ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Frank Uekötter, Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 81), Oldenbourg Verlag, München 2007, X + 134 S., brosch., 19,80 €.

Dieser Band der Reihe „Enzyklopädie deutscher Geschichte“ kann als Beitrag zur Institutionalisierung der Umweltgeschichte im Kanon der historischen Subdisziplinen verstanden werden. Das Buch trifft in eine ausdifferenzierte und vielfältige Forschungslandschaft: In den inzwischen etwa 30 Jahren umwelthistorischer Forschung ist eine Vielzahl von empirischen Erkenntnissen, Forschungsfragen und -ansätzen zusammengekommen. Seit einigen Jahren ist das Interesse an Umweltthemen auch außerhalb der Fachöffentlichkeit wieder deutlich angestiegen. Vor diesem Hintergrund schließt das Handbuch eine Lücke: Ein vergleichbares Lehr- und Arbeitsbuch zur deutschen Umweltgeschichte war bisher nicht verfügbar. Autor des Buchs ist Frank Uekötter, bekannt durch einschlägige Veröffentlichungen zur Geschichte des Natur- und Umweltschutzes im 19. und 20. Jahrhundert. (1)

Die grobe Gliederung des Bandes in drei Teile ist durch die Reihe vorgegeben: Auf einen ersten darstellenden Abschnitt folgt ein kommentierter Überblick über die Forschungsliteratur und schließlich ein Annex mit Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Register (Personen-, Orts- und Sachregister). Die in der Reihe üblichen Absatzüberschriften (seitlich neben dem Text) sorgen für eine gute Übersichtlichkeit. Dies macht das Buch sehr nutzerfreundlich, die Leserinnen und Leser können gezielt Sachinformationen suchen und finden.

Im ersten Teil bietet Uekötter eine Zusammenfassung der Erkenntnisse über die Entwicklung von Umweltzustand und menschlichen Handlungsweisen in Bezug auf die Umwelt zwischen 1800 und etwa 2000 (mit anschließenden Kommentaren zur gegenwärtigen Situation). Dabei folgt die Darstellung im Wesentlichen chronologisch den politischen Zäsuren der deutschen Geschichte: 19. Jahrhundert, Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und schließlich Bundesrepublik beziehungsweise DDR, wobei den Entwicklungen in der DDR (S. 35f.) deutlich weniger Raum gewährt wird als denen in der Bundesrepublik (S. 30-35, 37f.). Der Autor betont zwar, dass die Geschichte der Entwicklung der natürlichen Umwelt nicht den politischen Grenzen und Zäsuren folge, zeigt aber in der Darstellung, dass der menschliche Umgang mit der Natur eng mit Wirtschaftsformen und Gesellschaftsordnungen sowie politischen Zielen zusammenhängt. Die Entwicklung im Nationalsozialismus, der dem Naturschutz einerseits politische Anerkennung und Erfolge bescherte, andererseits mit Autarkiewirtschaft und Krieg vor allem zerstörerisch in die natürliche Umwelt eingriff, ist hierfür ein eindrückliches Beispiel (S. 27f.).

In den Fokus der zusammenfassenden Darstellung der Erkenntnisse stellt Uekötter - wenig überraschend - den Aufstieg der Industriemoderne. Bevölkerungswachstum, Industrialisierung, Urbanisierung, Intensivierung der Landwirtschaft sowie die Herausbildung der Konsumgesellschaft veränderten die natürliche Umwelt und das Landschaftsbild seit dem 19. Jahrhundert relativ schnell und dauerhaft. Umwelthistorisch bedeutete vor allem der Übergang des Energieversorgungssystems von Holz zu Kohle und später zu Öl einen tiefen Einschnitt. Dies ermöglichte ein Wirtschaftssystem, das auf der ständigen und scheinbar grenzenlosen Verfügbarkeit von Energie basierte.

In der Zeit des Deutschen Kaiserreichs sieht Uekötter eine „umwelthistorische Sattelzeit“ (S. 14). Auf der einen Seite verdichteten sich in diesem Zeitraum die einzelnen Problemlagen zu einer „chronischen Krisensituation“ (ebd.). Auf der anderen Seite entstanden bei der Suche nach Lösungsmöglichkeiten Strukturen und Praktiken, die das Mensch-Umwelt-Verhältnis in Deutschland bis weit ins 20. Jahrhundert prägten. Dazu gehörten Schwemmkanalisationen, die Trennung von Wohn- und Industriegebieten, der Bau höherer Schornsteine und die Anlage von städtischen Parks und Gärten ebenso wie eine Vielzahl von Vereinen, die den Schutz von Tieren, Natur und Heimat zum Ziel hatten.

Demgegenüber seien die in politischer Hinsicht ereignisreichen Jahre der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus umwelthistorisch eine „Phase relativer Ruhe“ gewesen (S. 23). Einige Fortschritte, beispielsweise im Bereich der Energieeffizienz, zeigten, dass sich die Entwicklung nicht geradlinig in Richtung eines ökologischen Niedergangs bewegte. Historische Studien haben inzwischen verdeutlicht, dass die Zusammenarbeit von Naturschutz und Nationalsozialismus nicht durch „ideologische Affinitäten vorprogrammiert war“, sondern differenzierter zu betrachten ist (S. 70). (2) Ob es sich bei der Beteiligung prominenter Landschaftspfleger am „Generalplan Ost“ lediglich um eine „bedenkenlose Mitarbeit“ (S. 28) handelte oder ob hier nicht auch ideologische Berührungspunkte im Spiel waren, wäre jedoch stärker zu problematisieren.

Im letzten Kapitel der zusammenfassenden Darstellung vertritt Uekötter die These, dass der „Weg zum ökologischen Zeitalter“ (S. 28) bereits in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen habe. Die allmählich lauter werdende Kritik an dem in dieser Zeit deutlich steigenden Landschafts-, Ressourcen- und Energieverbrauch kulminierte um 1970 in eine Art „ökologischer Revolution“ (S. 30). Vormals getrennt betrachtete Phänomene wurden in der Politik und in der sich neu formierenden Umweltbewegung erstmals als zusammenhängende „Umweltprobleme“ behandelt. Es folgte eine „umweltpolitische Boomzeit“ (S. 35) in den 1970er und 1980er Jahren, in der umweltpolitische Maßnahmen sowie eine starke und breite ökologisch orientierte Protestbewegung eine „Ökologisierung der Gesellschaft“ (S. 35) einleiteten.

Der chronologischen Gliederung des enzyklopädischen Überblicks stellt Uekötter im Forschungsteil eine thematische Systematik gegenüber: Er widmet sich der Ideengeschichte der Natur, der Wald- und Forstgeschichte, setzt sich mit Fragen der Energieversorgung auseinander, geht auf Umweltverschmutzung, Stadthygiene, Naturschutz und Landschaftspflege ein, verfolgt die Ursprünge und Entwicklung der Umweltbewegung ebenso wie die Umweltgeschichte der Landwirtschaft und stellt das relativ junge Forschungsfeld der Naturkatastrophen vor. In diesem Literaturüberblick gelingt es Uekötter besonders gut, die Vielfalt und Breite umwelthistorischer Themengebiete und Forschungsansätze vorzustellen. Dabei überschreitet er deutlich den Rahmen des Bandes: Zwar liegt der Schwerpunkt auf der deutschsprachigen Literatur zum 19. und 20. Jahrhundert, jedoch berücksichtigt der Autor auch europäische und amerikanische Literatur zu Themengebieten, die weit über die neuere deutsche Geschichte hinausgehen. Damit demonstriert er, dass ein Vorzug der Umweltgeschichte genau darin liegt, dass ihre Gegenstände sich kaum an staatlichen Grenzen und zeitlichen Zäsuren orientieren. Wie so oft liegt ein großes Erkenntnispotenzial in der vergleichenden Betrachtung; das hat unter anderem Uekötter selbst mit seiner wissenschaftlichen Forschung gezeigt. Dennoch sind entsprechende Arbeiten auch in der Umweltgeschichte weiterhin ein Desiderat.

