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Barbara Dietz
Integrationspolitik für Aussiedler: Krisenverwaltung oder konzeptioneller Neuanfang?


Obschon Deutschland seit Jahrzehnten hohe Zuwanderungen zu verzeichnen hat, nehmen die Fragen nach einer aktiven Gestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Integration von Migranten in der politischen Diskussion bislang einen erstaunlich geringen Stellenwert ein. Dies hängt unter anderem damit zusammen, daß die deutsche Politik und Gesellschaft sich nur widerstrebend mit der faktischen Einwanderungssituation auseinandersetzt, die immer drängender nach Konzepten verlangt, wie Zuwanderer in das rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche System zu integrieren seien. Die Integrationsdiskussion wird zudem von der Tatsache überlagert und erschwert, daß Zuwanderer in Deutschland – im wesentlichen sind hier Arbeitsmigranten und ihre nachziehenden Familienangehörigen, Aussiedler sowie Asylbewerber zu nennen – auf der Basis unterschiedlicher gesetzlicher Grundlagen aufgenommen werden, die wiederum ihren rechtlichen Status und ihre Integrationsbedingungen auf lange Sicht bestimmen.

Wenn heute neue Konzeptionen der Aussiedlerintegration zur Debatte stehen, dann möchte ich einen Perspektivenwechsel vorschlagen und zunächst die Diskussion um die Zielvorgaben und Rahmenbedingungen von Integration generell eröffnen, um dann zu fragen, wie hier Aspekte der Aussiedlerintegration ihren Platz finden können. Bezogen auf rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Integrationskonzepte will ich diesen Perspektivenwechsel im folgenden versuchen. Einführend möchte ich auf wesentliche Komponenten der Aussiedlerimmigration in den letzten Jahren eingehen.

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Charakteristika der Aussiedlerimmigration

Im Zuwanderungsspektrum Deutschlands stellen Aussiedler, die auf der Basis des Grundgesetzes Anspruch auf die Aufnahme als deutsche Staatsbürger haben, eine besondere Gruppe dar. Ursprünglich basierte die Immigration von Aussiedlern auf einem politischen Konsens, der ihre Aufnahme in Deutschland als Kompensation für Diskriminierungen verstand, denen die

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deutsche Minderheit in Osteuropa und der vormaligen Sowjetunion als Folge des Zweiten Weltkrieges ausgesetzt war. Während der gesamten Phase des Ost-West-Konfliktes stand die Aussiedlerzuwanderung unter dem Vorzeichen der politischen Konfrontation zwischen den Herkunftsländern der Aussiedler und Deutschland, was ihre Zuwanderung auf eine vergleichsweise geringe Zahl begrenzte. Erst durch die politischen Transformationen in Osteuropa und der vormaligen Sowjetunion entwickelte sich die Aussiedlerzuwanderung zur bedeutendsten Immigrationsbewegung im Deutschland der neunziger Jahre.

Aussiedler bringen einige Charakteristika mit, die für ihre Integration von maßgeblicher Bedeutung sind. In den meisten Fällen reisen Aussiedler im Familienverband ein, ohne sich im Herkunftsland eine Rückkehroption offenzuhalten. Im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung sind sie eine bedeutend jüngere Population. Während diese Typologisierung die Aussiedlerimmigration vom Beginn der fünfziger Jahre an bis heute bestimmt, haben sich der Herkunftskontext und der soziale und kulturelle Hintergrund der Aussiedler im letzten Jahrzehnt deutlich verändert. Nahezu alle Aussiedler kommen in den neunziger Jahren aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Wirtschaftliche und politische Krisen sowie ethnische Spannungen in den Herkunftsländern haben diese Immigrantengruppe geprägt. Die meisten Aussiedler der neunziger Jahre bringen kaum noch deutsche Sprachkenntnisse mit, obschon sich dies eventuell durch den 1996 eingeführten Sprachtest als Einreisevoraussetzung ändert. Zudem hat sich – nicht zuletzt durch die Entwicklung von Migrationsnetzwerken – die ethnische Zusammensetzung der Aussiedlerzuwanderung gewandelt. Die Zahl der binationalen – zumeist russisch-deutschen – Familien stieg deutlich an. Ob die Einführung des deutschen Sprachtests in den Herkunftsländern im Nebeneffekt künftig eine soziodemographische Veränderung der Aussiedlerzuwanderung zur Folge haben wird, bleibt abzuwarten. Denkbar wäre, daß Personengruppen, die im Herkunftsland die deutsche Sprache eher bewahren konnten, beispielsweise Personen, die der Vorkriegsgeneration angehören oder die in ländlichen Gebieten in ethnischen Enklaven leben, künftig bei der Aussiedlerzuwanderung stärker vertreten sind.

