ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Anke Sawahn, Die Frauenlobby vom Land. Die Landfrauenbewegung in Deutschland und ihre Funktionärinnen 1898 bis 1948, DLG-Verlag, Frankfurt am Main 2009, 688 S., brosch., 34,90 €.

Landfrauen haben bislang in der historischen Forschung wenig Beachtung gefunden, woran auch die Frauen- und Geschlechterforschung kaum etwas geändert hat. Umso willkommener ist daher diese auf Anke Sawahns Dissertation beruhende, umfangreiche Studie, die in ihrem Titel einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke zu leisten verspricht. Bewusst hat die Verfasserin einen langen, ein halbes Jahrhundert umfassenden Untersuchungszeitraum gewählt, der vier verschiedene politische Systeme widerspiegelt. So will sie ergründen, wie sich die Landfrauenbewegung bei den jeweiligen Systemumbrüchen verhielt. Von besonderem Interesse ist angesichts des gewählten Zeitraums die Frage nach ihrem Verhältnis zum nationalsozialistischen Regime. Über die zentrale Frage nach der politischen Orientierung der Bewegung hinaus geht es der Verfasserin darum, zu ermessen, wie erfolgreich die organisierten Landfrauen bei der Durchsetzung ihrer wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziele waren.

Der Aufbau des Buchs verknüpft, ohne jedoch den damit verbundenen Erkenntnisgewinn voll auszuschöpfen, die chronologische Darstellung der Entwicklung der Landfrauenbewegung mit einem Wechsel von der Makro- (Reichsebene) zur Meso- (Provinz Hannover) und wieder zurück zur Makroperspektive sowie mit einem biografischen Ansatz. So ist das Buch in drei große chronologisch geordnete Abschnitte gegliedert, von denen jeder ein Umbruchsjahr im Titel trägt. 1898 markiert mit der Gründung der ersten Landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine in Ostpreußen den Beginn der organisierten Landfrauenbewegung. 1915, also erst 17 Jahre später, begannen sich auch in der Provinz Hannover Landfrauen zusammenzuschließen. Eine mögliche Ursache für die zeitverzögerte Gründung vermutet die Verfasserin im stark ausgeprägten Konservatismus der Landwirte. Sie führt diesen auf die fortwirkende, noch aus welfischer Zeit stammende allgemeine Rückschrittlichkeit des Landes zurück, die sich auch in der ablehnenden Haltung der Landwirtschaftskammer gegenüber Frauenorganisationen manifestierte. Das Jahr 1933 schließlich führte einen nahezu 100-prozentigen Organisationsgrad der Landfrauen herbei, denn im Gefolge der Machtübernahme durch die NSDAP mussten alle auf dem Lande Tätigen unabhängig von ihrem Geschlecht, vorausgesetzt sie erfüllten die nationalsozialistischen „Rassekriterien“, im Reichsnährstand organisiert sein.

Den Hauptteil jedes dieser Abschnitte bildet die detaillierte Darstellung des Lebens, der organisationsbezogenen Aktivitäten, vor allem aber der politischen Vorstellungen von 20 Führungsfiguren der Landfrauenbewegung unterschiedlichen Status' und Bezugs zum Land. Die Quellenbasis für die biografischen Studien hat sich die Verfasserin durch akribische Recherche in unterschiedlichen Archiven und privaten Nachlässen geschaffen. In einigen wenigen Fällen war es ihr sogar möglich, mit den hochbetagten Frauen ein ergänzendes Interview zu führen. Unter den Dargestellten finden sich Gutsfrauen, Bäuerinnen und Landwirtschaftliche Lehrerinnen ebenso wie sogenannte „Agrarierinnen des Herzens“. Obwohl diese selber nicht auf dem Lande lebten, fühlten sie sich der Landwirtschaft und den in ihr Tätigen in oft romantisierender Sichtweise besonders verbunden. Die Auswahl umfasst Ehefrauen dörflicher und landstädtischer Honoratioren, in der Administration landwirtschaftlicher Gremien Beschäftigte sowie Frauen, die mit der Landfrauenthematik publizistisch wirkten. Dabei bedienten sie sich der verbandseigenen Zeitschriften, mit denen sich die in ländlichen Gebieten häufig wenig entwickelte Infrastruktur kompensieren ließ. Später erkannten und nutzten sie aber auch sehr schnell das Potenzial von Rundfunk und Film für die Verbreitung ihrer Anliegen und Sichtweisen.

Da die Ausführungen über die einzelnen Funktionärinnen alle nach den gleichen Kriterien strukturiert sind, erleichtern sie direkte Vergleiche zwischen einzelnen Frauen. Die biografischen Darstellungen beginnen mit der Herkunft der Frau, ihrer Ausbildung und ihren Lebensverhältnissen und spannen dann den Bogen von ihrem Engagement für die Landfrauenbewegung bis zum Nationalsozialismus. Aufgrund der individuellen Schwerpunktsetzung in der Verbandsarbeit sowie der unterschiedlichen Funktionen, welche die Frauen jeweils erfüllten, wird ein breites Spektrum organisierter Landfrauenarbeit deutlich. Es folgt ein Abschnitt über das jeweilige Entnazifizierungsverfahren. Allen Frauen gelang es, ungeachtet ihrer oftmals exponierten Stellung, spätestens in der von ihnen angestrengten Überprüfung des Verfahrens als wenig belastet eingestuft zu werden. Jede der biografischen Darstellungen schließt mit Ausführungen darüber, ob und in welcher Weise ihrer verbandsintern erinnert wird.

Insgesamt attestiert die Verfasserin den Funktionärinnen der Landfrauenbewegung ein hohes Maß an Engagement für die Verbesserung der Lage von Landfrauen, indem sie sich für Arbeitserleichterungen ebenso einsetzten wie für Versammlungsmöglichkeiten, Bildung, Ausbildung und Berufsaufstiege. Oberstes Ziel war die Professionalisierung der ländlichen Hausfrauenarbeit. In diesen Bestrebungen sieht die Verfasserin die, wenn auch zeitverzögerte, Übernahme von schon länger erhobenen Forderungen der städtischen Frauenbewegung. Zwar hätten die Landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine ein gewisses Maß an emanzipatorischem Selbstbewusstsein entwickelt, doch hätten sie Standesinteressen immer Vorrang vor geschlechtsbezogenen Anliegen eingeräumt. Indem sie gegenüber den städtischen Hausfrauenvereinen ihr eigenes Profil betonten und zur Frauenbewegung in einem Spannungsverhältnis standen, das zwischen Nähe und Distanz oszillierte, hätten sie sich die Möglichkeit der Anerkennung durch die männlich besetzten Landwirtschaftskammern bewahrt.

Die Würdigung der Professionalisierungsbestrebungen verbindet die Verfasserin mit der eindeutigen Verurteilung des politisch-ideologischen Standpunkts der Landfrauen. Der mangelnde Zweifel an der konservativ-landbündischen Interessenpolitik des Verbands, so ihr Fazit, verhinderte den Aufbau von Resistenzpotenzial gegenüber dem Nationalsozialismus, dem sich die organisierten Landfrauen nicht verweigerten. Dies verwundert nicht, waren doch die Funktionärinnen mit ganz wenigen Ausnahmen am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums verortet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Landfrauenvereine 1946 auf Drängen der alliierten Militärverwaltungen wiedergegründet. Die Vereine knüpften in ihrer Arbeit an zuvor Erreichtes an und blendeten, wie die Mehrheit der Bevölkerung, die Zeit von 1933 bis 1945 in ihrer Erinnerung aus. Dass sich daran bis heute kaum etwas geändert hat, kann die Verfasserin in den mit „Historisches Gedächtnis“ überschriebenen Schlussabschnitten jeder biografischen Studie zeigen.

Die Befunde, die Anke Sawahn präsentiert, stehen jedoch in einem gewissen Missverhältnis zum Titel des Buchs, indem das Denken und Handeln der organisierten Landfrauen mit jenem ihrer Funktionärinnen gleichgesetzt werden. Dahinter verbirgt sich ein methodisches Problem, das aus dem Umgang der Verfasserin mit der Quellenlage resultiert. Trotz intensiver und umfassender Recherche fand sie von den Vereinen nicht einmal Mitgliederlisten vor. Daraus schloss sie auf die Unmöglichkeit, die Landfrauenbewegung sozialstrukturell und ideologisch näher zu bestimmen. Allerdings verschleiert der unspezifische Begriff „Landfrauen“ ihrer Ansicht nach, dass Klein- oder Mittelbäuerinnen oder gar Landarbeiterinnen für ein aktives Vereinsleben weder Zeit noch Geld besaßen. Konsequent benutzt sie daher in ihrer Studie den Begriff „Landfrau“, um die weibliche, häufig adelige Besitz- und Bildungselite vom Land zu bezeichnen. Um die Möglichkeit der Untersuchung der lokalen Vereine gebracht, hat sie sich stattdessen jenen Frauen zugewandt, über die aufgrund ihres sozialen und verbandsinternen Status' umfangreiches Quellenmaterial vorliegt. So ist eine prosopografische Untersuchung entstanden, die einen fundierten Einblick in die Aktivitäten, vor allem aber die politisch-ideologischen Vorstellungen dieser Vertreterinnen der ländlichen weiblichen Elite gewähren. Doch Anke Sawahn schließt von den Positionen der Funktionärinnen unmittelbar auf jene der Mitglieder, denn erstere hätten als Repräsentantinnen im Auftrag ihrer Klientel gehandelt (S. 613). Diese Gleichsetzung blendet die Möglichkeit von Konflikten zwischen Funktionärinnen und einfachen Mitgliedern ebenso aus wie die Art und Weise ihrer Beilegung, bei welcher der überlegene Sozialstatus der Funktionärinnen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben mag. Ebenso wenig zieht die Verfasserin in Betracht, dass sich die Übereinstimmung zwischen beiden Gruppen auf die Bestrebungen zur Verbesserung des Arbeitsalltags ländlicher Hausfrauen - unter Ausblendung des politisch-ideologischen Rahmens, in den sie eingebettet waren - beschränkt haben könnte. Gerade die von der Verfasserin wiederholt betonte extreme Arbeitsbelastung ländlicher Hausfrauen könnte eine solche Haltung begünstigt haben.

Bleibt die Studie auch im Hinblick auf die Masse der organisierten Landfrauen stumm, so leistet sie mit der detaillierten Darstellung des Wirkens der ausgewählten 20 Protagonistinnen einen Beitrag zur Erforschung der Positionen und Aktivitäten von Frauen auf der politischen Rechten, denen sich die Forschung in den letzten Jahren zugewandt hat. Vor allem aber hat die Verfasserin eine Vielzahl von Aspekten der Landfrauenbewegung angerissen, von denen jeder einzelne in einer eigenständigen Untersuchung tiefer ausgelotet zu werden verdiente.

Jutta Schwarzkopf, Magdeburg


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