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Günther Schultze
Zusammenfassung


Die neue Bundesregierung mißt der Aussiedlerpolitik eine große gesellschaftspolitische Bedeutung zu. Jochen Welt, der neue Aussiedlerbeauf-
tragte der Bundesregierung, erläuterte, daß kein grundsätzlicher Kurswechsel vorgesehen ist, aber neue Akzente und Schwerpunkte gesetzt werden sollen. Besonderes Augenmerk soll der Integration der Aussiedler, vor allem der jungen Aussiedler, geschenkt werden. Die Integration der Spätaussiedler und ihrer Familienangehörigen ist in den neunziger Jahren schwieriger geworden. In den letzten Jahren sind die Leistungen für Spätaussiedler erheblich gekürzt worden. Der Integrationsbedarf ist dabei nicht in dem Maße zurückgegangen wie die Zahl der Aussiedler. Das Schlüsselwort zur Integration heißt: Kenntnisse der deutschen Sprache. Das Ziel ist, die Kurse zur Sprachvermittlung effektiver zu gestalten. Die Spätaussiedler müssen sich aber auch aktiv darum bemühen, gut Deutsch zu sprechen. Im Mittelpunkt zukünftiger Integrationsförderung stehen sozialorientierte und wohnumfeldbezogene Projekte. Es sollen „Netzwerke für Integration" geschaffen werden, in denen die örtlichen und regionalen Vertreter von Verbänden und Vereinen mitarbeiten sollen. Bereits 1999 sind die Mittel des Bundesministeriums des Innern für Integration um rund 30% auf 42 Millionen DM aufgestockt worden. Auch die neue Bundesregierung garantiert die Aufnahme von Deutschen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Das Bestehen eines Sprachtests als Aufnahmebedingung soll auch in Zukunft grundsätzlich beibehalten werden. Allerdings sollen die Mängel bei der Durchführung dieser Tests analysiert und behoben werden. Bei den Hilfen für die Herkunftsländer soll von Großprojekten abgesehen werden. Die Förderung wird sich auf jene Bereiche konzentrieren, in denen Menschen konkrete Perspektiven in ihren angestammten Wohngebieten angeboten werden können.

Barbara Dietz schlägt einen Perspektivenwechsel in der Konzeption der Aussiedlerintegration vor. Bedeutsam ist, daß sie in den meisten Fällen im Familienverband einreisen. Heute kommen sie nahezu alle aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Doch die Zahl der binationalen, das heißt der

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russisch-deutschen Familien, steigt deutlich an. Aussiedler sind im Vergleich zu anderen Zuwanderern hinsichtlich ihrer rechtlichen Stellung privilegiert. Ihr Beispiel zeigt aber auch, daß die Gewährung der deutschen Staatsbürgerschaft zwar die notwendige Voraussetzung für die Integration ist, aber wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausgrenzungen nicht generell ausschließen kann. Die wirtschaftliche Integration der Aussiedler erweist sich in den neunziger Jahren als relativ schwierig. Mangelnde deutsche Sprachkenntnisse und eine oftmals nicht direkt übertragbare Berufsausbildung sind Hemmnisse. Vor allem Jugendliche und weibliche Aussiedler haben besondere Probleme bei der beruflichen Integration. Die staatliche Integrationspolitik für Aussiedler hat in den neunziger Jahren zunehmend die Form einer Krisenverwaltung angenommen. Die Aussiedler sind heute vermehrt auf Sozialhilfeleistungen angewiesen. Bislang wurde ein assimilatives Modell der Aussiedlerintegration praktiziert. Alternativ steht zur Debatte, daß verstärkt interkulturelle Aspekte berücksichtigt werden sollen. Die sprachlichen, kulturellen und sozialen Prägungen der Aussiedler sollen weitaus mehr als bislang in der Integrationsarbeit berücksichtigt werden. Außerdem ist eine stärkere Vernetzung verschiedener Einrichtungen der Integrationsarbeit wichtig. Auch in Zukunft sind weitreichende Starthilfen nötig, um ihre Integration in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft zu fördern. Die Konzeptionen von Sprachkursen und beruflichen Weiterbildungen müssen überdacht werden. Die Fördermaßnahmen konzentrieren sich in starkem Maße auf die Defizite der Zuwanderer. Wichtig ist hingegen, die spezifischen Kompetenzen der Aussiedler zu nutzen und ihre Eigeninitiative im Integrationsprozeß einzufordern. Die Integration kann aber nur gelingen, wenn auch die einheimische Bevölkerung in den Diskussionsprozeß über die gesellschaftspolitischen Ziele eingebunden wird.

Die bisherigen Hilfsprogramme für Spätaussiedler in Herkunftsländern müssen überprüft werden. Wolfgang von Fumetti weist darauf hin, daß bei den Hilfskonzeptionen für die Spätaussiedler auch deren Geschichte berücksichtigt werden muß. Die Aussiedlerfamilien schwanken zwischen der Entscheidung: Bleiben oder Gehen. Er warnt vor einer zu starken Betonung des ethnischen Aspektes bei Hilfsprogrammen. Hilfeleistungen für die Deutschstämmigen können nur dann wirksam werden, wenn sie von einem Konzept gemeinsamen Zusammenlebens ausgehen. Heute sind die Hilfskonzepte darauf ausgerichtet, dem Bleiben in den Herkunftsländern Priorität gegenüber der Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland einzuräumen.

