ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Karen Holtmann, Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe vor dem Volksgerichtshof. Die Hochverratsverfahren gegen die Frauen und Männer der Berliner Widerstandsorganisation 1944-1945 (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart), Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn/München etc. 2010, 305 S., geb., 38,00 €.

Das Bild des Volksgerichtshofs als eine „Terrorinstanz“ (Holger Schlüter) des nationalsozialistischen Regimes ist bis heute weitgehend durch die Prozesse gegen die Widerständler des 20. Juli 1944 geprägt. Auch in der umfangreichen rechtshistorischen Forschungsliteratur zum Volksgerichtshof nahmen diese Strafprozesse unter dem Vorsitz Roland Freislers lange Zeit eine dominierende Stellung ein. Parallel zu diesen Strafverfahren gegen die Hitler-Attentäter saßen die Richter des höchsten politischen Gerichtshofs von September 1944 bis Februar 1945 jedoch auch über 197 Frauen und Männer einer kommunistischen Widerstandsorganisation zu Gericht, die als Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe Eingang in die Geschichtsbücher gefunden hat.

Auf rund 300 Seiten widmet sich Karen Holtmann in ihrer Hannoveraner Dissertation diesen Strafverfahren gegen die Mitglieder der Gruppe um Anton Saefkow, Franz Jacob und Bernhard Bästlein, die seit 1943 einem der „größten kommunistischen Widerstandsverbünde im ‚Dritten Reich`“ (S. 33) vorstanden. Das primäre Erkenntnisinteresse ihrer mikrohistorischen Untersuchung richtet sich auf die Wahrnehmungen, Zuschreibungen und (Selbst-)Deutungen der Männer und Frauen, die sich als vermeintliche Hochverräter und Hochverräterinnen vor Gericht verantworten mussten. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Tätigkeit und Bedeutung der in der Widerstandorganisation tätigen Frauen. Ziel dieser Fokussierung ist es unter anderem, die lange Zeit in der Widerstandsforschung virulente These kritisch zu hinterfragen, nach der Frauen im Widerstand lediglich die Rolle der eher passiven und unpolitischen Helferinnen der Männer einnahmen.

Die Studie gliedert sich in zwei große Untersuchungsbereiche, die durch ein kurzes abschließendes Kapitel ergänzt werden, in dem Karen Holtmann kursorisch den Blick auf die Zeit nach 1945 wirft. Im ersten Teil der Darstellung beschreibt sie zunächst ausführlich die Grundzüge des Berliner Widerstandsverbunds. Neben der Entwicklung, Programmatik und den Handlungsfeldern der Gruppe werden hier auch die Sozialprofile und Motivationsstrukturen der männlichen und weiblichen Mitglieder betrachtet.

Das Ziel der Organisation war es, die deutsche Bevölkerung für den Sturz Hitlers zu mobilisieren. Die Mitglieder, von denen für die Studie 109 Männer und 62 Frauen näher untersucht wurden, stammten größtenteils aus einfachen Verhältnissen und bildeten hinsichtlich ihres Sozialprofils eine relativ „homogene Gruppe“ (S. 55). Für die Tätigkeiten der Organisation konstatiert Karen Holtmann eine „geschlechtsspezifische Arbeitsteilung“ (S. 245), nach der Frauen vor allem - wenn auch nicht ausschließlich - die Verantwortung für Versorgungs- und Quartierfragen übernahmen, während Leitungsfunktionen primär Männern vorbehalten blieben. Hinsichtlich der Motivationen weist sie ein Konglomerat von Faktoren nach, das ein Agieren aus politischer Überzeugung auch bei Frauen keineswegs ausschloss. Die vielfach angeführte These, nach der sich die Aktivitäten der Frauen lediglich auf einen „Liebesdienst“ (S. 84) für den Partner reduziert hätten, bestätigt sich somit für Akteurinnen der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe nur in Einzelfällen.

