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3. Auswirkungen der Partizipation

Die Relevanz des Themas „Vereinspartizipation von Migranten" ergibt sich zu einem großen Teil aus der damit zusammenhängenden Frage, ob die Zugehörigkeit zu einem Verein der eigenen Nationalitätengruppe der Integration in anderen Lebensbereichen wie etwa dem Aufbau interethnischer Kontakte oder dem Erwerb von Sprachkenntnissen abträglich ist. Aussagen hierüber werfen oft die Frage nach dem Ursache-Wirkungszusammenhang auf. Dies wurde weiter oben bei der Frage nach dem Zusammenhang zwischen der sozialen Assimilation und der religiösen Partizipation deutlich: Der Befund, daß die Zuwanderer, die religiös aktiv sind, besonders wenig Kontakte zu Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft haben, kann darauf zurückzuführen sein, daß diese Form der Partizipation interethnischen Kontakten tatsächlich abträglich ist, etwa weil sie den Mitgliedern ausreichend Kontakte im eigenen ethnischen Umfeld bietet und sowohl die Anreize als auch die Gelegenheiten für interethnische Begegnungen schmälert. Es ist aber ebenso möglich, daß gerade für diejenigen Zuwanderer die religiöse Partizipation attraktiv ist, die ohnehin bereits relativ isoliert von der deutschen Gesellschaft leben.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema geht es nicht nur um die Partizipation in ethnischen Vereinigungen, sondern allgemeiner um die Organisation aller Alltagsbereiche in einer Form, die den Kontakt mit der Aufnahmegesellschaft minimiert, die Bildung einer sogenannten „ethnischen Kolonie". Wesentlich ist dabei Bretons Begriff der „institutionellen Vollständigkeit" (1965), der die „Selbstgenügsamkeit" einer ethnischen Gruppe bezeichnet, die dadurch erreicht wird, daß die Institutionen des Aufnahmelandes wie Schulen, Vereine oder Medien möglichst vollständig in einer ethnisch segregierten Form „dupliziert" werden. Die Diskussion dreht sich dabei um die Frage, ob die Integration in die eigene ethnische Gruppe, von Georg Elwert (1982) mit dem Begriff der „Binnenintegration" bezeichnet, der Integration in die Aufnahmegesellschaft zu- oder abträglich ist.

In Elwerts für den deutschsprachigen Bereich einschlägigem Aufsatz wird argumentiert, daß die Binnenintegration unter bestimmten Voraussetzungen als eine Art „Integrationskatalysator" wirkt. Drei Argumente führt Elwert in diesem Zusammenhang an:

  1. Erstens argumentiert er, daß eine Voraussetzung für die Kontaktaufnahme mit der Aufnahmegesellschaft ein stabiler psychischer Zustand ist, der sich in einer ausgeglichenen Identität und einem stabilen Selbstbewußtsein äußert, und daß diese psychischen Voraussetzungen in der Wanderungssituation durch eine feste Integration in die eigenethnische Gruppe geschaffen werden können.

  2. Ein zweites Argument lautet, daß innerhalb der ethnischen Kolonie erst das nötige Alltagswissen vermittelt wird, das zur erfolgreichen Interaktion mit der Aufnahmegesellschaft wichtig ist.

  3. Drittens wird darauf verwiesen, daß ethnische Organisationen eine wichtige Funktion als Interessengruppen spielen und oft erst die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration der jeweiligen Zuwanderergruppe schaffen. Hier greift Elwert auf Norbert Elias´ Idee der „internen Kohäsion als Machtquelle" zurück (722).

Elwert betont allerdings in seinen Ausführungen, daß eine zentrale Voraussetzung für diese positiven Funktionen der Binnenintegration darin besteht, daß das Verhältnis von Majorität und Minorität durch prinzipielle Offenheit geprägt ist. Diese Voraussetzung

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sieht auch er bei vielen gerade türkischen Vereinigungen, er nennt die „Grauen Wölfe" als Beispiel, als nicht gegeben an. Diese vermittelten ein geschlossenes Weltbild von der Aufnahmegesellschaft, das nicht mehr Gegenstand von Revisionen werde.

In der Kritik an Elwerts Thesen, die insbesondere von Hartmut Esser (1986) formuliert wurde, wird unter anderem angezweifelt, ob ein Nebeneinander von Offenheit einerseits und Koloniebildung andererseits in der Realität existiert. Esser gibt vielmehr zu bedenken, daß Koloniebildung auch mit einer verstärken Etikettierung der jeweils anderen Gruppe einher gehen kann. Die stabilisiert zwar unter Umständen die eigene Identität, aber womöglich um den Preis einer sinkenden Bereitschaft, mit dieser Gruppe Kontakt aufzunehmen, so daß es an der nötigen Offenheit für die Aufnahme solcher Beziehungen mangelt.

