ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Claudia Gottwald, Lachen über das Andere. Eine historische Analyse komischer Repräsentationen von Behinderung (Disability Studies. Körper - Macht - Differenz, Bd. 5), transcript Verlag, Bielefeld 2009, 327 S., kart., 29,80 €.

Während es umfangreiche historische und literaturwissenschaftliche Forschungen über Hofnarren und Hofzwerge, Theorien des Komischen sowie die Grenzziehung zwischen dem Komischen und dem Tragischen gibt, hat fast niemand die Geschichte dieser Phänomene vom Standpunkt der Disability Studies untersucht. In ihrem anregenden Buch (einer überarbeiteten Dissertation an der Fakultät Rehabilitationswissenschaften der TU Dortmund) beschäftigt sich Claudia Gottwald mit Diskursen „über ‚komische Behinderungen‘ aus historischer Perspektive“ (S. 16), das heißt sowohl mit der Geschichte des Lachens über Behinderungen und behinderte Menschen als auch mit der Geschichte der Lachverbote und -tabus. Das Buch umfasst den Zeitraum vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Die Quellen sind vor allem literarische und bildliche Darstellungen.

Nach einem sehr präzisen Überblick über Theorien des Komischen seit der Antike, die das Komische vor allem als Reaktion auf eine Normabweichung, also auf das Hässliche, Disproportionierte und Unharmonische begriffen, stellt Gottwald die Frage, welche konkreten Bezüge zwischen Behinderung und dem Komischen im Verlauf der Geschichte hergestellt wurden und wie sich diese Bezüge änderten. Den Schwerpunkt ihrer Ausführungen bilden das Mittelalter und die Renaissance, wobei die Analyse sich auf die zu dieser Zeit als komisch dargestellten behinderten Menschen konzentriert: also auf die sogenannten natürlichen Narren, die Hofzwerge, blinde Menschen und Menschen mit einem Kropf. Gottwald geht vorwiegend auf das Phänomen der natürlichen Narren (also geistig behinderter Menschen) an den europäischen Höfen ein, da es von ihnen viele Beschreibungen und Abbildungen gibt. Den Quellen zufolge dienten diese Menschen den Herrschenden entweder als Unterhaltung (also als Spottobjekte) oder auch als Warnungen vor eventueller Eitelkeit, während künstliche Narren, welche die Narrheit nur simulierten, um mit Spaß und Witz zu unterhalten, erst in der frühen Neuzeit auftauchten. Das Hofnarrentum der natürlichen Narren endete im 16. Jahrhundert, während sich die künstlichen Narren etwas länger an den Höfen halten konnten. In dieser Hinsicht setzte sich allmählich eine wissenschaftliche und medizinische Perspektive durch: Natürliche Narren wurden zunehmend als Geisteskranke oder als Erziehungsobjekte verstanden und in entsprechende Anstalten gebracht. Im Unterschied zu den Hofnarren war die Funktion der Hofzwerge weniger symbolbeladen; sie dienten vor allem der Unterhaltung. Mit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts ging die Zeit der Hofzwerge zu Ende. Gottwald beschreibt auch einige Darstellungen aus dem 13. bis zum 16. Jahrhundert, die belegen, dass das Lachen über blinde Menschen und Menschen mit einem Kropf in diesem Zeitraum durchaus üblich war.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde das Lachen über Hofnarren und -zwerge von der aufgeklärten Gesellschaft zunehmend abgelehnt, weil man jetzt feineren Unterhaltungen und intellektuellen Vergnügungen nachgehen wollte. Zumindest im Bereich der ästhetischen und philosophischen Theorien wurde das Lachen über Behinderungen als ungebildet und kindisch kritisiert. Jetzt betrachtete man Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen eher als Kranke oder als Opfer eines Unglücks und befürwortete in dieser Hinsicht eher Nächstenliebe und humanistisches Mitleid. Auch die Tatsache, dass behinderte Menschen zum Objekt der Fürsorge wurden, schloss sie aus dem Bereich des Komischen zunehmend aus. (Allerdings gab es hierbei auch wichtige Ausnahmen. So traten etwa kleinwüchsige Menschen bis ins 20. Jahrhundert im Zirkus und auf Jahrmärkten, in Freakshows oder in „Liliputanerstädten“ in europäischen Zoos auf.) Zusammenfassend könnte man sagen, dass sich ein Prozess der Regulierung und Zivilisierung des Lachens über Behinderungen seit dem 18. Jahrhundert sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene entwickelte.

