ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Daniela Münkel/Lu Seegers (Hrsg.), Medien und Imagepolitik im 20. Jahrhundert. Deutschland, Europa, USA, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008, 335 S., kart., 34,90 €.

Wie kommen Images von Prominenten, Stars, Politikern, aber auch Städten zustande? Welche Funktionen übernehmen hierbei populäre Medien, wo werden Selbstbilder entworfen und auf welche Fremdbilder trifft eine „Imagepolitik“, wenn es um ganze Staaten und Nationen geht? Unter welchen Bedingungen kann sie erfolgreich sein und wie flexibel sind Images angelegt? Wie muss man Images von Stereotypen abgrenzen? Diesen und mehr Fragen geht der Tagungsband in der Schnittmenge der Geschichte populärer Medien (Fernsehen, Film), Werbung und Werbemethoden, Wahlkampfkampagnen und auf allgemeiner wie konkret verräumlichter Untersuchungsebene nach.

Daniela Münkel trägt im Eingangskapitel, nicht zum ersten Mal, treffliche Beobachtungen zu Willy Brandt und dessen Wahlkampfstil vor und stellt den 1969 gewählten Kanzler in den Kontext eines historischen Trends - der wachsenden Personalisierung von Politik. Die Historikerin sieht den Vergleichsfall Kennedy als „Produkt“, dessen Ansehen und Erfolg als Ergebnis einer geschickten Imagepolitik, die indes mit einer Grundstimmung in der Bevölkerung in Zusammenhang zu bringen sei, die auf ein Mehr an Partizipation und modernisierender Intervention gerichtet war. Auch bei Willy Brandt war es demnach das Image als Modernisierer, Reformer, starker Kanzlerkandidat, das die Wähler 1969 ansprach. Münkel vertritt die Meinung, dass sich zu dieser Zeit die Bedeutung von Images für Politik und Politiker „grundsätzlich veränderte“, freilich wäre diese These durch Längsschnittvergleiche zu erhärten.

Thomas Mergel führt die Gedankengänge fort, sieht Politik stets als Ergebnis eines vermittelten Images, hält die Frage nach einem falschen oder wahren Politikerbild für völlig verfehlt. Mergel unterstreicht jedoch auch die Grenzen einer solchen Sinnproduktion (per Medien) am Beispiel Rainer Barzels 1972. Letztlich stieß der Versuch, dessen gesellschaftlich bereits verankertes Image ,total' zu verändern, auf Ablehnung. Es hätte weiterer - persönlicher - Qualifikationen Barzels bedurft, um sein von Beratern ersonnenes neues Image erfolgreich zu lancieren. Tiefer gehende Einstellungen, mental verankerte Befindlichkeiten der Wähler, massive Legitimationsprobleme sowie soziale Erfahrungen scheinen für die Rezeption von Images mindestens ebenso eine solche Rolle zu spielen wie die Geschicklichkeit einer Imagepolitik von ,oben'. Dies zeigt sich auch im Aufsatz von Jan C. Behrends über Gomulka und Honecker, deren propagiertes Image wegen der wachsenden allgemeinen Legitimationskrisen der von ihnen repräsentierten Regimes keinesfalls glaubhaft wurde. Die Abwesenheit einer sich selbstständig artikulierenden Öffentlichkeit und der mediale Modus - „die geglättete Biographie, die lobhudelnde Reportage, die unterwürfige Gratulation“ - trugen zum Scheitern der Imagepolitik im Sozialismus bei. Von hier aus ist es folgerichtig, dass sich der anschließende Beitrag von Christoph Claasen mit den implizierten Negativ-Images von Politik in fiktionalen Filmen der Bundesrepublik beschäftigt. Sein Befund: Der Umschwung vom Bild ,schmutziger' Politik zu dem von Politik als zivilgesellschaftliches Engagement habe sich (erst) in den 1990er Jahren vollzogen. Der vorwärtsweisende methodische Zugriff des Autors verdient eine größere Studie mit einem aussagefähigen Sample.

