ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Frank-Lothar Kroll, Intellektueller Widerstand im Dritten Reich. Heinrich Lützeler und der Nationalsozialismus (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Bd. 51), Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2008, 141 S., brosch., 16,80 €.

Der Widerstand im ,Dritten Reich' ist gut erforscht und wurde inzwischen sogar durch Filme wie „Operation Walküre - Das Stauffenberg Attentat“ für ein weltweites Publikum vermarktet. Indes bestehen nach wie vor bemerkenswerte Forschungslücken. Wenig spektakulär mutet der Widerstand von Schriftstellern an, noch dazu, wenn sie in die innere Emigration gingen. Zudem standen die Facetten ihres nonkonformen Verhaltens in einem Spannungsfeld aus wie Zugeständnisse anmutenden Äußerungen, also teilweise getarnten, vielfach mehrdeutigen Formulierungen, die für Zeitgenossen und spätere Leser interpretationsbedürftig sind, einerseits und klaren Widerstandsbekundungen andererseits. Gleichwohl stellt intellektueller Widerstand persönlich eine mutige und folgenreiche Tat dar; darüber hinaus ist er auch gesellschaftlich von großer Bedeutung. Schließlicht ist alles was gedacht wird, bereits ein Teil der Wirklichkeit - zumindest lässt sich in Anlehnung an ein früheres Werk von Frank-Lothar Kroll so argumentieren. Vielleicht ist es ein Zeichen von Geringschätzung oder Kurzsichtigkeit, neutraler formuliert ganz einfach bezeichnend für die vielen Menschen innewohnende Betrachtungsweise, Widerstand in der Regel zuerst und vor allem mit Politik und Militär in Verbindung zu bringen. Tatsächlich wird dem Potenzial intellektueller Resistenz von deutschen Intellektuellen im Bereich von Literatur, Bildender Kunst, Musik und Wissenschaft im Nationalsozialismus erst in der jüngeren Forschung beträchtliche Aufmerksamkeit zuteil.

Hier setzt die beispielhafte Untersuchung von Frank-Lothar Kroll über das Wirken des Bonner Philosophen und Kunstwissenschaftlers Heinrich Lützeler (1902-1988) in der NS-Diktatur an. Wie andere überzeugte Gegner des Nationalsozialismus, die die Tragweite der „braunen Revolution“ erfassten, darunter etwa der Ökonom Wilhelm Röpke, attackierte der Kunsthistoriker Heinrich Lützeler früh den Kern der NS-Ideologie. In einem Artikel in der Deutschen Reichszeitung wies er im Juli 1931 die vom NSDAP-Chefideologen Alfred Rosenberg in Bonn vorgetragene Rassenlehre als wissenschaftlich unzulänglich zurück. Sie stelle eine „Vergötzung von Blut und Macht“ und eine „Instinktverwilderung“ dar.

Die ungleiche Auseinandersetzung zwischen dem nur 1,20 Meter kleinen, körperbehinderten, katholischen Gelehrten und dem NS-Unterdrückungsapparat währte bis in den Krieg hinein. Die staatlichen Organe beschnitten Lützeler, der fortwährend bespitzelt und mehrfach denunziert wurde, schrittweise in seiner beruflichen Handlungsfähigkeit - durch Raub seiner akademischen Rechte, Berufsverbot und schließlich Rede- und Schreibverbote. 1940 wurde Lützeler die venia legendi entzogen und 1942 ordnete das preußische Kulturministerium praktisch ein Berufsverbot an.

Lützelers programmatische Abschiedsvorlesung „Vom Beruf des Hochschullehrers“ im Rahmen seiner Vorlesung „Die großen Denker der Griechen“ wurde in einem überfüllten Hörsaal am 29. Februar 1940 zu einer eindrucksvollen Demonstration geistig-katholischen Widerspruchs gegen den Nationalsozialismus. Die anonyme studentische Stellungnahme eines Denunzianten verzeichnete den „enthusiastische[n] Beifall der ,katholischen Jugend' an der Universität Bonn, vor allem Theologiestudenten, wie auch die gesamte Stimmung zeigten deutlich die Geschlossenheit einer ,protestierenden Gemeinde'“ (S. 92). Kursierende illegale Manuskripte erreichten sogar Wehrmachtsoldaten in Russland. Stets ging es Lützeler darum, der nationalsozialistischen Verunstaltung des Menschenbilds Widerspruch entgegen zu setzen.

Frank-Lothar Kroll, Inhaber einer Professur für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Technischen Universität Chemnitz, hat eine sehr konzise, prägnante und auf das Wesentliche beschränkte biografisch-thematische Darstellung über den Lebensweg und das publizistische Engagement von Heinrich Lützeler verfasst, die sich auf umfangreiche archivalische Quellen und Literatur stützt. Hilfreich dürfte sich Krolls bemerkenswerte Habilitationsschrift „Utopie als Ideologie: Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich“ ausgewirkt haben. Dort hatte er für die Geschichtswissenschaft erstmals ein bemerkenswertes Schlaglicht auf zentrale Ideologen des NS-Regimes geworfen, indem er wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede der „herrschaftsstabilisierenden Geschichtsideologie“ herausarbeitete. Das geschah mit viel Prägnanz und intellektueller Schärfe.

Nun weckt die Studie über Heinrich Lützeler, dessen letzter Schüler Kroll war, Interesse an mehr - eine Biografie steht noch aus. Der vorliegende Band enthält acht Kapitel, die sich in vier Abschnitte gliedern ließen: Da ist zunächst eine Rahmen setzende Skizze des Verhältnisses von Nationalsozialismus und Kunstgeschichte sowie des Kunsthistorischen Instituts in Bonn, an dem Lützeler wirkte. Anschließend folgen Stationen seiner Biografie. Den Mittelpunkt der knappen Monografie bilden vier Kapitel über den intellektuellen Widerstand und die Repressionsmaßnahmen des NS-Staatsapparats. Der letzte Abschnitt systematisiert die Möglichkeiten und Grenzen intellektuellen Widerstehens und bietet eine Plattform für die weiterführende Auseinandersetzung mit dem Thema „Intellektueller Widerstand“, das auch Gegenstand einer Tagung über Schriftsteller im Widerstand in Chemnitz im Juli 2009 war. Anhang, Quellen- und Literaturverzeichnis runden den gelungenen Band ab.

Abschließend sei noch eine Randbemerkung gestattet, die eine möglicherweise eigentümlich anmutende Verbindung zu dem eingangs genannten Ökonomen Wilhelm Röpke zieht. So eint beide Humanisten die Klage über kulturelle und gesellschaftliche Vermassung sowie Niedergangskritik. Bei aller Berechtigung, zumal in einer für viele Menschen bedrückenden Zeit, handelt es sich um eine Tendenz, die unauflösbar mit den Errungenschaften der Massengesellschaft verbunden ist, nämlich Wohlfahrt und große Handlungsspielräume nicht nur für wenige, sondern für viele Menschen. Die damit verbundene Herrschaft von Mehrheiten über Minderheiten wertet intellektuelle Resistenz jedoch nicht ab, sondern vielmehr auf.

Michael von Prollius, Berlin


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