ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Wolfgang Schiffer, Bäuerinnen-Bilder. Fotografien aus 50 Jahren Land- und Hauswirtschaft, hrsg. v. Josef Mangold und Gisbert Strotdrees, Landwirtschaftsverlag, Münster 2008, 120 S., geb., 19,95 €.

Alles war möglich bei der Frauenarbeit auf dem Lande zwischen 1945 und 1995. In der Außenwirtschaft auf Knien kriechend pflanzen und mit gebücktem Kreuz Feldfrüchte auflesen; mit Holzpflug und Ochsengespann die Furchen ziehen - dann mit dem Traktor; Sense, Forke, Garbenbinden - dann der Mähdrescher; auf dem Geflügelhof das gackernde Federvieh - dann die industrielle Hühner- und Eierproduktion; in der Milchviehhaltung Melken von Hand, Melkeimer am Fahrrad - danach das Melkkarussell; in der Vorratshaltung noch Weckgläser - und dann die Gefrieranlage; Dutt, Kopftuch, Kittelschürze, Gummistiefel, am Feierabend Strümpfe stopfen, mit Häubchen auf dem Kopf in der Hauswirtschaftsschule - aber auch Fönwelle, Jeans, Minirock und Lippenstift; Schreibkram für die Hofverwaltung - und der erste Computer im Büro.

Zogen Waschmaschinen, Kühl- und Gefrierschränke in die bäuerlichen Haushalte wirklich erst vor 40 Jahren ein? Kamen Bäuerinnen erst in den 1970er Jahren zu arbeitserleichternden Haushaltsgeräten wie Elektroherd, Wasserboiler, Wäscheschleuder, Staubsauger und Brotschneidemaschine? Ja, es war so; auf dem Lande klafften gegenüber den Städten vielmals Lücken in der Elektrifizierung.

Hochfliegende Versprechen der Nationalsozialisten zur technischen „Aufrüstung des Dorfs“, um alle Landhaushalte mit Elektrizität, fließendem Wasser und sanitären Anlagen zu versorgen, blieben Worthülsen. Es waren Wunschbilder, auch um die als „Landflucht“ diffamierte Land-Stadt-Migration zu verhindern. Rüstung und Krieg verschlangen alle Mittel. Statt elektrisch kochen zu können, wurde für Kochkisten geworben. (1) Um ihre Pflichten in der „Ablieferungsschlacht“ zu erfüllen, erhielten die Landfrauen zur angeblichen Arbeitserleichterung immer neue Merkblätter, die in Wirklichkeit die knappen Ressourcen und fehlenden Arbeitskräfte durch doppelte Körperkraft, Handarbeit und Improvisation verschleiern sollten. (2)

Erst im ‚Wirtschaftswunderland‘ Bundesrepublik Deutschland war es ab den 1950er Jahren so weit. Bis 1980 holten die bäuerlichen Betriebe den Rückstand auf, zumindest mit Gefriertruhen und Wäschetrocknern. Und die Landfrauen ließen sich voll Stolz an ihren modernen Apparaten und Maschinen von dem Agrarjournalisten Wolfgang Schiffer fotografieren. Nur noch ihre Schürze war Beweis ihrer Arbeit. Aussagekraft und Botschaft von Schiffers Fotografien in dem hier vorzustellenden Bildband bezeugen den Umbruch im ländlichen Arbeits- und Familienleben in Westdeutschland.

Wolfgang Schiffer (1927-1999) hinterließ eine Fotosammlung von 10.000 Schwarz-Weiß-Filmen mit 360.000 Einzelmotiven und 600.000 Papierabzügen, die im Archiv des Amts für rheinische Landeskunde - Landschaftsverband Rheinland in Bonn verwahrt und erschlossen werden. Es sind Pressefotografien aus der Feld-, Hof- und Hauswirtschaft. Deshalb fehlen bei vielen Aufnahmen Daten, Personen- und Ortsangaben; sie können daher als Bildquelle nur ungefähr eingeordnet werden. Bereits der erste, 2001 erschienene Bildband über Bauern in der Landwirtschaft machte aber die hohe Authentizität und Qualität von Schiffers Bildzeugnissen deutlich. (3)

Fast war es überfällig, dass nun auch die Bäuerinnen thematisch aufgegriffen werden, denn ein bäuerlicher Betrieb ohne Frau ist kaum denkbar. Schon 1930 schrieb die keineswegs als Frauenrechtlerin agierende Gertrud von Bredow keck: „Eine Frau kann ohne einen Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb leiten, ein Mann auf einer kleinen Wirtschaft ist ohne Frau hilflos.“ (4)

