ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Jane E. Calvert, Quaker Constitutionalism and the Political Thought of John Dickinson, Cambridge University Press, New York 2009, XIV + 382 S., geb., 55,00 £.

Calverts Buch schlägt einen eindrucksvollen Bogen von der Entstehung der Quäker in den 1650er Jahren bis zu Martin Luther King in den 1960er Jahren. Rund zwei Drittel des Werks widmet sie der Entstehung, Theorie und Praxis der Verfassungskonzeptionen der Quäker bis 1763, während das verbleibende Drittel auf das „politische Quäkertum John Dickinsons“ von 1763 bis 1789 und einen Epilog entfällt. Auf diese Weise erhalten wir nicht nur eine fundierte Einführung in das Denken der Quäker über staatliche Ordnung und ihre Politik des zivilen Widerspruchs gegen unrechtmäßige Ordnung und über die Kultur des religiös begründeten Abweichlertums, sondern auch in die politischen Anfänge von Pennsylvania und die politischen Auseinandersetzungen mit der Eigentümerregierung und zwischen den Quäkern und den übrigen Bevölkerungsgruppen der prosperierenden Kolonie. Was Calvert dabei darlegt, ist nicht immer neu, doch vieles weiß sie in eine überzeugende Perspektive zu stellen dank der Verknüpfung mit traditionellen beziehungsweise zentralen Elementen des politisch-theologischen Diskurses der Quäker.

Das gilt zu einem großen Teil auch für ihre Behandlung von John Dickinson, der zentralen Figur ihrer Darstellung, einem der reichsten Amerikaner seiner Epoche und einer der umstrittensten Persönlichkeiten aus der Zeit der amerikanischen Revolution, der 1768 mit seinen „Letters from a Farmer in Pennsylvania“ zu quasi nationaler Bedeutung aufstieg, um dann mit seiner Ablehnung der Unabhängigkeitserklärung in den Geruch des Verräters zu geraten, der aber eben nicht zum Loyalisten wurde und das Land verließ, sondern politisch weiter aktiv blieb. Mit seiner Bekämpfung der Verfassung von Pennsylvania von 1776 fand er zurück in die Reihen der eher konservativen politischen Elite und erlangte schließlich bei der Schaffung der Bundesverfassung von 1787 noch einmal für kurze Zeit nationale Beachtung.

Das Buch liegt mit seiner Zugangsweise voll im Trend heutiger konservativer amerikanischer Bemühungen, die Bedeutung der Religion für die Entstehung der Vereinigten Staaten herauszustreichen, wie diese im März 2010 in der Revision der texanischen Schulbuchinstruktionen ihren bislang jüngsten politischen Ausdruck fanden. Dass es sich bei der Religion um eine Komponente handelt, die, so weit sie trägt, Beachtung verdient, war und ist unbestritten. Dass sie als alleiniger Erklärungsmaßstab ungeeignet ist, wird erneut durch Calverts Buch belegt. Schon die Gewichtung der Teile verwundert, umso mehr aber die Tatsache, dass das Quäkertum zur einzigen Begründung von Dickinsons politischem Denken herangezogen wird, obwohl er nie praktizierender Quäker war. Hätte nicht gerade dieser Punkt die Autorin dazu veranlassen müssen, stärker darüber nachzudenken, warum Dickinson diesen letzten Schritt trotz Herkunft und Familie nicht vollzog und welche intellektuellen Faktoren, die sein Denken und Handeln bestimmten, ihn daran hinderten? Es ist diese fehlende Perspektive und damit überhaupt das Fehlen einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrem Untersuchungsgegenstand, die man Calvert wird vorhalten müssen.

Allein aufgrund dieses Fehlens ist es wohl zu erklären, warum in diesem Buch, in dem es doch um Constitutionalism und Dickinson geht, die einzige Verfassung, auf deren Entstehen Dickinson nachweislich maßgeblichen Einfluss hatte, nämlich die Verfassung von Delaware von 1792, überhaupt nicht behandelt wird. Dickinson war nachvollziehbarerweise vehementer Gegner der Pennsylvania Verfassung von 1776. Doch seine Einstellung zu ihrer verfassungswidrigen Abschaffung und Ersetzung durch die Verfassung von 1790 kommt ebenso wie seine Haltung zur letzteren in dem Buch nicht vor. Ohnehin hat Calvert die Verfassung von 1776 auf lediglich zwei, inhaltlich sehr dürftigen Seiten abgehandelt (S. 253-255), während sie seiner Gegnerschaft zu ihr immerhin sechs Seiten widmet (S. 255-261), die allerdings ebenfalls nicht zu den Glanzstücken des Buches gehören. Nach seiner Ausbildung war Dickinson Jurist, und nicht allein während seiner Zeit am Middle Temple, sondern auch zurück in Amerika hat er sich intensiv mit William Blackstone, dem bedeutendsten Theoretiker des Common Law seiner Zeit, der einen prägenden Einfluss auf das amerikanische Rechts- und Verfassungsdenken ausübte, beschäftigt. Doch dessen Name taucht in dem ganzen Buch kein einziges Mal auf.

Ohne Zweifel spielten das Quäkerdenken und die von Quäkern geprägte Geschichte Pennsylvanias für John Dickinson und seine politischen und verfassungsrechtlichen Anschauungen eine wesentliche Rolle, und es ist das unbestreitbare Verdienst des Buchs von Calvert, dies stärker als es in früheren Darstellungen der Fall gewesen ist, herausgestrichen zu haben. Doch es gehört zu einer wissenschaftlichen Darstellung, den eigenen Ansatz und sein Erkenntnisziel kritisch zu evaluieren und in eine umfassendere Perspektive einzuordnen. Dies aber bleibt das Werk uns leider schuldig.

Horst Dippel, Kassel


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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE 13. Juli 2010