ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Stefanie Schüler-Springorum, Krieg und Fliegen. Die Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn/München etc. 2010, 369 S., geb., 39,90 €.

Die Literatur zum Spanischen Bürgerkrieg füllt inzwischen Bibliotheken. Insbesondere das linke, republikanische Spektrum, aber auch die internationalen Verwicklungen, die militärischen Hilfen Deutschlands und Italiens auf Seiten der Putschisten unter Führung des Generals Franco, später auch die der Sowjetunion zur Unterstützung der Republik sind umfassend erforscht worden. Die Zerstörung der kleinen baskischen Stadt Guernica durch die deutsche Legion Condor im April 1937 ist seither zum weltweiten Symbol der Barbarei des modernen Luftkriegs gegen eine wehrlose Zivilbevölkerung geworden. Gleichwohl gibt es noch weiße Flecken in der Erforschung, wie der vorliegende Band dokumentiert. Die Autorin präsentiert eine Fülle bisher nicht bekannter Details zu den Umständen und dem weiteren Verlauf der deutschen Intervention. Sie begann gleich zu Beginn des Bürgerkriegs im Juli 1936 mit der Bitte der spanischen Nationalisten an die NS-Regierung und an Mussolini um Hilfe für den Transport der Franco-Truppen aus Marokko auf das spanische Festland, weil die spanische Marine und die Luftwaffe sich dem Militär-Putsch nicht angeschlossen hatten. Aus diesem zunächst als privates Unternehmen begonnenen, von der deutschen Kolonie und der dort aktiven NS-Auslandsorganisation vermittelten Einsatz formte sich im Herbst 1937 die gleichfalls klandestin operierende Legion Condor. Sie ist das zentrale Thema des Buches als Ereignis sowohl der spanischen Geschichte als auch der deutschen Luftfahrtgeschichte, verstanden als Beitrag zu einer allgemeinen Geschichte der Gewalt im 20. Jahrhundert.

Die Studie spricht auch die an militärischen Fragen weniger Interessierten an, denn ihr der „Neuen Militärgeschichte“ verpflichteter Zugriff orientiert sich nicht so sehr an traditionellen macht-, institutionen- und ordnungspolitischen Aspekten, sondern mehr an den sozial- und kulturgeschichtlichen Dimensionen militärischer Aktionen; hinzu kommt hier außerdem noch der scharfe und kritische Blick aus geschlechtergeschichtlicher Sicht auf dieses Segment reiner Männergesellschaft. Gegenstand der Studie sind somit weniger die strategischen und taktischen Einzelheiten des Kriegsverlaufs im Spanischen Bürgerkrieg mit seinen bekannten Kämpfen etwa an der Jarama-Front, bei Teruel oder am Ebro, sondern die Haltungen und Perzeptionen der deutschen Akteure. Von den mehr als 20.000 Angehörigen der Legion Condor, von denen sich allerdings nie mehr als rund 5.500 periodisch rotierend in Spanien aufhielten, hat die Autorin etwa 1.000 Namen des fliegenden Personals ermittelt, deren Spuren in Archiven, in zeitgenössischen Publikationen oder deren spätere autobiografischen Aufzeichnungen die Materialgrundlage ihrer Studie bilden.

In mehreren „konzentrischen Kreisen“ nähert sich die Autorin ihrem Gegenstand über die Vorgeschichte des Kriegs, die deutsch-spanischen Beziehungen im frühen 20. Jahrhundert und die Identitätskonstruktion und Selbstrepräsentation der militärischen Akteure während ihrer Prägungsphase im gesellschaftlichen Umfeld der 1920er Jahre. Für die zumeist aus dem Bürgertum stammenden späteren Legionäre wurde der neue Typus des Fliegers im Ersten Weltkrieg zur Identifikationsfigur, verkörperten diese Einzelkämpfer doch scheinbar die Helden nicht nur im Zeitalter des modernen Massenkriegs, sondern auch in der ungewohnten demokratischen Zivilordnung. Der typische Legionär kam aus einer Altersgruppe, die einerseits den Ersten Weltkrieg selbst nicht mehr mitgemacht hatte, andererseits zu alt gewesen ist, um von der nationalsozialistischen Indoktrination völlig geprägt worden zu sein. Seine Technikbegeisterung wurde zunächst in den heimlich von der Schwarzen Reichswehr nach den Beschränkungen des Versailler Vertrages unterhaltenen Segelflugschulen gefördert, ehe er in die ebenso geheimen deutschen Ausbildungslager in der Sowjetunion geschickt wurde. Die so vor der Öffentlichkeit verborgen ausgebildete, mit der Elite der Fliegerhelden des Ersten Weltkriegs identifizierte „fliegende Jugendbewegung“ kam zunächst vereinzelt bei der 1926 gegründeten Lufthansa unter, ehe sie in größerem Umfang, auch vor dem Hintergrund der Arbeitslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise, in der nach der NS-Machtergreifung sogleich aufgebauten Luftwaffe Aufnahme fand.

Von den heroischen Selbstbildern des tapferen Einzelkämpfers blieb in der Wirklichkeit des Spanieneinsatzes allerdings nicht viel übrig. Zum einen wurden die Legionäre als Zivilisten dorthin geschickt, ihr Auftrag war streng geheim, nicht einmal den Familien durfte darüber berichtet werden, zum anderen waren die Kämpfe alles andere als heroisch; anfangs erwies sich die eigene Ausrüstung im Vergleich zu der der Italiener sogar als äußerst dürftig. Heldenhafte Zweikämpfe in der Luft waren die seltene Ausnahme, bestimmend wurde vielmehr die sogenannte Schlachtenfliegerei, in der die Bomber als eine Art fliegende Artillerie fungierten. Von dieser kämpferischen Asymmetrie zur Barbarei der Luftangriffe auf die schutzlose Zivilbevölkerung war es dann nur ein kleiner Schritt. Dafür stehen nicht nur Guernica, die Bombardierung Barcelonas und anderer Städte - erstmalig in der Kriegsgeschichte -, sondern auch das sinnlose Abschießen etwa der zur französischen Grenze fliehenden republikanischen Bevölkerung, als der Krieg im Frühjahr 1939 längst entschieden war.

Die Konfrontation mit der spanischen Wirklichkeit bildet den inneren Kreis der Analyse. Dazu gehören unterschiedliche Facetten der Alltagserfahrung in der fremden Gesellschaft und die Wahrnehmungen der verbündeten Spanier und Italiener in den Kampfverbänden, die aus der eigenen elitären Perspektive äußerst kritisch gesehen wurden. Allerdings überdeckte das gemeinsame Feindbild des „Bolschewismus“ die Differenzen. Die weitere Prägung durch Propaganda und die NS-Ideologie schien allerdings gering gewesen zu sein. Im Kampf gegen die „Roten“ anerkannte man immerhin deren Tapferkeit, während die nationalistischen spanischen Offiziere eher als unfähig gesehen wurden. Bei diesen Verbündeten bestanden offenbar engere Beziehungen zu den marokkanischen Einheiten der „Moros“, deren Brutalität und Kampfmoral stärker der Haudrauf-Mentalität der deutschen Legionäre entsprach. Die ausführlich präsentierte Rollensituation und die hier und da aufscheinende Reflexion über das eigene Tun jenseits von Abenteuern, über die anonyme Zerstörung oder über den Tod zeigten alsbald die Brüchigkeit des Einsatzes, die der Stabschef der Legion Condor, Wolfram von Richthofen, so auf den Punkt brachte: Bei den „Roten“ herrschten Ideen, bei den „Weißen“ nur Söldner.

Den meisten Legionären wurde das allerdings erst später bewusst. Aus Spanien waren sie zunächst siegreich zurückgekehrt, ihre Verluste waren gering gewesen, die meisten gingen auf alkoholbedingte Auto- oder Motorradunfälle zurück. Die im Bürgerkrieg gemachten Erfahrungen, insbesondere die plötzlichen Blitzangriffe und die Schlachtenfliegerei, wurden nach Beginn des Zweiten Weltkriegs auch in Polen und während des Kriegs gegen Frankreich praktiziert, doch mit dem Überfall auf die Sowjetunion war es damit vorbei. Das letzte Kapitel des Buches verfolgt das Schicksal der Legionäre im Zweiten Weltkrieg und zieht darüber hinaus den Kreis bis weit in die Nachkriegszeit mit ihren öffentlichen und privaten Erinnerungen an den Spanieneinsatz in beiden Teilen Deutschlands. Weniger interessant ist hierbei, dass aus einem Sample von rund 260 Jagd- und Bomberpiloten der Legion Condor rund 80 Prozent nach 1939 fielen. Bedeutsamer sind die spannungsreichen Beziehungen NS-Deutschlands zu dem von ihm mitinstallierten Franco-Regime, dem alsbald für die „fliegende Bruderhilfe“ im Bürgerkrieg eine Rechnung über mehr als 500 Millionen RM präsentiert wurde. Sie sollten durch Rohstofflieferungen beglichen werden. Der deutsche Zugriff darauf war überhaupt das wichtigste Motiv für die Entsendung der Legion Condor gewesen, noch weit vor den militärischen Erprobungen für den Zweiten Weltkrieg. Von Franco ist er aber jetzt erneut konterkariert worden. Anstatt dem NS-Staat eine wirtschaftliche Monopolstellung einzuräumen oder dem von Hitler erwarteten Kriegseintritt nachzukommen, blieb Franco neutral; anstelle der Auslieferung seiner Rohstoffe schickte er lediglich die División Azul für den Kampf gegen die Sowjetunion.

Die flott geschriebene Studie, die eine immense Literatur zum Spanischen Bürgerkrieg, zur neueren Militärgeschichte und zur allgemeinen Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg auswertet, besticht durch ihre souveränen, gelegentlich jedoch allzu distanziert-sachlichen Befunde. Vielleicht hätte die an der Fliegerei des Ersten Weltkriegs orientierte Technikbegeisterung der Alterskohorten aus der Legion Condor, die dem romantischen Bild des heroischen Ritters oder Abenteurers verpflichtet war, auch mit der ganz anders konnotierten Vision des Aviators konfrontiert werden können, der vom italienischen Futurismus wie dem russischen Konstruktivismus als Inbegriff des avantgardistischen Mythen- und Vergangenheitszerstörers imaginiert wurde und nicht von ungefähr auch als Zukunft verheißender neuer Menschen-Typus vom Faschismus und Bolschewismus vereinnahmt worden ist. Auf ähnlich gerichtete symbolische Inszenierungen, so Hitlers Erscheinen per Flugzeug zu Großveranstaltungen wie ein Deus ex Machina, weist die Autorin sogar selbst hin. Angeboten hätte sich womöglich ebenfalls, im Rahmen der recht knapp dargestellten propagandistischen Beeinflussung das berüchtigte „Rotbuch über Spanien“ heranzuziehen und die Reaktionen der Legionäre darauf zu prüfen. Denn dieses Werk hatte neben dem „Terror“ und „Grauen“ der republikanischen Herrschaft in Spanien allein die „Sowjeteinmischung“ auf deren Seite zum Gegenstand gehabt. Herausgeber war im Übrigen Eberhard Taubert, Ministerialrat in Joseph Goebbels‘ Propaganda-Ministerium, der auch das Drehbuch für den Film „Der ewige Jude“ geschrieben hatte und der in der Bundesrepublik nicht nur als Gründer des vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen subventionierten antikommunistischen Volksbunds für Frieden und Freiheit, sondern auch als Berater für Psychologische Verteidigung vom Bundesverteidigungsministerium beschäftigt werden sollte. Er hätte die von der Autorin am Beispiel Heinz Trettners, einem Kampfstaffel-Führer in Spanien, der 1964 zum Generalinspekteur der Bundeswehr ernannt wurde, und anderen Legionären aufgefächerte Kultur der frühen Bundesrepublik weiter illustrieren können. Solche Hinweise sind jedoch kein Einwand gegen die außerordentliche Qualität dieser Arbeit.

Claus-Dieter Krohn, Hamburg


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