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5. Qualifizierungspolitik im Interesse von Frauen



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5.1 Bildungspolitische Strategien



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5.1.1 Aufwertung der dem weiblichen Stereotyp zugehörigen Fähigkeiten

Bereits in der Schule wird die diskriminierende Zweitrangigkeit der den Frauen zugeschriebenen Fähigkeiten vermittelt und verstärkt. Feministische Schulforschungen belegen, daß die Geschlechtsrollen in Struktur und Interaktionen des Unterrichts erheblichen Einfluß haben. So hat sich erwiesen, daß Lehrer und Lehrerinnen höhere Leistungsanforderungen an Jungen stellten und daß Jungen häufiger im Unterrichtsgeschehen die Aufmerksamkeit der Lehrpersonen auf sich ziehen, sie werden häufiger gelobt und getadelt. Darüber hinaus verstärkt die Schule die Integration der Geschlechtsstereotype in das Selbstbild: Jungen identifizieren sich sehr bald als das starke Geschlecht im technischen, körperlichen und sozialen Bereich, während Mädchen sich eher über Normen wie Attraktivität, Fürsorglichkeit und Hausfraulichkeit definieren. Diese Integration des Geschlechtsstereotyps hat aber erhebliche Auswirkungen auf die Selbstinterpretation von Leistung: Gute Leistungen verstärken bei Jungen das eh schon positive Selbstbild, während gleich gute Leistungen bei Mädchen gerade hinreichen, um ein relativ positives Selbstbild zu entwickeln. "Die mit der weiblichen Geschlechtsrolle verbundenen Erfahrungen von Nachrangigkeit scheinen die positiven Wirkungen des Schulerfolgs zumindestens teilweise zu unterlaufen" (Horstkämper 1987).

Ziele einer reflexiven Koedukation (Faulstich-Wieland 1991) müßten es sein:

  • das Geschlechterverhältnis in den Dimensionen Stärke/Schwäche und Macht/Ohnmacht in den Interaktionen im Schulbereich zu thematisieren und kritisch zu bearbeiten;

  • Lehrfächer neu zu konzipieren, wobei zentral die Orientierung an den Interessen der Mädchen ist;

  • die Medien zu revidieren, um problematische Mädchen- und Frauenbilder als auch Jungen- und Männerbilder zu beseitigen und eine einseitige Identifikation des Jungen mit dem Beruf und der Leistung und des Mädchens mit sozialem Engagement und Fürsorge aufzuheben;

  • Sozialprogramme für Jungen zu entwickeln, in denen sie einen kritischen Umgang mit ihrer Geschlechtsrolle lernen können (Janshen 1990).

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Die für die Schule einzufordernden Veränderungen entsprechen den Tendenzen, die in anderen gesellschaftlichen Bereichen bereits zu verzeichnen sind: die Aufwertung typisch weiblicher Fähigkeiten ist heute nicht mehr zu übersehen. Die ideale Führungspersönlichkeit z.B., wie sie in Management- und Führungskräfteschulungen vorgeführt wird, weist nämlich zunehmend weibliche Züge auf (Feminisierung der Qualifikation). Ihr Qualifikationsprofil umfaßt auch persönlichkeits- und beziehungsorientierte Dimensionen und soziale, affektive, selbstreflexive und problemorientierte Fähigkeiten (Manthey 1991). Diese neuen Anforderungen entstammen nicht der feministischen Kritik am Männlichkeitsbild, sondern den nicht mehr zu verleugnenden Problemen der Sozialorganisation von Betrieben. Neue Produktionskonzepte setzen flexible Strukturen, Teilautonomie und Enthierarchisierung voraus und die Führungskräfte, die sie garantieren. Zwar besteht die Gefahr, daß sich die männlichen Führungskräfte nun durch die Integration vormals abgespaltener und auf Frauen projizierter Fähigkeiten zu einem "Prototyp vollendeter Autonomie" (Manthey S. 56) entwickeln und in der Lage sind, potentielle Fähigkeiten von Frauen sogar noch zu überbieten. Dies könnte im Konkurrenzkampf mit Frauen wiederum zu ihren Ungunsten ausgehen. Was aber bleibt, sind eindeutige Aufwertungsprozesse der sonst Frauen zugeschriebenen und bisher minder bewerteten sozialen Fähigkeiten.