Zudem wird betont, daß im Hinblick auf die strukturelle Assimilation, d.h. die Eingliederung in die wichtigen Statussysteme wie das Bildungs- und Berufssystem, die Effekte der Binnenintegration eher negativ einzuschätzen sind: Zum einen führe die Kombination von Koloniebildung und räumlicher Segregation oft dazu, daß Minderheitenangehörige im Bildungssystem unter sich blieben und so nur wenig Möglichkeiten hätten, Kontakte zur Aufnahmegesellschaft aufzunehmen. Zum anderen sei der Erwerb informeller Qualifikationen für eine erfolgreiche Integration in die Aufnahmegesellschaft erschwert. Es bestehe die Gefahr, daß innerhalb einer selbstgenügsamen ethnischen Kolonie kein Anreiz mehr existiere, diese zu verlassen, um eine berufliche Karriere in der Aufnahmegesellschaft anzustreben. Dies führe oft dazu, daß der zunächst einfachere Aufstieg innerhalb der ethnischen Kolonie gewählt werde- in der ja durchaus auch berufliche Chancen existieren. Die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der ethnischen Kolonie sind allerdings sehr beschränkt, was sich aber oft erst herausstellt, wenn die Option zum Verlassen der Kolonie gar nicht mehr existiert (vgl. auch Wiley 1970).

Versucht man, diese Debatte der Bedeutung ethnischer Koloniebildung auf die Funktionen und Folgen ethnischer Eigenorganisationen im engeren Sinne zu übertragen, dann fällt schnell auf, daß die Argumente für und gegen die positiven Auswirkungen der Binnenintegration von einer Reihe von Rahmenbedingungen abhängen, die vermutlich sehr stark von Partizipationsform zu Partizipationsform variieren.

Bei der jetzigen Datenlage ist es nicht möglich, diese Argumente abschließend zu überprüfen, dies gilt v.a. für den Zusammenhang zwischen der Partizipation und der strukturellen Assimilation. Dennoch lassen sich einige vorläufige Schlußfolgerungen ziehen.

Es scheint unmittelbar einleuchtend, daß Organisationen eine Rückzugsmöglichkeit darstellen können, in der negative Erfahrungen mit Angehörigen und Institutionen des Aufnahmelandes besser verarbeitet werden können. Auch was das Alltagswissen anbetrifft, scheint den Eigenorganisationen hier eine wichtige Funktion als Vermittler zwischen den Immigranten und den Institutionen der Aufnahmelandes zuzukommen, durch die womöglich beide Seiten entlastet werden. Dafür spricht unser Befund, daß sowohl die gewerkschaftlich organisierten Zuwanderer als auch die Besucher religiöser Veranstaltungen seltener über Orientierungslosigkeit klagen als die unorganisierten Befragten. Unklar bleibt, welcher der von Elwert genannten Mechanismen dafür verantwortlich ist: die identitätsstabilisierende Wirkung der Partizipation oder die Vermittlung von Wissen, das bei der Alltagsbewältigung hilft. Interessant ist, daß sich dieser Zusammenhang sowohl bei der aufnahmelandorientierten Gewerkschaftspartizipation als auch bei der eher herkunftslandorientierten religiösen Partizipation zeigt.

Hinsichtlich der von Elwert genannten positiven Interessenvertretungsfunktion stellen

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sich die empirischen Evidenzen ambivalent dar. Die Teilnehmer religiöser Veranstaltungen sehen sich überdurchschnittlich oft Benachteiligungen aufgrund ihrer Herkunft ausgesetzt. Dies könnte ein Indikator für ihr höheres Problembewußtsein sein, das eine Voraussetzung dafür darstellt, im Rahmen der Partizipation dieses Problem aktiv anzugehen. Auch vor dem Hintergrund der Advokatenrolle der Gewerkschaften läßt sich argumentieren, daß die Partizipation in dieser Art von Vereinigung das Bewußtsein der Betroffenen für Diskriminierungen steigert.

