ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Bernhard Fulda, Press and Politics in the Weimar Republic, Oxford University Press, Oxford 2009, XVII + 324 S., geb., 58,00 £.

Michel Grunewald/Uwe Puschner (Hrsg., in Zusammenarbeit mit Hans Manfred Bock), Das konservative Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960)/Le milieu intellectuel conservateur en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1890-1960), Peter Lang Verlag, Bern 2003, XII + 718 S., kart., 81,30 €.

Zeitungslektüre war während der Weimarer Periode die populärste Freizeitbeschäftigung. Ungeachtet dieser Tatsache und wichtiger älterer Pionierstudien - etwa von Modris Eksteins oder Bernd Sösemann (1) - hat sich die Geschichtswissenschaft in jüngster Zeit vergleichsweise wenig mit der Presse zwischen 1918/19 und 1933 beschäftigt, sich stattdessen stärker Medien wie Radio oder Kino zugewendet. (2) Bernhard Fulda will mit seiner Cambridger Dissertation in diese Lücke stoßen und insbesondere die politische Wirkmächtigkeit der Printmedien genauer taxieren. Sie gelten ihm als Akteure ebenso wie als Grundstoff für die Schaffung und Beeinflussung des Meinungsklimas. Eine so angelegte Mediengeschichte folgt den Vorgaben sowohl einer Gesellschafts- als auch politischen Kulturgeschichte. (3) Es sei nicht nur erkenntnisfördernd, mit Ranke darüber zu sinnieren, „wie es eigentlich gewesen“, sondern auch, „wie es anscheinend gewesen“ ist. Die Verarbeitung und Darstellung gesellschaftlicher und politischer Vorgänge in den Medien kreieren diesem Verständnis nach eine eigene Realität. Fulda greift kompetent auf Theorien und Einsichten der Kommunikationswissenschaft zurück, ohne aber das Quellenproblem einer Wirkungsgeschichte im vordemoskopischen Zeitalter beseitigen zu können. So beruhen Aussagen über Medieneffekte in dieser Studie meist auf Plausibilitätserwägungen, der Erfassung von Meinungsführerimpulsen im Elitendiskurs und der einzelnen Zeitungen untereinander. Diese Rekonstruktionen stellen an sich schon eine beachtliche Leistung dar und präsentieren eine gute Mischung einer Mediengeschichte, die über dem allseits geforderten, häufig aber kaum einlösbaren Wirkungsparadigma nicht die inhaltliche Dimension konkreter politischer Aussagen außer Acht lässt.

Dabei ist indes keine umfassende, gleichsam lückenlose Geschichte von „Press and Politics in the Weimar Republic“ entstanden. Sie setzt sich bei Fulda vielmehr aus verschiedenen, über die gesamte Zeitspanne der ersten deutschen Demokratie verteilten Fallstudien zusammen. Dies ist nicht kritikwürdig, vielmehr eine realistische Vorgehensweise angesichts der Vielzahl von damaligen Zeitungen, die nicht in digitalisierter Form vorliegen, und der nur rudimentären Überlieferung von Materialien aus Verlagsarchiven. Darüber hinaus beziehen sich die „case studies“ auf Berlin und vereinzelt auf lokale Presseerzeugnisse aus dem Brandenburger Umland. Durch diesen Zuschnitt und den Verzicht auf quantitative Analysen wird die allgemeine Aussagekraft zwar eingeschränkt, die Genauigkeit in der Beobachtung der „Zeitungsstadt Berlin“ aber erhöht. (4)

Fulda charakterisiert die Berliner Presselandschaft zwischen 1918 und 1932 nicht nur als wirtschaftlich höchst kompetitiv, sondern auch politisch-ideologisch fragmentiert. Dabei geriet angesichts der „Weltanschauungs-basis of German journalism“ die Medien-Funktion der Information gegenüber der des politischen Kampfes in den Hintergrund. Das galt selbst für die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre an Bedeutung gewinnende Boulevardpresse. Der Autor untersucht verschiedene Skandale und rückt einzelne „media personalities“ (bis 1924) in den Mittelpunkt. Zu ihnen gehörte in negativer Weise der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger. Seine Attentäter fassten verbale Hassattacken der rechtsextremen Presse als Rechtfertigung für ihre Tat auf. Adolf Hitler zählte ebenfalls schon früh und nicht erst in Weimars Schlussphase zu den Persönlichkeiten, die besondere Aufmerksamkeit in der Presse fanden. Bereits nach dem Putschversuch vom Herbst 1923 erlangte er „a new gravitas in the eyes of right-wing Germans“. Dagegen relativiert Fulda überzeugend die Bedeutung der Hugenberg-Presse für den Durchbruch der NSDAP und ihres Parteiführers im Rahmen des Referendums gegen den Young-Plan 1929. Die Nationalsozialisten gewannen nicht so sehr im Verbund mit der DNVP an politischem Terrain, sondern weil sie im rechtskonservativen Milieu durch eigenständige Kampagnen als neue Kraft - „energetic, radical, and increasingly successful“ - wahrgenommen wurden. Für den Niedergang der Republik macht Bernhard Fulda, an Dirk Blasius‘ Forschungen über „Weimars Ende“ anknüpfend (5), neben tatsächlichen Straßenkämpfen eine Bürgerkriegshysterie verantwortlich, die nicht zuletzt auch als eine „massive media panic, a press-induced over-reaction with politically disastrous effects“ zu interpretieren sei.