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Der Wohnungsbau und die Wohnraumbeschaffung hat sich als sinnvoll und effektiv erwiesen. Wichtig ist jedoch, daß der Eigenanteil und die Eigenleistung der Erwerber berücksichtigt wird. Problematisch ist eine umfassende Wirtschaftsförderung. Das investive Förderkonzept kann leicht zu einem „Faß ohne Boden" werden. Im wirtschaftlichen Bereich sind Beratungsleistungen erforderlich, die z.B. Partnerschaften zwischen Kommunen, Vereinen und Institutionen initiieren sowie Partnerschaften zwischen Unternehmen fördern und helfen, den Zugang zu neuen Märkten zu öffnen. Das Programm „Breitenarbeit" soll in erster Linie dazu dienen, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen zu stärken, die Isolation der Spätaussiedler zu überwinden und ihre Akzeptanz in den Wohngebieten zu fördern. Es verfolgt in erster Linie das Ziel, die Deutschstämmigen zum Bleiben zu bewegen. Die Sprachkurse und sonstigen Angebote haben dieselbe Zielsetzung. Die einzelnen sollen befähigt werden, ihr Leben aktiv zu gestalten und aus der Vereinzelung herauszutreten. Ein Kurswechsel dieser „Breitenarbeit" würde zu einem erheblichen Vertrauensverlust führen.

Zuwanderer stehen in Deutschland, unabhängig vom Herkunftsland und vom rechtlichen Status, vor vergleichbaren Anforderungen. Christine Schubert fordert deshalb, die Aussiedlerbetreuung zu einem umfassenden Migrations-Sozialdienst weiterzuentwickeln. Aussiedler werden heute mit ähnlichen Integrationsproblemen konfrontiert wie andere Zuwanderer. Deshalb lassen sich viele Erfahrungen aus der Arbeit mit bereits länger in Deutschland lebenden Zuwanderergruppen auch auf Aussiedler übertragen. Von den einheimischen Fachkräften verlangt die soziale Arbeit mit Aussiedlern zunehmend Fähigkeiten zum Interkulturellen Dialog. Dies setzt voraus, den anderen in seiner kulturellen Andersartigkeit wahrzunehmen und zu akzeptieren. Vom einheimischen Berater werden Grundkenntnisse über die Herkunftsländer erwartet sowie die Reflexion anderer Normen und Lebensregeln. Angesichts der Veränderungen der Zuwanderung aus Osteuropa ist heute eine längerfristige Perspektive der Eingliederungsangebote nötig. Es zeigt sich, daß neben deutschsprachigen auch herkunftssprachliche Beratungsangebote für Spätaussiedler nötig sind. Die Einstellung von pädagogischen Fachkräften, die selbst aus den Herkunftsländern stammen, ist deshalb sinnvoll. Am ehesten ist ein Team aus einheimischen pädagogischen Fachkräften mit interkultureller Spezialisierung und zugewanderten Fachkräften mit entsprechender beruflicher Qualifikation in der Lage, den Bedürfnissen von Aussiedlern entgegenzukommen. Soziale Arbeit soll versuchen, unterschiedliche

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gesellschaftliche Gruppen in ihre Angebote einzubeziehen. Zielgruppenübergreifende Angebote haben dann die größten Erfolgsaussichten, wenn gemeinsame Interessen und Aktivitäten im Vordergrund stehen. Die Arbeiterwohlfahrt Nürnberg hat ein umfassendes Angebot an Eingliederungsdiensten aufgebaut. In der praktischen Arbeit zeigt sich immer wieder, daß sich die Lebenslagen von Migrantengruppen unabhängig vom jeweiligen Rechtsstatus in vielem ähneln. Deshalb wurde eine Struktur sich gegenseitig ergänzender Angebote entwickelt, die den spezifischen Erfordernissen unterschiedlicher Zuwanderergruppen Rechnung trägt. Es beinhaltet aufeinander abgestimmte Hilfen für die jeweiligen Altersstufen und unterschiedlichen Stadien des Eingliederungsprozesses. Besonderer Wert wird auf Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung gelegt. In enger Kooperation mit dem Arbeitsamt, dem Freistaat Bayern sowie Betrieben werden deshalb berufsbezogene Maßnahmen für unterschiedliche Migrantengruppen angeboten. Aussiedlerjugendliche, Jugendliche aus der Türkei, Äthiopien, Togo und vielen anderen Ländern nehmen sie in Anspruch. Ein weiterer Schwerpunkt richtet sich an Mädchen und junge Frauen. Es sollen neue Wege in der Jugendhilfe aufgezeigt werden, um insbesondere Migrantinnen den Zugang zu Jugendhilfeangeboten zu öffnen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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