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Aspekte der Integrationspolitik

Integrationspolitik formuliert auf der Basis politischer und gesellschaftlicher Wertvorstellungen, inwieweit die Inklusion von Immigranten in das Auf

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nahmeland angestrebt und mit staatlicher Politik gestützt wird. Vor dem Hintergrund aktuell diskutierter Thesen zur rechtlichen, wirtschaftlichen und sozial/kulturellen Integration von Migranten möchte ich die bisherige Politik der Aussiedlerintegration in Deutschland beleuchten und neue Ansätze zur Diskussion stellen.

Der rechtliche Status von Migranten, das heißt an erster Stelle die Frage der staatsbürgerlichen Rechte, stellt einen wesentlichen Indikator für die Stellung der Zuwanderer im Aufnahmeland dar. Die Gewährung der Staatsbürgerschaft für Zuwanderer wird im internationalen Vergleich unterschiedlich gehandhabt. [ Vgl. James E. Hollifield, The Migration Crisis in Western Europe: the Search for a National Model, in: Klaus J. Bade (Hrsg.), Migration – Ethnizität – Konflikt: Systemfragen und Fallstudien, Osnabrück 1996, S. 367–402.]
Staaten, die sich als Einwanderungsländer definieren (z.B. die USA oder Kanada) oder die sich primär der republikanischen Idee verpflichtet fühlen (z.B. Frankreich), gewähren im allgemeinen auch Immigranten die Staatsbürgerschaft. Im Gegensatz dazu sind Staaten, die sich auf eine Abstammungsgemeinschaft berufen, zurückhaltend bei der Einbürgerung von Zuwanderern. Deutschland zählt – noch – zur letztgenannten Gruppe, wobei sich durch die von der neuen Bundesregierung vorgeschlagene Änderung des Staatsbürgerrechtes endlich eine deutliche Erleichterung der Einbürgerung von Ausländern abzeichnet. Im Gegensatz zu allen anderen Zuwanderern wurde Aussiedlern stets das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft zugestanden. Die sich hierin manifestierende Privilegierung der Aussiedlerimmigration legitimierte sich durch das Konstrukt der Abstammungsgemeinschaft. Die Akzeptanz der Aussiedler als deutsche Staatsbürger ist stets als ein positives Signal interpretiert worden, das die Integration dieser Zuwanderungsgruppe wesentlich erleichtert hat. Die Erfahrung der Aussiedlerintegration in den letzten Jahren hat jedoch auch gezeigt, daß die rechtliche Gleichstellung von Immigranten durch die Gewährung der Staatsbürgerschaft zwar eine notwendige Voraussetzung für die Integration in den demokratischen Verfassungsstaat darstellt, daß diese aber wirtschaftliche und gesellschaftliche Marginalisierung oder Segregation nicht ausschließt.

Für die wirtschaftliche Integration von Immigranten spielen sprachliche, soziale, kulturelle und ökonomische Differenzen zwischen dem Herkunfts- und dem Aufnahmeland eine herausragende Rolle. Die Integration von Immigranten in den Arbeitsmarkt ist zum Beispiel davon abhängig, wie gut das