Bäuerinnen beim Füttern und Melken, im Stall, hinterm Ochsengespann und auf dem Trecker, beim Pflanzen und Ernten, beim Markthandel und auf Verkaufstour - ein breites Spektrum an von Frauen geleisteten, allerdings zum Teil eigentlich Männern vorbehaltenen Arbeiten sind auf 102 großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien zu sehen. Es tut dem Auge gut, sich auf Grautönen ausruhen zu können, nachdem das Bauernleben im Fernsehen („Bauer sucht Frau“) knallbunt verkitscht zu Soaps verkommt und im Internet die bäuerliche Realität mit „Farmtown“, „My-Farm“ oder „Farmville“ wie Disneyland aussieht. Der Nuancenreichtum von Schiffers schwarz-weiß-grauer Tönung ermöglicht dagegen, den Gedanken freien Lauf zu lassen, und erschließt eine Realität hinter den gezeigten Motiven. Manche der knappen Bildunterschriften wirken allerdings recht einfallslos.

Die informativen Begleittexte von Gisbert Strotdrees, Monika Kania-Schütz und Ira Spieker sind auch deshalb unverzichtbar; sie widmen sich der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, den festgeschriebenen oder sich verändernden Geschlechterrollenbildern, emanzipatorischen Ansätzen in der ländlichen Frauenarbeit und der Arbeitsbelastung in Haus und Stall, im Garten und auf dem Feld. Mitherausgeber Strotdrees zeigt in zwei Aufsätzen die sich neu gestaltende Landfrauenrolle, Bildungs- und Ausbildungsbemühungen und das Selbstverständnis der Bäuerinnen. Statistisches Material belegt den technischen Fortschritt in den Landhaushalten. Aber: Elektrische Hilfsgeräte machten aus der Bäuerin „BauersFrau“, Frauen, die mehr im Haushalt arbeiteten als für Gartenprodukte und Kleinvieh. Das in der Weimarer Republik einst breitgefächerte Professionsangebot verengte im ‚Wirtschaftswunder‘ Bäuerinnenarbeiten auf das normative Szenario der Familienarbeit. Trotz Qualifizierung und Professionalisierung blieb das weibliche Rollenbild der Hauswirtschaft verhaftet. (5) Obwohl seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein Landwirtschaftsstudium auch für Frauen möglich war, kaprizierten sich selbst promovierte Diplom-Landwirtinnen auf die ländliche Hauswirtschaftswissenschaft.

Dennoch: Aus (statistisch) „mithelfenden Familienangehörigen“ wurden ausgebildete Bäuerinnen, die ihre Arbeitskraft rationell und effektiv statt zuvor beliebig einsetzten. Sie steigerten die Produktion und fanden über die Identifikation mit ihren Höfen berufliche Bestätigung. Bestrebungen zur Gleichberechtigung wurden im Ansatz der bäuerlichen Familienwirtschaft untergeordnet; an der geschlechtsspezifischen Rollenzuweisung wurde nicht gerüttelt. Doch das modernisierte Berufsbild der Bäuerin führte zu Frauen, die sich zwar ihrer zugeschriebenen Rolle und den betriebswirtschaftlichen Anforderungen der Höfe fügten, die aber an ökonomischen Erfolgen teilhatten und gegenüber städtischen Hausfrauen ein berufliches Selbstbewusstsein entwickelten.

Genuin weibliche Arbeiten wie Füttern und Melken führten durch Technisierung und Automatisierung im Stall zu neuen Fütterungsmethoden und Melkmaschinen. Mechanisierung auf dem Feld und Strukturwandel eröffneten Frauen neue Arbeitsfelder. Rasantes Höfesterben und Arbeitskräftemangel brachten vor allem Kleinbäuerinnen in Nebenerwerbsbetrieben Mehrbelastungen ein und waren dennoch ein emanzipatorischer Fortschritt. Wie Ira Spieker belegt, äußerten sich die Landfrauen zufrieden über ihr selbstbestimmtes Wirtschaften im Umgang mit der Natur, mit Pflanzen und Tieren, nicht zuletzt wegen der Einheit von Arbeitsplatz und Familie.

Josef Mangold entwirft schließlich ein Porträt des Fotografen Wolfgang Schiffer als dem „Auge der Landwirtschaft“.

Gewiss, es ließe sich mehr sagen zur Ikonografie, zum Quellenwert, zur Auswahl und zur Anordnung der Bilder. Warum nur wurden die Bilder alle mit schwarzem Trauerrand versehen? Die mimische Besserwisserei von „Fachmännern“ und die Models vom Lande bei einer Modenschau sind doch nicht trostlos, sondern reizen zum Lachen. Die wertvolle Publikation schließt anschaulich eine Lücke auf dem Gebiet der weiblichen Arbeitstradition auf dem Lande, auf dem es noch etliches zu erforschen gilt.

Anke Sawahn, Hannover

Fußnoten:


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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE 13. Juli 2010, (Korrektur: 27.9.2010)