ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Gabriela Brudzyńska-Němec, Polenvereine in Baden. Hilfeleistung süddeutscher Liberaler für die polnischen Freiheitskämpfer 1831-1832, Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006, 370 S., geb., 48,00 €.

Die Thorner (nicht eine Freiburger, wie mancherorts zu lesen steht), bei Karol Sauerland geschriebene Dissertation von Gabriela Brudzyńska-Němec aus dem Jahr 2004 verdient aufmerksame Beachtung. Auf der einen Seite zeichnen sich nämlich in der Forschung über die liberale deutsche Polenfreundschaft der Jahre 1830 bis 1832 Ermüdungssymptome ab - die Flut der Publikationen aus den 1980er und 1990er Jahren flaute ab und es scheint der Eindruck zu überwiegen, das Thema wäre schon ein abgearbeitetes Kapitel, beinahe obsolet. Auf der anderen Seite entgeht es dem kritisch-prüfenden Forscherblick nicht, dass der vor beinahe einem halben Jahrhundert formulierte Vorwurf Michael G. Müllers, die deutsche Historiografie neige (noch unter der Last der Fachtradition aus dem wilhelminischen Zeitalter) dazu, „die demokratisch-liberale Polenfreundschaft des Vormärz“ als „in erster Linie moralisch definierte Verirrung gegenüber den eigentlichen nationalen Zielen und Aufgaben des Liberalismus“ (1) abzutun, nach wie vor aktuell ist, wenn manche, sogar ausgewiesene Vormärz- und Liberalismusforscher diesem Thema, wie die Verfasserin aufzeigt, „eine marginale Bedeutung“ zuschreiben, ja es sogar stillschweigend übergehen (S. 17f.).

Vor diesem Hintergrund erscheint die in Rede stehende Arbeit - um es gleich vorwegzunehmen - als Volltreffer. Zum einen, weil sie ein gewichtiger Beleg dafür ist, dass die Polenfreundschaft im Vormärz noch beileibe nicht ein abgearbeitetes Kapitel der Historiografie ist und die deutschen Archive, wie die Verfasserin mit erdrückender Akribie nachweist, für den interessierten Forscher noch wahre Überraschungen bereithalten. Übrigens stellt uns in diesem Kontext manchmal auch die besagte Historiografie vor (politische) Überraschungen, je nachdem ob sie in West oder Ost betrieben wurde, worauf 2001 Georg W. Strobel in einer polnischen Publikation aufmerksam gemacht hat. (2) Die Fokussierung auf einen deutschen Staat, bisher singulär thematisiert (3), ermöglichte Gabriela Brudzyńska-Němec eine konzentrierte und intensive Analyse der Quellen, was der Arbeit wohlgetan hat, wenn auch die Handhabung der Zitate durch die Verfasserin etwas sparsamer hätte ausfallen können, ohne die Ergebnisse zu beeinträchtigen. Die konkrete Fokussierung auf Baden, wo die damalige Polenfreundschaft kulminierte, erlaubte ihr, über die binationalen Kontakte hinauszugehen und im Kontext der französischen Nachbarschaft in dieser Region das deutsch-polnische Untersuchungsthema vor den internationalen Kulissen aufzurollen. Zum anderen ist das Buch von Gabriela Brudzyńska-Němec auch deshalb eine beachtenswerte Leistung, weil ihr der Nachweis gelingt, dass die süddeutsche, rege radikal-liberale Protestbewegung während der 1830er Jahre nicht so sehr, oder vorsichtiger formuliert, nicht allein, auf die französische Juli-Revolution als vielmehr auf ,die polnische Revolution', wie der Novemberaufstand damals genannt wurde, zurückzuführen ist (freiheitlicher Ideentransfer à rebours: von Ost nach West). Die süddeutsche Polenfreundschaft ist, wie seinerzeit schon Dieter Langewiesche postuliert hat, demnach als eine integrale Komponente der deutschen Gesellschaftsgeschichte im Vormärz aufzufassen.

Eine Forschungslücke schließt die Verfasserin auch im Hinblick auf die weibliche organisierte Polenhilfe und ihre emanzipatorischen Aspekte, indem sie den weiblichen Polenvereinen im süddeutschen Raum ein eigenes detailliertes Kapitel in ihrer Monografie widmet - ein Desiderat, das bisher nur punktuelle Bearbeitung erfahren hat.

Insgesamt hat die jetzt an der Purkyne-Universität in Aussig an der Elbe tätige Wissenschaftlerin ein solide ausgearbeitetes, wichtiges Buch vorgelegt, auf welches die künftige Forschung wird dankbar rekurrieren müssen. Ein Minuspunkt der Monografie, mehr dem Verlag als der Verfasserin anzulasten, ist sein schlechtes (gar fehlendes?) Lektorat. Grammatikalische und stilistische Entgleisungen, wie etwa „den Gespenst“ (S. 34) anstatt richtig „das Gespenst“ oder „Eindringlichkeit“ (S. 198) anstatt richtig „Aufdringlichkeit“ beziehungsweise „Zudringlichkeit“ hätten vermieden werden sollen. Von den Ver- respektive Falschschreibungen von Namen ganz zu schweigen. Dass in dem Buch auch noch ein Personenregister fehlt - bei derlei Veröffentlichungen eigentlich unumgänglich - verwundert sehr und beeinträchtigt folglich unnötig seinen Wert.

Marek Zybura, Breslau

Fußnoten:


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE 6. April 2010