Mit der Aufdeckung und Zerschlagung der Gruppe durch die Gestapo setzte im Juli 1944 die Phase der Verfolgung ein, welcher der etwas längere zweite Teil der Studie gewidmet ist. Im Unterschied zu vielen vergleichbaren Arbeiten beschränkt sich die Autorin hierbei nicht ausschließlich auf die Hauptverhandlung vor Gericht und die richterliche Urteilspraxis. Vielmehr fokussiert die Analyse alle Etappen der politischen Strafverfolgung und erstreckt sich somit auch auf das staatspolizeiliche Ermittlungsverfahren und das Agieren der Oberreichsanwaltschaft. Neben biografischen Informationen über das Verfolgerensemble, bestehend aus den ermittelnden Gestapobeamten, den sachbearbeitenden Staatsanwälten und den Richtern, liefert die Autorin in diesem Teil der Arbeit zunächst rechtshistorisch detaillierte Angaben über das Anklageverhalten, die verhandelten Tatbestände und die Sanktionsprofile. Im Gegensatz zu den männlichen Mitgliedern der Gruppe, von denen die Richter gut die Hälfte der Angeklagten zum Tode verurteilten, dominierten bei den weiblichen Verurteilten die Zuchthausstrafen. Bei ‚lediglich‘ drei Frauen sprachen die Richter ein Todesurteil aus. Für einen tendenziell milderen Umgang mit weiblichen Angeklagten spricht zudem, dass Frauen eher wegen Beihilfe verurteilt wurden, während Männer trotz gleicher Tathandlungen vielfach als Täter zum Tode verurteilt wurden.

Wie Karen Holtmann überzeugend herausarbeitet, war diese Ungleichbehandlung von Frauen und Männer nicht zuletzt das Resultat geschlechterdifferenter Wahrnehmungen und Erklärungsmuster, die sich bereits in den Ermittlungsberichten der Gestapo finden lassen und von denen Frauen bei der Urteilsfindung profitierten konnten. Während die Richter bei Männern „in der Regel qua Geschlecht [...] eine politische Motivation voraussetzten“ (S. 249), führten die Verfolger das Handeln der Frauen vielfach auf eine sexuelle Hörigkeit, Verführung oder emotionale Beweggründe zurück. Hierdurch verloren die Taten oftmals ihren staatsgefährdenden Charakter und erschienen weniger strafwürdig, was die Frauen bisweilen in den Ermittlungsverfahren für sich auszunutzen versuchten. Gleichwohl auch sie oft aus politischer Überzeugung gehandelt hatten, präsentierten sie sich aus Gründen des Selbstschutzes als von Natur aus unpolitisch. Der Tendenz, aus diesen strategischen Selbstdarstellungen und den Zuschreibungen auf eine per se untergeordnete Rolle der Frauen im Widerstand zu schließen, widerspricht Karen Holtmann jedoch auf Grundlage der Ergebnisse im ersten Teil ihrer Untersuchung mit Recht.

Eines der Hauptergebnisse der Arbeit ist die Feststellung, dass „eine Differenzierung nach Geschlecht bei der Rechtsprechung die Regel und eine Gleichbehandlung der Frauen und Männer die Ausnahme“ war (S. 252). Hiermit bestätigt die vorliegende Studie weitgehend die Befunde der wenigen Arbeiten, die sich bisher unter geschlechtergeschichtlichen Vorzeichen mit der politischen Strafjustiz im Nationalsozialismus beschäftigt haben. Mit der Verbindung von rechtshistorischen Erkenntnisinteressen und sozial- respektive geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen folgt Karen Holtmann einem Ansatz, der vor allem mit Blick auf die Juristische Zeitgeschichte noch deutlich unterrepräsentiert ist. Ihre Ergebnisse sollten Ansporn sein, ähnliche Analysekonzepte auch für andere Bereiche des strafrechtlichen Umgangs mit Frauen und Männern, jenseits der politischen Strafjustiz, stärker als bisher zu erproben. Hierdurch könnten auch der bereits sehr breit aufgestellten Forschungslandschaft zur Justiz im Nationalsozialismus methodisch und inhaltlich neue Akzentuierungen verliehen werden. Ebenfalls positiv zu würdigen ist die breite Perspektive, die Karen Holtmann bei der Analyse der Verfolgungsmechanismen wählt. Da die in den Urteilen zum Ausdruck kommenden Zuschreibungen immer nur das Ergebnis eines längeren institutionellen Produktions- und Aushandlungsprozesses sind, erscheint die Perspektiverweiterung insbesondere bei der gewählten Fragestellung sinnvoll. Darstellerisch birgt dies freilich die Gefahr von Redundanzen, der auch die vorliegende Arbeit an manchen Stellen erliegt. Mit ihrer Positionierung an der Schnittstelle unterschiedlicher Forschungsfelder ergänzt die mikrohistorische Studie nicht nur unseren Kenntnisstand über die politische Strafjustiz im Zweiten Weltkrieg, sondern bietet auch neue Deutungsangebote hinsichtlich der Rolle von Frauen im Widerstand.

Michael Löffelsender, Frankfurt am Main


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