ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

William Bernstein, A Splendid Exchange. How Trade Shaped the World, Grove Press, New York 2008, X + 467 S., kart., 12,99 €.

Die Begriffe „Freihandel“ und „Globalisierung“ haben in den vergangenen Jahren eine negative Umdeutung in Wissenschaft und Öffentlichkeit erfahren. Selbst in den Wirtschaftswissenschaften, traditionell Verfechter einer theoretisch begründeten offenen Handelspolitik, werden die negativen Folgen fehlender nationaler und internationaler Regulierungsmechanismen nun sehr ernst genommen. Vor diesem Hintergrund ist das Buch William Bernsteins zu sehen, der auf mehr als 400 Textseiten eine Geschichte des Handels von frühhistorischen Gesellschaften bis zur sogenannten Globalisierung des 20. Jahrhunderts erzählt und dabei Position zu den Vorteilen und Problemen von Freihandel bezieht. „A Splendid Exchange“ kommt dabei ohne umfassende wirtschaftswissenschaftliche Erklärungsmodelle oder endlose statistische Zahlenreihen aus. Vielmehr weist Bernstein in der Einleitung darauf hin, dass es ihm um einen narrativen Überblick über die Geschichte des Handels geht: „The history of world trade is best told through carefully selected stories and ideas“ (S. 16). Dies gelingt dem Autor in vorzüglicher Weise und macht das Buch zu einem kurzweiligen und lesenswerten Werk.

Bernstein folgt dabei einem chronologischen Schema und beginnt mit den Handelsbeziehungen im Alten Orient. Bereits im ersten Kapitel zeigt er sein großes Talent, langfristige Entwicklungen auf wenigen Seiten so darzustellen, dass der Leser nie die Übersicht verliert. Sehr hilfreich sind dabei auch Landkarten sowie Statistiken, die geografische Schauplätze und quantitative Entwicklungen veranschaulichen. Allerdings erschließen sich aus den Überschriften nicht immer die Inhalte der einzelnen Kapitel. So handelt das Kapitel 1 „Sumer“ nicht nur von Mesopotamien im 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Bernstein gibt darin auch einen Überblick über archäologische Zeugnisse vom Handel in prähistorischer Zeit, geht auf die Handelsverbindungen des indischen Subkontinents mit der mesopotamischen Welt ein, springt dann nach Ägypten und zu phönizischen Kaufleuten und landet zum Abschluss des Kapitels beim vorchristlichen Gewürzhandel vom indischen Ozean ins Mittelmeer.

Eine umfassende und tiefgehende Analyse ist auf so engem Raum nicht zu leisten. Bernstein schafft es dennoch, die Entwicklung des Handels in einen politischen, sozialen und technischen Kontext zu integrieren und dabei Verständnisbrücken zwischen den behandelten Zeitepochen zu schlagen. Anhand von Fallbeispielen verdeutlicht er allgemeine Prozesse und bewahrt einen erzählerischen roten Faden im gesamten Buch, das auch sprachlich verständlich und spannend geschrieben ist. Durch diese interessanten und mit langfristigen Entwicklungslinien verbundenen Beispiele gut informiert, befindet sich der Leser nach knapp 150 Seiten am Beginn der frühen Neuzeit, die Bernstein als Ausgangspunkt der europäischen Wirtschaftsexpansion in alle Teile der Welt markiert.

Ab Kapitel 7 geht der Autor zunächst auf die portugiesischen Expeditionen im indischen Ozean ein und beschreibt anschließend die spanische Eroberung Süd- und Mittelamerikas sowie deren wirtschaftliche Folgen für Europa. Für das 18. Jahrhundert zeichnet Bernstein den Aufstieg der holländischen und englischen Ostindien-Gesellschaften nach und erläutert, wie die Nachfrage nach Luxusgütern wie Kaffee oder Tee eine treibende Kraft hinter der ökonomischen Expansion Europas darstellte. Im 19. Jahrhundert sieht Bernstein den globalen Freihandel unter britischer Dominanz weitgehend verwirklicht, bevor zum Ende des Jahrhunderts zunehmend protektionistische Tendenzen in die Politik der europäischen Großmächte Eingang fanden. Ein hoher Verflechtungsgrad der globalen Wirtschaft konnte dann erst wieder im Rahmen des „General Agreement on Tariffs and Trade“ (GATT) in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreicht werden.

Im Schlusskapitel wendet sich Bernstein den Fragen zu, welche Lehren erstens aus der Geschichte des Welthandels zu ziehen sind und wie zweitens diese Lehren auf die aktuellen Herausforderungen übertragen werden können. Hier schließt sich der Autor einerseits klassischen Autoren wie Adam Smith und David Ricardo an, dass Arbeitsteilung und Handel grundsätzlich für alle Beteiligten vorteilhaft sind. Andererseits verweist er auf die historischen Beispiele, die die Verlierer von ökonomischer Integration zeigen. Damit verbindet Bernstein eine Warnung an alle Enthusiasten des Freihandels. Nur eine angemessene Kompensation dieser Verlierer könne für gesellschaftliche Stabilität sorgen (S. 385).

Einen originalen wissenschaftlichen Wert beansprucht Bernstein, als promovierter Chemiker und einstmals praktizierender Arzt ein Quereinsteiger im Bereich Wirtschaftsgeschichte, nicht. Analytisch geht er kaum in die Tiefe und eigene empirische Ergebnisse werden nicht präsentiert. Zwar belegen die umfassenden Literaturangaben, dass er sich mit der Wirtschafts- und Politikgeschichte der behandelten Epochen sowie mit wirtschaftswissenschaftlichen Theorien intensiv beschäftigt hat. Doch sozialanthropologisch nicht begründete Aussagen zum Handel als „irreducible and intrinsic human impulse“ (S. 18) sowie die immer implizit erkennbare Orientierung an klassische Autoren wie Adam Smith (,,man has an intrinsic propensity to truck, barter, and exchange“, S. 8) sind theoretisch sehr problematisch. Auf empirischer Ebene ist Bernsteins Auswahl der Fallbeispiele als selektiv zu kritisieren. So werden wirtschaftliche Austauschprozesse im vorkolumbianischen Amerika sowie in anderen Erdteilen vor dem europäischen Imperialismus vollständig unterschlagen.

Trotz dieser Kritik sind zwei Punkte an dem Buch „A Splendid Exchange“ positiv hervorzuheben. Erstens unterstreicht Bernstein die geschichtliche Dimension von Globalisierung: „The world did not abruptly become ‚flat‘ with the invention of the internet“ (S. 14). Zweitens betont er die dichotome Wirkung von handelspolitischer Integration, die trotz möglicher gesamtgesellschaftlicher Vorteile immer auch Verlierer produziert. Für Bernstein liegt die Lösung in einem sozialen Sicherungsnetz, das die kurzfristigen Verlierer von Globalisierung auffängt: „Free trade and a generous safety net reinforce each other“ (S. 383).

Wichtiger als der originär akademische Beitrag Bernsteins ist die Breitenwirkung von „A Splendid Exchange“. Von der „Financial Times“ und vom „Economist“ wurde das Buch mit dem Prädikat „Best Book of the Year“ ausgezeichnet. Insbesondere für den „Economist“ erbringt Bernstein den Nachweis der gesamtgesellschaftlich wohlfahrtssteigernden Wirkung von Handel (Rezension in der Ausgabe vom 17. Juli 2008). Die Zeitschrift verbindet damit eine Aufforderung an die Regierung Obama, eine Politik des Freihandels zu verfolgen. Dieses Fazit lässt sich allerdings nur eingeschränkt aus „A Splendid Exchange“ ableiten. Vielmehr ist es ein zentrales Anliegen Bernsteins, die Einbettung von Handel in politische und gesellschaftliche Strukturen zu erklären und die zum Teil zerstörerischen Kräfte ökonomischer Integration aufzuzeigen. Die „Lehren aus der Geschichte“ für die gegenwärtige Globalisierung (S. 367) liegen daher nicht in der unbedingten Verfolgung einer Freihandelspolitik, sondern in der vorsichtigen und sozial abgesicherten Öffnung von Märkten.

Martin Lutz, Berlin


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