ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Michael Allen, Live from the Moon. Film, Television and the Space Race, I. B. Tauris, London/New York 2009, XXV + 214 S., geb., 54,99 €.

Die im Rahmen der Apollo 11-Mission ausgestrahlten (Fernseh-)Bilder der ersten bemannten Mondlandung am 21. Juli 1969 gehören ohne Frage zu den Bildikonen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie sprechen bis heute ein globales Publikum an, auch wenn sich die Nacherzählung des historischen Ereignisses auf nur einige wenige Aufnahmen der Raumfähre Eagle und ihrer Besatzung beschränkt. Hinter dieser visuellen Verdichtung verbergen sich, wie Michael Allen, Senior Lecturer für „Film & Electronic Media“ am Birkbeck College der University of London, plastisch nachzeichnet, allerdings eine Vielzahl weiterer Erzählstränge, ohne die das Ereignis in seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung kaum zu erfassen ist: Zum einen war die Mondlandung kein singuläres Geschehen, sondern das Ergebnis einer langen Reihe von erst un- und später bemannten Raumfahrtprogrammen der NASA. Zum anderen bildete der Wettlauf um die Eroberung des Alls, das sogenannte „Space Race“, einen der Kernbestandteile des Kalten Kriegs. Eine dritte Entwicklung gerät zudem oft in Vergessenheit oder wird als selbstverständlich wahrgenommen: Die technischen Innovationen im Bereich Film und Fernsehen sowie der Kamera- beziehungsweise Satellitentechnik, die entscheidend dazu beitrugen, dass die Mondlandung überhaupt in das visuelle Gedächtnis der Menschheit eingehen konnte.

Und genau diese rückt Allen in den Mittelpunkt seiner Darstellung: Das Fernsehen war spätestens in den 1960er Jahren zu einem integralen Bestandteil der amerikanischen „audio-visual, moving picture news nation“ (S. xiv) geworden. Der politische Systemgegensatz kann deshalb auch als eine Opposition des Sichtbaren und des Unsichtbaren, der offenen westlichen Demokratie der USA und der „closed society“ der UdSSR, interpretiert werden (S. xii, 88), auch wenn beide Staaten gleichermaßen auf die nahezu uneingeschränkte Nutzbarkeit von Film und Fernsehbildern im Rahmen der politischen Propaganda zurückgegriffen haben. Die Eroberung des Alls stand überdies in einer direkten Verbindung zu einem der amerikanischen Urmythen schlechthin, der „frontier-thesis“ (F. J. Turner), die bei der Ausdehnung des Siedlungsgebiets nach Westen die jeweilige Übergangslinie von (amerikanischer) Zivilisation und Wildnis beschrieb. Als ein „Ersatz‘ im unendlichen Weltall bot sich als technisch-pragmatisches Nahziel allein die Land- beziehungsweise Inbesitznahme des weltweit am Nachthimmel sichtbaren Monds an (S. xx, 130f.). Ausgehend von diesen Grundannahmen vermag Allen plausibel eine gängige technikgeschichtliche Lesart hinterfragen, nach der das Sublime - für Allen verkörpert im Blick auf die aus dem All klein und zerbrechlich wirkende Erde - in der Technik jeweils nur durch den einzelnen Menschen selbst erfahren werden könne (D. E. Nye): Gerade die kurz zuvor eingerichteten weltumspannenden Satellitenverbindungen und die globale Gleichzeitigkeit der Fernsehübertragung legen es stattdessen nahe, von einem „sublime event“ (S. xxii) zu sprechen, an dem größere Gruppen von Zuschauern weltweit teilnehmen konnten.

Die einzelnen Kapitel des Buchs zeichnen das „Space Race“ chronologisch und hauptsächlich aus US-amerikanischer Perspektive nach. Ihnen vorangestellt ist ein Kapitel, das sich mit fiktionalen Zugängen zur Erkundung des Weltraums in Kunst, Literatur und später auch in Radio, Film und Fernsehen beschäftigt. Hier sieht Allen die Basis für eine spezifische Ikonografie der Reisen in den Weltraum, die mit der bemannten Raumfahrt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Realität werden sollte (S. 15). Das zweite Kapitel untersucht die Beziehungen zwischen Raumfahrt und den Medien Film und Fernsehen. Neben der Dokumentation, Katalogisierung und Analyse der Flüge ins All legte die NASA von Anfang an auch Wert auf die öffentliche Einbettung der Weltraumprojekte - als Missionen (im Namen des) amerikanischen Volks. Kapitel drei und vier widmen sich den ersten in den Erdorbit geschossenen Kommunikations- und Spionagesatelliten, dem sowjetischen Sputnik und den amerikanischen Vanguard und Explorer. Die Raumsonden, die nur wenige Jahre später zu den Planeten Mars, Jupiter und Saturn geschossen wurden (Ranger, Luna, Mariner und Pioneer), sollten während ihrer langen Reise zum Teil erst Ende der 1980er Jahre eindrucksvolle Bilder aus den Weiten des Weltraums und von ihren Zielplaneten an die Bodenstationen liefern. Im Mittelpunkt der folgenden beiden Kapiteln stehen die propagandistisch ausgeschlachteten und auch aus einem technisch-wissenschaftlichen Blickwinkel betrachtet außergewöhnlich erfolgreichen Weltraumprogramme der frühen 1960er Jahre: Die Mercury- und Gemini-Serien auf amerikanischer, die Wostok- und Woschod-Serien auf sowjetischer Seite, die erneut in „the full glare of the media spotlight“ beziehungsweise in „relative secrecy“ (S. 75) vorangetrieben wurden. Nachdem sich am 12. April 1961 mit Juri Gagarin der erste Mensch im Weltall aufgehalten hatte, erreichte das Rennen, auf beiden Seiten von Film- und Fernsehbildern für die Bevölkerung begleitet, in schneller Folge neue technische Höhepunkte. Im Mittelpunkt der drei abschließenden Kapitel stehen die Apollo-Projekte, mit denen es den Amerikanern schließlich gelingen sollte, das „Space Race“ für sich zu entscheiden, während die sowjetischen Sojus-Missionen am Ende nur kleinere Erfolge verbuchen konnten. Die ersten Schritte eines Menschen auf dem Mond waren auch in visueller Hinsicht bereits mit den Vorgängermissionen vorbereitet und in Simulationen dem Fernsehpublikum vorgestellt worden. Interessant sind dabei vor allem auch die vielfältigen technischen Aspekte, die in der verdichteten und zugespitzten kollektiven Erinnerung kaum Beachtung gefunden haben: „the landing aurally experienced and witnessed, but not seen live; the moonwalk seen live, but imperfectly witnessed in its degrated televisual quality“ (S. 155).

Michael Allen gelingt es auf überzeugende Weise deutlich zu machen, wie die audiovisuellen Darstellungen der Weltraumfahrt, insbesondere die Mondlandung - Ereignisse, die nur für eine kleine Handvoll von Menschen auch haptisch erfahrbar wurden, - selbst zu Ereignissen beziehungsweise dem Ereignis selbst wurden: Als Spuren eines zum Teil nur schemenhaft zu erahnenden Geschehens wie auch als zeitgenössische Aufnahmen für die Vorstellungs- und Erinnerungswelten der Bevölkerung. Von einigen längeren Abschnitten abgesehen, die sich allein mit technischen Details einzelner Kamerasysteme befassen, ist Allen eine gut lesbare und in Ansätzen sogar packende Beschreibung des „Space Race“ aus technik- beziehungsweise mediengeschichtlicher Sicht gelungen. Gerade die Verknüpfung verschiedener Erzählstränge (nationale Weltraumprogramme, Kalter Krieg, Telekommunikationstechnik und Entwicklung des Fernsehens) macht das Buch nicht allein für Technik- oder Zeithistoriker interessant: Während Raketen, Raumfähren, Menschen und Kamerasysteme zwischen 1957 und 1972 in den Orbit gesandt wurden, kehrten vor allem Bilder als ‚Zeugen‘ zurück zur Erde. Da aktuell keine neuen Flüge zum Mond geplant sind, bestimmen diese Bilder weiterhin unsere Sicht auf die Weiten des Weltraums. Umso wichtiger ist es deshalb, deren konkrete Entstehungsbedingungen in Erinnerung zu rufen und historisch einzuordnen.

Cord Arendes, Heidelberg


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