ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Michael Hirschfeld/Johannes Gröger/Werner Marschall (Hrsg.), Schlesische Kirche in Lebensbildern, Bd. 7, Aschendorff Verlag, Münster 2006, 422 S., geb., 34,80 €.

Die vorliegende Publikation reiht sich in eine mehr als 120 Jahre alte Tradition ein: Ein erster Sammelband mit Biografien schlesischer Geistlicher erschien 1884, weitere folgten 1898, 1928, 1939, 1967 und 1992. Gemäß dem sich verändernden Kirchenverständnis weichte das Vorhaben, verstorbene schlesische Priester zu verewigen, schon im vorletzten Band der Zielsetzung, bedeutende Persönlichkeiten der schlesischen Kirche zu würdigen, Geistliche wie Laien. In der hier zu besprechenden Veröffentlichung kam, im Vergleich zu den Vorgängerpublikationen, noch ein Novum hinzu: Neben zahlreichen Männern wurden auch drei Frauen berücksichtigt, darunter die Kandidatinnen für die Seligsprechung Hildegard Burjan und Mutter Dulcissima Hoffmann.

Der Band enthält 75 Biografien, unter anderem Lebensbilder solch gewichtiger Gestalten wie Herbert Czaja, Bischof Maximilian Kaller, Otto Kuss, Dompropst Bernhard Lichtenberg, Bischof Gerhard Schaffran, Kardinal Leo Scheffczyk und Joseph Wittig. Schon anhand dieser Namen lässt sich erkennen, dass die vorliegende Publikation, genauso wie ihre Vorgängerbände, nicht nur für Liebhaber regionaler Kirchengeschichte von Interesse ist; schlesische Kirchenleute prägten bei Weitem nicht nur ihre Heimat, sondern die Kirche und Gesellschaft in Deutschland, Polen und anderen Ländern.

Einige Fehlentscheidungen der Herausgeber führten leider dazu, dass diese von 38 Autoren zusammengestellte Fundgrube wichtiger und interessanter biografischer Informationen nicht nur Anerkennung, sondern auch Kritik ernten muss: Die einzelnen Biografien bestehen sinnvollerweise aus einem Kurzbiogramm, bibliografischen Angaben und einem narrativen Teil. Unnötig teilten jedoch die Herausgeber diesen Teil in „Würdigung“ und „Biografie“ auf. Da die Würdigung in vielen Fällen ohne biografische Bezüge kaum verständlich ist (und umgekehrt), wird der Leser in nicht wenigen Beiträgen entweder mit Wiederholungen oder mit Unklarheiten und Brüchen in der Narration konfrontiert (zum Beispiel S. 82-85, 117-121 und 211-214). Besser wäre es gewesen, auf die Aufteilung zu verzichten oder zumindest die „Biografie“ der „Würdigung“ voranzustellen.

Noch schwerwiegender ist die Entscheidung der Herausgeber, sich bei der Autorensuche nicht auf Fachhistoriker zu beschränken, sondern auch Zeitzeugen, Hobbyhistoriker und Mitarbeiter der vorgestellten Persönlichkeiten zur Zusammenarbeit einzuladen. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind im Band neben sachlichen, von wissenschaftlich-kritischer Distanz gekennzeichneten Beiträgen auch Texte enthalten, die durch verklärende Verallgemeinerungen (,,Für alle Menschen war er immer ein guter Hirt und Vater [...]. Alle, die ihn besuchten, fanden bei ihm Trost und Zuspruch“, S. 56), Pathos (,,Nur der Tod konnte ihm die Feder aus der Hand nehmen“, S. 351), subjektive moralische Werturteile (,,[Er] ist seinem Meister Jesus Christus gefolgt“, S. 97) oder kühne metaphysische Deutungsversuche (,,Die [längst verstorbene] hl. Theresia vom Kinde Jesu [...] hilft ihr“, S. 103) auffallen.