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im Herkunftsland erworbene Humankapital (Schul-, Berufsausbildung und Arbeitsmarkterfahrung) auf die Erfordernisse des Arbeitsmarktes des Aufnahmelandes transferiert werden kann. [ Empirische Studien auf diesem Gebiet vergleichen zumeist die Einkommen bzw. die Arbeitslosigkeitswahrscheinlichkeiten von Einheimischen und Immigranten. Für einen Über blick vgl. Klaus F. Zimmermann, European Migration: Push and Pull, in: Proceedings of the World Bank Annual Conference on Development Economics 1994, Supplement to the World Bank Economics Review and The World Bank Research Observer, 1995, S. 313–342.]
Die wirtschaftliche Integration wird aber auch von der staatlichen Integrationspolitik beeinflußt, die ein Spektrum von öffentlich finanzierten Hilfsmaßnahmen (Sprachkurse, Ausbildungsförderung, Sozialleistungen) umfaßt, das im internationalen Vergleich unterschiedlich eingesetzt wird. In den USA und in England sind z.B. die staatlichen Hilfen für Migranten, anders als etwa in Deutschland oder den Niederlanden, sehr begrenzt. Nicht sozialstaatliche Hilfen sondern Eigeninitiative, ethnische Netzwerke und die Unterstützung durch die Familie und den Bekanntenkreis gelten in den USA und in England als bedeutende Integrationsmechanismen. [ Vgl. Dietrich Thränhardt, Marginalisierung, Klientelisierung, Bürgerrechte. Die Unterschiede des Sozialstatus und der Vereinigungen Neuer Minderheiten in Europa, in: Rudolph Bauer (Hrsg.), Intermediäre Nonprofit-Organisationen in einem Neuen Europa, Berlin 1993, S. 158.]

In Deutschland sind Überlegungen zur Integration von Arbeitsmigranten erst Jahre nach ihrer Zuwanderung zum politischen Thema geworden. [ Vgl. Jochen Blaschke, Internationale Migration: ein Problemaufriß, in: Manfred Knapp (Hrsg.), Migration im neuen Europa, Stuttgart 1994, S. 23–50.]
Im Gegensatz dazu wurde die wirtschaftliche und soziale Integration von Aussiedlern stets mit vergleichsweise hohem Mitteleinsatz aktiv gefördert. [ Keine andere Immigrantengruppe kann in Deutschland auf vergleichbare Integrationshilfen zählen. Auch im internationalen Vergleich ist die Förderung der Integration von Aussiedlern umfassend. Mit der Ausnahme von jüdischen Einwanderern in Israel gibt es dazu kaum Parallelen. Vgl. Rainer Münz, Wolfgang Seifert, Ralph Ulrich, Zuwanderung nach Deutschland. Strukturen, Wirkungen, Perspektiven, Frankfurt/New York 1997, S. 116.]
Dementsprechend war die Politik der Aussiedlerintegration in den vergangenen Jahrzehnten durch sozialstaatliche Unterstützungsmaßnahmen gekennzeichnet, die nach Einschätzung von Experten bis zum Beginn der neunziger Jahre maßgeblich zum Gelingen der wirtschaftlichen Integration der Aussiedler beigetragen haben. [ Vgl. Hans-Peter Klös, Integration der Einwanderer aus Ost-/Südosteuropa in den deutschen Arbeitsmarkt, in: Sozialer Fortschritt, 11, 1992, S. 261–270; György Barabas, Arne Gieseck, Ullrich Heilemann, Hans Dietrich von Loeffelholz, Gesamtwirtschaftliche Effekte der Zuwanderung 1988 bis 1991, in: RWI-Mitteilungen 2, 1992, S. 133–155; Klaus F. Zimmermann, The Labour Market Impact of Immigration, in: Simon Spencer (Hrsg.), Immigration as an Economic Asset. The German Experience, Stoke-on-Trent 1994, S. 39–64.]

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Mit den steigenden Aussiedlerzahlen in den neunziger Jahren und den weniger günstigen individuellen Ausgangsbedingungen der Zuwanderer erhöhten sich die Finanzierungsansprüche für die Förderung der wirtschaftlichen Integration erheblich. Die Bundesregierung war jedoch im Zusammenhang mit den in den neunziger Jahren insgesamt gestiegenen Belastungen und Anforderungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich nicht mehr in der Lage bzw. bereit, die Fördermaßnahmen im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten. Dies hatte erhebliche Kürzungen der Fördermaßnahmen für Aussiedler zur Folge. Dennoch wird die Aussiedlerintegration noch immer von sozialstaatlichen Unterstützungsleistungen getragen. Im Haushaltsjahr 1998 wurden beispielsweise insgesamt 2,5 Mrd. DM für die Aussiedlerintegration bereitgestellt, 1,5 Mrd. gingen in Sprachförderung und Eingliederungshilfe. [ Vgl. Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 95, März 1998, S. 2.]

