Berufsausbildungsgänge sagen sie allerdings nichts aus.

Der Kürze halber soll dies exemplarisch am Beispiel der Qualifikation des Lehr- und Ausbildungspersonals verdeutlicht werden: Es ist weitgehend unstrittig, daß für die Qualität von Bildungsprozessen neben curricularen Bedingungen die Qualifikation des Bildungspersonals die entscheidende Rolle spielt; d.h. trotz aller guten Bedingungen kann ein Bildungsprozeß ohne entsprechend gut qualifiziertes Ausbildungs- und Lehrpersonal i.d.R. nicht bzw. nur in Ausnahmefällen gelingen. Aus diesem Grund, daß die Qualität von beruflichen Bildungsmaßnahmen mit der Qualität der einschlägig fachlichen und berufspädagogischen Qualifikation des Bildungspersonals korreliert, werden normalerweise allgemeinverbindliche Mindestgrundsätze für deren Qualifikation vorgeschrieben. - Nicht so in der Aus- und Weiterbildung der Pflegeberufe.

D.h., in keinem anderen Berufsbereich außerhalb des Gesundheits- und Sozialwesens findet sich die in der Ausbildung zu Pflegeberufen bis heute gängige Praxis, daß allgemeinverbindliche Mindestgrundsätze für die Qualifizierung des Lehr- und Ausbildungspersonals fehlen. Jeder Auszubildende -ob z.B. in der Ausbildung zum Bäcker, zur Bürokauffrau oder zum Automechaniker - wird in der Berufsschule von LehrerInnen mit Universitätsausbildung und zweijährigem Referendariat ausgebildet [Fn 1: Es umfaßt ein - übrigens nicht beliebiges - Fachstudium aus einer entsprechenden festgelegten Leitdisziplin sowie in einem zweiten, mindestens affinen Fach. Parallel dazu ist ein erziehungswissenschaftliches Studium zu absolvieren sowie - im Anschluß an das mindestens achtsemestrige Universitätsstudium - eine zweijährige Praxisphase im Schuldienst (Referendariat). Ein beliebiges Universitätsstudium einer der Alten- oder Krankenpflege vielleicht zuträglichen Fachrichtung, wie z.B. der Psychologie, oder gar ein Fachhochschulstudium reicht also für die Qualifikation von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen keineswegs aus.].
Im Betrieb werden Auszubildende auf der Grundlage eines speziellen betrieblichen Ausbildungsplans von qualifiziertem Ausbildungspersonal betreut [Fn 2: Dem betrieblichen Ausbildungsplan liegt eine allgemeinverbindliche bundeseinheitliche Ausbildungsordnung zugrunde.].

Im frauenspezifischen Berufsfeld Pflege wird demgegenüber das Lernfeld „Schule" zwar formal in den Mittelpunkt gestellt, praktisch aber als exterritoriales Gebiet behandelt; es handelt sich hier um „Schulen besonderer

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Art", die schulrechtlich nicht denselben Grundsätzen wie das berufsbildende Schulwesen üblicherweise unterliegen. Mit Ausnahme staatlicher Schulen müssen beispielsweise Alten- oder Krankenpflegeschulen als „Schulen besonderer Art" lediglich die berufsspezifischen Vorschriften des Berufsgesetzes bzw. der entsprechenden Landesregelung erfüllen [Fn 3: Immerhin befinden sich nahezu 60 Prozent der SchülerInnen an privaten Schulen des Gesundheitswesens, und sogar 80 Prozent der Schulplätze in der Altenpflege befinden sich in der Trägerschaft der freien Wohlfahrtspflege.].
Private Schulen unterliegen darüber hinaus häufig nicht der Schulaufsicht der Kultusbehörde, wie z.B. die Altenpflegeschulen in privater Trägerschaft in Baden-Württemberg; sie müssen nur dann, wie z.B. in Berlin, den staatlichen Schulen näherungsweise vergleichbare zusätzliche Auflagen erfüllen, wenn sie als Ersatzschulen anerkannt werden wollen, um in den Genuß der finanziellen Schulförderung des Landes zu kommen. Diese Anerkennungsrichtlinien entsprechen aber i.d.R. noch lange nicht den sonst üblichen Standards für die Qualifizierung von LehrerInnen an berufsbildenden Schulen, wenn Lehrkräfte - wie z.B. an Altenpflegeschulen in Berlin - lediglich ein beliebiges Universitätsstudium in einer der Altenpflege zuträglichen Fachrichtung absolviert haben müssen [Fn 4: Vgl. hierzu die Erläuterungen in Fußnote 1 sowie insbesondere auch: Fredebeul, F.H.: Betriebliche Ausbildung in Schulen? oder die 'Dualität' in der Berufsausbildung als Ordnungs- und Rechtsproblem. Ein Beitrag zur Systemfrage. In: Gewerbearchiv, 31. Jahrgang, Heft 7, 1985, S. 213-219 sowie Meifort, B.: Berufsbildung, Beschäftigung und Karrieremöglichkeiten von Frauen in der Altenpflege in der Bundesrepublik Deutschland. (Hrsg.): Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1997 (Materialien zur Frauenpolitik Nr. 60), S. 42.].
D.h. konkret: Die Frage der Qualität dieses besonderen Lernortes wird in der Ausbildung der Pflegeberufe im Vergleich zu anderen Berufen nachrangig behandelt.

Der Betrieb spielt in der Pflegeausbildung als Lernort formalrechtlich überhaupt keine eigenständige Rolle. Zwar beansprucht die praktische Ausbildungsphase (Praktika) mehr als 50 Prozent der gesamten Ausbildungszeit. Lehren und Lernen in der Praxis bleiben hier jedoch weitgehend Zufälligkeiten überlassen. Es verwundert daher nicht, daß - wie die BIBB-Befragung der AbsolventInnen in der Altenpflege hierzu ergab - immerhin fast 82 Prozent die Ausbildung im betrieblich-praktischen Bereich als unzureichend kritisieren [Fn 5: Forschungsprojekt 4.2008 des Bundesinstituts für Berufsbildung: „Berufseinmündung und Berufsverbleib von Altenpflegekräften in den ersten Berufsjahren": Einbezogen wurden 6.757 Absolventinnen des Abschlußjahrgangs 1992 an insgesamt 314 Altenpflegeschulen in den alten Bundesländern. Ergebnisse veröffentlicht in: Becker, W., B. Meifort: Altenpflege: Eine Arbeit wie jede andere? Ein Beruf für's Leben? Hrsg.: BIBB Bielefeld: Bertelsmann, 1997 (Berichte zur beruflichen Bildung, H. 200: Qualifikationsforschung im Gesundheitswesen).].

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Widersprüchlichkeiten wie diese, daß formal ein hohes Niveau der beruflichen Bildung suggeriert wird, in der Praxis aber noch nicht einmal die primitivsten Mindestgrundsätze zur Qualitätssicherung, wie in anderen Berufsbereichen selbstverständlich, eingehalten werden, durchziehen die Ausbildung der Pflegeberufe.

Das gilt beispielsweise auch im Hinblick auf die Qualifikationsprofile; d.h., auch hinsichtlich der Breite und Tiefe der Qualifikationen von Pflegeberufen verfestigt sich das Vorurteil über Frauenberufe. Die Qualifikationen der Pflegeberufe sind in ihrem berufsspezifischen Zuschnitt heute allenfalls noch als historisch gewachsen zu begründen; eine systematisch begründete Berufsschneidung entsprechend den Anforderungen gegenwärtiger oder sich zukünftig abzeichnender moderner Einsatzorte liegt der Berufsstruktur der Pflegeberufe nicht zugrunde. Das gilt nicht nur für die immer noch unveränderte und geradezu übermächtige Affinität der Ausbildungsgänge zum stationären Sektor, trotz der allseits proklamierten und seit Jahren erkennbaren Priorität der ambulanten, häuslichen Pflege.

Das Gesundheits- und Sozialwesen befindet sich seit langem - nicht erst seit den Veränderungen der rechtlichen Rahmen- und Finanzierungsbedingungen durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) und Pflegeversicherungsgesetz (PflVG) - in einem Wandlungsprozeß. Die Auswirkungen der veränderten Bevölkerungs- und Morbiditätsentwicklung (demographische Entwicklung, verändertes Panorama der Krankheitsbilder, Zunahme an Multimorbidität und chronifiziertem Leiden) und auch die Veränderung der Versorgungsstrukturen (z.B. in Richtung zunehmende Dezentralisierung und Spezialisierung) sind seit langem beobachtbar. Zwar hat diese Entwicklung mit dem GSG und PflVG den entscheidenden Schub bekommen. Aber das Neue ist nicht die Richtung des Veränderungsprozesses, sondern lediglich die Geschwindigkeit und die Radikalität dieses Wandels.

Demgegenüber zeigt die Analyse der vorhandenen Qualifikations- und Berufsstrukturen, daß die Qualifizierungsstrategien über Jahrzehnte bis heute unverändert geblieben sind. Das professionelle Selbstverständnis wird mit

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exklusivem Spezialwissen begründet. Deshalb setzen die Qualifizierungsstrategien bereits in der Ausbildung auf enge berufsspezifische Abgrenzung.

Die an vordergründigen Zielgruppen orientierte Berufsschneidung einerseits nach Altersgruppen der Klientel und andererseits nach einem nicht weiter definierten globalen Hilfebedarf von Pflegebedürftigkeit, Krankheit oder Behinderung täuscht eine berufsspezifische Qualifizierung und berufliche Handlungsfähigkeit vor, die den tatsächlichen vielschichtigen und zugleich sehr spezifischen Anforderungen in der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Deutlich wird dies z.B. an den inhaltlichen Ausbildungsdefiziten, die mehrheitlich von den vom Bundesinstitut befragten Altenpflegerinnen [Fn 6: Vgl. Becker, W., B. Meifort: Altenpflege: Eine Arbeit wie jede andere? Ein Beruf für's Leben? Hrsg.: BIBB Bielefeld: Bertelsmann, 1997 (Berichte zur beruflichen Bildung, H. 200: Qualifikationsforschung im Gesundheitswesen).] benannt wurden:

Übersicht 2: Zu wenig vermittelte Ausbildungsinhalte in der Altenpflegeausbildung (1993)

© Becker/Meifort: Altenpflege: Eine Arbeit wie jede andere? Ein Beruf für's Leben? Berichte zur beruflichen Bildung, Band 200, Berlin/Bonn 1997

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Trotz fehlender bundeseinheitlicher Regelungen der Altenpflegeausbildung fällt die Kritik bundeseinheitlich aus:

Von allen AbsolventInnen der Altenpflegeausbildung, egal nach welcher Ausbildungsvorschrift in welchem Bundesland ausgebildet, wurde einhellig und einheitlich kritisiert, daß die für die altenpflegerische Berufsarbeit wichtigen Inhalte nicht in ausreichendem Maße vermittelt worden wären. Es handelt sich um Inhalte aus den zentralen Bereichen

  • Krankheitslehre, Geriatrie
  • Gerontopsychiatrie
  • Prävention, Rehabilitation
  • Arzneimittellehre
  • Blut abnehmen.