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5.1.2. Qualifizierung der Ausbildungsgänge der typischen Frauenberufe

Nach den allgemein anerkannten Kriterien ist die Dauer eines Ausbildungsganges ein Indikator für dessen Qualität. Wer eine dreijährige Ausbildung absolviert hat, gilt als besser qualifiziert als jemand, dessen Berufsausbildung nur zwei Jahre dauert. In dieser Hinsicht hat die Abschaffung der je zweijährigen Ausbildungsgänge zur Verkäuferin und zur Bürogehilfin (im Jahre 1991) eine Aufwertung typischer weiblicher Ausbildungsgänge und damit formaler Qualifikationen gebracht. Die in den neuen Ausbildungsgängen vorgesehenen Lerninhalte der Ausbildungsberufe sind gegenüber den alten Ausbildungsordnungen von höherem Niveau, und die zu vermittelnden Fähigkeiten sind breiter angelegt. Es zeichnet sich allerdings im Falle der neugeordneten Büroberufe eine potentielle Diskriminierung ab: Wenn nur im Berufsbild des Kaufmannes/der Kauffrau für Bürokommunikation schreibtechnische Fähigkeiten gründlich ausgebildet werden, könnte es passieren, daß in diesen Ausbildungsberuf überwiegend junge Frauen gelenkt werden. Weil es als erwiesen gelten kann, daß das Image eines Berufes sinkt, je höher der Frauenanteil in diesem Beruf liegt, würde die Dauer des Ausbildungsganges als Qualifikations-Bonus dann durch die Geschlechterdiskriminierung konterkariert werden. Demnach muß ein bildungspolitisches Ziel sein, eine gleichgewichtige Verteilung der Geschlechter in diesem, wie auch in allen anderen Ausbildungsgängen zu be-

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wirken. Darüber hinaus muß auf der Ebene der Arbeitsorganisation darauf geachtet werden, daß Schreibtechnik nicht von entscheidungsbezogener Sacharbeit getrennt wird.

Der große Bereich der Berufsausbildung für personenbezogene, soziale Dienstleistungen bedarf mindestens aus Gründen der EG-Anerkennungsproblematik einer generellen Neuordnung. Ziel sollte es dabei sein, "Ausbildungsordnungen nach dem Modell neugeordneter Berufe im dualen System zu schaffen unter Berücksichtigung bestehender Schulberufsausbildungsgänge, aber mit Blick auf die inhaltliche Verzahnung der verschiedenen Ausbildungsstufen" (Krüger 1991, S. 18).

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5.1.3 Qualifizierung im gewerblich-technischen Bereich

Das Argument der Berufswahl, die angeblich geschlechtsspezifisch erfolgt, ist empirisch widerlegt: Junge Frauen und junge Männer orientieren sich mehr und mehr im Laufe der Schulzeit nach den Geschlechtsstereotypen, aber nur, weil ihnen vorgeführt wird, daß sie keine realistische Alternative haben. Die sog. Berufswahl wird also nicht von natürlichen Neigungen beeinflußt, sondern durch geschlechtsspezifische, sozial induzierte Erfahrungen und die Wahrnehmung realer Zugangschancen (Krüger 1984).

Wie hoch die Barrieren für Frauen sind, wenn sie geschlechtsspezifische Schranken überwinden wollen, zeigen die über 10jährigen Bemühungen, die gewerblich-technischen Berufe für junge Frauen zu öffnen. Hier wurde u.a. auch die Qualifikationsfrage gestellt und in zahlreichen Modellversuchen belegt, daß es mitnichten die individuellen Fähigkeiten von jungen Frauen sind, die sie von gewerblich-technischen Berufen fernhalten. Vielmehr hat es sich gezeigt, sind es die Qualifikationskonzepte der betrieblichen Stellen, der Behörden, und aus dem sozialen Umfeld, in denen ein Widerspruch zwischen weiblichem Geschlecht und den Anforderungen im gewerblich-technischen Bereich verankert ist. Funktion dieses Qualifikationskonzeptes ist es, die Frauen von diesen attraktiven Erwerbsarbeitsplätzen fernzuhalten. Der Nachweis, daß Mädchen genauso gut wie Jungen sind, bleibt solange folgenlos, solange diese Qualifikationskonzepte nicht real als frauendiskriminierend bloßgestellt werden und normativ unter Druck geraten. Das Geschlecht darf bei der Beurteilung, ob eine Person für einen Ausbildungsgang geeignet ist oder nicht, sofern man dies überhaupt im vornherein beurteilen will, keine Rolle spielen.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß die Bemühungen um den "Einbruch" von Frauen in gewerblich-technische Berufe fast ausschließlich in den Berufen gelang, deren Attraktion weniger hoch ist (Berufsbildungsbericht 1992). Darüber

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hinaus ist die Gefahr für Frauen gewachsen, nach dem Abschluß einer Ausbildung im Kernbereich der gewerblich-technischen Berufe die erneute Abwertung ihrer Qualifikation zu erfahren und entweder gar keinen Zugang zu den Erwerbsarbeitsplätzen zu bekommen, oder wenn, dann nur zu weniger attraktiven Plätzen als die Männer.