Rainer Gies wendet sich in einem souveränen und informationsreichen Überblick über „Produktimages und Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert“ der Wissensgeschichte von Werbung und „Metadiskursen der Produktkommunikation“ zu. Sozialpsychologische und mediale Grundkategorien des analogen wissenschaftlichen Feldes werden aufgezeigt und Überlegungen angestellt, dass Politikerimages am Besten unter der Rubrik des ,Markenprodukts' zu fassen seien. Adelheid von Saldern über Stereotype und Images aus Sicht amerikanischer Publizisten bezieht sich auf die Vorbildfunktion der USA. Grundlegende Diskurse wie zum frontier-Mythos waren historische Produkte einer einmaligen Erfahrung. Sie reproduzierten sich solange, bis sie zu mächtigen, unveränderlichen Stereotypen geronnen waren, die der Abgrenzung des kollektiven Selbst von Europa dienten. Hingegen zeigt Cornelia Rauh am Beispiel der Fehler, die die Schweiz im Umgang mit den Holocaust-Opfern machte, wie „medial aufbereitete Geschichtslektionen“ rasch das Image eines ganzen Landes international angriffen. Mithin liegt es keineswegs nur an Medien, wenn ein Image beschädigt oder wieder aufgebaut werden kann, auch das Feld von Erinnerungspolitik kann sehr stark hineinwirken. Simon Wendt über amerikanische Stars und Helden-Images wie das von Charles Lindbergh betont ebenfalls, wie sich diese in kürzester Zeit zu wandeln vermochten, und auch Lu Seegers über die Prominentenberichterstattung in Programmzeitschriften sowie Christoph Jacke über den Starkult sehen diese Phänomene mehr als abhängige Variable anderer gesellschaftlicher und kultureller Großtrends denn als Vorreiter gesellschaftlichen Wandels. Schließlich stellt Detlef Siegfried über die Kommune 1 fest, dass deren kulturrevolutionäres Image „nur erfolgreich sein (konnte), weil in der Gesellschaft selbst die Offenheit gegenüber kultureller Abweichung [...] an Rückhalt gewann“.

Im letzten Teil des Bands zeigt sich, dass auch die „Popularisierung der Suburbanisierung im 20. Jahrhundert“ (Meik Woyke) auf vielfältigen gesellschaftlichen Akteuren beruhte (so auf den vom Spiegel so titulierten „Eigenheim-Apostel“ Wohnungsbauminister Paul Lücke), auf steigenden Anlagewünschen der Bundesbürger ebenso wie auf Bedürfnissen nach Geborgenheit und Erholung, die wiederum hervorragend beworben werden konnten. Images erweisen sich in dieser Sicht durchaus als Motoren eines gesellschaftlichen Modernisierungsschubes, sind ihrerseits aber von verschiedenen Rezeptionsbedingungen abhängig. Wenn diese sich ändern, wie durch steigende Energiekosten oder im heutigen Reurbanisierungszeitalter, verschwindet auch die Selbstverständlichkeit bisheriger ,Bilder'. Indes einmal verankerte Images ganzer Städte, Siedlungstypen und damit verbundener Lebensführungsideale waren, wie die Vorstellung von der frontier, historisch nicht so beweglich wie die über Politiker und Popstars. Dies zeigt sich auch bei Philipp Springer über das Scheitern der städtischen Imagepolitik im Sozialismus am Beispiel Schwedts und bei Georg Wagner-Kyora über Altstadtkonzepte, Wiederaufbau und Erfahrung der Moderne.

Gerade diese drei letzten urbanistischen Beiträge geben dem Sammelband eine eigene Kontur, da sie die analytische Ebene von Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten räumlich-gesellschaftlicher, medialer und Imageprozesse betonen. Sie verweisen noch einmal auf die unterschiedlichen Zeitebenen der Verankerung von ,Bildern', die wiederum viel mit den ,realen' Erfahrungen und Hoffnungen der Menschen zu tun haben. So gewinnt der Sammelband gerade dadurch, dass er den medialen Grundansatz um die Raumdimension erweitert. Das etwas oberflächliche Thema von Politikerimages wird zudem durch die kategorial orientierten Beiträge vertieft. Der Band ist zeitgemäß, lesenswert und gut lesbar.

Clemens Zimmermann, Saarbrücken


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