ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Jürgen Bevers, Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik, Christoph Links Verlag, Berlin 2009, 240 S., geb., 19,90 €.

Nach eigenem Bekunden (S. 9) legt Jürgen Bevers eine journalistische Arbeit vor, die eine kritische wissenschaftliche Beschäftigung mit der Biografie von Hans Globke weder ersetzen könne noch wolle. Doch auch die Publikation eines Journalisten muss gewissen Anforderungen genügen. Dazu zählen eine sorgfältige Recherche, ein intensives Studium des Archivmaterials und der vorliegenden Literatur sowie insbesondere ein abgewogenes Urteil über seinen Forschungsgegenstand. Schon ein kurzer Blick in den Anmerkungsapparat lässt erste Zweifel aufkommen, ob der Autor diesen Bedingungen genügt. Es reicht eben nicht, sich im Wesentlichen - was die Quellen betrifft - auf den Nachlass von Globke im Archiv für Christlich-Demokratische Politik zu stützen. Wie ein Quellenstudium bei einem derart heiklen Thema aussehen sollte, hat Erik Lommatzsch in seiner ebenfalls 2009 erschienenen Studie über Globke demonstriert.

Hans Globke - von 1953 bis 1963 Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramts - zählt zu den wichtigsten, aber auch umstrittensten politischen Protagonisten der frühen Bundesrepublik. Die Tatsache, dass er als Oberregierungsrat zusammen mit dem Staatssekretär des Reichsministeriums des Innern, Wilhelm Stuckart, den 1936 erschienenen ersten Kommentar zu den „Nürnberger Gesetzen“ und deren Ausführungsverordnungen verfasste, stand und steht stets im Mittelpunkt, wenn die Frage nach seinem Verhalten im ‚Dritten Reich‘ aufkommt. Dazu ist zunächst zu sagen, dass Globke am Entwurf der „Nürnberger Gesetze“ selbst offenbar nicht mitwirkte, wohl aber an Ausführungsverordnungen. Diese Mitarbeit und der Kommentar trugen - darin ist dem Autor recht zu geben - erheblich dazu bei, „Unrecht als Recht erscheinen zu lassen“ (S. 208).

Globke war kein Initiator der gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten Gesetzgebung des Deutschen Reichs, doch auch weit davon entfernt, maßgeblichen demokratischen Prinzipien gerecht zu werden. Insoweit war seine Berufung zum Chef des Bundeskanzleramts durch Konrad Adenauer ein politischer Fehler. In den bisherigen Debatten über die sogenannte ‚Vergangenheitsbewältigung‘ der (West-)Deutschen in den 1950er und 1960er Jahren rückte der Fall Globke wiederholt in den Vordergrund. Sie suggerierten auf diese Weise, dass die Bundesrepublik in der Frage der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ausschließlich durch die gesellschaftliche Reintegration belasteter Personen geprägt worden sei.

In einem Interview mit dem SPIEGEL am 14. Oktober 1985 legte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker dar, dass Schuld etwas sei, was um so wirksamer erkannt und empfunden werden könne, je mehr sich der Betroffene dieser Frage im Stillen stelle. Ob auch Globke eine solche individuelle Form der Schuldverarbeitung betrieb, ist unbekannt. In öffentlichen Äußerungen versuchte er jedenfalls, sein damaliges Handeln zu rechtfertigen. Ein Schuldbekenntnis ließ er vermissen. Gleichwohl ist es völlig naiv, wie Bevers anzunehmen, Globke wäre nie so stark angefeindet worden, wenn er seine Rolle im NS-Staat bedauert hätte (S. 208). Die heuchlerischen Schauprozesse, die in der DDR gegen ihn geführt wurden, wären deshalb wohl kaum eingestellt worden.

Trotz aller Kritik an Globkes Umgang mit seiner eigenen Vergangenheit müssen die von ihm ins Feld geführten entlastenden Argumente einer gründlichen Prüfung unterzogen werden. Zum einen wies Globke darauf hin, sein Kommentar zu den „Nürnberger Gesetzen“ sei der mildeste gewesen. Bevers setzt sich mit dieser Behauptung auseinander. Seine Vorgehensweise ist allerdings bezeichnend: Um Globke zu belasten, zieht er ausgerechnet den Kommentar von Bernhard Lösener (den dieser zusammen mit Ferdinand August Knost schrieb) heran, um zu zeigen, dass Globke keine Milde für die Betroffenen walten ließ. War Lösener, damals Ministerialrat im Reichsministerium des Innern, also doch nicht der „überzeugte Nazi“ (S. 29), als den Bevers ihn zuvor beschrieben hat? Bei der Suche nach Zeugen ist Vorsicht geboten!

