ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Peter E. Fäßler, Globalisierung. Ein historisches Kompendium, Böhlau Verlag, Köln/Weimar etc. 2007, 240 S., kart., 14,90 €.

Die Literatur zum Thema „Globalisierung“ füllt mittlerweile ganze Bibliotheken. Vor allem in der Politikwissenschaft, der Ökonomie und der Soziologie wurden in den letzten zwei Jahrzehnten unzählige Seiten zu diesem Thema geschrieben. Zunehmend liefert aber auch die Geschichtswissenschaft Beiträge. (1) Peter E. Fäßler, mittlerweile Professor an der Universität Paderborn, möchte den Forschungsstand mit seinem historischen Kompendium erschließen. Das als Studienbuch für „angehende Historikerinnen und Historiker“ konzipierte Werk soll „Orientierungshilfe“ und „Strukturierungsangebote“ liefern und so einen „Einstieg in die Geschichte der Globalisierung“ vermitteln (S.9).

Dabei entscheidet sich der Autor für die Verbindung einer chronologischen mit einer strukturgeschichtlichen Darstellung (Teil A und B). Der abschließende Teil C enthält in Thesenform den möglichen „Beitrag der Geschichtswissenschaft zur Globalisierungsdebatte“, außerdem sollen hier „Chancen des Forschungsfeldes“ für die historische Arbeit dargestellt werden. Dadurch unterscheidet sich der Band von Jürgen Osterhammels und Niels P. Peterssons einführender „Geschichte der Globalisierung“. (2)

Dieser Dreiteilung vorangestellt ist ein Abschnitt zur Definition der Globalisierung. Eingeleitet wird dieses Kapitel mit dem Fallbeispiel der globalisierten Spielzeug-Puppe „Barbie“, das aber im Fortgang des Buchs nicht mehr aufgegriffen wird. „Globalisierung“ wird in diesem Buch als „Prozess“ betrachtet, der durch die Ausweitung „sozialer Interaktion“ (,,Expansion“), „Netzwerkverdichtung“, „globale Wechselwirkungen“ (,,Reziprozität“) und den „strukturellen Umbau einbezogener Gesellschaften“ (,,Transformation“) gekennzeichnet sei. Insgesamt handele es sich um ein „langfristiges, historisches Kontinuum“.

Die Chronologie der Globalisierung (Teil A) unterteilt der Autor in sechs Phasen. Die Zeit bis 1500 bildet die „Präglobale Epoche“, die Jahre von 1500 bis 1840 werden als „Protoglobalisierung“ bezeichnet. Die erste - nach der zugrundeliegenden Definition - Phase der Globalisierung beginnt um 1840 und endet mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die folgende Periode von 1914 bis 1945 kennzeichnet der Verfasser treffend als eine „Zeit der Gegenläufe“, die durch „Desintegration und Integration“ gekennzeichnet ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt die „zweite Globalisierungsphase“. Sie wurde durch die Bipolarität des Kalten Kriegs geprägt. Schließlich setzte 1990 die bis heute andauernde „dritte Globalisierungsphase“ ein. Diese Phaseneinteilung folgt den konventionellen Periodisierungen, wobei Fäßler richtigerweise den Jahresangaben „jeweils nur eine ungefähre Orientierung“ einräumt (S. 49). (3)

