ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Benjamin Ziemann (Hrsg.), Peace Movements in Western Europe, Japan and the USA during the Cold War (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung, Bd. 8), Klartext Verlag, Essen 2007, 286 S., brosch., 29,90 €.

Mit dem eindrücklichen Plakat eines zerfetzten Arztes vor den Trümmern der Berliner Gedächtniskirche zeigt das Cover des von Benjamin Ziemann herausgegebenen Sammelbands die symbolische Wirkgewalt, mit der Friedensbewegungen während des Kalten Kriegs weltweit vor den Konsequenzen eines nuklearen Konflikts warnten. Dass diese Bedrohung nicht an den Grenzen von Nationen haltmachte, liegt auf der Hand. Grund genug, die Friedensbewegungen dieser Zeit nicht nur isoliert im nationalen Kontext zu untersuchen, sondern den Blick für eine transnationale Perspektive zu weiten. Die insgesamt 14 Beiträge haben daher zum Ziel, die symbolische Politik des Friedensprotests zu analysieren und zu untersuchen, wie sehr die Proteste der jeweils nationalen politischen Kultur verhaftet waren. Der Anspruch der Autoren ist es dabei, die Friedensbewegungen während des Kalten Kriegs weder zu glorifizieren noch zu marginalisieren sowie ihren Spezifika als sozialen Bewegungen nachzugehen. Zum Verständnis des substanziellen Einflusses der Friedensbewegungen auf die westlichen Gesellschaften verweist Benjamin Ziemann in seiner Einleitung auf einen erweiterten Politikbegriff. Friedensbewegungen vergrößerten den legitimen Raum für politische Aktivitäten, die sich nicht mehr nur im Parlament und im Regierungshandeln widerspiegelten.

Vor diesem Hintergrund fragt der erste Teil des Sammelbands nach den „Mustern von Mobilisierung und nach den transnationalen Verbindungen“. Am Beispiel der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) zeigt Andrew Oppenheimer den Wandel innerhalb der Friedensbewegung von einer geschlossenen Definition des Pazifismus hin zu einer breiteren und international angebundenen Auslegung des Begriffs im Kalten Krieg. Mit der Diskursanalyse von Solidaritätsbekundungen der DFG demonstriert er, wie alte Erklärungsmuster hinfällig wurden und eine neue, supranationale Sprache geschaffen wurde. Den Widerstand gegen etablierte Muster beschreibt auch Michael S. Foley in seinem Beitrag über den Protest gegen die Einberufungspraxis von Soldaten in Boston und Puerto Rico während des Vietnamkriegs. Die Institution der militärischen Einberufung als solche provozierte eine soziale Bewegung, die einen neuen, zivilisierten Typus der Männlichkeit durchsetzte. Eine vergleichsweise hohe Beteiligung von Frauen und Frauengruppen stellt Volker Fuhrt in der Friedensbewegung der 1960er Jahre in Japan fest, deren Erfolg vor allem durch den singulären Protest gegen Kernwaffen und der emotionalen Mobilisierung der japanischen Bevölkerung bedingt war. Sobald allerdings der Protest neben der Kernwaffenproblematik noch andere Ziele verfolgte, verminderten sich dessen Erfolgsaussichten. Robbie Lieberman veranschaulicht dies am Umgang mit den Themen „Frieden“ und „Bürgerrechte“ in den US-amerikanischen sozialen Bewegungen von 1947 bis 1967, wobei die Öffentlichkeit die beiden Begriffe strikt getrennt voneinander wahrnahm. Über die Untersuchungsbereiche des Sammelbands hinaus geht dagegen Massimo De Guiseppe mit dem Bezug auf die ,Wiederentdeckung` Lateinamerikas, die sich allerdings immer noch im Kontext westlicher Friedensbewegungen abspielte. Denn durch die Perspektive des ,Anderen` ermöglichte es Lateinamerika etwa der italienischen Bewegung, in einem symbolischen und politischen Dialog die Logik des Kalten Kriegs zu unterminieren und die eigene Identität zu reflektieren. Privilegierter waren dagegen die Verbindungen innerhalb studentischer Friedensbewegungen zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten, bei denen Caroline Hoefferle zufolge ein Netz von Querverbindungen den Austausch von jeweiligen Zielen, Protesttaktiken, von Sprache und Symbolen, Ideologien sowie Organisationsmustern förderte. Abschließend beschreibt Dimitrios Tsakiris am Beispiel Griechenlands, welche Muster Friedensbewegungen unter den Bedingungen einer Militärdiktatur und staatlicher Repression entwickelten. Die Marathon-Friedensmärsche von 1964 bis 1967 stellten dabei eine wichtige Möglichkeit her, sich über den nationalen Kontext hinaus mit den anderen Friedensgruppen zu koordinieren.

Dass symbolische Politik vor allem an bildhafte Vermittlung gekoppelt ist, wird im zweiten Teil des Sammelbands deutlich. Dazu beleuchtet zunächst Holger Nehring die öffentliche Darstellung und mediale Wahrnehmung der britischen und westdeutschen Proteste gegen Kernwaffen von 1958 bis 1963. Den Einsatz von Symbolen als Mittel zur Einflussnahme auf die öffentliche Meinung zeigen exemplarisch die Beiträge von Sabine Rousseau, Annegret Jürgens-Kirchhoff und Jeremy Varon. Dabei wird deutlich, dass bildhafte Codes nur in ihrem soziokulturellen Kontext ,lesbar` sind und verstanden werden können. So setzten sich nach 1945 der Atompilz und die Friedenstaube als Symbol im Gebrauch der westlichen Friedensbewegungen durch. Mit ihrer bildhaften Zurschaustellung verwiesen sie auf die politische Situation, wie auch die Wanderausstellung „Künstler gegen den Atomkrieg“. Dass symbolische Politik die Kampagnenziele nicht nur positiv begleiten konnte, zeigte sich am Einsatz der vietnamesischen Flagge der Nationalen Befreiungsfront (NFL) durch US-amerikanische Friedensgruppen als Zeichen der Solidarität für Vietnam. Der amerikanischen Nationalflagge als „iconic symbol“ der Einigkeit der Nation gegenübergestellt, schwächte sie die Solidarität mit anderen Friedensgruppen innerhalb der USA. Auch vor einer Übernahme eigener Zeichen und bildhafter Vorstellungen waren Friedensbewegungen nicht gefeit. Fabian Virchow stellt dies anschaulich anhand der ,Friedenspropaganda` von Neo-Nazis in der Bundesrepublik dar, die sich durch die Verwendung friedensbewegter Motive selbst identitätsstiftende Narrative schufen.

Mit der Interpretation von Friedensbewegungen als soziales Phänomen schließt Dieter Rucht die einzelnen Aufsätze souverän ab. Auch wenn sich einige Beiträge in der deskriptiven Beschreibung einzelner Aspekte der Friedensbewegung erschöpfen, ist es dem Herausgeber gelungen, eine facettenreiche Sicht auf die Friedensbewegungen in Westeuropa, Japan und den Vereinigten Staaten im Kalten Krieg vorzulegen. Gerade auch der stete Gegenwartsbezug vieler Texte liest sich erfrischend und unterstreicht die komparative Perspektive der Autoren nicht nur in transnationaler, sondern auch in zeitlicher Hinsicht. Der Sammelband hält damit wichtige und neue Anregungen bereit, die für weitere transnationale Arbeiten sicherlich genutzt werden können, so dass am Ende nicht nur das Cover Wirkgewalt entfalten konnte.

Sebastian Kalden, Marburg


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