Zum anderen führte Globke wiederholt aus, dass er nur auf seinem Posten verblieben sei, um Widerstandskreisen der katholischen Kirche Informationen beschaffen zu können. Bevers gesteht ihm zu, derartiges „unter Gefährdung der eigenen Person“ (S. 69) getan zu haben. Zugleich ist ihm zuzustimmen, dass Globke deswegen noch lange kein „katholischer Widerstandskämpfer“ (ebd.) war. Die Art, wie Bevers in diesem Zusammenhang mit Aussagen von potenziellen Entlastungszeugen umgeht, muss jedoch scharf kritisiert werden. Das betrifft insbesondere die vermeintlichen ‚Persilscheine‘ von Jakob Kaiser, den der Autor gnadenlos diffamiert. Solche Gegner Hitlers seien, im Gegensatz etwa zu Wilhelm Leuschner, nicht gerade „feurige Verfechter einer parlamentarischen Demokratie“ gewesen. Ihnen hätten klare politische Zielsetzungen gefehlt (S. 75f.). Mit Aussagen dieser Art über einen aufrechten Mann des Widerstands wie Kaiser disqualifiziert sich der Verfasser selbst.

Das eigentliche Ziel, das Bevers mit dieser Veröffentlichung verfolgt, wird immer dann besonders deutlich, wenn er den historischen Kontext schildert, in dem Globke nach 1945 agierte. Letztlich handelt es sich um eine oberflächliche, gänzlich unreflektierte, haarsträubende Abrechnung mit der Politik des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Alle klischeehaften Vorurteile werden bedient: vom „spießigen Adenauer-Deutschland“ (S. 172) bis zu den „christlichen Kreuzritter[n] in den Westzonen“ (S. 102). Die Bemerkung über die neu formulierten „alte[n] Ziele“ (S. 148) in Bezug auf den Aufbau der Bundeswehr soll wohl den Eindruck erwecken, die Bundesrepublik habe einen Angriffskrieg geplant. Bisweilen unterbricht Bevers diese Litanei auf eigentümliche Weise, etwa wenn er Adenauer als einen unbelasteten Politiker beschreibt (S. 110) oder Egon Bahr zitiert, der als größte Leistung Adenauers die Integration des Gemeinwesens ansieht (S. 116). Wie passt das in sein Weltbild?

Nicht zuletzt versucht Bevers, das Institut für Zeitgeschichte, „das von Bund und Ländern getragen wird“ (S. 190), in ein schlechtes Licht zu rücken. Er moniert, dass der damalige Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, Walter Strauß, 1961 in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte die „Erinnerungen“ von Lösener habe publizieren können, die Globke entlasten. Bevers übersieht in diesem Zusammenhang geflissentlich zweierlei: Zum einen die maßgeblichen Beiträge des Instituts zur Erforschung des Nationalsozialismus, zum anderen die Tatsache, dass Hans Rothfels den Text von Lösener in der Vorbemerkung ausdrücklich als „Rechtfertigungsbericht“ charakterisiert, welcher der quellenkritischen Auseinandersetzung bedürfe.

Ein eigenes Kapitel widmet Bevers der Nahost-Krise der Bundesrepublik 1964/65 und ihrer Vorgeschichte. Er gaukelt dem Leser vor, Israel habe Globke aus dem Prozess gegen Adolf Eichmann herausgehalten, um im Gegenzug Waffenlieferungen der Bundesrepublik in großem Stil erhalten zu können. Einen endgültigen Beweis kann er allerdings nicht präsentieren. So bleibt die Tatsache des Waffengeschäfts, das die Beziehungen der Bundesrepublik zu Israel durchaus auf eine neue Grundlage stellte. Darin eine „Ironie der Geschichte“ (S. 184) zu sehen, ist nicht unberechtigt, denn dieses Kapitel der bilateralen Beziehungen gereicht weder der bundesdeutschen noch der israelischen Politik zur Ehre.

Fazit: Ein Buch, das sich einem schwierigen Thema widmet, aufgrund von häufig undifferenzierten Urteilen der notwendigen Ernsthaftigkeit aber in keiner Weise gerecht zu werden vermag. Es wird über weite Strecken von Effekthascherei und Sensationsgier bestimmt, nicht von dem Bemühen um die ganze Wahrheit.

Tim Szatkowski, München


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