Hinsichtlich der religiösen Partizipation wurde aber bereits bei der Interpretation der Daten darauf verwiesen, daß es durchaus möglich ist, daß sie die Diskriminierung steigert, weil sie die ethnische Zugehörigkeit sichtbarer macht (z.B. durch das Tragen eines Kopftuchs oder die Einhaltung bestimmter Ernährungsvorschriften). Die Richtigkeit der These von der Interessenvertretungsfunktion ethnischer Organisationen hängt also auch davon ab, ob eine stärkeres subjektives Diskriminierungsgefühl die Ursache oder die Folge der Partizipation darstellt und ob letztere tatsächlich einen Weg darstellt, diese wahrgenommene Unterprivilegierung aktiv anzugehen. Dies wird von Organisation zu Organisation unterschiedlich sein, es stellt sich aber die Frage, ob es nicht gerade die aufnahmelandorientierten Vereinigungen (wie z.B. die Gewerkschaften oder Bürgerrechtsgruppen) sind, die sich als Interessenvertretung der Zuwanderer betrachten und nicht diejenigen, die Elwert im Blick hat, wenn er von der Binnenintegration spricht.

In verschiedenen Studien findet sich zwar die These, daß sich auch die herkunftsland-orientierten religiösen Gruppierungen der türkischen Zuwanderer zunehmend mit der Situation der Einwanderer in Deutschland auseinandersetzen und weniger stark auf die politische Entwicklung des Herkunftslandes fixiert sind. Dieses Argument wir oft im Zusammenhang mit der Entstehung einer aus Bildungsinländern bestehenden zweiten Generation von islamischen Organisationseliten betrachtet. Vieler dieser aufnahmelandorientierten Forderungen scheinen sich aber, sieht man einmal von der Minimalforderung nach rechtlicher Gleichstellung ab, auf religiöse Belange zu konzentrieren. Dabei geht es in erster Linie um eine bessere Akzeptanz und um bessere Entfaltungsmöglichkeiten des islamischen Lebens in der Bundesrepublik, etwa durch die Einführung des islamischen Religionsunterrichts in Schulen und die Erlaubnis und/oder Unterstützung beim Bau von Moscheen, Kindergärten und Schulen (Karakasoglu-Aydin 1996: 276). Die Diskussion darüber, inwieweit der Ausbau einer religiösen Infrastruktur der Integration zu- oder abträglich ist, steht noch aus. Die Beantwortung dieser Frage hängt letztlich davon ab, welche Form der Integration als wünschenswert betrachtet wird. Diese Entscheidung ist primär eine politische und nur bedingt aus wissenschaftlichen Überlegungen ableitbar.

Läßt man einmal außer acht, was genau unter „Integration" verstanden werden soll und inwieweit sie wünschenswert ist, und wendet sich der Frage nach der Vereinbarkeit von Binnenintegration und struktureller Assimilation zu, dann verdeutlichen sich die möglichen Unterschiede zwischen den Folgen der Partizipation in herkunftsland- und in aufnahmelandorientierten Vereinigungen. Die aufnahmelandorientierte Partizipation hat aus verschiedenen Gründen in mehrfacher Hinsicht eine integrationsfördernde Wirkung:

Zum einen stellt sie eine Hinwendung zu den Institutionen des Aufnahmelandes dar. Hier werden allgemeine Fähigkeiten erworben, die auch außerhalb der ethnischen Kolonie von Bedeutung sind, seien es Sprachkenntnisse oder Informationen über das prinzipielle Funktionieren dieser Institutionen. Zum anderen nehmen durch diese Form der Partizipation die Opportunitäten für interethnische Kontakte zu. Zudem ist es das ausdrückliche Ziel der aufnahmelandorientierten politischen Partizipation, den Zugang zum Aufnahmeland für Nichtdeutsche zu verbessern.

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Weniger eindeutig sieht es bei den herkunftslandorientierten Partizipationsformen aus. Wie oben dargestellt, besteht hier ein wichtiger Partizipationsanreiz darin, daß diese Vereinigungen Enklaven darstellen, in denen die spezifischen Fähigkeiten, über die Zuwanderer verfügen, von positivem Wert für den Erhalt sozialer Anerkennung sind. Insofern verringert die Beteiligung in diesen Organisationen tatsächlich die Notwendigkeit, die Ressourcen und Fähigkeiten zu erwerben, die für eine erfolgreiche soziale und strukturelle Integration in die Aufnahmegesellschaft vonnöten sind. Das wichtigsten Beispiel hierfür sind wohl die Sprachkenntnisse. Diese Auswirkungen sind allerdings nur dann zu erwarten, wenn die Partizipation mit einer weitgehenden Organisation verschiedener Alltagsbereiche entlang ethnischer Linien einhergeht.