Teil B stellt die „vier Teilstrukturen der Globalisierung“ über die einzelnen Phasengrenzen des Teils A hinweg dar: die Transport- und Kommunikationssysteme, die wirtschaftstheoretischen Leitideen und deren politische Praxis, die Global Players (multinationale Unternehmen und internationale Organisationen) sowie den politischen, sozioökonomischen und kulturellen Transformationsdruck. Fäßler liefert damit einen diachronen Überblick und eröffnet eine weitere Perspektive auf das Phänomen der Globalisierung. Dies ist der originellere Abschnitt des Buchs, da hier zutreffende Erklärungen und Hintergründe geliefert werden und der Prozesscharakter der Globalisierung verdeutlicht wird. Anhand der eingängigen Erläuterungen zum Wandel der Transport- und Kommunikationssysteme werden die basalen technischen Grundlagen der Globalisierung sehr gut herausgearbeitet. Die Betrachtung der Akteursebene, der Global Players als „Gestalter, Antreiber, Getriebene“, liefert die Erkenntnis, dass die Globalisierung nicht nur von profitorientierten internationalen Großkonzernen bestimmt wird, sondern auch Ansätze zu einer globalen Zivilgesellschaft in Form der Nichtregierungsorganisationen enthält. Auch sind die Global Players nicht von den Wechselwirkungen der Globalisierung ausgeklammert, sondern sowohl Objekt als auch Subjekt der globalen Transformation. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Erwähnung der ideellen Hintergründe der Globalisierung, namentlich des Liberalismus in seinen verschiedenen Ausprägungen. Dieser Abschnitt fällt aber etwas zu knapp aus; so wird beispielsweise der „embedded liberalism“ des Bretton-Woods-Systems nicht erwähnt und die monetaristische Schule Milton Friedmans mit dem Begriff „neoliberal“ gleichgesetzt. Angesichts der vom Autor im Globalisierungsdiskurs als „wenig hilfreich“ charakterisierten Zuschreibung „neoliberal“ hätte hier etwas mehr Begriffsgeschichte gut getan.

Im letzten Teil C formuliert der Autor sieben Thesen zur Geschichte der Globalisierung, die insgesamt den Anspruch des Buchs, nämlich einen Beitrag zur Globalisierungsdebatte zu leisten sowie Chancen des Forschungsfelds für Historiker aufzuzeigen, erfüllen. Dies gilt zum einen hinsichtlich des historischen Charakters des Globalisierungsprozesses selbst, zum anderen für die Möglichkeit einer „Reinterpretation“ vergangener Ereignisse mit Hilfe der Globalisierung als „heuristische[r] Hilfestellung“ (S. 24).

Dem Zweck eines Einführungsbands entsprechend wurden „Info-Boxen“ und „Stichworte“ im Text hervorgehoben platziert. In den „Info-Boxen“ werden wichtige Elemente der jeweiligen Kapitel zusammengefasst, die „Stichworte“ erläutern bestimmte Begriffe oder Sachverhalte. Ob die Auswahl der Stichworte immer gelungen ist, mag dahingestellt bleiben; so werden zum Beispiel das Weltsozialforum und attac beleuchtet, während die G8-Runde in diesem Rahmen unerwähnt bleibt.

Eine Auswahlbibliografie enthält grundlegende Darstellungen zum Thema „Globalisierung“, geordnet nach Quellen, Überblickswerken, Einzelthemen, Zeitschriften und Internet-Links. Hier wäre - gerade angesichts der Fülle der Literatur - eine umfassendere Auflistung hilfreich gewesen. So fehlen einige relevante Werke, besonders zur jüngeren Geschichte der Globalisierung. (4) Verwirrend ist auch die doppelte Auflistung einzelner Bücher in verschiedenen Kategorien, so ist zum Beispiel Hans Pohls Darstellung „Aufbruch zur Weltwirtschaft“ sowohl unter den Überblickwerken als auch unter dem Einzelthema „Chronologie“ aufgeführt. (5) Schwer nachvollziehbar ist die teilweise Auslassung der im Text annotierten Spezialliteratur in der Bibliografie; diese hätte, den Gepflogenheiten eines Anmerkungsapparats entsprechend, ohne Weiteres Eingang in das Literaturverzeichnis finden können.

Insgesamt bietet der Band von Peter Fäßler eine gelungene Einführung in das Thema. Die Kombination von chronologischer und strukturgeschichtlicher Darstellung erweist sich als sehr gewinnbringend. Vor allem aber stellt der Band die Vorzüge einer historischen Betrachtung der Globalisierung überzeugend heraus, was für den anvisierten studentischen Leser sowohl Nutzen bietet als auch Anreize für die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit der Globalisierung setzt.

Michael Dominik Schaaff, Berlin

Fußnoten:


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