Die bildungspolitischen Aufwertungsversuche der Qualifikationen von Frauen müssen demnach mit Sicherungsstrategien gegen erneute Diskriminierungen verknüpft sein, (Übernahmegarantie nach der Ausbildung, Recht auf ausbildungsgerechte Arbeit). Solche Regelungen, etwa in Frauenförderplänen, müssen verbindlich sein.

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5.2 Tarifpolitische Strategien



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5.2.1 Aufwertung der Qualifikationen, die in typischen Erwerbsarbeitsfeldern von Frauen eingesetzt werden

Industriearbeiterinnen verdienen 1992 70% dessen, was Industriearbeiter verdienen, weibliche Angestellte nur 65% dessen, was männliche Angestellte verdienen. Neben den immer noch eklatanten Einkommensunterschieden lassen sich in einzelnen Tarifbereichen, in denen typische Frauenarbeit und typische Männerarbeit erfaßt sind, spezielle und noch gravierendere Unterschiede in der Höhe der Bezahlung ermitteln, die darauf beruhen, daß typische weibliche Aufgaben im Vergleich zu typisch männlichen Aufgaben geringer vergütet werden. Eine Strategie, die nur den Anteil der Frauen an den bisher männlichen Erwerbsarbeitsdomänen sichern will, greift zu kurz, weil sie die Diskriminierung der typisch weiblichen Erwerbsarbeit bestehen läßt. Vergangene und drohende Arbeitskämpfe der Frauen in den Sozial- und Pflegeberufen (Erzieherinnen, Krankenschwestern) machen diese Diskriminierung deutlich und haben teilweise bereits Erfolge erzielt. Hier wird die männliche Definitionsmacht über den Wert von Qualifikationen angegriffen und das Interesse der Frauen an der gesellschaftlichen und materiellen Gleichbewertung von sozialen und technischen Qualifikationen durchzusetzen versucht (Dürk 1992).

Für männliche Erwerbsarbeit sind Monopolbildungsprozesse typisch. Die "gelernte" Arbeit in der Industrie wurde zum strategisch wichtigen Unterscheidungsmerkmal auf dem internen Arbeitsmarkt, ein Merkmal, das insbesondere den Männern dient. Die Facharbeiterausbildung wird als Ausbildungsgang monopolisiert, steht Frauen aber nur formal, nicht real offen. Ihre Absolvierung berechtigt aber zur Aufnahme qualifizierter Arbeitsplätze, woraus sich ein System ergibt, aus dem Frauen systematisch ausgeschlossen sind. Männer können sogar Scheinqualifikationen monopolisieren, z.B.

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schafften es Fensterputzer, eine zweieinhalbjährige Ausbildung zur Qualifikationsvoraussetzung für das beruflich organisiserte Fensterputzen zu machen. Damit schützen sie sich vor Konkurrenzen aus anderen Marktsegmenten. In typischen Frauenberufen dagegen findet sich genau der entgegengesetzt wirkende Mechanismus: Durch den Einsatz von Laien, formal nicht qualifizierten Arbeitskräften, werden die in Frauenberufen anerkannten Qualifikationen eher abgewertet und als geringer honorierbar dargestellt. Der Einsatz von ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen in der Altenbetreuung, von Müttern im Kindergarten läßt den Eindruck erwecken, als sei die dort zu leistende Erwerbsarbeit auch ohne formale Qualifikationen leistbar.

Ein gravierendes Problem, mit dem die Frauen bei diesen Aufwertungskampagnen zu kämpfen haben, ist die Labilisierung der Anerkennung ihrer Qualifikationen.

Immer wieder gibt es Versuche, die in sozialen Berufen eingesetzten Fähigkeiten in ihrer Berufsfachlichkeit anzuzweifeln und entsprechend abzuwerten. Dabei wird nicht nur auf den Einsatz von Laien rekurriert, die dem Anschein nach in der Lage sind, dasselbe zu leisten. Auch mit einem anderen Argument stellt man die Qualifikationen in sozialen Berufen in Frage: Nach dem Motto "das Eigentliche (nämlich die soziale Zuwendung) ist nicht bezahlbar", spricht man den Frauen in diesen Berufen den Anspruch auf eine höhere Bewertung ihrer Erwerbsarbeit ab und stellt deren Berufsmäßigkeit in Frage. Dies ist als Ideologie zu entlarven und im Gegenzug als der gesellschaftliche Wert sozialer Arbeit herauszustellen (Backes 1987).

