ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, C. H. Beck Verlag, München 2009, 749 S., geb., 29,90 €.

In der unübersichtlichen Forschungslandschaft zu Carl Schmitt stellt Reinhard Mehring eine fraglose Autorität dar, hat er doch in zahlreichen Detailstudien die unterschiedlichen Verästelungen des politisch-theoretischen Werks erkundet und daneben zahlreiche Einsichten zum Lebensweg des umstrittenen Juristen zusammengetragen. Die Quintessenz dieser Beschäftigung lässt sich jetzt einer umfassenden Biografie entnehmen, die im letzten Jahr unter reger Beachtung der wissenschaftlichen wie der politisch interessierten Öffentlichkeit erschienen ist und die für ihren Gegenstand ohne Vorbild ist.

Staunenswert ist zunächst die Materialfülle, die der Autor verarbeitet hat. Schicht um Schicht des riesigen, in Düsseldorf deponierten Nachlasses hat Mehring abgetragen und besonders in den bislang kaum herangezogenen, da nur äußerst mühselig zu dechiffrierenden Tagebüchern eine einzigartige Quelle gefunden. Grundstürzende Neuentdeckungen sind dabei zwar nicht zutage getreten, aber Mehring kann seine Darstellung der Motive und Motivationen Schmitts plausibler entwickeln und empirisch stichhaltiger abstützen als sämtliche bisherigen Deutungen. Wenn sich der Grundtenor also nur unwesentlich von älteren biografischen Studien unterscheidet und daneben auch nicht einer scharf geschnittenen Fragestellung verpflichtet ist, bietet er doch eine ungemein breit belegte, detailgetreue Rekonstruktion des Lebenswegs.

Mit einem ebenso konventionellen wie soliden Zugriff gliedert Mehring die Biografie von Schmitt in vier chronologische Etappen, in denen sich zugleich der Wechsel der politischen Systeme in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts spiegelt: Der wilhelminischen Kindheit, Jugend und Studienzeit folgen die akademischen Aufstiegs- und Glanzjahre in der Weimarer Republik; an das Engagement und die Enttäuschung im Nationalsozialismus schließt sich nach 1945 die langjährige Rolle als intellektueller Außenseiter der westdeutschen Staatslehre an. Diese Einteilung ist sinnvoll, und auch die Proportionen - die Weimarer Jahre dürften den mit Abstand größten Raum beanspruchen - sind stimmig verteilt.

Schon im ersten Teil beeindruckt Mehring mit einer bislang unerreichten Detailschärfe, denn über Schmitts familiäre Hintergründe, seine frühen Erfahrungen und Ansprüche lagen bislang nur wenig empirisch abgesicherte Kenntnisse vor. Während die von anderen Autoren herausgestellte Bedeutung der katholischen Prägungen differenziert (und abgemildert) wird, hebt Mehring vor allem den unbedingten Aufstiegs- und Leistungswillen hervor, mit dem Schmitt seinem kleinbürgerlichen Herkunftsmilieu und einer kränkenden finanziellen Abhängigkeit zu entfliehen trachtete. Zwar setzte dieses Streben nach Unabhängigkeit, Geltung und Einfluss ungeheure Kräfte der Selbstmobilisierung frei, doch seine lebenslangen Ängste des Zurückgesetztseins und der Ausgrenzung konnte Schmitt offenbar nie wirklich überwinden.

Der nachfolgende Teil behandelt die akademischen und publizistischen Erfolge von Schmitt im ungeliebten Weimarer Staat. In schneller Abfolge publizierte er seit Beginn der 1920er Jahre eine Reihe zentraler politisch-juristischer Schriften, die sich bei näherer Betrachtung zwar als schmale Broschüren entpuppen, gleichwohl oder gerade deswegen für Aufsehen in der politischen Öffentlichkeit sorgten und ihren Autor in der akademischen Welt rasch aufsteigen ließen. Während die Jahre an der Universität Bonn aus Schmitt einen renommierten Staatsrechtslehrer machten, der eine Reihe ehrgeiziger Schüler anzog (mit deren unterschiedlichen Erwartungen und Ansätzen er recht tolerant umging), zog es ihn schlussendlich doch nach Berlin und damit in die Nähe der maßgeblichen politischen Entscheidungszentren.

Diese Annäherung an die Politik führte Schmitt nicht nur in das Umfeld des Präsidialsystems der Weimarer Endzeit, sondern auch zu seinem Engagement für die NS-Diktatur, das im dritten Teil des Buchs im Mittelpunkt steht. Über die Beweggründe, die ihn im Frühjahr 1933 so rasch, bedingungslos und geradezu blindlings auf nationalsozialistischen Kurs einschwenken ließen, ist viel gerätselt worden, und Mehring bietet nicht weniger als 42 mögliche Argumente an (S. 311f.). Zu den wichtigsten Motiven gehört dabei offenkundig eine unstillbare Sehnsucht nach praktischer Sinngebung und politischer Relevanz der eigenen juristischen Theoriearbeit. Mit geradezu eskalierendem Anerkennungsehrgeiz widmete sich Schmitt zu Beginn der Diktatur der universitären Jurisprudenz des NS-Staats und versuchte, sich in allerlei Positionen und Ämtern unentbehrlich zu machen. Dass dies auch den mutwilligen „Beziehungsbruch und Freundesverrat“ (S. 316) hinsichtlich seiner jüdischen Bekannten einschloss, weist Mehring vor allem anhand der Beziehung Schmitts zu seinem Lektor Ludwig Feuchtwanger nach.

Gleichwohl konnte Schmitt im NS-Regime keine nachhaltige Befriedigung seiner Ambitionen finden. Von mächtigeren Kräften an die Seite gedrängt, musste er sich ohnmächtig eingestehen, dass die Diktatur nur wenig Bedarf an rechtstheoretischer Sinngebung hatte. Zunehmend verlegte er sich auf völkerrechtliche Betrachtungen, die mühelos die Zäsur von 1945 überspringen konnten und deren luizide Thesen in der politikwissenschaftlichen Literatur der letzten Jahre einen neuen Rezeptionsschub erlebt haben. Selbst vermochte Schmitt, worauf der vierte Teil hinweist, nach Kriegsende allerdings nicht mehr in die akademische Respektabilität zurückzukehren. Wie schon in anderen Untersuchungen (unter anderem von Dirk van Laak (1)) aufgezeigt, musste er in der Bundesrepublik auf anderen Feldern nach Anerkennung und Bestätigung suchen, und nicht zuletzt deshalb strickte er unablässig an einem vielfältigen Korrespondenz- und Kommunikationsnetzwerk, das auf ambitionierte Nachwuchsjuristen durch die Fama exklusiver und esoterischer Teilhabe durchaus attraktiv wirkte.

Ist die Lektüre des Buchs auch ungemein bereichernd, ein Vergnügen ist sie zunächst nicht. Das liegt weniger an den systematisierenden, politikwissenschaftlichen Einschüben, mit denen Mehring die Essenz der Schriften Schmitts darstellt und die den Leser etwas ratlos zurücklassen, und auch nicht allein an den antisemitischen Ausfällen Schmitts oder an seinen exakt aufgewiesen menschlichen Fehlbarkeiten. Vielmehr ist Mehrings Sprachstil der kurzen, holzschnittartigen und knorrigen Sätze teilweise von einer professoralen Verschrobenheit, die vor allem anfänglich ungemein störend daherkommt. Auf der anderen Seite setzt im Verlauf der Lektüre ein eigentümlicher Gewöhnungseffekt ein, so dass der Stil zuletzt fast schon sympathisch wirkt als Ausdruck einer ebenso unzeitgemäßen wie eigenwilligen wissenschaftlichen Schreibform.

Im Ganzen überwiegen mithin die unbestreitbaren Vorzüge. Als detaillierte, unmittelbar aus den Quellen gearbeitete Biografie zu Carl Schmitt dürfte Mehrings Studie auf längere Sicht uneinholbar sein. Der Lebensweg des ebenso sprunghaften wie charismatischen Denkers des Politischen hat hier seinen bislang genausten Nachvollzug und seine plausibelste Interpretation gefunden, und Mehring hat damit einen tragfähigen Grund gelegt, um sich wieder verstärkt mit Schmitts Theorien jenseits von simplifizierenden lebensgeschichtlichen Zurechnungen und vermuteten biografischen Spiegelungen auseinanderzusetzen.

Marcus M. Payk, Berlin

Fußnoten:


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