ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Anne Cottebrune, Mythe et réalité du „jacobinisme allemand“. Des „Amis de la Révolution“ face à l'épreuve de la réalité révolutionnaire. Limites des transferts culturels et politiques du jacobinisme, Atelier national de reproduction des thèses, Lille 2005, 431 S., brosch., 41,50 €.

Die erst verspätet an den Rezensenten gelangte Dissertation unter der Betreuung von Michael Werner versteht sich historiografisch als Antwort auf die west- wie ostdeutschen Arbeiten zumal der 1960er und 1970er Jahre zu den „deutschen Jakobinern“. Die Autorin hält diesen Begriff zu Recht für fragwürdig, da er keineswegs eine homogene Gruppe von Autoren des ausgehenden 18. Jahrhunderts bezeichnet, deren politische Einstellungen zur Französischen Revolution identisch mit denen der „montagnards“ gewesen wären. Im Gegenteil war vielen von ihnen gerade gemein, dass sie sich entschieden von den französischen Jakobinern abgrenzten. Der Begriff der „deutschen Jakobiner“ ist daher in der Tat eher verwirrend oder verzerrend und entspricht mehr dem konservativen Sprachgebrauch ab etwa 1792, alle auch noch so verhaltenen Sympathisanten der Französischen Revolution im Heiligen Römischen Reich pauschal als „Jakobiner“ zu diffamieren.

So sehr es also historisch geboten ist, den Begriff „deutsche Jakobiner“ durch eine passendere und präzisere Terminologie zu ersetzen, stellt sich doch die Frage, ob der von Cottebrune gewählte Begriff „Revolutionsfreunde“ angesichts seiner geringen Trennschärfe dieser Absicht gerecht wird. Schließlich geht es in ihrer Arbeit nicht um die Gesamtheit der deutschen Sympathisanten der Französischen Revolution während der Revolutionsjahre. Es geht nicht um die Gruppe der sogenannten „Revolutionsreisenden“. Es geht nicht um jene deutschen „Revolutionäre“, die aus Deutschland fliehen mussten und im revolutionären Frankreich - etwa in Straßburg - Schutz suchten, sondern es geht ausschließlich um etwa 70 bis 80 Deutsche, die während der Revolution für Monate, mitunter Jahre, in einzelnen Fällen für den Rest ihres Lebens, in Paris lebten und aus politischen Gründen nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten; kurz: Es geht um die „Pariser“ Exilanten, als die sie Cottebrune zusammenfasst. In ihrer überwiegenden Zahl sind dies die Mainzer Revolutionäre, aber auch Konrad Engelbert Oelsner, Johann Georg Kerner, Georg Friedrich Rebmann, Gustav Graf von Schlabrendorff und andere. Dass Cottebrune Karl Friedrich Reinhard dazu rechnet, mag überraschen, dürfte er sich doch weder als Exilant verstanden haben, noch hielt er sich als Diplomat in französischen Diensten in den 1790er Jahren primär in Paris auf. Warum hingegen Anacharsis Cloots mit keiner Silbe erwähnt wird, wäre zumindest eine Begründung wert gewesen.

Es ist das unbestreitbare Verdienst dieser Arbeit, diese Pariser Exilanten aus französischer Sicht hinsichtlich der Herausbildung eines kritischen Bewusstseins über ihr Engagement zugunsten der Revolution beziehungsweise hinsichtlich der Gründe für eine eventuelle nachfolgende Distanzierung zum revolutionären Frankreich eingehend analysiert zu haben. Die Rahmenbedingungen für eine politisch-soziale Integration der Exilanten in das französische Leben werden dabei zwar angesprochen, aber diese Integration beziehungsweise ihr verbreitetes Scheitern nicht wirklich analysiert, obwohl doch Reinhard exemplarisch für ihr Gelingen steht. Entsprechend werden die - so der Untertitel - „Grenzen des kulturellen und politischen Transfers des Jakobinismus“ zwar konstatiert, aber nicht wirklich ausgeleuchtet. Das Verharren auf deutscher Seite in Denkstrukturen nationaler Klischees und Stereotypen wird lediglich ebenso offengelegt wie die Ausnahmerolle Georg Forsters ausgebreitet.

Ungeachtet dieser Einwände handelt es sich um eine wichtige Arbeit, die die zeitgenössische deutsche Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution entscheidend vertieft und erweitert. Dazu hat nachdrücklich das breite Quellenstudium der Autorin nicht nur in deutschen Archiven - einschließlich Zürich -, sondern auch in Paris beigetragen, was der Arbeit ihr solides Fundament verdankt. Weit weniger gelungen ist dagegen die äußere Form, bei der mehr Sorgfalt gut getan und der Arbeit so manchen der zahllosen Schreib- und anderen Flüchtigkeitsfehler, aber auch den einen oder anderen Übersetzungsfehler erspart hätte. Ein Index würde schließlich das Wiederauffinden vielfach nur marginal behandelter Personen wesentlich erleichtern. Wenn dann noch „Atelier national de reproduction des thèses“, der nationale Dissertationsdrucker, eine sachgerechte Herstellung gewährleistet hätte, besäße der Leser die Aussicht, am Ende der Lektüre nicht einen Trümmerhaufen in den Händen zu halten. Cottebrunes wertvolle Untersuchung hätte Besseres verdient.

Horst Dippel, Kassel


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