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5.2.2 Aufwertung der Qualifikationen, die in der nur Frauen zugewiesenen Erwerbsarbeit eingesetzt werden

Insbesondere im Industriebereich, aber auch im öffentlichen Dienst ist der Anteil der Frauen in den je untersten Lohngruppen extrem hoch, in den je höchsten extrem niedrig. Die Ursachen dafür liegen nicht, wie oft behauptet, in den defizitären individuellen Fähigkeiten der Frauen, sondern darin, daß die Arbeitsplätze so gestaltet werden, daß nur gering bewertete Qualifikationen eingesetzt werden können. Tarifpolitische Zielsetzungen für diese Bereiche sind auf drei Ebenen angesiedelt:

  1. Die je untersten Tarifgruppen müssen ersatzlos gestrichen werden, so daß alle Frauen "automatisch" mehr Entgelt erhalten.

  2. Die Beurteilungssysteme von Industriearbeitsplätzen müssen so umgestaltet werden, daß die Beanspruchung zum Kriterium der Eingruppierungshöhe gemacht wird.

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    Damit kann eine Gleichwertigkeit von Belastungen verschiedener Herkunft hergestellt werden: Ob eine Frau dann durch statische Körperhaltung und Anspannung der Nerven oder ein Mann durch Belastung großer Muskelgruppe beansprucht wird, schlägt sich dann in der Eingruppierungshöhe nicht mehr nieder.

  1. Die Entgeltsysteme müssen so umgestellt werden, daß die persönlich mitgebrachten Fähigkeiten als Bezugspunkt gelten (Anspruch auf Bezahlung nach Qualifikation). Diese Strategie, die z.B. in der Tarifkommission 2000 der IG Metall verfolgt wird, wird den unterqualifiziert eingesetzten Frauen zugute kommen und auch eine der stärksten Weiterbildungsbarrieren von Frauen, die mehr als Männer nach der Verwertbarkeit von Weiterbildungsmaßnahmen fragen, abbauen.


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5.2.3 Aufwertung durch Erhöhung der Anforderungen an typischen Frauenarbeitsplätzen

Qualifikation ist der Begriff, über den die individuellen Fähigkeiten mit den Anforderungsstrukturen von Erwerbsarbeitsplätzen verknüpft werden. Verbesserung der Qualifikation kann also immer auf zwei Ebenen passieren: Einmal durch die Verbreiterung und Vertiefung der individuellen Fähigkeiten in Lern- und Bildungsprozessen, zum anderen aber auch durch die Veränderung der Anforderungsstrukturen der Erwerbsarbeitsplätze. Für typische Frauenarbeitsplätze bedeutet eine Qualifizierung im zweiten Sinne, daß zunächst die bisher noch nicht bewerteten Anforderungen ihre tarifgerechte Anerkennung erhalten und die Nutzung sogenannter natürlicher, weiblicher Fähigkeiten ausgeschlossen wird. Darüber hinaus zielt sie auch auf die direkte Erhöhung der Anforderungen von Arbeitsplätzen, die durch arbeitsorganisatorische Veränderungen bewirkt werden kann. Am Beispiel einfacher Schreibarbeitsplätze würde eine solche Qualifizierungsstrategie folgendes bedeuten:

  1. die tariflich höhere Bewertung von PC-gestützter Schreibarbeit aufgrund der Anerkennung der eingesetzten Fähigkeiten im Umgang mit komplexen Textverarbeitungsprogrammen, aufgrund der Deutsch- und Sachkenntnisse und der sozial kommunikativen Fähigkeiten (Anerkennung bisher unberücksichtigter Fähigkeiten);

  2. die arbeitsorganisatorische Umgestaltung reiner Schreibarbeitsplätze in qualifizierte Mischarbeitsplätze durch Hinzufügung von Fach- und Sachaufgaben (Erhöhung der Anforderungen)(Stiegler 1992);

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  1. parallel zur arbeitsorganisatorischen Umgestaltung das Angebot arbeitsplatznaher, auf die vorhandenen Fähigkeiten abgestimmter Weiterbildungsmöglichkeiten (Verbesserung der subjektiven Qualifikation durch Lern- und Bildungsprozesse).