Im Vergleich zu den Arbeitsmigranten der sechziger und siebziger Jahre bringen die Aussiedler eine formal bessere Ausbildung und ein breiteres Spektrum an Berufserfahrungen mit. Dennoch stellt die berufliche Integration der in den neunziger Jahren zugewanderten Aussiedler eine Herausforderung für die deutsche Gesellschaft dar. Verschiedene Studien haben übereinstimmend auf wesentliche Faktoren hingewiesen, die sich einer raschen Integration von Aussiedlern in den Arbeitsmarkt entgegenstellen. [ Vgl. z.B. T. Bauer, K.F. Zimmermann, Arbeitslosigkeit und Löhne von Aus - und Übersiedlern, in: L. Bellmann und V. Steiner (Hrsg.), Mikroökonomik des Arbeitsmarktes, Beiträge zur Arbeitsmarkt - und Berufsforschung, 192, Nürnberg: Bundesanstalt für Arbeit 1996; W. Seifert, Neue Zuwanderergruppen auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt: Eine Analyse der Arbeitsmarktchancen von Aussiedlern, ausländischen Zuwanderern und ostdeutschen Übersiedlern, in: Soziale Welt, 47, 1996, S. 180–201.]
Diese sind in erster Linie mangelnde deutsche Sprachkenntnisse, anderes soziales Handlungswissen (das sich bei Aussiedlern aus der vormaligen Sowjetunion am stärksten unterscheidet) und eine nicht direkt übertragbare Berufsausbildung. Zudem haben sich jugendliche und weibliche Aussiedler als besondere Problemgruppen bei der beruflichen Integration herauskristallisiert. [ Vgl. B. Koller, Aussiedler der großen Zuwanderungswellen – was ist aus ihnen geworden?, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt - und Berufsforschung, 30, 1997, S. 766–789.]
Die Kürzungen der Eingliederungshilfen für Aussiedler auf sechs Monate und

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die wachsenden Schwierigkeiten dieser Zuwanderungsgruppe, sich innerhalb eines halben Jahres in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren, haben dazu geführt, daß die Aussiedlerhaushalte mittlerweile häufiger von Sozialhilfe abhängig sind als die einheimischen Haushalte. [ Nach einer neueren Untersuchung zum Sozialhilfebezug privater Haushalte in Westdeutschland bezogen 15% aller Aussiedlerhaushalte im Jahre 1995 Sozialhilfe im Vergleich zu 3% aller einheimischen Haushalte. Vgl. Joachim Frick, Felix Buechel, Wolfgang Voges, Sozialhilfe als Integrationshilfe für Zuwanderer nach Deutschland, DIW Wochenberichte, 48, 1997, S. 767–775.]
Im Rückblick der neunziger Jahre gesehen hat die staatliche Integrationspolitik für Aussiedler zunehmend die Form einer Krisenverwaltung angenommen, wobei die Kürzungen der bisherigen Integrationshilfen von vermehrten Aufwendungen im Bereich der Sozialhilfe begleitet wurden. Es wird schwerfallen, diesen Trend zu durchbrechen, wobei die wesentlichen Faktoren zur Unterstützung der beruflichen Integration – die sprachliche Förderung und die berufliche Neu- bzw. Weiterqualifikation – unumstritten sind. In Deutschland noch weniger diskutiert sind Aspekte der Integrationsförderung, die sich darum bemühen, die Eigeninitiative der Aussiedler zu stärken und sie zu unterstützen, ihre spezifischen Kompetenzen (z.B. Sprachkompetenzen, Kenntnisse der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen ihrer Herkunftsländer) bei der beruflichen Integration zu nutzen.

