ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Jost Dülffer/Robert Frank (Hrsg.), Peace, War and Gender from Antiquity to the Present. Cross-Cultural Perspectives (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung, Bd. 14), Klartext Verlag, Essen 2009, 282 S., brosch., 28,00 €.

Der anzuzeigende Band versammelt die auf dem 20. Internationalen Geschichtskongress in Sydney in drei einschlägigen Sektionen 2005 präsentierten Beiträge. Hauptziel war dabei, gemäß den Herausgebern, die Analyse von Universalität beziehungsweise Diversität und der konzeptionellen Beziehung zwischen Krieg und Frieden sowie die Verbindung von politischer und internationaler Geschichte mit sozial- und kulturhistorischen Zugangsweisen. Entsprechend umfasst der Band sowohl Studien zu einigermaßen klassischen Themen der europäisch-nordamerikanischen Kriegs- und Friedensgeschichte als auch Beiträge zu afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Fallbeispielen.

Der erste Hauptteil steht unter der Überschrift „Concepts of War and Lasting Peace“ und schlägt einen weiten, interkontinentalen Bogen von der Antike bis zur Gegenwart. Hans van Wees vertritt die These, dass in der antiken Staatenwelt der Friedensbegriff als bloße Absenz von Feindseligkeiten zwar einen geringeren Stellenwert besaß als heute, dass aber viele mit dem heutigen Friedensbegriff verbundene Konnotationen von Harmonie und Kooperation in der Antike durchaus existierten, jedoch in anderer Begrifflichkeit artikuliert wurden. Der quellengesättigte Beitrag von Yvonne Friedman befasst sich mit Praktiken des Friedenschlusses zwischen Christen und Muslimen im östlichen Mittelmeerraum im Zeitalter der Kreuzzüge. Arno Strohmeyer analysiert die beiden in der frühneuzeitlichen Staatenwelt dominanten Konzepte der Monarchia Universalis und des Gleichgewichts hinsichtlich ihrer friedenspolitischen Gehalte und gelangt zu dem Schluss, das eine habe wesentlich eine innere Friedensordnung mit bewaffneter Auseinandersetzung mit äußeren Feinden postuliert, während das andere Krieg durchaus als legitimes Mittel zur Herstellung oder Aufrechterhaltung des Gleichgewichtszustands betrachtete. Gottfried Niedhart gibt einen weit gespannten Überblick über die Entwicklung der Vorstellungen von „Liberal Peace“ und „Democratic Peace“ im 19. und 20. Jahrhundert und postuliert, diese Konzepte dürften in der Zukunft weder für ideologische Kreuzzüge noch als Legitimation zur Verfolgung egoistischer wirtschaftlicher und politischer Ziele missbraucht werden. Alfredo Canavero diskutiert die Entwicklung päpstlicher Vorstellungen vom ‚Gerechten Krieg‘ im 20. Jahrhundert. Sumit Sarkar befasst sich mit Gandhis Konzept der Gewaltlosigkeit und bezeichnet westliche Vorstellungen, dabei habe es sich um etwas „typisch Hinduistisches“ gehandelt, als eine Spielart des Orientalismus'. Vielmehr müssten die vielgestaltigen, auch westlichen Einflüsse auf Gandhis Denken veranschlagt werden. Pierre Boiley schließlich analysiert Mechanismen und Praktiken der Konfliktlösung und des Peacekeeping im zeitgenössischen Afrika und sieht seit den 1990er Jahren eine zunehmende „Afrikanisierung“ dieses Prozesses, die ihn hoffnungsfroh stimmt.

Der zweite Hauptteil mit dem Titel „Gender and Violence“ versammelt Fallstudien vom europäischen Mittelalter bis zur Gegenwart. Dianne Hall und Elizabeth Malcolm analysieren den Zusammenhang von Gewalt und Geschlecht in Irland zwischen 1169 und 1603, das von einer Gleichzeitigkeit ausgesucht grausamer Praktiken und komplizierter gälisch-englischer Akkulturationsprozesse gekennzeichnet war. Pierre Lagrous Beitrag handelt von Normen legitimer und illegitimer Kriegführung im Europa des 20. Jahrhunderts. Barbara Potthast befasst sich mit Nationalheldinnen und Soldatinnen in lateinamerikanischen Kriegen und Revolutionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Tammy Proctor gibt einen Überblick über verschiedene aktive Rollen, die Frauen im Ersten Weltkrieg in der Kampfzone spielen konnten, etwa als Spioninnen, Krankenschwestern, Etappenhelferinnen oder - im Fall der russischen Armee - auch als Kombattante. Daran anschließend untersucht Jean H. Quataert die Geschlechterrollen im Rahmen der Rotkreuz-Feldhospitäler im Ersten Balkankrieg und im Ersten Weltkrieg. Roger D. Markwick vergleicht die Rollen von Frauen in den Kriegskonzeptionen und -realitäten in der Sowjetunion und im nationalsozialistischen Deutschland während des Zweiten Weltkriegs und gelangt zu dem Schluss, dass sich zwischen den beiden „totalitären“ Regimen eine große Kluft auftue, indem der Nationalsozialismus einem kruden biologistischen Determinismus angehangen habe, wohingegen die Sowjetunion selbst unter Stalin grundsätzlich dem Bekenntnis zur Geschlechtergleichheit treu geblieben sei. Ausgehend von den Debatten um Jörg Friedrichs Buch „Der Brand“ zeichnet Charles S. Maier schließlich jüngere Diskussionen in Deutschland, den USA und Großbritannien um die Flächenbombardements des Zweiten Weltkriegs nach.

Insgesamt zeichnen sich die meisten Beiträge durch ein hohes Niveau aus und insofern ist das Versprechen des Klappentexts, das Buch gebe „neue Einblicke in alte Probleme der Weltgeschichte“, wohl nicht zu hoch gegriffen. Allerdings sind die beiden Hauptteile, die bezeichnenderweise auch über je eine eigene Einleitung verfügen, thematisch und konzeptionell nur lose miteinander verbunden. Während der erste Hauptteil wenigstens in sich einem roten Faden folgt, zerfällt der zweite wiederum in zwei Arten von Beiträgen, von denen die einen sich unter weitgehender Ausblendung der Kategorie Geschlecht mit normativen Fragen im Kontext kollektiver und ‚totaler' Gewaltanwendung im 20. Jahrhundert befassen, während die anderen in den seit den 1990er Jahren von der ‚neuen' Militärgeschichte intensiver untersuchten Themenkreis „Krieg und Geschlecht“ fallen und sich dabei stark auf die Thematik von Frauen in der Kampfzone und deren Wahrnehmung konzentrieren. Kritisch sind sodann Lektorat und Produktion des Bands zu erwähnen. Nicht nur sind die Beiträge formal wenig vereinheitlicht - einige haben Zwischentitel, andere nicht, einige stellen eine Bibliografie zu Verfügung, andere nicht, einige folgen der britischen Orthografie, andere der amerikanischen -, sondern es fallen auch zahlreiche Druckfehler und fehlende Leerzeichen auf. Zwei Seiten sind beim Druck sogar komplett weggefallen, darunter der Beginn des Schlussworts.

Christian Koller, Bangor


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