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5.3 Quotierungsstrategien

Die Quotierung ist ein Instrument, mit dem die diskriminierenden Barrieren, die in den Zugangswegen zu Positionen und Erwerbsarbeitsbereichen implementiert sind, abgebaut werden sollen. Quotierungsregelungen setzen auf einen normativen Gleichbehandlungsanspruch und realisieren ihn praktisch. Die Festsetzung von Quoten fragt nicht nach den Ursachen der Unterrepräsentanz und auch nicht nach den Bedingungen, die sie aufrechterhalten. Quoten normieren Gleichstellung.

In Quotenregelungen für politische Funktionen in Gewerkschaften, Parteien und Organisationen wird in der Regel kein Bezug zur Qualifikation der jeweils zu bevorzugenden Gruppenmitglieder genommen. Auch bei Quotenregelungen für die Besetzung von Ausbildungsplätzen von jungen Frauen im gewerblich-technischen Bereich spielen die Qualifikationen als Eingangsvoraussetzungen noch keine Rolle.

Im Rahmen von Frauenförderplänen wird der Zugang zu je höheren Positionen in Form von Aufstieg oder zu bisher von Männern besetzten attraktiven Erwerbsarbeitsbereichen oft durch eine Entscheidungsquote geregelt (Pfarr 1988). Dies bedeutet, daß einer Frau unter der Voraussetzung gleicher Qualifikation mit dem männlichen Konkurrenten die Position vorrangig offen zu halten ist. Eindeutig ist eine solche Regelung in der Praxis nur dann umzusetzen, solange sich die Gleichwertigkeit auf Mindestvoraussetzungen in formalen Qualifikationen bezieht, d.h. auf die Tatsache, ob ein bestimmter Ausbildungsabschluß vorgewiesen werden kann. Sobald weitere Qualifikationselemente eine Rolle spielen können, wie z.B. Beurteilungen, Praxiserfahrung, anderweitige Zertifikate, Empfehlungen, werden Frauen wieder ihren männlichen Konkurrenten gegenüber schnell unterlegen erscheinen. Durch den Qualifikationsbezug der Entscheidungsquote werden nämlich Steuerungsmöglichkeiten wieder anwendbar, die die alten Diskriminierungen von Frauen wiederherstellen:

  1. Die Definition der Qualifikationsanforderungen kann so erfolgen, daß die meisten Frauen aufgrund von allgemeinen, geschlechtsspezifischen Zugangssperren oder aufgrund von individuellen Biographien als Frau die geforderten Voraussetzungen nur schwer vorweisen können (Beispiel Facharbeiterbrief im industriellen Bereich). Im günstigsten Fall muß dann die Gleichwertigkeit der von Frauen statt dessen

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    eingebrachten Fähigkeiten bewiesen werden (Beispiel: die Gleichwertigkeit jahrelanger angelernten Tätigkeit mit einem Facharbeiterabschluß). Dieser Akt unterliegt aber wiederum der Definitionsmacht, und es ergibt sich die paradoxe Situation, daß es wieder von der Entscheidung über den Wert von Fähigkeiten abhängt, ob berufliche Qualifikationen einander gleichwertig sind. Die Quoten-regelung sollte aber gerade diese männlich geprägte Definitionsmacht einschränken.

  1. In anderen Fällen geht es um die Frage, ob individuelle Fähigkeiten den definierten Anforderungen entsprechen. Dabei müssen Fähigkeiten von Männern und Frauen beurteilt und bewertet werden. Soziale Beurteilungsprozesse unterliegen aber ge-schlechtsrollenspezifischen Verzerrungen, wie sozialpsychologische Experimente immer wieder beweisen (Kruse 1991). Danach werden Arbeitsergebnisse von Frauen dann evident schlechter beurteilt, wenn das Geschlecht der Produzenten von Arbeitsergebnissen bekannt ist. Insbesondere trifft dies zu, wenn die Arbeitsergebnisse ein männlich dominiertes Feld betreffen. Diesen geschlechtstypischen Verzerrungen in Beurteilungsprozessen unterliegen sowohl männliche als auch weibliche Beurteiler. Bewerberinnen für männlich dominierte Arbeitsdomänen oder Positionen werden also im Vergleich zu Bewerbern eine schlechtere Bewertung ihrer Arbeitsergebnisse oder Fähigkeiten erhalten und zwar allein aufgrund ihres Geschlechts. Je mehr Beurteilungsspielräume bei der Vergabe von Positionen vorhanden sind, um so mehr werden diese dann den Bewerberinnen schaden.

    Die generelle, diskriminierende Bewertung der Fähigkeiten von Frauen als immer zweitrangig wird also kaum aufgehoben werden, wenn die männliche Definitionsmacht oder wenn die Beurteilungsprozesse mit ihren geschlechtstypischen Verzerrungen weiterhin wirken können. Dies ist aber immer der Fall, wenn Qualifikationsanforderungen definiert sind und wenn eine Konkurrenzsituation zwischen Bewerber und Bewerberin hergestellt ist, wie dies bei der Entscheidungsquote der Fall ist.

    Die Ergebnisquote, bei der die Richtwerte für die Anteile von Frauen an männlich besetzten Bereichen und Positionen festgelegt sind, umgeht dieses Problem. Die Bindung der Personalpolitik an diese Richtwerte kann dazu führen, daß bereits die Definition der Qualifikationsanforderungen frauenfreundlicher gestaltet wird und daß der geschlechtsspezifischen Verzerrung in Beurteilungsprozessen aktiv entgegengewirkt wird.

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5.4 Anerkennung privat organisierter Sorge- und Pflegearbeit

Charakteristisch für die privat organisierte Arbeit ist, daß sie sich der gesellschaftlichen Kontrolle und Registrierung entzieht. Die Versuche, die Arbeit im Haushalt und in der Familie unter den Kriterien des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) zu bewerten, können nur mißlingen, da sie das Charakteristische gerade dieser Arbeit nicht erfassen. (Ergebnis ist, daß diese Arbeit vom BAT VIII bis BAT VI einzustufen wäre.) Gesellschaftlich wird weder gezielt gesichert, noch öffentlich geprüft, ob und wie eine Frau in der Lage ist, alle privat organisierten Arbeiten für sich und einen Mann unter jedweden Bedingungen zu leisten, ob und wie eine Mutter ihr Kind bis ins Erwachsenenalter in jeder sozialen Lage angemessen betreuen kann, ob und wie eine Tochter unter allen Umständen fähig ist, gebrechliche Kranke oder verwirrte Familienangehörige zu pflegen. Die Befähigung diesen extrem verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden, wird qua Geschlecht vorausgesetzt. Daß es sich hierbei um eine sehr prekäre Annahme handelt, belegen die Kosten, die in anderen gesellschaftlichen Bereichen anfallen, nämlich in der Sozialversicherung, insbesondere der Krankenversicherung, in der Jugendhilfe und nicht zuletzt in der Sozialhilfe. Die hier anfallenden Kosten entstehen, weil die Erziehungs- und Pflegearbeit nicht hinreichend erfüllt wird. Sie dienen der Kompensation eher unzureichender Leistungen im privat organisierten Bereich. Der Umfang dieser Kosten belegt den enormen gesellschaftlichen Wert, der in der privat organisierten Arbeit enthalten ist, insbesondere da er ja nur die Randbereiche monetarisiert, die defizitär erfüllt werden.

Immer wieder ist die Rede von dem hohen Wert der Erziehungs- und Sorgearbeit im privat organisierten Bereich. Die praktische Seite der vielbeschworenen Gleichwertigkeit der Arbeit zu Hause mit der Berufsarbeit bleibt jedoch weiterhin im Nebel. Anerkennungsstrategien lassen sich erst ansatzweise erkennen. Sie offenbaren aber zugleich ihre Zweischneidigkeit für Frauen. Einerseits ist die Anerkennung der Gleichwertigkeit mit Erwerbsarbeit nicht mehr als recht und billig, andererseits birgt jede praktische Umsetzung dieser Gleichwertigkeit die Gefahr, daß die geschlechtsspezifische Zuordnung dieser Arbeit für Frauen zementiert wird.

Die sozialpolitische Debatte um eine der Erwerbsarbeit gleiche Anerkennung von Erziehungs- und Pflegearbeiten, zuletzt auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wiederum betont, basiert auf der Erkenntnis, daß diese Arbeit gesellschaftlich notwendig ist. Allerdings bleiben Kriterien der Qualität der Arbeit, der erforderlichen Fähigkeiten, der Arbeitsbedingungen oder der Arbeitsbeanspruchungen außen vor. Die Berücksichtigung von Erziehungs- und Pflegearbeiten in sozialen Sicherungssystemen, wie der Sozialversicherung oder im Bereich der Arbeitsförderung, beziehen sich bisher

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nur auf die Zeit, in der privat organisierte Erziehungs- und Pflegearbeit geleistet wird. Dies scheint angesichts der realen Heterogenität der Arbeitsbedingungen und Anforderungen bei der privat organisierten Erziehungs- und Pflegearbeit auch angemessen.