Die soziale und kulturelle Integrationspolitik betrifft die Beziehung der Aufnahmeländer zur Sprache, zur sozialen, religiösen und kulturellen Prägung der Migranten und wirft die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen Immigranten am gesellschaftlichen System partizipieren können. Die Modelle reichen hier von der sprachlichen und kulturellen Assimilation bis zum gesellschaftlichen Pluralismus, der es den Einwanderern erlaubt, die mitgebrachte kulturelle Identität zu bewahren. In den letzten Jahrzehnten hat sich in den klassischen Einwanderungsländern USA, Kanada und Australien ein Wandel von der Forderung nach Assimilation zum kulturellen Pluralismus vollzogen. [ Vgl. Theodor Archdeacon, Becoming American: An Ethnic History, New York 1983.]
Nicht zuletzt als Folge davon werden die Auswirkungen von Assimilation bzw. kultureller Pluralität auf die gesellschaftliche Situation in den Aufnahmeländern und auf die Integrationschancen der Migranten diskutiert. [ Vgl. Richard Alba, Assimilation’s quiet tide, in: The Public Interest, 1, 1995, S. 1–18.]
Das durch die Immigration bedingte Aufeinandertreffen verschiedener kultureller Ausgangsbedingungen in der Schule, der Ausbildung

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und im sozialen Leben hat – ausgehend von den Erfahrungen der klassischen Einwanderungsländer – zu einer Entwicklung von interkulturellen Ansätzen geführt. Diese bemühen sich darum, die kulturellen Ausgangsbedingungen der zugewanderten Gruppen in den Integrationsprozeß miteinzubeziehen. [ Vgl. Georg Auernheimer, Einführung in die interkulturelle Erziehung, Darmstadt 1990.]
Auf die Aussiedlerintegration bezogen würde dies beispielsweise bedeuten, daß die russische Sprache in der schulischen Bildung stärker berücksichtigt und auch als Fremdsprache angerechnet wird. Entsprechend käme bei Fragen der sozialen Integration die aus dem Herkunftskontext mitgebrachte starke familiäre Orientierung der Aussiedler bzw. ihre Bindung an die eigenethnischen Netzwerke zum Tragen.

Bis zum Ende der achtziger Jahre wurde in Deutschland davon ausgegangen, daß Aussiedler den Prozeß der sprachlichen und kulturellen Adaption und der gesellschaftlichen Integration rasch durchlaufen würden. [ Bei Arbeitsmigranten wurde im Gegensatz dazu stets damit gerechnet, daß die soziale Integration ein langfristiger Prozeß sein würde.]
Ohne daß dies explizit formuliert wurde, lag der sozialen und kulturellen Integration dieser Gruppe ein assimilatives Modell zugrunde. In den letzten Jahren jedoch, als sich die Probleme der Aussiedler denen anderer Immigrantengruppen anglichen (Schwierigkeiten der sprachlichen, kulturellen und sozialen Integration), wird beispielsweise bei der sprachlichen Förderung, der schulischen Integration, bei Freizeitangeboten und bei der beruflichen Weiterbildung hinterfragt, ob das bislang praktizierte assimilative Modell der Aussiedlerintegration noch ein adäquater Ansatz in den neunziger Jahren ist. Alternativ steht zur Debatte, die in den Herkunftsländern ausgeformten sprachlichen, kulturellen und sozialen Prägungen der Aussiedler weitaus stärker als bislang in der Integrationsarbeit zu berücksichtigen.

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Folgerungen für die Politik der Aussiedlerintegration

Die Politik der Aussiedlerintegration steht seit einiger Zeit vor neuen Anforderungen. Diese sind einerseits durch die Veränderung des Herkunftskontextes und der sozialen Charakteristika der Aussiedler bedingt. Andererseits erfordert die große Zahl der schon lange in Deutschland lebenden Zuwanderer – nach Jahrzehnten des Nebeneinanders unterschiedlicher Integrationsangebote für verschiedene Zuwanderergruppen – eine transparente und

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übergreifende Integrationskonzeption. Im Bereich der praktischen Integrationsarbeit würde dies eine stärkere Vernetzung verschiedener Einrichtungen in der Migrationsarbeit bedingen und tendenziell dazu führen, die bislang vorherrschenden Barrieren zwischen Ausländer- und Aussiedlerpolitik und -sozialarbeit zu überwinden.

