ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Thomas Brechenmacher, Die Bonner Republik. Politisches System und innere Entwicklung der Bundesrepublik (Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, Bd. 13), be.bra Verlag, Berlin 2010, 207 S., geb., 19,90 €.

Ist der Bau der Berliner Mauer 1961 ein innenpolitisches Ereignis für die Bundesrepublik Deutschland oder ein außenpolitisches? Sind die Neuen sozialen Bewegungen der 1970er Jahre der Kulturgeschichte zuzuschlagen oder der Sozialgeschichte - und nicht der Politikgeschichte?

Die beiden Fragen verdeutlichen, in welche Zwangslagen sich Thomas Brechenmacher mit seinem Buch begibt, das nur die innenpolitische Entwicklung der Bundesrepublik schildern möchte. Der Mauerbau wird gerade einmal gestreift, von den Neuen sozialen Bewegungen sind nur Spurenelemente vorhanden. Gerade in den Zeiten des Kalten Kriegs - die Darstellung reicht bis 1989 - ließen sich Innen und Außen jedoch nur schwer trennen, wurden Politik, Gesellschaft und Sozialkultur, (Welt-)Wirtschaft und Organisationen ständig ineinandergeschoben und immer wieder neu verflochten. Doch jegliches Beziehungsgefüge wird durch Brechenmacher auseinandergerissen und so entsteht eine „Innenpolitikgeschichte“ ohne eigene Originalität. War die Bonner Republik wirklich so langweilig? Noch sehr gelungen ist das systematische Kapitel über die „Grundlagen der Bundesrepublik“, doch anschließend geht es mit dem chronologischen Gliederungsprinzip der Kanzlerwechsel in großen Schritten durch die Republik, zwar auf neuem Stand der Forschung, jedenfalls ausweislich des knappen Literaturverzeichnisses (in den Anmerkungen und Verweisen dominiert erstaunlicherweise meist ältere Literatur), aber insgesamt muss der Leser eine recht karge Höhenkammwanderung zurücklegen. Wer Neues sucht, wird es nicht finden. Auch eine Verklärung der Kohl-Jahre konnte man an anderen Stellen bereits nachlesen. Überhaupt sind Konrad Adenauer und Helmut Kohl die Helden, und der Machtwechsel 1969 war, glaubt man Brechenmacher, allein durch „Koalitionsarithmetik“ zustande gekommen (S. 114), nicht aber durch inhaltliche politische Gemeinsamkeiten in der Innen-, Außen- und Gesellschaftspolitik von SPD und FDP.

An einer Stelle funkelt auf, wie lebendig das Buch hätte werden können: Den Abschnitt über die Neue Ostpolitik (ist das Innen- oder Außenpolitik?) beginnt Brechenmacher mit „Taxi nach Leipzig“, womit im November 1970 eine Erfolgsgeschichte des bundesdeutschen Fernsehens begann: „Tatort“. Der Hamburger Kommissar Trimmel ermittelt auf eigene Faust in der DDR. Die Ironie dieser Episode: Da fließt große Deutschlandpolitik in die Fernsehkultur ein und widerlegt so aufs Schönste, dass man heutzutage noch eine ganz und gar klassische Politikgeschichte schreiben könne.

Edgar Wolfrum, Heidelberg


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