Inwieweit die Hinwendung zum Herkunftsland zwangsläufig mit der Integration in andere Lebensbereiche konfligiert, ist bislang schwer zu beantworten. Zumindest für eine zahlenmäßig starke Zuwandererminorität wie die türkischen Migranten existiert aber die Möglichkeit der Entwicklung einer „institutionell vollständigen" Kolonie. Hier besteht dann die Gefahr, daß innerhalb der Kolonie der Kontakt zur Aufnahmegesellschaft durch einzelne Personen gepflegt wird, die die Fertigkeiten besitzen, in beiden Gesellschaften zu agieren, während es den restlichen Mitgliedern unter Umständen an den Möglichkeiten, aber auch an den Anreizen mangelt, diese zu erwerben.

Das Argument der segregationsfördernden Auswirkung der Partizipation in herkunftslandorientierten ethnischen Vereinigungen ist also nicht so leicht von der Hand zu weisen, zumal einige Befunde darauf hinweisen, daß diese Partizipation oft einen besonderen Charakter hat: Wie oben dargestellt, wird in verschiedenen Studien betont, daß die Bindung von Immigranten an die ethnischen Vereine oft besonders eng ist. Die Multifunktionalität ethnischer Vereinigungen ist ein weiterer Indikator dafür, daß die Partizipation oft verschiedene Lebensbereiche durchdringt, was allerdings von Vereinstyp zu Vereinstyp stark variiert. Die Mitgliedschaft in einer Gruppierung wie den Süleymancis, die mittlerweile in vielen Städten Internate gegründet haben, stellt eine extreme Partizipationsform dar, die einen relativ vollständigen Rückzug von der Aufnahmegesellschaft ermöglicht. Es müßte genauer untersucht werden, wieviel Zeit und Energie die Vereinspartizipation in Anspruch nimmt, um die Frage zu beantworten, ob durch sie Ressourcen verbraucht werden, die dann nicht mehr für den Erwerb von Fähigkeiten, die auch außerhalb der ethnischen Kolonie von Nutzen sind, zur Verfügung stehen.

Zudem muß überprüft werden, ob die Gelegenheiten für die Aufnahme von Kontakten zu anderen Nationalitätengruppen für Mitglieder herkunftslandorientierter Vereine tatsächlich niedriger sind. Diesbezüglich unterstützen die SOEP-Daten zumindest teilweise die These von den segregierenden Auswirkungen der herkunftslandorientierten Partizipation: Die Besucher religiöser Zentren haben weniger Kontakte zu Deutschen als die Nichtbesucher. So stellt auch Schöneberg fest, daß Türken, die keine Vereine besuchen, eine geringere soziale Distanz zu Deutschen haben als Vereinsbesucher [ Operationalisiert durch: Ablehnung freundschaftlicher Kontakte zu Deutschen, Ablehnung der Assimilation der Kinder und Distanzierung im Arbeits- und Wohnbereich (217).] . Bei der Aufschlüsselung nach konservativen, religiösen und linken Vereinstypen zeigt sich aber in ihrer Untersuchung, daß es massive Unterschiede zwischen den einzelnen Vereinen gibt: Es sind die Besucher religiöser Vereine, die eine ausgeprägte soziale Distanz zu Deutschen aufweisen, während - abgesehen von einer relativ hohen Ablehnung der Assimilation der eigenen Kinder durch die Besucher konservativer Vereine - die Besucher der anderen beiden Vereinstypen eine geringere Distanz zu Deutschen aufweisen als die

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Nichtpartizipierenden (Schöneberg 1993: 216f). Allerdings steht auch hier die genauere Untersuchung des Kausalzusammenhangs beider Faktoren noch aus.

Hinsichtlich der anderen von uns betrachteten Assimilationsbereiche – der kognitiven und der identifikativen Assimilation - ließ sich anhand unserer Berechnungen kein negativer Zusammenhang zwischen der herkunftslandorientierter Partizipation und dem
Assimilationsgrad finden. Ebenso wie die Mitglieder der aufnahmelandorientierten Gewerkschaften fühlen sich auch die Besucher religiöser Veranstaltungen etwas mehr als Deutsche und sprechen etwas besser deutsch als die Nichtbesucher. Wegen der Schwäche des Zusammenhangs sowie aufgrund der Tatsache, daß es sich hier lediglich um Besucher, nicht um Vereinsmitglieder im engeren Sinne handelt, können diesbezüglich allerdings noch keine verläßliche Schlußfolgerungen gezogen werden.

Es zeigt sich jedoch auch an diesem Beispiel, daß es sowohl zwischen verschiedenen Formen der Beteiligung als auch zwischen verschiedenen Bereichen der Eingliederung zu unterscheiden gilt, wenn man die Frage nach den Auswirkungen der Partizipation in „Ausländervereinen" beantworten will.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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