Andere Tendenzen setzen darauf, privat organisierte Erziehungs- und Pflegearbeit der Erwerbsarbeit insofern gleichzustellen, als sie als formale Voraussetzung für den Zugang zu Bildungsgängen wie andere formale Voraussetzungen gelten sollen. So soll nach einem Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion (1992) z. B. Erziehungs- und Pflegearbeitszeit als Voraussetzung für das Studium ohne Abitur angerechnet werden. Oder diese Zeiten können zur Verkürzung von Ausbildungsgängen führen, z.B. in der Altenpflege, wie es die Enquete-Kommission "Bildungspolitik 1991" vorschlägt. Hinter solchen Anrechnungsmodellen steht bereits die Annahme, daß die privat organisierte Erziehungs- und Pflegearbeit "irgendwie" persönliche Fähigkeiten hervorbringt, die in den formalisierten Ausbildungsgängen genutzt werden. Diese Fähigkeiten werden aber nicht differenziert oder im einzelnen überprüft, was sich wiederum, angesichts der Heterogenität der Arbeitsbedingungen auch nicht empfiehlt.

Auch bei Gleichstellungsbemühungen innerhalb des Erwerbsarbeitssystems (Einstellung, Beförderung) gibt es Ansätze, die in der privat organisierten Erziehungs- und Pflegearbeit erworbenen Fähigkeiten zu berücksichtigen. Allerdings wird hier, ebenso wie bei der Anrechnung in Sozialversicherungssystemen, nur auf die Zeit abgehoben, in der diese Arbeit verrichtet worden ist. Diese Zeit soll den Frauen zumindestens nicht zum Schaden gelangen, wie es das Landesantidiskriminierungsgesetz in Berlin vorsieht.

Die Versuche, die davon ausgehen, daß die in privat organisierter Erziehungs- und Pflegearbeit entwickelten Fähigkeiten sich direkt im Erwerbsarbeitssystem nutzen lassen, bewegen sich auf einem frauenpolitisch gefährlichen Terrain. Im Rahmen der Förderung der Wiedereingliederung sogenannter Familienfrauen wurde der Versuch unternommen, die privat organisierte Erziehungs- und Pflegearbeit auf ihre Adäquanz mit den in Ausbildungsberufen festgelegten Qualifikationsbereichen zu untersuchen. Die analytische Prüfung der Aufgaben, die generell in der Familie anfallen, mit Aufgaben, die in spezifischen Ausbildungsordnungen erfaßt sind, hat zunächst nur magere Ergebnisse gebracht (Zierau 1991). Danach kann die Familienarbeit in nur wenigen geprüften Berufen zur Verkürzung oder zum Wegfall einzelner Ausbildungsabschnitte führen. Die Frage nach der fachlichen Identität der Qualifikationen greift zu kurz: Fähigkeiten, die in der privat organisierten Erziehungs- und Pflegearbeit erworben werden, werden falsch gesehen, wenn sie nur in der Dimension einer erwerbsmäßigen Nutzung definiert werden. Die andere Dimension, nämlich die strukturbedingte Emotionalität, Kreativität und Flexibilität in der privat organisierten Arbeit, wird dabei

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systematisch ausgeblendet, da sie dem Erwerbsarbeitsbereich in dieser Art fremd ist. Zwar gibt es eine fachliche Nähe zwischen privat organisierter Erziehungs- und Pflegearbeit und bestimmten, insbesondere weiblich dominierten Berufsfelder, allerdings erweist sich die fachliche Seite der Haus- und Familienarbeit in der Regel als zu schmal, um berufliche Qualifikationen zu ersetzen.

Versuche, durch Praxisprofessionalisierung sogenannte Familienqualifikationen aufzuwerten und in berufliche Qualifizierungsprozesse zu überführen, unterliegen denselben Problemen (z.B. Gerzer; Jaeckel 1991). Darüber hinaus führen alle diese Ansätze zu einer Zementierung der geschlechtsspezifischen und hierarchischen Arbeitsteilung und der geschlechtsspezifischen Segmentierung des Erwerbsbereichs. Sie legen nämlich den sogenannten Familienfrauen nahe, die jahrelang eingesetzten Fähigkeiten durch Weiterbildung zu richtigen Qualifikationen weiter zu entwickeln. Selbst Frauen, die eine Berufsausbildung in untypischen Bereichen absolviert haben, werden sich nach diesen Konzepten später wieder in den typischen Frauensegmenten des Erwerbsarbeitsmarktes mit ihrer diskriminierenden Zweitrangigkeit wiederfinden. Solange die privat organisierte Erziehungs- und Pflegearbeit in Form von Berufspausen von Frauen geleistet werden soll, werden alle Adäquanzmodelle diese Konsequenzen haben. Die geschlechtsspezifische Zuweisung der privat organisierten Erziehungs- und Pflegearbeit wird in diesen Konzepten nicht in Frage gestellt. Darüber hinaus gefährden sie auch alle Aufwertungsbemühungen in den sozialen Berufen. Sie erwecken nämlich den Anschein, daß die bislang nicht als Qualifiaktionen gewerteten Fähigkeiten aus der privaten Erziehungs- und Sorgearbeit direkt beruflich nutzbar gemacht werden können. Die gesellschaftliche Minderbewertung dieser Fähigkeiten ist aber denkbar schlecht geeignet, tarifliche Aufwertungsprozesse voranzutreiben.

Adäquanzkonzepte, also der Versuch, die Fähigkeiten aus der privat organisierten Arbeit in das Berufssystem zu "überführen", können den alternativen Charakter privat organisierter Erziehungs- und Pflegearbeit nicht angemessen berücksichtigen, sie müssen ihn vielmehr vernachlässigen. Frauenpolitisch sollte es aber umgekehrt darum gehen, die ganz anderen Zeit- und Beziehungsdimensionen in der privat organisierten Erziehungs- und Pflegearbeit in ihrem Wert für die Persönlichkeitsentwicklung darzustellen und ihren Wert für Männer und Frauen hervorzuheben. Wo die Abkoppelung gesellschaftlich notwendiger Arbeit vom Erwerbsarbeitssystem sinnvoll ist, sollte die privat organisierte Erziehungs- und Pflegearbeit gerade nicht als Qualifizierungsphase für Erwerbsarbeit benutzt werden. Sie sollte vielmehr zwischen Männern und Frauen aufgeteilt sein, alternativ zur Erwerbsarbeit organisiert bleiben und gesellschaftlich in ihrer Bedeutung anerkannt werden. Hier sollte ein Arbeitsfeld sein, in

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dem Fähigkeiten wie Emotionalität, Spontanität, Kreativität und kritische Distanz entwickelt und bewahrt bleiben.

Die Kritik-, Widerstands- aber auch die Aktionspotentiale, die aus dem privat organisierten Bereich entstehen können, gilt es zu erhalten. Ebenso ist es für eine humane gesellschaftliche Entwicklung wichtig, daß auch die Männer Zugang zu diesen Potentialen erhalten.

Solange die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung aber noch besteht, könnte eine Annäherung der zwei Welten für die Frauen im Konzept der "Schlüsselqualifikation" liegen, das ja auf übergeordnete Qualifikationselemente abzielt: Die allgemeine Hand-lungsfähigkeit (Planen, Organisieren, Koordinieren) und die soziale Handlungsfähigkeit. Damit beziehen Schlüsselqualifikationen sich auf Fähigkeiten, die unabweisbar auch im privat organisierten Erziehungs- und Pflegebereich entwickelt und vertieft werden. An einem an Schlüsselqualifikationen orientierten Konzept könnten breite Wiedereingliederungsstrategien für sogenannte Rückkehrerinnen ansetzen: So könnte in jedem Frauenförderplan festgelegt sein, daß bei gewisser Dauer des Einsatzes im privat organisierten Bereich davon ausgegangen wird, daß die jeweilige Person Schlüsselqualifikationen erworben hat. Diese sollten dann aber nicht nur als Voraussetzungen für den Einstieg in diverse Fortbildungsmaßnahmen anerkannt werden. Sie sollten auch zur direkten Übernahme verantwortlicher Aufgaben und der ihnen entsprechenden Eingruppierung in den verschiedensten Arbeitsfeldern berechtigen, sobald die Frauen selber sich für eine solche Stelle bewerben. Diese Strategie kann zwar nicht verhindern, daß wiederum die Frauen sich der privat organisierten Sorge- und Pflegearbeit zuwenden, sie kann aber verhindern, daß sie auch später wieder im Erwerbsarbeitsbereich auf diese Felder beschränkt bleiben und die diskriminierende Zweitrangigkeit des einen Bereiches auch in dem anderen ertragen müssen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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