Zugegeben ist der vorliegende Band sachlicher als die Vorgängerpublikationen, freilich gelang es den Herausgebern nicht, für eine lexikonartige Publikation ungeeignete Beiträge ganz auszuschließen. Und selbst in vielen um Sachlichkeit bemühten Biogrammen fällt die mangelnde kritische Distanz der Autoren zu den von ihnen vorgestellten Persönlichkeiten und zu ihrem Gedankengut auf. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Biografie von Emil Brzoska, dem darin bescheinigt wird, dass er in seiner Veröffentlichung „Ein Te Deum für Kardinal Bertram“ „nüchtern, sachlich und glänzend“ die Vorwürfe widerlegt habe, die „in neuster Zeit“ Bertram wegen seiner Haltung gegenüber dem ‚Dritten Reich‘ gemacht wurden (S. 25). In Wirklichkeit hatte Brzoska eine naive Streitschrift veröffentlicht, in der er deutsche Kirchenhistoriker, die das bisherige undifferenzierte und verklärte Bild des Kardinals hinterfragten, darunter auch solch anerkannte Kenner der Kirchengeschichte im ‚Dritten Reich‘ wie den Jesuiten Ludwig Volk, als „sachunkundige Skribenten“ diffamierte.

Das Lob auf Brzoska spiegelt das wohl größte Problem des Bandes wider, nämlich die Verankerung vieler seiner Autoren, die dem Vertriebenenmilieu nahestehen, im nationalkonservativen Gedankengut, das den nüchternen Blick auf die historischen Gestalten der schlesischen Kirche trübt. So verwundert es nicht, dass etwa in der Biografie von Maximilian Kaller jeglicher Hinweis auf seine Hirtenbriefe vom Herbst 1939 ausbleibt, in denen der ansonsten herausragende Kirchenfürst den Angriffskrieg gegen Polen zu einem Verteidigungskrieg stilisierte und den Wehrmachtsoldaten zusicherte, ihr Kriegsdienst sei zugleich ein „Dienst am Herrn“.

Es verwundert nicht, dass Lucius Teichmann, der zur Bezeichnung der Verbrechen von Polen an Deutschen den Begriff „Holocaust“ benutzte und die Meinung vertrat, dass es „höchst ungewiss“ wäre, was bei einer Aufrechnung der deutschen und polnischen Verbrechen „unter dem Strich herauskäme“1, zu einem Wegbereiter der „Verständigung und Versöhnung“ stilisiert wird, dem es „um das Beseitigen versöhnungshemmender und irreführender Halbwahrheiten“ gegangen sei (S. 337).

Und es verwundert nicht, dass schlesische Kirchenleute polnischer Gesinnung in dieser Veröffentlichung, so wie bereits in den Vorgängerpublikationen, drastisch unterrepräsentiert sind. Ob der Primas von Polen und Kandidat für die Papstwahl beim Konklave 1937, Kardinal August Hlond, der Autor des bahnbrechenden Versöhnungsbriefs an die deutschen Bischöfe von 1965 Kardinal Bolesław Kominek, der sowohl von den Nationalsozialisten als auch den Stalinisten aus seiner Diözese vertriebene Kattowitzer Bischof Stanisław Adamski, die Pioniere der polnischen Nationalbewegung des 19 Jahrhunderts Norbert Bończyk und Józef Szafranek, die seliggesprochenen Märtyrer der NS-Konzentrationslager Józef Czempiel und Emil Szramek, die für die Entwicklung der polnischen Nachkriegskirche verdienten Bischöfe Jerzy Stroba, Wilhelm Pluta und Teodor Kubina - allen ihnen und vielen anderen wichtigen polnischen Gestalten der schlesischen Kirche ist gemeinsam, dass sie von den jeweiligen Herausgebern der Biografien schlesischer Kirchenleute seit Jahrzehnten konsequent nicht beachtet werden.

Diese Leugnung der Multiethnizität Schlesiens, die wiederholt bemerkbare Unfähigkeit einzelner Beitragsautoren, selbst äußerst umstrittenem Gedankengut der vorgestellten Persönlichkeiten mit kritischer Distanz zu begegnen, und die auffallend unterschiedliche Qualität einzelner Biografien vermindern den Wert des Bandes weitgehend. Trotz aller Bemühungen der Herausgeber erfüllt er die Erfordernisse eines wissenschaftlich verwendbaren biografischen Lexikons nur zum Teil.

Robert Żurek, Berlin

1 Lucius Teichmann, Steinchen aus dem Strom, Berlin 1979, S. 271 und 292.


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