Wenig ist darüber bekannt, wie Menschen mit Behinderungen auf das Phänomen des Auslachens vor dem 19. Jahrhundert reagierten. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts tauchen einige Zeugnisse Betroffener auf, die einen derartigen Spott ablehnten und zur Nächstenliebe aufriefen. Aber in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen der Behindertenbewegung, findet man auch behinderte Cartoonisten sowie behinderte Komiker, die jetzt ihre eigenen Witze über behinderte Menschen und die Reaktionen der nichtbehinderten Mehrheit auf sie machen. Gottwald gibt dafür viele relevante Beispiele; andere wären der erstmals 1978 von Frankfurter Behindertenaktivisten verliehene Preis der „Goldenen Krücke“ der Diskriminierung und Mitleid verspottet, und die Aufführungen des Münchner Crüppel Cabarets. Wie in vielen anderen Bereichen manifestiert sich in ihnen die historische Entwicklung behinderter Menschen vom Objekt des Lachens zum Subjekt, dessen Komik eine integrierende oder sogar transgressive Funktion hat.

Da Gottwald sich verständlicherweise vor allem auf gedruckte Quellen verlässt, wirft dieses Verfahren die Frage auf, ob man auch etwas Ausführlicheres über die Alltagsgeschichte des Lachens über behinderte Menschen aussagen könnte. Es gibt zum Beispiel sicher Witze über Menschen, die gehörlos, schwerhörig, geisteskrank oder geistig behindert sind oder die einen Sprachfehler haben. Diese Menschen wurden und werden vielleicht immer noch in bestimmten Situationen ausgelacht. Doch enthalten gedruckte Witzesammlungen wahrscheinlich solche tabuisierten Themen nicht, wie Gottwald bemerkt. In den USA beispielsweise kenne ich sogenannte „Little Moron“ (Kleiner Debiler) Witze der 1950er Jahre, „Spasti“-Witze der 1970er Jahre, neuere „sped“ (special education/Sonderschule) Witze sowie Witze über Schizophrene; im Internet findet man eine Unzahl von solchen Witzen. Hat es ähnliche Witzmoden in Deutschland gegeben? In Bezug auf Sprachfehler gibt es einige gedruckte Quellen, die auf eine anscheinend weit verbreitete Reaktion des Auslachens hinweisen: Zwei davon sind Christhard Schrenks Biografie „Rudolf Kraemer. Ein Leben für die Blinden, 1885-1945“ (Heilbronn 2002), in der dieser frühe Kämpfer für die Gleichberechtigung blinder Menschen erklärt, dass er seine Blindheit leichter ertragen konnte als sein von anderen Menschen verspottetes Stottern; und Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte „Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels“ aus den 1940er Jahren. Vielleicht sind diese tabuisierten Reaktionen nur durch Methoden der Oral History ans Licht zu bringen, indem man Menschen mit verschiedenen Arten von Behinderungen nach ihren Erfahrungen mit dem Auslachen und dem Spott befragt. Das würde jedoch weit über den Rahmen von Gottwalds Buch hinausgehen, das, wie die besten Arbeiten im Bereich der Disability Studies, sowohl bekannte Phänomene in einem neuen Licht zeigt als auch Anregungen für zukünftige Forschungen auf diesem Gebiet gibt.

Carol Poore, Providence


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