ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Minoru Kurata, Rudolf Hilferding und das Finanzkapital, Koppanyi, Wien 2009, 115 S., kart.

Der 100. Jahrestag des Erscheinens von Rudolf Hilferdings Schrift „Das Finanzkapital“ im Jahr 2010 hat neben kleineren Erwähnungen keine größere Aufmerksamkeit gefunden. Einzig Minoru Kuratas Darstellung „Rudolf Hilferding und das Finanzkapital“ sticht heraus. Seit den 1970er Jahren ist Kurata einer der aktivsten Forscher über Hilferding. Rechtzeitig vor dem Jubiläumsjahr hat Kurata seine Erkenntnisse aus vier Jahrzehnten in einer Monografie zusammengefasst.

Das Buch unterteilt sich in zwei Abschnitte. Die ersten knapp 35 Seiten beschäftigen sich theoriegeschichtlich mit dem „Finanzkapital". Dieses Kapitel entspricht unverändert einem Kurata-Artikel aus dem Jahr 1981. Die restlichen 70 Seiten widmen sich Hilferdings Biografie bis vor dem Ersten Weltkrieg und stellen eine Collage von sechs weiteren zwischen 1975 und 1993 erschienenen Artikeln Kuratas dar.

Kuratas theoriegeschichtlichen Einordnung entlang Hilferdings vor 1910 veröffentlichten Artikeln, die Beeinflussung durch Karl Kautsky und andere sozialistische Zeitgenossen sowie die große Bedeutung des Revisionismus-Streits sind elementar zum Verständnis des „Finanzkapitals“ und grundlegend für die weitere theoriegeschichtliche Forschung in dieser Richtung. Da Kurata jedoch inhaltlich nicht auf das „Finanzkapital“ eingeht, mag für einen Leser ohne dessen Kenntnis die Bedeutung der Ergebnisse nicht immer nachvollziehbar sein.

Durch seine Fixierung auf Hilferdings marxistisches Umfeld beschäftigt sich Kurata nicht mit weiteren theoriegeschichtlichen Beeinflussungen wie beispielsweise durch John A. Hobson, Ferdinand Tönnies oder die aufkommende praxisnahe Literatur über Banken und Unternehmensfinanzierung.

Eine weitere Folge dieser Fixierung ist die Überbetonung der Bedeutung von Eduard Bernsteins Schrift „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“ von 1899. Demnach wäre „Das Finanzkapital“ im Konzert mit Hilferdings „Böhm-Bawerks Marx-Kritik“ von 1904 vor allem als Antwort auf Bernstein zu verstehen. Es wäre eine weitere Schrift gegen den ‚Revisionismus`, der die durch Kautsky geprägte und sich auf Marx berufende Parteiideologie herausforderte. Kurata leitet sogar den Aufbau des „Finanzkapitals“ aus der Kapitelfolge in Bernsteins Schrift ab.

Dabei geht Hilferding in seinem „Finanzkapital“ über eine reine Kritik an Bernstein hinaus. Wie schon der Untertitel sagt, will er „die jüngste Entwicklung des Kapitalismus“ analysieren und beschäftigt sich dabei vor allem mit dem, was man heute Finanzsystementwicklung nennen würde. Er beginnt mit einer Geld- und Kredittheorie und behandelt danach Aktiengesellschaften und das Geschehen an Börsen und in Banken. Dies sind Themen, die bei Bernstein nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Der zweite, biografische Teil ist eine fakten- und detailreiche Darstellung von Hilferdings Leben bis 1914. Dadurch hebt sich Kurata von den stärker interpretierenden Biografien von William Smaldone „Rudolf Hilferding. The Tragedy of a German Social Democrat“ (1998, deutsch 2000) und Peter Wagner „Rudolf Hilferding. Theory and Politics of Democratic Socialism“ (1996) ab. Allerdings wird nur Smaldone in dem abschließenden Literaturverzeichnis aufgeführt, das eine Übersicht über die wichtigsten Veröffentlichungen zu Hilferding gibt.

Die Unterstützung Kuratas durch den zweiten Sohn Hilferdings, Peter Milford, bietet tiefere Einblicke in die Biografie Hilferdings, als dies anhand der nur wenigen Archivalien und den bekannten Veröffentlichungen möglich ist.

Insgesamt ist es erfreulich, dass die verstreuten Erkenntnisse von Kurata zusammengestellt wurden. Kuratas erkennbar von Sympathie mit Hilferding geprägte Darstellung ist lesenswert, auch wenn es leider versäumt wurde, der Darstellung in Sprache und Form eine angenehmere Gestalt zu geben.

Jan Greitens, Frankfurt am Main


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