Ein Rückblick auf die Aussiedlerintegration zeigt, daß die Aufnahme dieser Zuwanderergruppe als deutsche Staatsbürger und die weitreichenden Starthilfen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich ihre Integration positiv beeinflußt haben. Von dieser Erfahrung ausgehend kann mit Blick auf die demographischen, beruflichen und sozialen Ausgangsbedingungen der Aussiedler der neunziger Jahre festgestellt werden, daß auch deren Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft nur mit Unterstützung durch sprachliche und berufliche Neu- bzw. Weiterqualifikation gelingen kann. Weitere Einsparungen im Bereich der sprachlichen und beruflichen Qualifizierungen verringern die Chancen der Arbeitsmarktintegration von Aussiedlern und erhöhen tendenziell ihre Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Es steht jedoch an, die Konzeption von Sprachkursen und beruflichen Weiterbildungen neu zu überdenken. Sprachkurse und berufliche Qualifikationen sollten z.B. besser an die mitgebrachten Kompetenzen der Aussiedlergruppe der neunziger Jahre angepaßt werden, die teilweise bereits praktizierte Koordination von beruflicher und sprachlicher Förderung sollte weiter ausgebaut und die Eigenverantwortlichkeit der Aussiedler für die sprachliche und berufliche Qualifizierung gestärkt werden.

Die in Deutschland praktizierte Integrationsförderung für Aussiedler – aber auch für andere Zuwanderergruppen – enthält in starkem Maße betreuende paternalistische Züge, die sich nahezu ausschließlich auf die Defizite der Zuwanderer konzentrieren. [ Vgl. Rudolph Bauer, Sozialarbeit und Migration, in: iza Zeitschrift für Migration und Soziale Arbeit, 1, 1998, S. 16–23.]
So setzt z.B. die Sozialarbeit häufig an der ‘Sprachlosigkeit’ und der ‘Orientierungslosigkeit’ der Aussiedler in der westlichen Gesellschaft an. Diese Sichtweise vernachlässigt es, die spezifischen Kompetenzen der Aussiedler – sei es im sprachlichen, beruflichen oder sozialen Bereich – ausfindig zu machen und sie im Prozeß der Integration zu nutzen. In der jüngsten Zeit hat hier ein Perspektivenwechsel eingesetzt, der auch dazu führte, von Aussiedlern mehr Eigeninitiative im Integrationsprozeß einzufordern. In diesem Zusammenhang spielen kommunale Initiati-

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ven eine wichtige Rolle, in deren Rahmen die ökonomische bzw. soziale Integration von Aussiedlern unter Beteiligung verschiedener regionaler Institutionen und Personen, z.B. Arbeitsämter, kirchlicher Verbände, Betriebsvertreter und Sozialarbeiter, gemeinsam mit den Aussiedlern diskutiert wird. Im Kontext der Kooperation und Koordination zwischen verschiedenen Stellen der Migrations- und Sozialarbeit sowie staatlichen Organisationen können auch die teilweise schwerwiegenden Probleme bzw. Auffälligkeiten einer kleinen Gruppe von vor allem jugendlicher Aussiedlern (z.B. Vandalismus, Drogen- oder Gewaltkriminalität) bearbeitet werden und es können Konflikte aufgegriffen werden, die zwischen der einheimischen, ausländischen und ausgesiedelten Bevölkerung in manchen Wohngebieten entstanden sind, in denen sich Aussiedler- bzw. Ausländerenklaven gebildet haben.

Die Politik der Aussiedlerintegration sollte einen Aspekt von Integrationsarbeit nicht vernachlässigen, der häufig übersehen wird. Integrationsarbeit ist ein Stück weit immer auch Lobbyarbeit, die darin besteht, der einheimischen Bevölkerung Informationen über die Gruppe der Zuwanderer zu vermitteln und sie in den Diskussionsprozeß darüber einzubinden, welche gesellschaftspolitischen Ziele Integration verfolgt und welchen Nutzen die Gesellschaft durch die Integration von Zuwanderern erfährt. Im ausgehenden ‘Jahrhundert der Migration’ kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, daß Migranten in vielen Fällen zur wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereicherung ihres Aufnahmelandes beigetragen haben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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