Während Thomas Mergel vor einigen Jahren in einer methodisch elaborierten, empirisch breit abgestützten Studie Weimars parlamentarischer Kultur ein überraschend positives Zeugnis ausstellte (6), kann Bernhard Fulda für die Presse-Kultur nicht gleichziehen. Im Ganzen konstatiert er eine „dysfunctional relationship between press and politics“, die eine wesentliche Rolle bei der Delegitimierung der parlamentarischen Demokratie gespielt habe. Fernab pluralistischer Spielregeln, die mit Ernst Fraenkel einen „nicht-kontroversen Sektor“ gelten ließen, polarisierte insbesondere die Presse die politische Öffentlichkeit. Sie lud weltanschauliche Gegensätze auf und beflügelte parlamentarische Lagerkämpfe. Für Fulda heizte die politische Tagespresse einerseits einen den Grundsätzen des Konflikts und der Kompromisslosigkeit folgenden Meinungskampf stärker an als das viel gescholtene Parlament. Andererseits waren die Rückwirkungen auf dieses beträchtlich, weil Politiker - noch recht unerfahren im neuen Zeitalter der Massengesellschaft und -medien - von einem sehr großen Einfluss der Presse überzeugt waren (,,imagination of influence“) und dieser somit auf sie selbst besonders intensiv und direkt zurückwirkte. Fulda weist an mehreren Beispielen nach, welch beachtlicher Resonanz und Rezeption sich Presseberichte in vor dem Reichstag vorgebrachten Argumenten, Begriffen, Schlagworten oder Stereotypen erfreuten. Die Presse habe wesentlich dazu beigetragen, eine zunehmend antagonistische Parlamentskultur zu befördern. In der „Weltbühne“ hieß es schon 1926 in einem Bericht über Alfred Hugenberg: „Zeitungen machen die ‚öffentliche Meinung‘ nicht, können sie gar nicht machen. Sie können nur die Führer, die Sprecher der Meinungsverbände gewinnen und mit diesen die Gruppen der Geführten.“ (7) Die „opinion leaders“ fungierten gemäß dem Gesetz eines „two step flow“ der Medienwirkung gewissermaßen als Vermittlungsagenturen und Verstärker der veröffentlichten Meinung, die damals häufig für die öffentliche Meinung gehalten wurde. (8)

Solche Meinungsführer saßen nicht nur in den Parteien und in den Redaktionen der Tagespresse selbst, sondern auch in relativ auflagenschwachen Intellektuellenblättern. Ihr Beitrag zur Formung von Leitthemen und -diskursen ist schwierig präzise zu ermessen, dürfte aber nicht gering zu schätzen sein. Der von Michel Grunewald und Uwe Puschner herausgegebene Band über das konservative Intellektuellenmilieu liefert neben einer pointierten Skizze Axel Schildts zur wechselvollen Geschichte des deutschen Konservatismus im 20. Jahrhundert vielfältige lesenswerte Zeitschriftenporträts, die zum Verständnis der geistigen Diskurslandschaft Weimars einiges beisteuern. Zu nennen ist beispielsweise Jens Flemmings Analyse der „Süddeutschen Monatshefte“, die wesentlich zur Popularisierung und Penetranz der „Dolchstoßlegende“ beitrugen, oder Gangolf Hübingers Skizzierung der „Tat“ und des „Tat-Kreises“. Ausgehend von diesem Zirkel lässt sich ein rechtsintellektuelles Netzwerk erschließen, das weit über den engen redaktionellen Stab der Zeitschrift und die nach 1929/30 sehr respektable Zahl von Abonnenten hinausgereicht haben dürfte. Durch die Übernahme von elitären Denkmodellen („Avantgarde“, „Führer“), Umdeutungen und Vereinnahmungen des Sozialismus- und Revolutionsbegriffs beflügelte die „Tat“ sogar manchen, die politischen Lager überspannenden Austauschdiskurs. (9) Auch zeitliche Grenzen und historische Epocheneinschnitte vermochten Repräsentanten dieser Rechtsintellektuellen wie Hans Zehrer und Giselher Wirsing erfolgreich zu überschreiten. Nach Hübinger haben sie sogar „Weimarer Ideenkämpfe mit ihren obsolet gewordenen gesellschaftspolitischen Feindbildern nachhaltig in die verfassungs- und gesellschaftspolitischen Debatten der 1950er Jahre getragen“. Gerade eine Zäsuren berücksichtigende und diese aus geistesgeschichtlicher Perspektive hinterfragende Wirkungsgeschichte belässt noch einigen Forschungsbedarf. Ein Blick auf intellektuelle Positionen und politische Öffentlichkeit der frühen Bundesrepublik scheint die These nahezulegen, dass Bonn doch mehr Weimar enthielt, als es das zeitgenössische Diktum Fritz René Allemanns einst suggerierte. (10)

Alexander Gallus, Rostock

Fußnoten: