ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Michael Wirth, Die Deutsch-Französischen Beziehungen während der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt (1974-1982). „Bonne Entente“ oder öffentlichkeitswirksame Zweckbeziehung?, Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2007, 144 S., kart., 19,80 €.

Die deutsch-französischen Beziehungen zählen sicherlich zu den faszinierendsten Themen der Zeitgeschichte. Man muss nicht einmal die vielzitierte „Erbfeindschaft“ bemühen, um die Bedeutung der deutsch-französischen Aussöhnung für die friedliche Geschichte des Kontinents in der Nachkriegszeit ausreichend zu würdigen. Die Charakterisierungen oszillieren zwischen entente élémentaire (Willy Brandt) und entente difficile, die beide zugleich treffend die bilateralen Beziehungen beschreiben.

In seinem schmalen Band hat Michael Wirth es sich nun zur Aufgabe gemacht, die deutsch-französischen Beziehungen in der Regierungszeit Helmut Schmidts zu untersuchen. Dabei interessiert ihn ausweislich des Untertitels der Arbeit der Stellenwert von Substanz und Inszenierung. Seine Ausführungen basieren auf der einschlägigen, allerdings doch sehr lückenhaft rezipierten Forschungsliteratur. Ferner beruft sich der Verfasser auf die Memoiren der Hauptakteure und einige Zeitungsartikel. Dass man auf dieser Grundlage zu fundierten Urteilen kommen kann, die über bereits sattsam bekannte Befunde hinausreichen, ist kaum zu erwarten. Die Absichten des Verfassers sind allerdings auch limitiert, die Konsultation von Primärquellen hätte „den zeitlichen Rahmen dieser Arbeit gesprengt“ (S. 8). Doch auch die bescheidene Hoffnung auf eine zuverlässige Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstands wird nicht erfüllt. Inhaltlich beleuchtet Wirth zentrale Politikfelder, die die bilateralen Beziehungen aus seiner Sicht am stärksten geprägt haben. Das sind in erster Linie die Wirtschafts- und Währungspolitik, schließlich Europa und die Sicherheitspolitik.

Zunächst werden in einem äußerst knappen Abriss der deutsch-französischen Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg recht holzschnittartig und klischeehaft die Erkenntnisse der nicht mehr ganz aktuellen Forschungen der 1980er Jahre zusammengefasst. Nach de Gaulle und dem schwierigen couple Brandt-Pompidou sieht Wirth in der parallelen Amtsübernahme Helmut Schmidts und Valery Giscard d'Estaings auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise einen Glücksfall für die bilateralen Beziehungen und für Europa. Mit überdurchschnittlichem ökonomischem Sachverstand ausgestattet waren sie gleichsam prädestiniert, die Probleme der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zu lösen, die in erster Linie wirtschaftlicher Natur waren. So sieht Wirth den größten Erfolg des Tandems Schmidt-Giscard denn auch in der Schaffung des Europäischen Wirtschaftssystems und der Implementierung der Weltwirtschaftsgipfel. Die Achillesferse erkennt er in den unterschiedlichen sicherheitspolitischen Konzepten und Doktrinen. Auch werden hier „Rapallokomplex“ und gaullistische Traditionsüberhänge bemüht, um die Grenzen einer offenen deutsch-französischen Kooperation zu markieren. Die „geschickte öffentliche Inszenierung“ (S. 125) ihres freundschaftlichen Verhältnisses aber habe die Differenzen zwischen deutschem Bundeskanzler und französischem Staatspräsidenten kaschiert.

Wirths Befunde sind widersprüchlich. Am Beispiel der Konstellation Schmidt-Giscard soll gezeigt werden, dass die Qualität der deutsch-französischen Beziehungen eng mit den jeweiligen Protagonisten zusammenhing. Auch mit Giscards Nachfolger, dem Sozialisten François Mitterand, habe es ein hohes Maß an Übereinstimmung gegeben und gar „ein offenes Vertrauensverhältnis“ (S. 126) - eine Einsicht, die mit den Erkenntnissen der historischen Forschung nicht unbedingt deckungsgleich ist. Zugleich aber wird abschließend eingeräumt, dass gute bilaterale Beziehungen keine Frage der persönlichen Sympathien seien. Hier ist dem Verfasser zuzustimmen: Es gab und gibt in der Tat einen Zwang zur „bonne entente“ der beiden Staaten in der Mitte Europas, dem sich kein politisch verantwortlich Handelnder entziehen kann. Die strukturgeschichtlichen Bedingungen und akteursspezifischen Verantwortlichkeiten herauszuarbeiten, bedarf aber fundierter Forschungsarbeit, die ohne intensives Quellenstudium nicht auskommt.

Claudia Hiepel, Duisburg-Essen


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