ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Detlef Siegfried, Sound der Revolte. Studien zur Kulturrevolution um 1968, Juventa Verlag, Weinheim/München 2008, 272 S., brosch., 26,00 €.

Der Titel der hier vorgestellten Aufsatzsammlung „Sound der Revolte“ legt ebenso wie einige weitere Veröffentlichungen der letzten Jahre die Frage nahe, wie denn Geschichte klinge, und das durchaus weit gefasst, das heißt unter dem Blickwinkel, wie Geschichte subjektiv wahrgenommen, erzählt, reflektiert, erinnert und erfahrungsgeschichtlich gedeutet werden kann. Zu nennen sind hier - um nur einige Beispiele zu geben, die auch konkret Musikalischem Beachtung schenken: Michael Rauhuts „Schalmei und Lederjacke“ (1), der Begleitband zu der Ausstellung „Rock! Jugend und Musik in Deutschland“, an dem Siegfried, Rauhut, Kaspar Maase und andere ausgewiesene Experten mitgearbeitet haben (2), oder Detlef Siegfrieds Habilitationsschrift „Time Is on My Side“ (3). In Axel Schildts und Detlef Siegfrieds „Deutscher Kulturgeschichte“ (4) sind Entwicklungen der Alltags-, der Freizeit- und Populärkultur dargestellt, die ebenfalls mit Blick auf die Frage nach einem wie auch immer im Einzelnen zu verstehenden „Sound“ von Geschichte gelesen werden können.

Die Aufsatzsammlung „Sound der Revolte“ eignet sich zweifellos dazu, sich mit generationellen Prägungen der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren zu beschäftigen und weiterführende Fragen zu stellen, die sich auch mit Blick auf habituelle Veränderungen stellen: nach sich wandelnden Formen von Protest, nach sozialen Bewegungen und ihren Kennzeichen, nach der Rolle von Kommerz und Vermarktung jugendkultureller Phänomene und anderes mehr. Die in dem Band nachzulesenden Aufsätze, die sich dem gesellschaftlichen Wandel der 1960er Jahre in einem großen Bogen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln widmen, lassen den Zusammenhang mit Siegfrieds Habilitationsthema unschwer erkennen. In seinem bislang nicht veröffentlichten Einleitungsbeitrag mit dem Titel „,1968‘ - eine Kulturrevolution?“ (alle anderen Aufsätze sind bereits an anderer Stelle abgedruckt) macht der Autor auf grundlegende Aspekte seines Untersuchungsfokus‘ aufmerksam, die mit Stichworten wie „Wende“- und „Umbruchzeit“ (S. 15) oder „Scharnierjahrzehnt der Geschichte der Bundesrepublik“ (S. 24) benannt werden, und zwar bezogen auf soziale und kulturelle Veränderungen, nicht zuletzt auch auf den bereits angesprochenen generationellen Wandel, der allerdings nicht systematisch, sondern immer mal wieder lediglich mit ins Spiel gebracht wird. Wünschenswert wäre zweifellos eine noch intensivere Forschung dazu, wie unterschiedliche Altersgruppen und Angehörige verschiedener Sozialmilieus die 1960er Jahre rückblickend beschreiben und sich in diesem Jahrzehnt verorten, und zwar im Sinne von ‚gefühlter`, das heißt subjektiv erfahrungsgeschichtlich begründeter Verbundenheit aufgrund einschneidender lebensgeschichtlicher Prägungen. (5) Reinhard Koselleck hat bekanntlich - und das wäre möglicherweise gerade für die Generationenkonflikte der bewegten 1960er Jahre interessant - Generationenbeziehungen mit einer Ziehharmonika zu vergleichen versucht, mal rücken Generationen demnach weiter auseinander, mal enger zusammen. (6) Zu wünschen wäre überdies ein ergänzender Aufsatz Siegfrieds zu der verbreiteten These, die ‚68er-Revolte‘ sei als Generationenkonflikt oder gar -aufstand zu sehen, in dem sich Angehörige der in den 1940er Jahren geborenen Alterskohorten gegen ihre (NS-)Väter auflehnten, und die Sprengkraft des Konflikts habe mit einem Protest-Stau seit den 1950er Jahren zu tun, dem „durch verdrängte oder in ihrer Entfaltung gestaute Minderheiten der vormaligen Generation vorgearbeitet worden“ sei. (7) Die Tatsache, dass es weiterhin Desiderate gibt, schmälert indes keineswegs die Verdienste des Autors und des hier vorgestellten Aufsatzbands, der nicht zuletzt denjenigen Lesern empfohlen sei, denen möglicherweise Siegfrieds Habilitationsschrift zu umfänglich erscheint und die sich über zentrale aktuelle Forschungsfragen und inhaltliche Zugänge (über die Jugendzeitschrift „Bravo“, die Kommune I, über Gegen- und subkulturelle Szenen und anderes mehr) dem Thema oder besser vielleicht dem Phänomen ‚68‘ widmen möchten.

Barbara Stambolis, Gießen

Fußnoten:


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