ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Birgit Fastenmayer, Hofübergabe als Altersversorgung. Generationenwechsel in der Landwirtschaft 1870 bis 1957 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 246; Lebensalter und Recht, Bd. 1), Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2009, 322 S., kart., 74,00 €.

Birgit Fastenmayer hat eine juristische Dissertation vorgelegt, die zugleich eine bemerkenswerte Forschungsleistung auf dem Gebiet der ländlichen Sozialgeschichte darstellt. In erster Linie geht es ihr um die Steuerung und Aushandlung von Hofübergaben - also des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben, der Sicherung der weiteren bäuerlichen Existenz, der Altersversorgung der Ruheständler - unter den Bedingungen der „agrarischen Revolution“ und wechselnder politischer Systeme. Die Autorin hat dafür zum großen Teil die einschlägigen Enqueten des Vereins für Socialpolitik aus der zweiten Hälfte des 19. und ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie zahlreiche juristische Veröffentlichungen (jedoch nur wenige politische Quellen) ausgewertet. Diese Schwerpunktsetzung war notwendig, weil es bis zum Ende der Weimarer Republik kein verlässliches Datenmaterial zur tatsächlichen Übergabepraxis gibt. Fastenmayer gelingt es trotz dieser Einschränkungen, den sozialen und lebensweltlichen Kontext des Generationenwechsels in der Landwirtschaft zwischen Reichsgründung und junger Bundesrepublik in seinen wesentlichen Zügen prägnant und umsichtig darzustellen. Zwar geht die Autorin von einer „Steuerungsfunktion des Rechts“ aus, bleibt aber nicht bei rechtsdogmatischen Überlegungen zur Vertragsfreiheit und zur bäuerlichen Rechtspraxis stehen, sondern fragt auch nach den lebensweltlichen Voraussetzungen und betriebswirtschaftlichen Auswirkungen der Hofübergabe.

Die Autorin beginnt ihre vergleichende Darstellung im Kaiserreich und greift überwiegend auf regionale Beispiele aus Preußen und Bayern zurück. Obwohl das Anerbenrecht mit der Aufhebung der Grundherrschaft zunächst beseitigt wurde und Hofübergaben gesetzlich nur noch durch freie private Verträge geregelt werden konnten, blieb die Einzelerbfolge dort, wo sie schon zuvor gegolten hatte, bis zum Ende der Weimarer Republik „Leitbild“ der lebzeitigen Übergabe. Wenn es zu vertraglichen Übertragungen kam, variierten die Inhalte - abhängig davon, wie viel Grund und Boden zur Verfügung stand und in welcher Form der Erbe den Betrieb übernehmen wollte. Die freien Verträge brachten insofern die sichere Altersversorgung und Betriebsfähigkeit der Wirtschaftseinheit „Hof“ optimal zum Ausgleich und führten - insbesondere in Realteilungsgebieten - zu einer zunehmenden Bodenmobilität. Fastenmayer plädiert (gegen die zeitgenössische Kritik an der Realteilungspraxis) für eine stärkere Berücksichtigung der regionalen Marktbedingungen und verweist darauf, dass auch Realteilungen wirtschaftlich funktionierten und bei Bedarf und Möglichkeit durch Pacht und Zukauf kompensiert werden konnten. Die Autorin relativiert auch die verbreitete Kritik an der vermeintlich ruinösen Wirkung des Altenteils (,,Bauernpensionäre“). Die Altenteilproblematik spielte in den Realteilungsgebieten ohnehin keine nennenswerte Rolle und betraf in Anerbengebieten in erster Linie die bäuerliche Oberschicht, deren Höfe diesen sozialen Transfer offensichtlich verkraften konnten. Konsens bestand bei Beobachtern und Kommentatoren vor allem darin, dass dem Anerbenrecht keine zwingende Geltung eingeräumt werden dürfe.

Trotz der reichsrechtlichen Garantie der autonomen Übergabe im Bürgerlichen Gesetzbuch, die auch durch Länderregelungen nicht unterlaufen werden konnte, hielten sich in der Praxis weiterhin gewohnheitsrechtliche Elemente der Hofübergabe. Gerade die Einbeziehung regionaler Besonderheiten ermöglicht Fastenmayer trotz schwacher empirischer Basis zusätzliche differenzierende Beobachtungen: So konstatiert sie als generellen Trend eine zunehmende Orientierung an den Bedürfnissen der beteiligten Familien. Die Übergabe erfolgte in wirtschaftlich unsicheren Zeiten, bei inflationsbedingten Kapitalverlusten und zunehmender Arbeitserleichterung für die älter werdenden Betriebsinhaber tendenziell immer später. Im Zuge der sich intensivierenden Marktintegration wurde das Altenteil zudem immer mehr in Geldrenten umgewandelt. Die gesetzliche Altersversicherung spielte dagegen für die ländliche Bevölkerung um 1900 noch keine nennenswerte Rolle. Die Politik des 19. Jahrhunderts wollte weder übermäßige Altenteile noch ein von der öffentlichen Hand zu versorgendes Altenproletariat.

Während bis 1933 nur strittige Altenteile vor Gericht verhandelt wurden, musste mit Beginn der NS-Erbhofgesetzgebung jeder Übergabevertrag gerichtlich genehmigt werden. Reichsnährstands- und Reichserbhofgesetz von 1933 zielten auf eine Regulierung des Bodenmarktes, versuchten die unternehmerische Freiheit der Landwirte einzuschränken und schufen ein Sonderprivatrecht zugunsten der klein- und mittelständisch strukturierten Landwirtschaft, von der sich die NS-Agrarpolitik eine Sicherung der Nahrungsautarkie versprach. Bereits 1936 war ein Drittel des land- und forstwirtschaftlich genutzten Eigentums in die Erbhöferolle eingetragen; die restlichen zwei Drittel unterlagen weiter dem freien Grundstücksverkehrsrecht. Für die eingetragenen ca. 650.000 Erbhöfe war die Übergabe des Betriebs nun von der Zustimmung eines bäuerlichen Schiedsgerichts abhängig, das die Abstammung, die nicht näher definierte „Ehrbarkeit“ und die unter anderem vom Alter abhängige Wirtschaftsfähigkeit des Inhabers zu beurteilen hatte. Wurde letztere in Zweifel gezogen, konnte das Hofeigentum entzogen werden. Umgekehrt durfte sich der zur Übergabe bereite Hofinhaber mit der Titulierung „Altbauer“ schmücken, die ihn als vollwertiges „Glied in der Kette der Geschlechterfolge“ auswies. Dahinter steckte nicht nur Blut-und-Boden-Ideologie, sondern auch eine bevölkerungspolitische Absicht: Ein älterer Bauer, der seinen Hof nicht mehr voll bewirtschaftete, musste unter Umständen. mit einer „Abmeierung“ rechnen und seinen Platz für einen jungen Bauern freimachen, der dann „rechtzeitig heiraten und für gesunden Nachwuchs sorgen“ konnte, wie es das Reichserbhofgericht ausdrückte. Nach Kriegsbeginn, als überwiegend Frauen, Kriegsgefangene und Altenteiler die Arbeit auf den Höfen verrichteten, verlor diese Androhung jedoch zunehmend an Überzeugungskraft. Überhaupt blieb die Eingriffsintensität des NS-Rechts nach Ansicht der Autorin geringer als es die von ihr herangezogenen Beispiele suggerieren.

Schließlich wendet sich Fastenmayer der gesetzlichen Altershilfe der Nachkriegszeit zu. Die Autorin konzentriert sich dabei auf die westdeutsche Entwicklung, da die schrittweise Kollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft das System von Hofübergabe und Altersversorgung außer Kraft gesetzt habe. Während die Briten in ihrer Zone an die vorhandenen Traditionen anknüpften (Beibehaltung der Einzelerbfolge und geschlossene Vererbung der Höfe), entschieden sich Franzosen und Amerikaner für fakultative gesetzliche Regelungen. Erst die agrarpolitischen Diskussionen der 1950er Jahre wurden zunehmend in Kenntnis neuer sozialstatistischer Befunde geführt. Wie sich zeigte, lag zum Beispiel der Anteil der über 60-jährigen Inhaber umso höher, je kleiner der Betrieb war. Hofübergaben waren ins Stocken geraten, da Betriebe aufgegeben werden mussten und den Erben neue berufliche Alternativen offenstanden. In der Folge nahm der Anteil des Besitzwechsels durch Erbgang, durch innerfamiliäre Pachtverträge und durch Verkauf deutlich zu. Sowohl in Realteilungs- als auch in Anerbengebieten ging man in dieser Zeit vielfach zum Verfahren der Teilabfindung über, bei dem sich die noch aktiven Eltern erst nach und nach von einzelnen Parzellen trennten. Der den Eltern verbleibende „Hofrest“ wurde damit ein wesentliches Element der Altersversorgung, was sich an der steigenden Zahl der hauptberuflich geführten Kleinbetriebe ablesen ließ. Doch auch hier stellt Fastenmayer bekannte Stereotypen und Krisenszenarien in Frage: Die scheinbare „Überalterung“ der Landwirtschaft entpuppt sich bei näherem Hinsehen als erfolgreiche Anpassungsleistung der Landwirte, die ihre eigene Arbeitsfähigkeit und das Selbstständigkeitsbedürfnis ihrer Familien durch Hofverkleinerung und einen späteren Eintritt in den Ruhestand aufeinander abstimmten.

Angesichts des massiv einsetzenden Strukturwandels gerieten die traditionellen Vorsorge- und Alterssicherungsformen allerdings so sehr unter Druck, dass auch diese Korrekturen allein nicht mehr ausreichten. Unter den aktiven Landwirten stieg deshalb die Bereitschaft, stärker als zuvor in freiwillige und gesetzliche Versicherungen einzutreten und sich endgültig vom Modell der hofgebundenen „Generationenkette“ zu verabschieden. Der Anteil der versicherten Betriebsinhaber lag 1957 zwischen 50 und 70%. Für die Betriebe konnte die ergänzende Absicherung der Älteren im Übrigen erhebliche finanzielle Entlastungen mit sich bringen, sofern die Übergeber zum Verzicht auf Altenteile bereit waren.

1957 wurde das Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte verabschiedet, das die Landwirte obligatorisch in die gesetzliche Rentenversicherung der Arbeiter einbezog. Damit galt erstmals ein staatliches Alterssicherungssystem für eine selbstständige Berufsgruppe; allerdings blieb die Auszahlung der Altershilfe nach dem 65. Lebensjahr an eine zuvor erfolgte Übergabe des Hofs gebunden. Völlig gleichrangig wurde die Altershilfe dennoch nicht behandelt, da die Renten zumeist sehr niedrig ausfielen und eher als „Zuschuss zur hofinternen Alterssicherung“ wirkten.

Die analytische Studie von Birgit Fastenmayer beschreibt nicht nur die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Eigentumsübergabe, sondern vor allem auch die gegenseitige Abhängigkeit der Generationen. Aufstiegschancen und Ausstiegsbereitschaft hingen in der Landwirtschaft stets unmittelbar und konkret fassbar zusammen. Auf einer abstrakteren Ebene gilt das aber auch - darauf weist die Autorin leider nicht hin - für Alterssicherungssysteme und Betriebsübergaben des sekundären und tertiären Sektors.

Thomas Küster, Münster


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