Als Beispiel für die Widersprüchlichkeit, die die Qualifizierung der Pflegeberufe durchzieht, muß auch die inhaltliche Fehlinterpretation von „Ganzheitlichkeit" im Sinne einer generalistischen Allzuständigkeit von Pflegefachkräften betrachtet werden. Einerseits - das machen die in der Altenpflege beklagten Inhaltsdefizite ganz deutlich - bestehen bereits erhebliche und zentrale qualifikatorische Defizite im engeren berufsspezifischen Kern für eine kompetente und patientenbezogene Pflegearbeit. D.h., das originäre Ziel der Ausbildung, als Pflegefachkraft mehr oder weniger kompetent zu pflegen, wird bislang bereits nicht erreicht. Zusätzlich wird allerdings sowohl im Krankenpflegegesetz als auch in den Länderregelungen für die Altenpflegeausbildung die Anleitung von Auszubildenden, Praktikanten usw. explizit als Aufgabe von Pflegefachkräften benannt. Für dieses zusätzliche Ziel der Ausbildung - als Pflegefachkraft neben originären Pflegeaufgaben zugleich Anleitungsaufgaben wahrzunehmen - wird allerdings überhaupt nicht qualifiziert, abgesehen von der berufspädagogischen Absurdität, in der Ausbildung nicht nur pflegerische Handlungsfähigkeit vermitteln zu wollen, sondern zugleich die berufspädagogische Befähigung zur Vermittlung derselben anzustreben.

Dieser Widersprüchlichkeit und Überfrachtung des Berufsbildes liegt ein generalistisches Berufsverständnis zugrunde, wie es sich nur aus der Nähe zum Profil und zu der Allzuständigkeit der Hausfrau und Mutter des Pflegeberufs als Frauenberuf erklären läßt: Wirtschafterin, Erzieherin, Pflegerin, Lehrerin, Geliebte in einer Person zugleich zu sein. Diese unausgesprochene Vermi-

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schung von Beruf und Privatem ist vielleicht sogar die Hauptkrux der Pflegeberufe als Frauenberufe.

Löhne in der Pflege - Nur zuviel zum Sterben oder auch genug zum Leben?

In bezug auf das Merkmal „Lohn" verbindet sich mit dem Begriff „Frauenberuf" vielfach die Vorstellung vom „Billiglohnberuf". Dem folgenden Abschnitt stelle ich daher das Motto voran:

Löhne in der Pflege - Nur zuviel zum Sterben oder auch genug zum Leben?

Zu den negativen Aspekten, die sich mit dem Begriff „Frauenberuf" im allgemeinen und mit Pflegeberufen im besonderen verbinden, wird immer wieder auch die zu geringe Bezahlung gezählt. Bei einer genaueren Analyse der Einkommenssituation zeigt sich in den letzten Jahren allerdings eine erhebliche Verbesserung des Verdienstes. So wird z.B. für 1989 das Anfangsgehalt der Altenpflege in einer Analyse der Zeitschrift Altenpflege mit DM 2.300,- beziffert [Fn 7: Vgl. Altenpflege 6/1989, S. 33f.].
Nach Befunden des Mikrozensus 1995 ist sechs Jahre später davon auszugehen, daß immerhin rund ein Drittel (genau 57.000 von 178.000 weiblichen Altenpflegekräften, die Gehaltsangaben im Mikrozensus gemacht haben) Gehälter zwischen DM 2.200,- und DM 4.000,-beziehen [Fn 8: Ergebnis Mikrozensus April 1995; eigene Auswertung nach Datenübermittlung des Statistischen Bundesamtes (Stand: August 1996).] Umgekehrt bedeutet das zwar, daß rund zwei Drittel der Altenpflegekräfte weiterhin in dem unteren Einkommensquartil [Fn 9: Vgl. hierzu Übersicht 5.] angesiedelt sind, allerdings fallen darunter nach der Erhebungsmethode des Mikrozensus alle in der Altenpflege Erwerbstätigen, also nicht nur examinierte Kräfte und Vollzeiterwerbstätige, sondern auch Hilfskräfte und Teilzeitbeschäftigte.

Mit diesen Angaben zur Einkommenssituation in der Altenpflege scheinen auch die Gehaltsangaben in der Praxis übereinzustimmen. Nach einer Auswertung von Stellenanzeigen einschlägiger Fachzeitschriften zwischen Oktober 1995 und Mai 1996 ist von durchschnittlichen Gehaltsangeboten zwischen Kr IV (DM 2.840,-) und Kr VII/VIII (DM 3.966,-) auszugehen. Insbesondere auch im Vergleich zu anderen Gesundheitsberufen mit sehr hohem

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Frauenanteil wie z.B. der Arzthelferin ist dies eine erhebliche Steigerung. Deren Verdienstmöglichkeiten nämlich liegen nach vorliegenden Informationen aus 1996 zwischen dem ersten und dem sechsten Berufsjahr durchschnittlich bei nur etwa DM 2.000,- (alte und neue Bundesländer, ohne Zulagen) [Fn 10: Vgl. O.A.: Gehälter der Arzthelferinnen und Sprechstundenschwestern. In: Heilberufe 12/ 1996,5.6.].

Acht Jahre nach Verabschiedung des neuen Tarifvertrages läßt sich von einer deutlich erkennbaren finanziellen Besserstellung der pflegenden Frauen aber nicht nur in der Altenpflege sprechen: Auch die Einkommenssituation der Krankenpflegekräfte hat sich seit 1989 deutlich verbessert. Nach einer Untersuchung von 1995 hat sich das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen von Krankenpflegekräften im Zeitraum zwischen 1989 und 1991 um etwa 28 Prozent erhöht. Demgegenüber lag die durchschnittliche Steigerungsrate der Nettolohn- und Gehaltssumme für alle unselbständig Beschäftigten im gleichen Zeitraum im Bundesdurchschnitt bei nur etwa 11 Prozent und damit deutlich darunter [Fn 11: Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik, 1992, S. 39 aus: Moos, G.: Der Arbeitsmarkt für Pflegeberufe. Schriften zur Gesundheitsökonomie, Bd. 12, Bayreuth 1995, S. 62.].

Übersicht 3: Entwicklung des monatlichen Nettoeinkommens von Krankenpflegekräften (1985-1991)

Quelle: Moos, G.: Der Arbeitsmarkt für Pflegeberufe, Bayreuth 1995, S. 63

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Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang auch, sich das Einkommen der Krankenpflegekräfte im Vergleich zu anderen Berufsgruppen anzusehen, um realistische Anhaltspunkte für die Beurteilung der Lohnhöhe zu erhalten. In der von mir erwähnten Untersuchung wurde auch die Bezahlung verschiedener Berufe miteinander verglichen; dabei wurde jeweils ein Lebenslauf mit durchschnittlicher Schul-, Lehr- und Studienzeit zugrunde gelegt [Fn 12: Vgl. Erhardt, HJ., M. Gliemann, H.A. Jeschke: Unterbezahltes Krankenpflegepersonal - Grund des Pflegenotstandes? In: Krankenhaus Umschau 10/92, S. 739-747 aus: G. Moos, a.a.O., S. 64.].
Bei diesem Vergleich der Nettoeinkommen von Krankenpflegekräften mit anderen Fachberufen wurden sowohl andere sogenannte typische Frauenberufe des Gesundheitswesens als auch außerhalb des Gesundheitswesens, z.B. Stewardessen, sowie typische Männerberufe im öffentlichen Dienst ebenso wie im Handwerk ausgewählt.

Übersicht 4: Vergleich des monatlichen Nettoeinkommens verschiedener Berufe (1991)

Quelle: Moos, G.: Der Arbeitsmarkt für Pflegeberufe, Bayreuth 1995, S. 65

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Auch danach, also im Vergleich zu anderen Berufen, können Krankenpflegekräfte nicht länger als grundsätzlich schlecht bezahlt angesehen werden. Es bestehen zum Teil sogar beträchtliche Einkommensunterschiede zu anderen nicht akademischen Berufen.

Wie bereits die Befunde des Mikrozensus zur Einkommenssituation in der Altenpflege deutlich machen, betrifft diese Einkommensentwicklung aber nur tariflich bezahlte Fachkräfte. Allerdings sagen Tarifgehälter wenig aus über die realen Gehaltsstrukturen der Beschäftigten eines Betriebes. Immerhin werden - mit Ausnahme der Krankenpflegekräfte in Krankenhäusern - in ambulanten Pflegediensten und in der stationären Altenpflege die Hälfte bis zu zwei Drittel der Beschäftigen in der Pflege als Helferberufe und Hilfskräfte beschäftigt. Insofern kann auch nicht der Argumentation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gefolgt werden, daß Verbesserungen der Einkommen in den Gesundheitsberufen und sozialpflegerischen Berufen vermutlich auf Substitutionsprozesse von unqualifizierten Hilfskräften hin zu qualifizierten Fachkräften zurückzuführen seien [Fn 13: Vgl. Tessaring, M.: Beschäftigungstendenzen nach Berufen, Tätigkeiten und Qualifikationen. In: Alex, L., M. Tessaring (Hrsg.): Neue Qualifizierungs- und Beschäftigungsfelder. Dokumentation des BIBB/IAB-Workshops am 13./14. November 1995, Bielefeld 1996, S. 67.].

Übersicht 5: Durchschnittseinkommen nach Quartilen (1993)*

Quartil


Einkommen in DM

1. Quartil

(25%):

bis unter 1.885,-

2. Quartil

(50%):

1.885,- bis unter 2.258,-

3. Quartil

(75%):

2.258,- bis unter 2.517,-

4. Quartil

(100%):

2.517,- und höher

* Berechnung der Durchschnittseinkommen (Median) aller Erwerbstätigen (ohne Selbständige und Beamte) nach Berufsgruppen; Sortierung der Durchschnittseinkommen nach Quartilen für das Jahr 1993 aus: Tessaring, M.: Beschäftigungstendenzen nach Berufen, Tätigkeiten und Qualifikationen. In: Alex, L., M. Tessaring (Hrsg.): Neue Qualifizierungs- und Beschäftigungsfelder. Dokumentation des BIBB/IAB-Workshops am 13./14. November 1995, Bielefeld 1996, S. 71.

Vielmehr dürften die Einkommenserhöhungen, die zu keinem Wechsel in ein höheres Einkommenssegment führten, wie auch in den von mir zuvor

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zitierten Untersuchungen unterstellt, im wesentlichen allein auf die tariflichen Verbesserungen bei den Fachkräften zurückzuführen sein.

Weitere tarifliche Verbesserungen sind angesichts der derzeitigen Debatten über Kosteneinsparungen allerdings wenig realistisch. Vielmehr sind erste Anzeichen erkennbar, daß prekäre Beschäftigungsverhältnisse (befristete Arbeitsverträge, Stundenverträge oder Arbeitsverträge über „Arbeit auf Abruf") deutlich zunehmen. Auch Veränderungen der Trägerschaft, der formal-rechtlichen Unternehmensform oder aber das „Outsourcing" von Unternehmens- oder Leistungsbereichen - übrigens auch der Pflege - nehmen zu, wodurch der Übergang zu (un)günstigeren Tarifbereichen möglich wird [Fn 14: Vgl. z.B. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (Hrsg.): Gesundheitswesen in Deutschland. Kostenfaktor oder Zukunftsbranche. Bd. l: Demographie, Morbidität, Wirtschaftlichkeitsreserven und Beschäftigung. Sondergutachten 1996. Kurzfassung.].

Sind Frauenberufe frauenfreundlich? - Sind Humandienstleistungsberufe human?

In keinem anderen Frauenberuf ist neben der Lohnfrage die Frage der Arbeitsbedingungen so nachhaltig ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt wie bei den Pflegeberufen. Vor allem die hohen physischen und psychischen Belastungen und unzumutbaren Arbeitszeitregelungen stehen im Zentrum der Kritik. Ich stelle deshalb an dieser Stelle die Frage:

Sind Frauenberufe frauenfreundlich?- Sind Humandienstleistungsberufe human?

Frauenberufe, so Christiane Schiersmann auf einem BIBB-Fachkongreß zur Altenpflege, müßten eigentlich besonders frauenfreundlich sein! [Fn 15: Vgl. Schiersmann, Ch.: Berufseinmündung und Berufsverbleib von Altenpflegekräften in den ersten Berufsjahren im Spiegel der Erfahrungen mit anderen Frauenberufen. In: Meifort, B., W. Becker (Hrsg.): Berufseinmündung und Berufsverbleib von Altenpflegekräften in den ersten Berufsjahren. Erste Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung. Dokumentation der KDA/BIBB-Fachtagung Altenpflege 1995 in Bad Breisig, Köln 1996, S. 72-77.] Aber was ist „frauenfreundlich"?

In der Frauenforschung ist durchaus strittig, ob es Ziel sein soll, Arbeitsbedingungen geschlechtsspezifisch zu gestalten, weil dies die Gefahr in sich birgt, die Rollenteilung zwischen Frauen und Männern auf Dauer zu verfestigen. Vielleicht müßte es so gesehen besser sein, zu fragen, ob ein Beruf, zumal

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ein Humandienstleistungsberuf, wie man Pflegeberufe auch bezeichnet, Arbeitseinsatzbedingungen bietet, die eine humane Arbeit ermöglichen. Gerade in den personenbezogenen bzw. Humandienstleistungen ist das aber, um das Ergebnis vorwegzunehmen, in der Regel nicht der Fall. Anhand der Ergebnisse unserer Forschungsarbeit im Bundesinstitut zur Altenpflege möchte ich dies im folgenden kurz erläutern:

Es sind vor allem drei Faktoren, die an den Arbeitsbedingungen in der Pflege grundsätzlich kritisiert werden. An erster Stelle werden von Pflegekräften die hohen körperlichen und psychischen Belastungen angeführt; weiter wird das Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis in dem Sinne kritisiert, daß Pflegekräfte das, was sie als „gute und richtige Pflege" in der Ausbildung gelernt haben, in der Praxis immer weniger oder so gut wie gar nicht anwenden bzw. umsetzen können, und es ist drittens (nicht in der Rangfolge, sondern in der Reihenfolge) die Klage über die vorherrschenden extrem belastenden Arbeitszeitregelungen.

Die Klagen über die Arbeitsbelastungen variieren in der Pflege sehr stark mit dem Arbeitsort [Fn 16: Vgl. Becker, W., B. Meifort: Altenpflege: Eine Arbeit wie jede andere? Ein Beruf für's Leben? Hrsg.: BIBB Bielefeld: Bertelsmann, 1997 (Berichte zur beruflichen Bildung, H. 200: Qualifikationsforschung im Gesundheitswesen).] Obwohl ambulante Pflegearbeit überwiegend Einzelarbeit ist, ist die Pflege im privaten, häuslichen Umfeld des Patienten ganz offensichtlich der Wunscharbeitsort und sehr viel beliebter als die stationäre Berufsarbeit. So sind z.B. in der Altenpflege rund 86 Prozent der vom Bundesinstitut für Berufsbildung befragten Altenpflegekräfte in einer stationären Einrichtung beschäftigt, jedoch möchte weit mehr als die Hälfte ihren gegenwärtigen Arbeitsplatz im Alten- oder Altenpflegeheim verlassen. An erster Stelle der Wunschliste wird die „ambulante Pflege" angeführt, gefolgt von der Arbeit in Altentagesstätten. Die Gründe für diese unterschiedliche Wertschätzung von ambulanter und stationärer Pflege lassen sich - zumindest soweit es die Altenpflege betrifft - weniger auf Unterschiede in den Tätigkeitsmerkmalen zurückführen. Bis auf leichte Abweichungen in den hauswirtschaftlichen Arbeiten (sie spielen für Altenpfleger/-innen in der ambulanten Versorgung eine leicht geringere Rolle), der sozialen Betreuung (die wiederum im stationären Bereich eine weniger bedeutende Rolle zu spielen scheint) und der Grundpflege (die sich für die Berufsarbeit in Altenpflegeheimen als dominant erweist) werden die anfallenden Tätigkeiten

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von den Befragten als fast deckungsgleich beschrieben. Auch die allgemeinen im Zusammenhang mit pflegerischer Berufsarbeit auftretenden Belastungen werden von den Befragten für den ambulanten und stationären Sektor praktisch gleich hoch eingeschätzt: wie z.B. die psychophysischen Belastungen und hier insbesondere das Miterleben von Leiden und Sterben. In der Mehrzahl werden jedoch die Belastungen in der stationären Altenpflege eindeutig höher eingeschätzt als die in der ambulanten Versorgung (alter Menschen).

Die Spitzenwerte der Belastungen in der stationären Altenhilfe beziehen sich auf folgende vier Arbeitsfaktoren: 1. Zu wenig Zeit, 2. zu viele Menschen zu betreuen, 3. geringe Ansatzmöglichkeiten für aktivierende Pflege, und 4. Kritik am hohen Anteil an Hilfskräften und Ungelernten sowie an deren Kompetenz- und Motivationsniveau.

Ausschlaggebend für die unterschiedliche Bewertung der beruflichen Belastungen im ambulanten und im stationären Altenpflegesektor dürften zum einen die sehr unterschiedliche Zusammensetzung der zu betreuenden pflegebedürftigen alten Menschen hinsichtlich Alter und Grad des Pflegebedarfs in den verschiedenen Pflegeorten sein sowie die jeweilige Personalzusammensetzung. Wie auch aus der Infratest-Heimerhebung hervorgeht, sind Alter und Grad der Pflegebedürftigkeit bei BewohnerInnen in Heimen sehr hoch. Danach sind die Menschen in Heimen der Altenpflege im Schnitt 81 Jahre alt, die BewohnerInnen von Pflegeeinrichtungen verbringen im Schnitt nur 36 Monate bis zu ihrem Tod im Heim, 19 Prozent sterben bereits in den ersten sechs Monaten des Aufenthalts [Fn 17: Vgl. Infratest Burke (Hrsg.): „Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung in Einrichtungen - Ergebnisse einer Repräsentativerhebung". Vervielfältigtes Manuskript anläßlich des 2. Symposiums zum selben Thema des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 19. März 1996 in Berlin.] ; 63 Prozent der BewohnerInnen von Alteneinrichtungen sind pflegebedürftig, 26 Prozent sogar ständig pflegebedürftig [Fn 18: Vgl. ebenda, S. 2f.] Diese Ergebnisse decken sich mit den Angaben der vom BIBB befragten Altenpflegekräfte zu den institutionenspezifischen Anforderungs- und Belastungsstrukturen.

Darüber hinaus wird bei den Befragungen des BIBB das nicht ausreichende Kompetenzniveau des „Pflegeteams" als entscheidender Belastungsfaktor herausgestellt. Die Zusammensetzung des Personals, dessen Qualifikationen

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und Kompetenzen variieren nach Einrichtungstypen in der Altenpflege erheblich. Dabei bestätigt die vorliegende Erhebung weitgehend Ergebnisse aus früheren Untersuchungen anderer Autorinnen [Fn 19: Vgl. z.B. Brandt, H., E.M. Dennebau, W. Rückert (Hrsg.): Stationäre Altenhilfe. Problemfelder- Rahmenbedingungen - Perspektiven, Freiburg 1987.].
Insbesondere in Altenheimen und Altenpflegeheimen bilden Ungelernte und Hilfskräfte weiterhin die zweitgrößte Beschäftigtengruppe.

Ein weiterer zentraler Belastungsfaktor ist die beinahe vollständig fehlende Möglichkeit, verantwortungsvoll zu pflegen. Hier haben sich die Belastungen seit Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes zumindest in der Altenpflege eindeutig weiter erhöht. Die betriebswirtschaftlichen Strategien, mit möglichst niedrigen Personalkosten zu arbeiten, waren in der Altenpflege bereits vor dem Gesetz vorhanden; doch diese Strategie hat sich jetzt noch verschärft. Die Zeitbudgets sind enger geworden. Rund 90 Prozent der Befragten geben an, keine Zeit mehr für Gespräche mit den Heimbewohnern zu haben. Das ergeben unsere Nachuntersuchungen von 1996 und Anfang 1997. Inzwischen sind offensichtlich alle bis dahin vielleicht vorhandenen Spielräume in der Arbeit verschwunden. Dies führt dazu, daß die Befragten sagen: „Im Grunde sind die Bewohner Störfaktoren. Dann kann ich auch in eine Fabrik ans Fließband gehen. Dort sind wenigstens die Arbeitszeiten günstiger." Das kann eine qualifizierte Fachkraft nicht befriedigen. Es muß auch bezweifelt werden, ob eine so aufgebaute Pflege tatsächlich kostengünstig ist oder nicht eher Folgekosten produziert - sowohl hinsichtlich der Bewohner, aber auch z.B. hinsichtlich des Krankenstandes beim Personal.

Ein weiteres Hauptmerkmal unzureichender bis stark belastender Arbeitsbedingungen in der Pflege sind die lebens- und familienfeindlichen Arbeitszeitmodelle, der völlige Verlust erlebbarer sozialer Kontakte durch die unflexiblen Arbeitszeiten, die einer zufriedenstellenden Lebensführung diametral entgegengesetzt sind. Wer 14 Tage lang, ohne einmal frei zu haben, arbeitet und dann auch nur ein normales Wochenende (Samstag/Sonntag) frei hat, an dem er/sie noch dazu „auf dem Sprung" sitzt, weil man auch dann noch angerufen werden könnte, ist nicht mehr in der Lage, soziale Kontakte zu pflegen.

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Aus früheren Untersuchungen, die Prognos in Krankenhäusern zur Arbeitssituation des Krankenpflegepersonals durchgeführt hat, sind gleichlautende Ergebnisse aus der Krankenpflege bekannt [Fn 20: Prognos (Hrsg.): Auf dem Weg aus der Pflegekrise? Neue Ideen und Lösungsansätze in der Krankenpflege, Berlin 1992. Vgl. hierzu auch: Meifort, B.: „Pflegenotstand" in den alten Bundesländern - Zur Situation der ambulanten und stationären Pflege und des Pflegepersonals aus der Sicht der Berufsbildungsforschung. In: Zukunft der Pflege - Zukunft der Pflegeberufe. Eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 9. Juni 1994 in Erfurt, Bonn: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1994 (Gesprächskreis Arbeit und Soziales, Nr. 41), S. 31-48.]

Um so mehr erstaunt, wie wenig experimentierfreudig sich die beiden Berufsbereiche Alten- und Krankenpflege hinsichtlich Modernisierungsansätzen bei der Arbeitsgestaltung präsentieren. Es ist dies zum größten Teil ein Managementproblem. Den Führungskräften in Heimen und Krankenhäusern wird von qualifiziertem Fachpersonal oft vorgeworfen, unqualifiziert zu sein. Obwohl es inzwischen zahlreiche Arbeitszeitmodelle für die Pflege in Krankenhäusern und Altenheimen gibt, sind die in der stationären Alten- und Krankenpflege in der Praxis vorhandenen Arbeitszeitmodelle unflexibel und werden in Krankenhäusern und Heimen auch nicht auf ihre Flexibilisierung hin untersucht. Das Management schafft es offensichtlich nicht durchgängig, daraus hausspezifische Konzepte zu entwickeln.

Die Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation hat in den Jahren nach 1992 für den Arbeitsplatzwechsel in der Altenpflege nach unseren Ergebnissen sogar die führende Rolle gespielt und spielt sie bis heute [Fn 21: Vgl. Becker, W., B. Meifort: Längsschnittuntersuchung Altenpflege 1992-1997. Ergebnisse - Interpretationen - Diskussionsanreize. Bundesinstitut für Berufsbildung, Berlin 1997.].

Das betrifft viele Bereiche, nicht nur die Arbeitszeitgestaltung, sondern z.B. auch die Frage, wie gepflegt werden sollte. Die Praxis hinkt hier häufig der Theorie hinterher - ein Vorwurf sowohl an die Schulen, realitätsfern auszubilden, aber vor allem an das Pflegemanagement in den Heimen. Ebenso wie die Bedeutung flexibler Arbeitszeiten vom Management oft nicht erkannt wird, findet auch Teamarbeit nicht auf dem Niveau statt, das Berufseinsteiger erlernt haben und erwarten - ebenfalls ein Leitungsproblem.

In dieser Hinsicht, so das Fazit, ist die Krise der Pflege auch das Ergebnis der von der Pflege selbst zu verantwortenden Managementdefizite. Zwar sind die verschiedenen Managementpositionen im Gesundheitswesen und Sozi-

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alwesen häufig geschlechtsspezifisch besetzt; das bedeutet, daß in Krankenhäusern die Verwaltungsdirektoren und ärztlichen Direktoren häufig Männer sind, ebenso die Heimleiter in Heimen. Das für die Arbeitsgestaltung der Pflege zuständige Pflegemanagement ist jedoch überwiegend weiblich. Und den überwiegend weiblichen Führungskräften der Pflege fehlt es ganz offensichtlich an Kreativität, Durchsetzungsvermögen und vor allem an den erforderlichen Qualifikationen, an zeitgemäßer Kompetenz hinsichtlich einer Innovation der Pflegearbeit. Dieses Managementdefizit macht sich nach Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes um so deutlicher und schwerwiegender bemerkbar.

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3. Perspektiven der Pflegeberufe - Perspektiven für Frauen? - oder: Können Pflegeberufe als Hoffnungsträger für Berufsbildung und Beschäftigung von Frauen gehandelt werden?

Quantitativ, von der Zahl der Auszubildenden und der Berufsangehörigen her, sind Pflegeberufe Frauenberufe. Dieser Begriff ist darüber hinaus jedoch wenig aussagefähig. Er bietet daher allein auch keinerlei Ansatzpunkte für gezielte politische Handlungsmaßnahmen. Deshalb war beispielsweise auch das seinerzeit vom ehemaligen BMBW (jetziges BMBF) durchgeführte Modellprogramm „Mädchen in Männerberufe" bereits vom Grundsatz her zum Scheitern verurteilt: Entweder bekamen Mädchen in den Männerberufen Ausbildungsplätze, die die jungen Männer nicht wollten, oder - nach der Ausbildung - die jungen Frauen landeten auf den weniger attraktiven, weniger entwicklungsfähigen Arbeitsplätzen, z.B. im Büro und in der Annahme der Kfz-Werkstätten, nicht aber an der Werkbank direkt in den Werkstätten.

Insofern - so das Fazit auf das Thema der Fachkonferenz - wäre eine vergleichbare Strategie für Pflegeberufe, etwa nach dem Motto „Mehr Männer in die Pflege" wenig hilfreich. Schon heute, so das Ergebnis der Nachbefragung des Bundesinstituts bei Altenpflegekräften, vier Jahre nach Ausbildungsabschluß, landet die verhältnismäßig kleine Zahl von Männern verhältnismäßig schnell auf den besseren, einflußreicheren Arbeitsplätzen.

Berufsrelevante Einzelmerkmale, die den Begriff „Frauenberuf" mit Inhalt füllen und politischen Handlungsbedarf aufzeigen, sind die Merkmale Qualifikation, Lohn, Arbeitsbedingungen. Mindestens die beiden Merkmale Qua-

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lifikation und Arbeitsbedingungen erfüllen ungeschmälert alle negativen Zuschreibungen, die sich mit dem Image „Frauenberufe" verbinden. Zwar hat sich - hinsichtlich des Merkmals Lohn - die Einkommenssituation im Vergleich zu anderen Fachberufen deutlich verbessert, aber das war zum einen mit einem Nachholbedarf verbunden und ist zum anderen, wie sich erste Anzeichen mehren, keineswegs ein stabiler Trend.

Zum Schluß will ich deshalb nur mit Stichworten - quasi als Impuls für die weiteren Diskussionen - anreißen, in welche Richtung es weitergehen könnte.

