ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Lucian Hölscher (Hrsg.), Political Correctness. Der sprachpolitische Streit um die nationalsozialistischen Verbrechen, Wallstein Verlag, Göttingen 2008, 227 S., kart., 29,90 €.

Sprachkritik hat eine lange Tradition, deren Ursprünge sich bis zu den Sprachnormierungen eines Kaspar Stieler oder den Eindeutschungsbestrebungen der Fruchtbringenden Gesellschaft zurückverfolgen lassen. Für die Zeitgeschichte hat es dennoch seine Berechtigung, wenn Lucian Hölscher in dem von ihm herausgegebenen Band gleich eingangs konstatiert, Sprachpolitik habe sich in der Bundesrepublik als „ein neues politisches Handlungsfeld etabliert“ (S. 7). Der Bochumer Historiker zielt auf den Streit um den moralisch richtigen und politisch normierten Gebrauch der Worte ab, der erst seit wenigen Jahrzehnten unter dem amerikanischen Überbegriff der „Political Correctness“ (PC) debattiert wird.

Sensibilisiert durch Victor Klemperers „Lingua Tertii Imperii“ oder die von Dolf Sternberger herausgegebene Schrift „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ zog sich das Verfahren einer öffentlichen Sprachkritik seit den 1950er Jahren durch alle größeren Auseinandersetzungen über die NS-Vergangenheit. Seit Ende der 1960er Jahre diente die Katalogisierung inkriminierter Begriffe zur Identifizierung von Feinden der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Drei Ebenen der Analyse schlägt Hölscher vor: die ursprüngliche politische Äußerung, deren Wertung als politisch korrekt oder unkorrekt und drittens die Reflektion über deren Berechtigung, Bedeutung und Funktion.

Die Beiträge des Bandes folgen diesem Dreisprung weitgehend. Gunnar Sandkühler untersucht in seinem Aufsatz die sprachpolitischen und juristischen Auseinandersetzungen der frühen Bundesrepublik. Dabei unterscheidet er zwei konträre Konzepte von „Political Correctness“: Einerseits werde PC emphatisch als ein Programm zur systematischen Vermeidung von Begriffen propagiert, die als Diskriminierung verstanden werden könnten. Die Gegner der PC hingegen verstünden darunter eine Einschränkung der freien Meinungsäußerung und eine unzulässige Tabuisierung ganzer Themenkomplexe. In Deutschland komme die Spezialform der Historischen Korrektheit hinzu, die stets im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus stehe.

Die von Sandkühler untersuchte bundesrepublikanische Frühphase sei vorrangig von „Arbeit am nationalsozialistischen Vokabular“ geprägt (S. 19). Den Ausgangspunkt bilde der Aufruf Heinz Paechters, dem Autor des schon 1944 in den USA erschienenen Glossars „Nazi-Deutsch“, man müsse die Sprache von bestimmten Begriffen „befreien“ um den Einfluss des Nationalsozialismus zurückzudrängen. Der Germanist George Steiner hingegen sah 1960 die Sprache nicht mehr als bloßes Opfer an, sondern gab ihr eine Mitschuld an den Schreckenstaten. Die heftigen Proteste von Sprachwissenschaftlern gipfelten in der polemischen Frage des Germanisten Günter Busch, ob im KZ Dachau denn Menschen oder Vokabeln gehandelt hätten.

Gegen Ende der 1960er Jahre verschob sich die Debatte von einer Politik der Vermeidung belasteter Wörter hin zur Neuschaffung einer korrekten Sprache. Nach 1968 habe die neue Linke mit zentralen Begriffen wie „Emanzipation“, „Betroffensein“ oder „Freiraum“ einen eigenen Sprachduktus ausgebildet. Der aufgrund der Wahlergebnisse in die Defensive geratene Konservativismus wandte sich seit den 1970er Jahren verstärkt gegen diese „linke Besetzung von Begriffen“ (S. 58). Erst im ‚Historikerstreit‘ der späten 1980er Jahre sei eine konservative Strategie der Besetzung von Begriffen - etwa von dem Historiker Michael Stürmer - propagiert worden.

In seiner Bewertung bezweifelt Sandkühler, dass strafrechtliche Restriktionen und „die Tabuisierung neonazistischer Symbolik und Propaganda tatsächlich einer erfolgreichen Eindämmung dienlich“ seien (S. 59). Für geeigneter hingegen hält er die „historische Korrektheit“ auf der Ebene des Gedenkens, deren „rahmendes Narrativ“ ein Korrektiv biete - etwa indem es Opferdiskurse stets mit dem Hinweis auf die Täterschaft der Deutschen im Zweiten Weltkrieg verbinde (ebd.).

Kontroversen der politisch-historischen Korrektheit behandelt der Aufsatz von Thomas Mittmann, dessen Zusammenstellung von Fallbeispielen noch einmal deutlich den Kampf um die Verschiebung der „Grenzen des Sagbaren“ vor Augen führt. Mehr als die Auseinandersetzung um den Gebrauch von Worten ist PC für Mittmann ein Phänomen der Sprachnormierung des intellektuellen Diskurses. Der sogenannte Historikerstreit von 1986 etwa sei ein inszenierter Tabubruch der Gegner einer definierten Sprachkorrektheit gewesen.

Aus der Analyse von Fällen, darunter auch die zur Redewendung avancierte „Jenninger-Rede“ und der Fall Möllemanns, schließt Mittmann, dass Befürworter historisch korrekten Sprechens sprachliche Normen vor allem dann verletzt sähen, wenn die Vergangenheit als abgeschlossen thematisiert oder NS-Begriffe enthistorisiert würden. Seit Ende der 1980er Jahre sei der Diskurs immer stärker von Rechtsextremen und Konservativen geprägt worden, die PC als Kampfbegriff gegen Linke und Liberale richteten: „Der PC-Vorwurf ist immer konservativ besetzt“ (S. 104). Spätestens seit den 1990er Jahren formiert sich jedoch auch in der undogmatischen Linken Kritik an autoritären PC-Vorschriften, etwa in dem von Klaus Bittermann herausgegebenen satirischen „Wörterbuch des Gutmenschen“ mit dem sprechenden Untertitel „Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache“.

Abgeschlossen wird der Band von qualitativen Interviews, die allerdings keine quantitativ verwertbaren Aussagen zulassen, wie Tillmann Bendikowski in der Einleitung zu den von ihm geführten Gesprächen einschränkend einräumt. Die Gespräche mit sogenannten Multiplikatoren, darunter der Fernsehentertainer Harald Schmidt sowie etliche Akademiker aus dem Ruhrgebiet, haben aber über die Momentaufnahme hinaus durchaus ihren Wert, zumal die Befragten in ihren Antworten die oftmals naturgemäß etwas holzschnittartigen akademischen Kategorisierungen aufbrechen und den Begriff der PC auf die Ebene persönlicher Erfahrungen herunterbrechen. So berichtet etwa der Leiter einer Gesamtschule über die Probleme bei der Beschilderung des Aufenthaltsraums für Lehrkräfte als Lehrer- oder „LehrerInnenzimmer“. Diese alltägliche Dimension der PC, die ja vor allem eine Anti-Diskriminierungsstrategie innerhalb der Arbeitswelt ist, kommt in den auf Geschichtspolitik fokussierten Aufsätzen des Bandes leider etwas zu kurz.

Schon in seinem geschichtstheoretischen Manifest „Neue Annalistik. Umrisse einer Theorie der Geschichte“ hatte Lucian Hölscher (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, 2003) „korrekte Sprachformeln“ kritisiert, da sie eine „wirkliche Auseinandersetzung“ verhinderten. Insofern darf man den nun nachgelieferten Band nicht nur als Konkretisierung, sondern als Plädoyer für eine neue Forschungsperspektive sehen. Soll die Analyse sprachlicher Demarkationslinien jedoch ein gänzlich neues Feld eröffnen, so wäre eine methodisch deutlichere Abgrenzung von den Feldern der Erinnerungskultur oder der Vergangenheitspolitik nötig. Der ebenso lesbare wie lesenswerte Band bietet nicht nur eine komprimierte Einführung ins Thema, er ist lässt sich auch als ein erster Schritt in diese Richtung verstehen.

Bodo Mrozek, Berlin/Potsdam


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