Der Autor versteht es, die beiden ersten Teile des Buchs gut ergänzend zu nutzen und zeigt immer wieder die Verschränkung von Umweltgeschichte mit anderen historischen Forschungsgebieten auf. Eine weitere Stärke des Bandes liegt in der Reflexion über das Selbstverständnis, zentrale Forschungsfragen sowie leitende Konzepte der Umweltgeschichte, die den Rahmen der Darstellung bildet. Uekötter versteht Umweltgeschichte als historische Subdisziplin, die „das Verhältnis von Mensch und Natur in der Geschichte analysieren möchte“ (S. 2). Der Ausgangspunkt sei die gegenwärtige Umweltdebatte und -situation, die „beängstigende Dimensionen angenommen“ habe und „zurecht als ökologische Selbstgefährdung des Menschen beschrieben“ worden sei (S. 1). Mit dieser stark wertenden Positionierung grenzt sich der Autor ebenso deutlich von einem starken konstruktivistischen Verständnis des Mensch-Umwelt-Verhältnisses wie von einer ökooptimistischen Interpretation der gegenwärtigen Situation ab (dazu S. 91). Dennoch versteht er Umweltgeschichte nicht als reine Niedergangsgeschichte, wie sie vor allem zu Beginn der umwelthistorischen Forschung in den 1980er Jahren oft interpretiert wurde. Vielmehr ermögliche der umwelthistorische Blick eine differenziertere Sichtweise. „Schädliche“ Veränderungen der Umwelt eröffneten oft Chancen für andere Tier- und Pflanzenarten (S. 5). Daneben sind auch die ideellen Voraussetzungen des Niedergangsparadigmas fraglich: Unter anderem wurden in den biologischen Disziplinen in den letzten Jahren das statische Naturideal zunehmend kritisiert und der ständige Wandel der Natur herausgearbeitet. (3) Uekötter geht allerdings nicht weiter auf die methodischen und erkenntnistheoretischen Fragen ein, die sich dem Umwelthistoriker stellen, der auch die Entwicklung der Umweltbedingungen beziehungsweise die jeweilige Eigendynamik der natürlichen Umwelt berücksichtigen möchte. Hier wird deutlich, dass der Autor Umweltgeschichte in erster Linie als historisches Teilgebiet betrachtet, als dessen thematischen Kern er die Geschichte der Umweltbewegung, die der Energiegewinnung und -nutzung, die der Umweltverschmutzung, sowie die Wald- und Forstgeschichte sieht. Demgegenüber bleiben der interdisziplinäre Charakter und die vielfältigen Verbindungen zu naturwissenschaftlichen Forschungs- und Wissensgebieten etwas schwach ausgeleuchtet, auch wenn der Autor mehrfach auf den Methodenpluralismus hinweist (etwa S. 88-92). (4)

Frank Uekötter ist ein Liebhaber pointierter Thesen und Urteile. Das hat den Vorteil, dass Standpunkte und Argumente klar als solche erscheinen und zum Nachdenken und Nachlesen anregen. An einigen Stellen erscheinen die Urteile des Autors allerdings etwas überzogen. So kanzelt er direkt am Anfang einen großen Teil der älteren umwelthistorischen Literatur als „besserwisserisch“, „ständig lamentierend“, „schwer lesbar“ und „analytisch belanglos“ ab (S. 5f.). Dass der Autor selbst dieses Urteil nicht ernst meint, zeigt die weitere Darstellung, in der er immer wieder auf Erkenntnisse der vorher abqualifizierten Literatur zurückgreift. Ob und inwiefern man die Entwicklung in den 1980er Jahren als „deutsche Sonderentwicklung“ (S. 35) bezeichnen kann, ist eine spannende Frage für die gerade erst beginnende zeit- und umwelthistorische Erforschung dieses Zeitraums. Als Urteil erscheint die Formulierung noch gewagt.

Insgesamt ist es Frank Uekötter gelungen, auf weniger als 100 Seiten einen konzisen und verständlichen Überblick über Erkenntnisse, Themen und Fragestellungen der Umweltgeschichte zu geben und dabei der großen Vielfalt der umwelthistorischen Themen und Problemstellungen gerecht zu werden. Das Buch fasst Erkenntnisse zusammen, stellt Standpunkte und Argumente vor und weckt Interesse für Fragestellungen und Themengebiete. Es eignet sich für eine Lektüre von vorne bis hinten ebenso wie als Hilfsmittel für das eigenständige wissenschaftliche Arbeiten. Historische Handbücher wenden sich an ein breites (Fach-)Publikum: an Studierende, Lehrende, Fachhistoriker, Vertreter benachbarter Disziplinen, Archivare, Journalisten und interessierte Laien. Es ist wünschenswert, dass dieses Handbuch zur Umweltgeschichte einen möglichst breiten Leserkreis findet. Dies könnte zur Versachlichung der aktuellen Umweltdebatte beitragen.

Birgit Metzger, Freiburg

Fußnoten:


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