Die berufsbezogenen Merkmale Qualifikation, Lohn und Arbeitsbedingungen, die ich aus analytischen Gründen einzeln behandelt habe, müssen bei der Frage nach den Perspektiven in ihren Zusammenhängen betrachtet werden; wenn z.B. hinsichtlich der Qualifikation eine generalistische Ausbildung gefordert wird, sollte auch über deren Konsequenzen gesprochen werden. So besteht zwischen Qualifikation und Lohn ein enger Zusammenhang: Der Marktwert eines Berufs bemißt sich u.a. danach, ob die berufliche Arbeit als unverwechselbares Gut angeboten wird, d.h. als spezifischer, eindeutiger Beruf (Stichwort „Berufskonzept"). Wird die Arbeit demgegenüber als auswechselbares Gut auf dem Arbeitsmarkt angeboten, als eine Art Einstiegsberuf, nur mit einer generalistischen Grundlagenqualifikation unterfüttert, dann fällt die tarifliche Bewertung geringer aus; schließlich - so die Begründung - muß Berufsbildung die Balance herstellen zwischen den Bedürfnissen der Arbeitnehmer nach Bildung und dem Bedürfnis der Arbeitgeber an verwertbarer Qualifikation. Demnach wäre es fatal, die dringend überfällige Strukturreform der Berufsbildung für Gesundheitsberufe - nicht nur für Pflegeberufe - auf ein generalistisches Berufskonzept hin anzulegen [Fn 22: Vgl. hierzu Meifort, B.: Vorstellungen zur Reform der Beruflichen Bildung für die Gesundheits- und Sozialpflege. In: Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (DBfK) (Hrsg.): Ausbildung in den Pflegeberufen. Dokumentation eines Expertengesprächs am 14.3.1997 in Eschborn, Eschborn 1997, S. 43-58.].

Ein besonderer Mißstand besteht darin, daß die Ausbildung der Pflegeberufe nicht nach den Standards geregelt und durchgeführt wird, die für Berufsbildungsgänge anderer Berufsbereiche gelten. D.h., vordringlich für eine Verbesserung der Berufsbildungs- und Beschäftigungssituation in diesem frauenspezifischen Berufsfeld ist eine eindeutige und klare Einordnung in das System der Berufsbildung in der Bundesrepublik: entweder eine klare Ein-

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ordnung in das berufsbildende Schulwesen nach Länderrecht oder in das nach Bundesrecht geregelte duale System der Berufsbildung gemäß BBiG.

Dazu gehört auch die Anwendung der im jeweiligen System geltenden Qualitätsgrundsätze, wozu aber auf jeden Fall eine Qualitätssicherung auch der praktischen Berufsausbildung gehören muß. Vordringlich sind

  • die Qualifikation des Lehr- und Ausbildungspersonals entsprechend den sonst üblichen Standards für die Qualifizierung von LehrerInnen an berufsbildenden Schulen und für betriebliches Ausbildungspersonal in der betrieblich-praktischen Ausbildung. Hier bestünden auch berufliche Entwicklungsperspektiven für den großen Teil qualifizierter Frauen, die sich nicht für eine akademische Ausbildung interessieren, aber trotzdem am Beruf und an beruflichen Karrieren Interesse haben.
  • die allgemeinverbindliche Regelung der praktisch-betrieblichen Ausbildung. Es ist einfach eine Fiktion zu glauben, die Schule könne ernsthaft die Verantwortung für die Ausbildung im Betrieb tragen. Die Qualität der betrieblichen Ausbildung ist ohne verbindliche Regelung der praktischen Ausbildung in der Verantwortung der durchführenden Betriebe nicht zu sichern.

Zum Schluß wäre noch vieles zu den Arbeitsbedingungen zu sagen. Ich möchte hier nur einen Aspekt herausgreifen, nämlich den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Lohn.

Ich halte die wohlfeile Argumentation hochbezahlter FunktionärInnen, WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen für wenig hilfreich, wir brauchten mehr Teilzeitarbeitsplätze für Frauen. Was an Teilzeitkonzepten besonders ärgerlich ist, ist das Aussparen der Lohnfrage. Frauen sind nicht bloß „Zuverdiener". Bei dem Einkommensniveau in der Pflege wird bei Teilzeit, trotz aller tariflichen Verbesserungen, einfach kein ausreichend hohes Einkommen erzielt. Was aber dringend notwendig ist, wäre eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung, wenn schon nicht eine Verringerung der Gesamtarbeitszeit für alle.

Können die Pflegeberufe also - wie in letzter Zeit häufig angedeutet - als Hoffnungsträger für Berufsbildung und Beschäftigung von Frauen gehandelt werden? Immerhin zählt das Gesundheits- und Sozialwesen - und hier insbesondere der Teilarbeitsmarkt „Pflege" - bereits seit den siebziger Jah-

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ren zu den beschäftigungspolitischen Wachstumsfeldern. Auch zukünftig werden besonders für den Pflegebereich demographisch bedingt Zuwächse bei den Beschäftigtenzahlen erwartet. Aus der bisherigen Entwicklung und der prognostizierten zunehmenden Bedeutung des Dienstleistungssektors, insbesondere der Zunahme an höherqualifizierten Dienstleistungstätigkeiten, umstandslos auf eine automatische Verbesserung der zukünftigen Berufschancen von Frauen in Pflegeberufen zu schließen, wäre allerdings vorschnell.

Vielmehr mehren sich Anzeichen dafür, daß über „Rationalisierungsreserven in der Pflege" nachgedacht wird (O-Ton Sachverständigenrat Konzertierte Aktion) [Fn 23: Vgl. z.B. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (Hrsg.): Gesundheitswesen in Deutschland. Kostenfaktor oder Zukunftsbranche. Bd. l: Demographie, Morbidität, Wirtschaftlichkeitsreserven und Beschäftigung. Sondergutachten 1996, Kurzfassung.] , die von einer Veränderung des pflegerischen Leistungsspektrums in Richtung Verdichtung bis hin zur Verlagerung von Pflegetätigkeiten in andere Einrichtungen und damit auf andere Berufsgruppen und damit (un)günstigeren Tarifbereichen reichen.

[Seite der Druckausg.: 88 = Leerseite]


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