ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Christian Plöger, Von Ribbentrop zu Springer. Zu Leben und Wirken von Paul Karl Schmidt alias Paul Carell, Tectum Verlag, Marburg 2009, VII + 475 S., geb., 34,90 €.

Der „mehr als fragwürdigen“ Tätigkeit (1) - nicht nur im ‚Dritten Reich‘ - des 1911 in Kelbra/Thüringen geborenen Kieler NS-Studentenbundfunktionärs, Pressesprechers im Auswärtigen Amt unter Joachim von Ribbentrop und Nachkriegs-Geschichtsautoren Paul Karl Schmidt widmet sich der Journalist und Soziologe Christian Plöger in einer Biografie. Diese versucht einen werkbiografischen Zugang zur Person und zum schriftstellerischen Oeuvre desjenigen Mannes, der als Propagandist nationalsozialistischer Ideologie und Außenpolitik, aber auch als revisionistischer Geschichtsschreiber und Journalist mit zahlreichen Publikationen über den Zweiten Weltkrieg zugleich Täter wie selbststilisiertes Opfer und als Autor wie Berater des Verlegers Axel Springer nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der Pressegeschichte und der Geschichtspolitik in drei deutschen Staatssystemen war.

Die äußeren Lebensdaten sind seit den 1960er Jahren und insbesondere seit einer Veröffentlichung des Karlsruher Geschichtslehrers Wigbert Benz bekannt (2), auf dessen Arbeit sich Plögers an der Universität Münster eingereichte Dissertation insbesondere stützt. Schmidt, aus kleinbürgerlichem beziehungsweise einem „(struktur-)konservativ geprägten, ländlichen Handwerkermilieu“ (S. 43f.) stammend, studierte nach dem Abitur 1931 an der Christian-Albrechts-Universität Kiel Psychologie, Philosophie und Pädagogik und promovierte dort 1936. Bereits zu Schülerzeiten in den Jungdeutschen Orden und 1931 in die NSDAP eingetreten, avancierte er 1933 zum Vorsitzenden der Kieler Studentenschaft, 1935 zum stellvertretenden Gaustudentenführer im NS-Studentenbund und betätigte sich in Kiel als Parteiredner und politischer Dozent, im Rahmen der von der NS-Studentenschaft organisierten Bücherverbrennung als „Leiter des Kampfausschusses wider des undeutschen Geist“ und als Korporationsstudent in einer schlagenden Verbindung. Nach einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent am Psychologischen Institut unter Johannes Wittmann, bei dem er eine sprachpsychologische Arbeit als Dissertation anfertigte, wechselte Schmidt etwa im März 1937 auf Vermittlung von dessen ehemaligem Assistenten Graf von Dürckheim-Montmartin in die „Dienststelle Ribbentrop“, sprich in das 1934 eingerichtete Außenpolitische Amt der NSDAP, als Hilfsarbeiter für Pressefragen. Im September 1938 stieg er zunächst als Referent, im Februar 1939 als jüngster Legationsrat ins Auswärtige Amt und dort bis 1940 zum Ministerialdirigenten und Leiter der Presseabteilung auf, 1943 wurde er Ministerialdirektor und Beamter auf Lebenszeit. Diese hinsichtlich ihrer Schnelligkeit und des vergleichsweise jungen Alters sicherlich außergewöhnliche Karriere war dennoch nicht untypisch für einen akademisch ausgebildeten, „jung-dynamischen, vom NS überzeugten Karrierebeamten“ (S. 219f.) in einer Kriegsjugendgeneration, die von Plöger nicht vergleichend berücksichtigt wurde. Hier hätten Vergleiche zum Beispiel zum Führungskorps des Sicherheitsdienstes der SS (Michael Wildt) oder mit Heydrichs Stellvertreter Werner Best (Ulrich Herbert) nahegelegen.

Schmidts Nachkriegskarriere hingegen darf mit Recht als „außergewöhnlich“ (S. 395) bezeichnet werden, zumal angesichts seiner früheren, seit 1947 durch eine Veröffentlichung in der WELT bekannten, antisemitischen und die Shoah unterstützenden Pressearbeit, die bis zu einem nicht realisierten Vorschlag vom 27. Mai 1944 führte, vor der bereits geplanten Deportation der Budapester Juden diesen Waffen und Sprengstoff unterzuschieben, um alliierten Pressekampagnen vorzubeugen.

Zunächst inhaftiert mit der Aussicht auf eine eigene Anklage, mutierte Schmidt - offenbar im Rahmen eines von Plöger vermuteten Handels mit der US-Anklagebehörde, der er als Belastungszeuge gegen den angeklagten „Reichspressechef“ Otto Dietrich dienen sollte - 1946 zum Zeugen der Anklage im Nürnberger Wilhelmstraßenprozess gegen Angehörige des Auswärtigen Amtes, bevor er seit 1948 als freier Mitarbeiter, Journalist und Autor tätig wurde, vor allem in der zum Springer-Konzern gehörenden, 1967 eingestellten Zeitschrift „Kristall“ und ab 1954 für die ZEIT, seit 1956 aber auch im SPIEGEL. Öffentlich bekannt und geschichtsmächtig für das frühe Geschichtsbewusstsein der jungen Bundesrepublik wurde Schmidt denn auch zunächst als Autor unter verschiedenen Pseudonymen von zahlreichen Artikeln und Serien in der WELT und nicht zuletzt der BILD. Darin bezeichnete er mit deutlich revisionistischen, teils exkulpierenden Tendenzen und in der Absicht, die erlebte Zeitgeschichte zugunsten tagespolitischer Auseinandersetzungen geschichtspolitisch umzuschreiben, zum Beispiel den Vernichtungskrieg gegen die UdSSR 1941 als Präventivkrieg, und beschrieb bereits 1957 im SPIEGEL den holländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe als Alleintäter beim Reichstagsbrand 1933. Plögers genereller Verzicht auf eine Analyse von Schmidts Absicht, den anschließenden Reichstagsbrandprozess als im Unterschied zu zeitgenössischen stalinistischen Schauprozessen rechtsstaatlichen Prozess nachträglich zu rechtfertigen, erweist sich in diesem Zusammenhang als fatal, da sie einen Verzicht auf die zeithistorische Kontextualisierung dieses immerhin sehr prominenten und bis heute aktuellen Beispiels von Kontinuitäten in der öffentlichkeitswirksamen Pressegeschichtsschreibung mit sich bringt. Die seit einigen Jahren zunehmend bezweifelte These von der Alleintäterschaft, die Plöger auf der Basis von Wigert Benz‘ Arbeit darstellt, wurde 1959/60, wiederum unter Schmidts redaktioneller Beteiligung, von Fritz Tobias zunächst im SPIEGEL, dann auch als Monografie zur herrschenden Lehrmeinung bis hinein in den Geschichtsunterricht. (3) Schließlich plädierte Schmidt noch 1979, kurz vor dem NATO-Doppelbeschluss, für eine offensivere NATO-Strategie auch mittels Androhung der Neutronenwaffe (S. 374f.), durch Aufrüstung und einen notfalls präventiven Militäreinsatz gegen den offensiven Charakter der „Strategie des Bolschewismus“.

Als „Paul Carell“ schließlich publizierte er seit 1958 auf der Basis von Serien in der Zeitschrift „Kristall“ insgesamt sieben Bücher über den Zweiten Weltkrieg, darunter „Die Wüstenfüchse“, „Unternehmen Barbarossa“ (1963) und als letztes „Stalingrad“ (1992). Diese charakterisiert Plöger als wirtschaftlich erfolgreiche, vor allem aber „wirkmächtige“ (S. 336) Publikationen, mit denen Schmidt es in einer Aura von „Objektivität und Authentizität“ (S. 396) vermocht habe, unter bewusster Verschleierung vor allem des verbrecherischen, völkerrechtswidrigen Charakters des Russlandfeldzugs, in der Nachkriegszeit bis zur Begründung der neueren militärhistorischen Forschung Ende der 1960er Jahre ein „stark geklittertes Geschichtsbild von ‚Drittem Reich‘ und Zweitem Weltkrieg“ zu vermitteln, „das bis heute wirkmächtig ist“ (ebd.). Es beruhte etwa hinsichtlich der Präventivkriegsthese, wie ein Vergleich mit zeitgenössischen Propagandaaktionen hätte erweisen können, teils auf nationalsozialistischen Selbstrechtfertigungen.

Insofern ist einem der Ergebnisse auf Plögers erkenntnisleitende Frage, ob Schmidts Handeln primär durch ideologische oder Machtmotive geprägt sei, zuzustimmen: Schmidts publizistisches Handeln ist vor wie nach 1945 durch „Antibolschewismus, Antikommunismus und Ablehnung freiheitlicher Gedanken“ ebenso wie durch nunmehr versteckten Antisemitismus geprägt gewesen und hat sich nicht am „Wertekanon des Grundgesetzes und seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ orientiert (S. 399). Damit geht Plöger über die ältere biografische Forschung vor allem von Peter Longerich und Wigbert Benz nicht hinaus, wenn er auch zum Beispiel schlüssig zu belegen vermag, dass Schmidts propagandistische Verschleierungsaktion zur Deportation der Budapester Juden 1944 vor allem von Longerich in ihrer Tragweite für die ideologische Konformität Schmidts auch „in der Rolle des mithelfenden Schreibtischtäters“ nicht erkannt wurde (S. 167). In dieser ideologiekritischen Analyse der Kontinuitäten in Schmidts Denken und Handeln von der Kieler Zeit bis hin zu seinen revisionistischen Nachkriegsschriften erweist sich Plögers Arbeit mithin als akribisch recherchiert und schlüssig in ihrer Argumentation, wenn er etwa Schmidts „rechte Verbindungen“ in konservative und rechtsextreme Medien-Netzwerke der Nachkriegszeit nachzeichnet, bis hin zu dem konservativen Publizisten Armin Mohler und in journalistische Kreise der ‚Neuen Rechten‘ mit denen in der Tradition der „Konservativen Revolution“ stehenden Zeitschriften „Junge Freiheit“ und „Criticón“ (S. 385ff.). Um diese zum Teil aus dem Auswärtigen Amt vor 1945 stammenden Netzwerke und ihre geschichts- wie gegenwartspolitisch motivierten Tätigkeiten als Leser zu verfolgen, hätte ein Personen- und Institutionenregister dem Band zum Vorteil gereicht.

Mit den, den Studentenbundaktivitäten und der nationalsozialistischen Hochschulpolitik in Kiel gewidmeten, Frühschriften Schmidts, etwa zur politischen Formierung und Schulung der Studentenschaft in einem „Männerbund“, die nicht in den zeitgenössischen Diskurs vor allem eines Alfred Baeumler (,,Männerbund als Wissenschaft“, 1934), Adolf Rein oder Ernst Krieck um eine ideologisch und wissenschaftspolitisch ausgerichtete Neuordnung der Universitäten einordnet werden, unterlässt Plöger eine tiefer gehende wirkungsgeschichtliche Analyse der Nachkriegspublikationen. Diese hätte Plögers zentrale Frage umfassender beantworten können, inwieweit Schmidt sowohl als politischer Akteur in Kiel, als Propagandist der Außenpolitik des NS-Regimes und als journalistisch wie politisch tätiger Publizist der Nachkriegszeit „primär von Macht- oder ideologischen Motiven angetrieben worden ist“ (S. 29), zumal Plöger seinem Sujet eine „über seine Bücher vermittelte Deutungsmacht über die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg [...] bis in heutige Generationen“ bescheinigt (S. 18).

Vielmehr sucht Plöger die „zentrale Untersuchungsfrage von Macht“ zu beantworten mit Hilfe eines soziologischen, auf Max Webers Herrschafts- und Machtsoziologie rekurrierenden Ansatzes, indem er nach Heinrich Popitz unterscheidet zwischen Aktionsmacht, instrumenteller Macht, autoritativer und datensetzender Macht (4), und Schmidt bescheinigt, „mit Ausnahme der datensetzenden [...] von allen Machtformen Gebrauch“ gemacht zu haben (S. 403). Diese Argumentation vermag jedoch angesichts der Popitz folgenden Definition von „datensetzender Macht“ als „Fähigkeit des Menschen, Dinge zu schaffen und zu verändern“, nicht zu überzeugen, wenn Schmidt zugleich hinsichtlich seiner Publikationen Deutungs- und Wirkungsmacht zugeschrieben wird in Bezug auf die öffentliche Durchsetzung selbstexkulpierender und -legitimierender Geschichtsbilder der Nachkriegsgesellschaft. Plöger betont jedoch zu Recht, dass Schmidt bereits als Student - zum Beispiel in der Durchsetzung von testatfähigen Vorlesungen zur Wehrwissenschaft und Kriegsgeschichte oder in Auseinandersetzungen mit Korporationen um die Einrichtung von sogenannten Kameradschaftshäusern - ebenso wie als Pressesprecher des Auswärtigen Amtes zum Beispiel mit verbalen „Morddrohungen“ (S. 188) gegenüber missliebigen Schweizer Journalisten 1942 oder in zahlreichen propagandistischen Reden und Artikeln ebenso wie in seinen Büchern Formen von autoritativer und instrumenteller Macht rhetorisch wie psychologisch geschickt ausgeübt hat. Daneben weist er überzeugend nach, wie ideologische Kontinuitäten in seinem Handeln als Homo politicus und etwa die von Schmidt 1957 vertretene Präventivkriegsthese oder die Alleintäterthese in der bis heute fortdauernden Kontroverse zum Reichstagsbrand 1933 vor allem in konservativen bis neurechten Medien und auch Historikerkreisen aktualisiert werden.

Insofern hinterlässt Plögers gründlich recherchierte, auf einem Bestand von ca. 25.000 Archivalien und Publikationen wie auch auf bisweilen unkritisch übernommenen Zeitzeugenbefragungen basierende Dissertation einen angesichts des Verzichts auf die Wirkungsanalyse der wichtigsten Schriften zwiespältigen, im ganzen aber positiven Eindruck, die Schmidts Biografie überzeugend in ihre historischen Kontexte einbettet. Sie wirft, über die konkrete Person eines der prominentesten und wirkmächtigsten Vertreters der öffentlichkeitswirksamen Geschichtsschreibung zur Rechtfertigung des Nationalsozialismus hinaus, vor allem Kontinuitätsfragen zur Pressegeschichte sowie zur Kontinuität und Wirkungsmacht politisierter Geschichtsbilder, sprich zur Geschichtspolitik im Sinne Edgar Wolfrums über die vermeintlich historische Zäsur von 1945 hinaus, auf. Plögers Studie erweist sich deshalb hinsichtlich der geschichtstheoretischen Frage nach Wirkungen politisierter und teils sensationalistischer Geschichtsbilder, nach der Deutungsmacht und dem täglichen Einfluss von Medien darauf - nicht nur aus extremistischen Lagern - als hochaktuell.

Michael Schröders, Bonn

Fußnoten: